Mittwoch, Oktober 26, 2011

德国 – Deutschland


- Sieder versteckt sich erst mal unter dem Bett, um von dort aus vorsichtig sein neues Revier zu erkunden. Er lernt Teppiche zu schätzen und wählt ziemlich schnell seinen Lieblingsplatz, korrekterweise auf einem Deutschland- Kissen. Erweiterung seines Reviers um das Doppelte und der neue männliche Dosenöffner sind auch ganz nett. Dass bei uns zu Hause ständig was los ist, findet er auch klasse und verwickelt die uns besuchenden Zweibeiner gerne in ausgiebige Gespräche. Dass er nicht auf den Balkon darf, findet er allerdings mäßig geil. Anfängliche Schwierigkeiten mit der Fütterung , aber dafür jede Menge interessantes neues Spielzeug. Und zum Glück ist ja noch das Weibchen da, an das man sich bei Bedarf kuscheln kann.

- Hochzeit meines Lieblingscousins in Berlin, freue mich, dass ich meine Familie wiedersehe und auf einer Hochzeit tanzen kann. Die letzten paar Jahre waren ja für Familientreffen eher unerfreuliche Anlässe. Wetter ist bombig. Deutschland rockt.

- Wir besuchen das Bauhaus in Dessau. Bin aufgeregt, schließlich ist das hier die Wiege der zeitgenössischen Architektur und des modernen Designs. Wir bummeln andächtig durch die Gebäude und ich versuche mir vorzustellen, wie das hier in den 30er Jahren brummte und ambitionierte junge Leute die Flure bevölkerten, die das Glück hatten, von Lehrern wie Mies van der Rohe oder Walter Gropius unterrichtet zu werden. Beeindruckend.

- Abhängen mit Freunden, Samstags laufe ich auf dem Markt zufällig Herrn Burland, der mit der in Mainz gestrandeten, ebenfalls bloggenden Australierin Helen einen Kaffee genießt an der Blechdose auf Rädern in die Arme. Mainz ist ein Dorf.

- Interessantes Erlebnis: Ich nehme zum ersten Mal in meinem Leben an der Sitzung einer Bürgerinitiative teil. Interessiert mich als Professionelle. Auf der Ludwigsstrasse will ein messfremder Investor durch Um- und Ausbau ein Mega- Einkaufszentrum etablieren. Mache mich kundig und studiere die Pläne. Zu diesem Thema gab es schon mehrere Wettbewerbe, an denen ich für verschiedene Büros beteiligt war. Denke, dass der Investor keine Ahnung hat und der Entwurf eine städtebauliche Katastrophe ist. Diese Meinung scheinen viele Mainzer zu teilen, allerdings entweder aus handfesten wirtschaftlichen (isch bin en ordentlischer Einzelhandelkaufmann der vierten Generation und sehe misch gefährdet) oder eher diffusen (unser Meenz werd verschandelt) Gründen. Auf jeden Fall aufschlussreich. Nach allem, was ich so höre und sehe denke ich, dass Mainz und Shanghai gar nicht so unterschiedlich sind.

- Verfolge im Netz die Eingänge auf mein chinesisches Konto. Als ich sehe, dass ich meinen Lohn für August anstandsgemäß erhalten habe, kündige ich formvollendet per mail. Natürlich habe ich schon einen neuen Job. Keine Reaktion von meinem Boss, aber die chinesischen Kollegen sind anscheinend echt traurig. Mein deutscher Kollege war natürlich eingeweiht. Ist eigentlich nicht mein Stil, so linke Nummern zu schieben, aber da bis jetzt fast alle Leute von denen unfair behandelt wurden mache ich das jetzt halt auch so. Den Septemer habe ich sowieso komplett abgeschrieben.

- Sieder und Ali kommen gut miteinander aus, bin beruhigt. Und obwohl ich Mainz über alles liebe und meine Leute schrecklich vermissen werde, habe ich Heimweh nach dem dreckverpesteten Shanghai mit seinem chaotischem Verkehr, seinen verpeilten aber liebenswerten Einwohnern und seinen Wolkenkratzern. Und bald kommt ja auch Lilo und Weihnachten hoffentlich Ali. Bis denne, Deutschland.

Freitag, Oktober 14, 2011

麦克四大第二 – Mike Sieder #2

Zwei Tage vor Abflug hole ich in der Tierklinik die Transportpapiere ab. Alles in Ordnung, das Vieh darf das Land verlassen. Zum Glück muss ich nicht noch einmal mit der Katze vorstellig werden, das hätten meine Nerven nicht mitgemacht. Von der Tierklinik mit Papieren zu China Eastern, wo ich denn endlich auch die letzten Formulare bekomme und jetzt auch wirklich ganz sicher ist, dass Sieder befördert wird.

Überraschungsbesuch von Xiao Lu, der sich von mir verabschieden will. Erklärung für seine lange Abwesenheit: Vor ein paar Wochen hat er sich mit seinem Elektroroller auf die Fresse gelegt und sich dabei den rechten Unterarm und einige Knochen seiner Hand gebrochen. Außerdem noch Stress in der weitläufigen Familie. Unterarm gedrahtet und dick geschwollen, der arme Kerl bietet ein Bild des Jammers. Sieht fast so aus, als ob er geschrumpft wäre, abgenommen hat er auf jeden Fall. Und Training ist jetzt auch erst mal längere Zeit nicht, von Parktraining mal ganz abgesehen. Er ist sehr frustriert, versuche, ihn mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen aufzuheitern, so gut ich kann. Sieder und ich jedenfalls werden mit einem Küsschen verabschiedet und mit den besten Wünschen auf die lange Reise geschickt, Xiao Lu würde uns wohl gerne begleiten. Eine Spritze in den Hintern und einen Mikrochip zwischen die Schultern würde er dafür wohl auch gerne in Kauf nehmen, aber für menschliche Chinesen ist das mit dem Visum leider nicht so einfach.

Am Tag meines Abflugs verfolgt der Kater aufmerksam, wie ich den Koffer packe, wie spannend! Und warum verpacke ich auch seinen Mainz 05 Fressnapf und seine Lieblingsspielzeuge? Aufregend. Ganz zum Schluss mache ich mich an seiner Box zu schaffen und lege sie mit dem Handtuch und saugfähigem Papier aus, was ihn natürlich neugierig werden lässt. Muss sofort untersucht werden, ich schließe schnell die Tür der Box. Als Sieder dämmert, dass diese Tür sich so schnell nicht mehr öffnen wird, wird er ungehalten. Packe beherzt Koffer und Box, schultere den Rucksack, verlasse meine Wohnung und schließe die Wohnungstür ab. Habe meinen Freund noch nie derartig wütend und markerschütternd kreischen hören, aber da muss er jetzt durch, auch wenn mir fast das Herz bricht.

Erwische auch sofort ein Taxi, dessen Fahrscherge allerdings nicht ganz so der große Tierfreund ist. Er macht sich Sorgen, mein Kater könne sein vergammeltes Taxi verunreinigen. Nein, ganz sicher nicht, die Box ist doch wasserdicht und das Tier kann auch bestimmt nicht entkommen. Nach einigem Hin und Her fährt er uns endlich zum Flughafen, meinen Koffer muss ich aber hübsch selber in den Kofferraum wuchten. Blödmann.

Der Check- In verläuft dann auch ziemlich reibungslos. Die Papiere werden studiert, die Box mit Nylonbändern gesichert (10,- RMB), der Kater samt Box gewogen und ich zur Zahlung von 2.600,- RMB aufgefordert. Sieder wimmert leise vor sich hin, nur ab und an erhebt er seine Stimme. Ein ausländischer Vater mit seinem quengelingen Mischlingskind ist für diese unerwartete Ablenkung sehr dankbar, denn der Bengel ist von meinem Tier total hingerissen. Schließlich schlendert ein junger Mann in Arbeitsbekleidung mit einem Rollwägelchen herbei, auf das er sachte aber emotionslos die Box mit meinem Liebling stellt. Verabschiede mich hastig, dann karrt der junge Mann gemütlich und fröhlich pfeifend Herrn Sieder in die dunklen Eingeweide des Pudong International Airport. Hoffentlich zur richtigen Maschine.

Nachdem ich die Sicherheitskontrollen passiert habe, bleibt gerade noch Zeit für eine Dose Bier und eine hastig genossene Zigarette, dann boarden wir auch schon. Stürme als erstes gleich mal auf den für meinen Abschnitt zuständigen Steward zu und verlange zu wissen, ob meine Katze an Bord sei. Der Knabe versteht leider nur mäßig Englisch, deswegen wiederhole ich mein Ansinnen auf Chinesisch. Katze im Cargo? Keine Ahnung. Ja, ob er bitte nachfragen könne? Der Steward verschwindet trotz seiner sich wie immer völlig undiszipliniert verhaltenden Landsleute. Als endlich alle Reiskocher, Plastiktaschen und -tüten und dergleichen sicher verstaut sind, kommt er wieder und strahlt über das ganze Gesicht. Daumen nach oben, Cat in Cargo. Da er mir ein netter Mensch zu sein scheint, glaube ich ihm, dass er sich tatsächlich erkundigt hat und sich nicht nur durch meine Anfrage der Bändigung der Volksgenossen in willkommener Weise entzogen hat. Könnte jedenfalls den Flug entspannt genießen, wenn die Klimaanlage nicht auf Kühlhaustemperaturen heruntergeschraubt wäre.

Landung frühmorgens in Frankfurt, nachdem ich meinen Koffer vom Band gezerrt habe, erkundige ich mich, wo ich denn jetzt mein Tier abholen könne? Oh, da hinten beim Sperrgepäck. Wie? Nicht in der „Animal Lounge“ irgendwo in „Cargo City“ wie auf der offiziellen Website des Frankfurter Flughafens angegeben? Und muss nicht ein Veterinär meinen Freund begutachten und freigeben? Das mit dem Veterinär weiss der freundliche Herr jetzt auch nicht so genau, aber er ist ganz sicher, dass Sieder beim Sperrgepäck abzuholen ist und gibt mir eine genaue Beschreibung dieses Bereiches. Warte unruhig eine Ewigkeit, ein netter Polizist beruhigt mich. Sperrgepäck wird als Letztes ausgeladen. Freue mich, statt Shanghainese mal wieder Hessisch zu hören. Endlich sehe ich, wie das Frankfurter Gegenstück zu dem Shanghaier Flughafenmitarbeiter eine Rosa- Weiße Box sachte vor dem Lastenaufzug niedersetzt und renne überglücklich auf ihn zu. Trinkbehälter fehlt und zusätzlich zu den Nylonstrippen sind noch ein paar Schnüre um die Box geschlungen und ungeschickt verknotet. Mein Tier muss wohl randaliert haben. Tigerherz, ganz wie sein Menschenweibchen. Bin stolz auf ihn. Sieder kauert jedenfalls maulend in seiner Box, der nette Cargotyp weiß von nichts, meint aber, der Zoll werde sich schon um alles kümmern. Keine Sau mehr am Zoll, renne einfach durch und Ali in die Arme. Sieder ist deutscher Staatsbürger, ich bin bei meinem Gatten und alles ist gut.