Versacke Freitag Abend mit Marc, dem anderen Senior Architect im Barbarossas. Auch eine nette Sache, Freitags gehen wir oft mit dem Team nach der Arbeit noch einen trinken (team building) oder Marc und ich gehen gemeinsam essen und/ oder trinken und beweihräuchern uns gegenseitig (Streben nach Weltherrschaft). Außerdem müssen wir uns ja über unser Team austauschen und uns überlegen, wie wir unsere Schäfchen auf Kurs bringen, das macht man dann doch gerne bei einem guten Getränk oder leckeren Essen.
Ständig richtig gut essen zu können ist eines der Dinge, die ich an China echt zu schätzen weiss. Haben in der Nähe unseres Büros noch einen weiteren hervorragenden kleinen Imbiss ausfindig gemacht, in dem es wahnsinnig leckere Nudeln gibt. Über die hygienischen Bedingungen möchte man zwar nicht so gerne Bescheid wissen, aber für die Jiaozi mit Lauch und Ei könnte ich sterben. Und die Rechnung für fünf Personen beläuft sich jedes Mal auf so ungefähr vier Euro. Krass.
Das Konzept für unsere Kreativ- Fabrik steht soweit, echt gute Teamarbeit. Ich habe großen Spaß daran, vor allem, da ich schon sehr lange keinen städtebaulichen Entwurf mehr gemacht habe. Da macht man auch gerne mal Überstunden.
Der Investor will Montag unser Konzept sehen, deswegen treffen wir uns Samstag Vormittag, um unsere Ergebnisse zusammen zu stellen. Unsere Bürokatze freut sich, dass wir am Wochenende da sind und wird ausgiebig beschmust. Ich merke, dass ich langsam echt urlaubsreif bin, wie gerne hätte ich ausgeschlafen. Tröste mich aber mit dem Gedanken, dass ich nächstes Wochenende im Flieger und im Urlaub ja dann ganz viel schlafen und ausruhen kann.
Unsere Präsentation sieht dann auch ganz gut aus, bin mal gespannt, was der Investor dazu sagen wird.
Nachmittags treffe ich mit Xiao Lu zum Training, darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut. Der möchte, dass ich Ying Quan jetzt bitte schön zackig laufen soll, nur so würde das was aussehen. Da stimme ich zu, aber ich muss immer noch zu lange überlegen, um diese Form richtig krachen zu lassen. Bei den Schrittfolgen feilt er auch noch ganz schön an mir rum, sehr schwierig. Naja, wird schon. Wenigstens schwitze ich ordentlich, das freut ihn.
Nach dieser Übungseinheit bin ich dermaßen ausgelaugt, dass ich schon früh ins Bett gehe und schlafe wie eine Tote.
Sonntags bin ich schon früh wach, freue mich auf eine Stunde Aufwärmen mit Xiao Lu. Leider regnet es leicht, hört aber schnell wieder auf. Kein Xiao Lu im Park, als ich um viertel vor neun eintreffe. Macht nichts, die Sonne scheint wieder, also setze ich mich auf eine Bank und lese ein wenig. Um viertel nach neun beschließe ich, mich umzuziehen und mich warm zu machen, ziemlich schnell zappelt auch die Maid an und macht ein langes Gesicht. Herr Lu nicht da? Nein, wie sie sehen könnte, ja offensichtlich nicht. Ich fange mit Einzelbewegungen an, die Maid traut sich nicht, mitzumachen. Meister Wu kommt mit dem Teeknülch und erlöst sie aus ihrer Verlegenheit. Der Teeknülch ist seit ein paar Wochen im Training, Xiao Lu und ich waren sehr gespannt, ihn üben zu sehen. Bisher kannten wir ihn nur aus privaten Zusammenkünften beim Meister, aber wussten nicht, was er drauf hat. Eigentlich heißt er Zhen soundso, wie ich nach diskretem Nachfragen erfahren habe. Wichtig für mich, denn Herr Zhen ist mein „Shixiong“, mein älterer Lehrbruder. Bin mir nicht sicher, wie ich ihn anreden muss, wahrscheinlich „Zhenxiong“. (Eigentlich sollte ich Xiao Lu auch mit „Luxiong“ anreden, aber ich glaube, das würden wir beide irgendwie albern finden). Auch des Meisters Sohn übt seit neuestem mit, meistens auch ein recht freundliches Muskelpaket, dass eigentlich Baji trainiert. Der ist heute morgen allerdings nicht da. Werde meine Kohle an den Meister los, war mir ein Anliegen, bevor ich in den Urlaub gehe. Entspanntes Üben vieler Einzelbewegungen, da ich vor der Zappelmaid Papier und Stift greifbar habe, kriege ich alle Erklärungen hübsch in mein Buch geschrieben.
Ying Quan wird vertieft, ich darf neben Meister Wu stehen, damit die, die diese Form nicht so können, nach den Drehungen auf mich schauen können. Bin stolz.
Aus dem Bäumen plumpst ein fettes Zhiliao (chinesischer Begriff für Zikade, finde, der beschreibt dieses Insekt besser), das die beiden Wus ausgiebig untersuchen. Für einen Moment fürchte ich, dass das Ding gleich zerlegt und aufgefressen wird, aber es wird schnell für uninteressant befunden und ins Gebüsch geschleudert. Kreische ein wenig, als das Insekt an mir vorbeifliegt, dass so eine kernige Kampfschnalle wie ich vor den Viechern scheinbar Angst hat, finden wohl alle lustig.
Am Ende der Stunde frage ich den Meister, ob er denn immer noch Tui Shou unterrichten würde? Zack, ich muss mit dem Meister Hände drücken. Der ist gar nicht zufrieden und übergibt mich an den Teeknülch zur Basisarbeit, während er sich die Zappelmaid vornimmt. Ziemlich schnell stehen zwei aufgeweckt wirkende junge Männer neben uns. Einer trägt ein T- Shirt der nahe gelegenen Tongji- Universität, also scheinbar echt keine Deppen. Der andere ist ganz aufgeregt, ob er denn mal mit dem Meister ein wenig Tui Shou üben dürfe? Klar darf er, wird schnell eingetütet und freut sich. Lihai. Klar, Meister Wu ist der Größte. Der junge Mann hat in Hangzhou Tongbei gelernt, er führt uns seine Schrittfolgen vor. Sehr interessant für mich, erkenne zwar grob unseren Stil wieder, aber ich sehe, was da alles nicht passt. So viele Leute üben auf Kraft und Härte, wo doch Lockerheit und eine gute Struktur viel wichtiger und effektiver sind, wie ich schon oft am eigenen Leib erfahren durfte.
Die Zappelmaid quatscht auf dem Weg zum Ausgang auf den Meister ein, schaffe es aber, ihm mitzuteilen, dass ich Freitag für zwei Wochen nach Deutschland fliege. Ach ja? Schöne Grüße an Ali, Elli, Stefanie und Lilo! Richte ich doch gerne aus.
Mittagspause, bin früh im Park, lese ein wenig und weide meine Augen an dem See. So schön, so friedlich, alles so schön grün. Shanghai kann so schön sein.
Xiao Lu schlendert lässig heran und grinst. Er streckt seine Faust aus und sagt, er habe ein Geschenk für mich. Ach ja, was denn? In meine Handfläche fällt ein Fächer. Bin gerührt. Während der Hitzewelle hatte ich gejammert, aber immer, wenn ich einen Fächer kaufen wollte, waren die Verkäufer schon weg. Xiao Lu hatte sich erkundigt, ob ich denn lieber einen großen oder kleinen Fächer hätte? Lieber den kleinen, kann man besser in der Handtasche rumschleppen. Habe heute den Fächerverkäufer gesehen, aber da ich in Deutschland schon einige Fächer habe, wollte ich mir von da einen mitbringen. Jetzt schenkt mir Xiao Lu einen, ich freue mich sehr darüber. Keinen schicken filigranen aus Seide, sondern einen kernigen mit einem Gedicht und Päonienblüten drauf. Eine meiner Lieblingsblumen und auch Chinas Nationalblume. Von jetzt an ist dieser Fächer mein Favorit. Und er passt optimal in meine Handtasche.
Während wir üben, kommt der nette Baji- Koffer, er hat einen Speer dabei. Kann richtig sehen, wie neugierig Xiao Lu ist. Aber der Speer bleibt zunächst in seiner Hülle und unser Baji- Freund übt die Einzelbewegungen seines Stiles.
Ich erzähle Xiao Lu erstmal von den Ereignissen des Vormittages, interessant. Er hat heute morgen verpennt, weil er gestern bis nach Mitternacht geübt hat. Fleißig. Ob ich denken würde, dass Meister Wu die Zappelmaid mag? Sicher, die ist fröhlich und sehr interessiert an Tongbei, klar mag er die. Natürlich auf eine eher väterliche Art. Xiao Lu denkt, dass Meister Wu die Maid vielleicht für seinen Sohn auserkoren hat, deswegen trainiert der auch auf einmal wieder. Bin von den Klötzen, tatsächlich war mir dieser Gedanke auch schon gekommen. Was verstehen wir uns doch gut! Ich wende ein, die Maid könne vielleicht an Wu Junior nicht so das Interesse haben, da dieser nicht studiert und wenig Kohle habe? (Die Maid ist auch nicht die Hellste, macht aber immerhin ein berufsbegleitendes Studium. Oder so was ähnliches. Kann aber nicht schlecht Englisch). Egal, sagt Xiao Lu. Shanghaier Männer sind bei Nicht- Shanghaier Frauen beliebt, weil man durch eine Heirat den begehrten Hukou, die Niederlassungsberechtigung oder Registrierung für Shanghai bekommt. Aber ob ich mich für so was Meister Wus Sohn in die Arme werfen würde? Weiss ja nicht...
Xiao Lu fängt auch ein Zhiliao, Deja Vue von heute morgen. Ziemlich schnell wird klar, dass dies ein weibliches Tier ist. Die machen keine Geräusche. Ich meine scherzhaft, dass sei bei den Menschen und vor allem den Chinesen sehr untypisch. Zikaden sind echt zu bedauern. Ihre Männer machen Krach, die Weiber schweigen stille. Natürlich mag das von einem männlichen Standpunkt durchaus erstrebenswert sein, aber ich als Frau finde das erbärmlich.
Morgens üben noch zwei weitere Knaben auf dem höheren Teil unseres Geländes so vor sich hin, die ich noch nicht erwähnt habe. Einer sieht aus wie Steve Buscemi in fett, der andere ist mager und hat brutale Hasenzähne. Steve freut sich immer, mich zu sehen und wir quatschen gerne, Hasenzahn ist da eher zurückhaltend. Aber der ist auch nachmittags öfters da. Und ein Waffenexperte. Heute entdeckt er den Speer, der natürlich sofort ausgepackt und von uns begutachtet wird. Schöne Spitze, anscheinend handgeschliffen, nicht der übliche Scheiß. Und der Schaft ist auch ordentlich, richtige Länge und Dicke, vor allem schön flexibel. Hasenzahn führt sein Können vor, Xiao Lu zeigt seine Form. Hat das meiste vergessen, aber ich kann an seinem Gesicht sehen, wie viel Spaß ihm das macht. Speer ist eine Waffe, die mich wahnsinnig interessiert. Wollte mir schon immer mal einen kaufen, kenne aber keinen, der mir das beibringen kann. Und in unserem Stil gibt es leider keine Speerform. Während ich Hasenzahn zuschaue, bin ich doch verwundert, wie viele Attacken offensichtlich für den Bodenkampf sind. Dachte bis jetzt immer, einen Speer benutze man gegen Leute hoch zu Ross. Diskutiere erregt mit Xiao Lu. Nee, Speer benutzt man gegen Fußvolk. Mit dem Langstock holt man Leute vom Pferd und macht sie anschließend fertig.
Speere haben unterhalb ihrer Spitze eine rote Quaste. Ob ich wisse, wozu die diene? Logo, Blutfänger. Xiao Lu ist zufrieden. Ja, genau, wenn man jemanden aufspiesst, wird das Blut von der Quaste aufgesogen, rinnt nicht den Schaft runter und macht diesen glitschig. Obwohl ich sonst keiner Fliege was zu Leide tun könnte, liebe ich Kampfkünste gerade wegen solcher Details. Speer ist der Kaiser der klassischen Waffen, sagt Xiao Lu. Echt? Dachte immer, das wäre das Schwert? Nee, mit dem Speer hat man eine bessere Reichweite. Leuchtet ein.
Mian Zhang wird geübt, meine schlechteste Form. Macht nichts, vertiefen wir, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin.
Dass Meister Wu mit meinem Tui Shou ganz und gar nicht zufrieden war, bleibt auch nicht unerwähnt. Hm. Kriegen wir auch noch hin.
Wir schlendern mit dem Baji- Knaben zum Ausgang, echt ein netter Typ. Kann den ganz gut leiden, der übt zwar sehr verbissen und hat Muskeln wie ein Gorilla, aber er hat nette Augen und ist ansonsten sehr sanft und freundlich. Anscheinend auch ein Fan von mir, aber ich denke, der lässt sich wie viele andere einfach davon blenden, dass ich eine Schnalle bin und außerdem groß und schlank und Ausländerin. Klar sieht das gut aus, wenn ich mit Xiao Lu Formen oder Schrittfolgen laufe, weil wir optimal aufeinander eingeschwungen sind und die selbe Größe und Statur haben. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir beide halt nur Schüler sind. Wobei Xiao Lu natürlich der Beste von allen ist. Wie gut Meister Wu ist, sehe ich jedes Wochenende, so auch heute. Und jedes Wochenende sehe ich, wie weit der Weg für mich noch ist, auch nur annähernd einigermaßen gut in Tongbei zu werden.
Quatsche am Ausgang noch ein wenig mit Xiao Lu, den werde ich echt vermissen. Wann geht mein Flieger? Freitag Mitternacht? Naja, vielleicht sehen wir uns ja vorher noch. Ansonsten gute Reise.
Nach dem Training schmeisse ich mein Geraffel in den Schrank und hänge meine klitschnassen Fummel zum Trocknen auf, bevor ich sie in den Wäschesack kloppe. Eile zu Carrefour, um Nahrung, Getränke und ein Hackebeil für Ali zu erwerben. Größere Sache, wegen der Scheiß- Expo kann man momentan in Shanghai nicht mal eben so ein Messer kaufen. Winke eine Verkäuferin herbei und äußere meinen Wunsch, ein Messer zu kaufen. Der Messerschrank wird aufgeschlossen, ich wähle das grösste und teuerste Messer. Oder vielmehr Beil. Liegt gut in der Hand und ist ordentlich schwer. Für meinen Gatten ist gerade das beste gut genug. Falls Ali das nicht mag, werde ich es nehmen. Personalausweis dabei? Klar. Die Verkäuferin notiert die Nummer in einer Kladde. Augen nicht mehr so gut, die Kollegin wird herbeigekrischen. Wundere mich immer wieder über die Lautstärke, die Shanghaierinnen an den Tag legen können. Vielleicht sind sie sauer, dass weibliche Zhiliaos keine Geräusche machen können und wollen das kompensieren. Ausgiebige Studie meines Passes. Scheiß- komplizierte ausländische Namen! Ob ich denn auch einen chinesischen hätte? Zücke meine Arbeitserlaubnis. Shen Beiya. Was ein Glück. Telefonnummer? Drücke der Kollegin meine Visitenkarte in die Hand, die Damen sind erleichtert. Arbeitgeber, Mobilnummer, alles da! Darf denn das Beil endlich bezahlen, die kurzsichtige Dame begleitet mich zur Kasse. Mein Chinesisch wird gelobt, wehre höflich ab. Denke, dass das für uns alle voll der Stress war und bin froh, dass der Beilkauf so reibungslos geklappt hat.
Nach dem Stress gönne ich mir eine Flasche Martini, trinke ich auch in Deutschland selten. Eiswürfel sind am Start, Packe das Beil aus und schneide mir prompt in den Finger. Dass ich das so schnell nicht merke, spricht für die Qualität des Messers. Sauerei in der Wohnung, der Finger ist schnell mit Pflastern versehen, nichts Ernstes. Beseitige hastig die Blutspuren, Shen Ayi soll morgen doch keinen Schreck kriegen. Das Beil wandert wieder in seine Verpackung, hoffentlich kriege ich das Ding nach Deutschland.
Noch eine Woche arbeiten. Dann nach Hause. Bin gespannt, wie mir Deutschland nach so langer Zeit hier in China vorkommen wird.
Ständig richtig gut essen zu können ist eines der Dinge, die ich an China echt zu schätzen weiss. Haben in der Nähe unseres Büros noch einen weiteren hervorragenden kleinen Imbiss ausfindig gemacht, in dem es wahnsinnig leckere Nudeln gibt. Über die hygienischen Bedingungen möchte man zwar nicht so gerne Bescheid wissen, aber für die Jiaozi mit Lauch und Ei könnte ich sterben. Und die Rechnung für fünf Personen beläuft sich jedes Mal auf so ungefähr vier Euro. Krass.
Das Konzept für unsere Kreativ- Fabrik steht soweit, echt gute Teamarbeit. Ich habe großen Spaß daran, vor allem, da ich schon sehr lange keinen städtebaulichen Entwurf mehr gemacht habe. Da macht man auch gerne mal Überstunden.
Der Investor will Montag unser Konzept sehen, deswegen treffen wir uns Samstag Vormittag, um unsere Ergebnisse zusammen zu stellen. Unsere Bürokatze freut sich, dass wir am Wochenende da sind und wird ausgiebig beschmust. Ich merke, dass ich langsam echt urlaubsreif bin, wie gerne hätte ich ausgeschlafen. Tröste mich aber mit dem Gedanken, dass ich nächstes Wochenende im Flieger und im Urlaub ja dann ganz viel schlafen und ausruhen kann.
Unsere Präsentation sieht dann auch ganz gut aus, bin mal gespannt, was der Investor dazu sagen wird.
Nachmittags treffe ich mit Xiao Lu zum Training, darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut. Der möchte, dass ich Ying Quan jetzt bitte schön zackig laufen soll, nur so würde das was aussehen. Da stimme ich zu, aber ich muss immer noch zu lange überlegen, um diese Form richtig krachen zu lassen. Bei den Schrittfolgen feilt er auch noch ganz schön an mir rum, sehr schwierig. Naja, wird schon. Wenigstens schwitze ich ordentlich, das freut ihn.
Nach dieser Übungseinheit bin ich dermaßen ausgelaugt, dass ich schon früh ins Bett gehe und schlafe wie eine Tote.
Sonntags bin ich schon früh wach, freue mich auf eine Stunde Aufwärmen mit Xiao Lu. Leider regnet es leicht, hört aber schnell wieder auf. Kein Xiao Lu im Park, als ich um viertel vor neun eintreffe. Macht nichts, die Sonne scheint wieder, also setze ich mich auf eine Bank und lese ein wenig. Um viertel nach neun beschließe ich, mich umzuziehen und mich warm zu machen, ziemlich schnell zappelt auch die Maid an und macht ein langes Gesicht. Herr Lu nicht da? Nein, wie sie sehen könnte, ja offensichtlich nicht. Ich fange mit Einzelbewegungen an, die Maid traut sich nicht, mitzumachen. Meister Wu kommt mit dem Teeknülch und erlöst sie aus ihrer Verlegenheit. Der Teeknülch ist seit ein paar Wochen im Training, Xiao Lu und ich waren sehr gespannt, ihn üben zu sehen. Bisher kannten wir ihn nur aus privaten Zusammenkünften beim Meister, aber wussten nicht, was er drauf hat. Eigentlich heißt er Zhen soundso, wie ich nach diskretem Nachfragen erfahren habe. Wichtig für mich, denn Herr Zhen ist mein „Shixiong“, mein älterer Lehrbruder. Bin mir nicht sicher, wie ich ihn anreden muss, wahrscheinlich „Zhenxiong“. (Eigentlich sollte ich Xiao Lu auch mit „Luxiong“ anreden, aber ich glaube, das würden wir beide irgendwie albern finden). Auch des Meisters Sohn übt seit neuestem mit, meistens auch ein recht freundliches Muskelpaket, dass eigentlich Baji trainiert. Der ist heute morgen allerdings nicht da. Werde meine Kohle an den Meister los, war mir ein Anliegen, bevor ich in den Urlaub gehe. Entspanntes Üben vieler Einzelbewegungen, da ich vor der Zappelmaid Papier und Stift greifbar habe, kriege ich alle Erklärungen hübsch in mein Buch geschrieben.
Ying Quan wird vertieft, ich darf neben Meister Wu stehen, damit die, die diese Form nicht so können, nach den Drehungen auf mich schauen können. Bin stolz.
Aus dem Bäumen plumpst ein fettes Zhiliao (chinesischer Begriff für Zikade, finde, der beschreibt dieses Insekt besser), das die beiden Wus ausgiebig untersuchen. Für einen Moment fürchte ich, dass das Ding gleich zerlegt und aufgefressen wird, aber es wird schnell für uninteressant befunden und ins Gebüsch geschleudert. Kreische ein wenig, als das Insekt an mir vorbeifliegt, dass so eine kernige Kampfschnalle wie ich vor den Viechern scheinbar Angst hat, finden wohl alle lustig.
Am Ende der Stunde frage ich den Meister, ob er denn immer noch Tui Shou unterrichten würde? Zack, ich muss mit dem Meister Hände drücken. Der ist gar nicht zufrieden und übergibt mich an den Teeknülch zur Basisarbeit, während er sich die Zappelmaid vornimmt. Ziemlich schnell stehen zwei aufgeweckt wirkende junge Männer neben uns. Einer trägt ein T- Shirt der nahe gelegenen Tongji- Universität, also scheinbar echt keine Deppen. Der andere ist ganz aufgeregt, ob er denn mal mit dem Meister ein wenig Tui Shou üben dürfe? Klar darf er, wird schnell eingetütet und freut sich. Lihai. Klar, Meister Wu ist der Größte. Der junge Mann hat in Hangzhou Tongbei gelernt, er führt uns seine Schrittfolgen vor. Sehr interessant für mich, erkenne zwar grob unseren Stil wieder, aber ich sehe, was da alles nicht passt. So viele Leute üben auf Kraft und Härte, wo doch Lockerheit und eine gute Struktur viel wichtiger und effektiver sind, wie ich schon oft am eigenen Leib erfahren durfte.
Die Zappelmaid quatscht auf dem Weg zum Ausgang auf den Meister ein, schaffe es aber, ihm mitzuteilen, dass ich Freitag für zwei Wochen nach Deutschland fliege. Ach ja? Schöne Grüße an Ali, Elli, Stefanie und Lilo! Richte ich doch gerne aus.
Mittagspause, bin früh im Park, lese ein wenig und weide meine Augen an dem See. So schön, so friedlich, alles so schön grün. Shanghai kann so schön sein.
Xiao Lu schlendert lässig heran und grinst. Er streckt seine Faust aus und sagt, er habe ein Geschenk für mich. Ach ja, was denn? In meine Handfläche fällt ein Fächer. Bin gerührt. Während der Hitzewelle hatte ich gejammert, aber immer, wenn ich einen Fächer kaufen wollte, waren die Verkäufer schon weg. Xiao Lu hatte sich erkundigt, ob ich denn lieber einen großen oder kleinen Fächer hätte? Lieber den kleinen, kann man besser in der Handtasche rumschleppen. Habe heute den Fächerverkäufer gesehen, aber da ich in Deutschland schon einige Fächer habe, wollte ich mir von da einen mitbringen. Jetzt schenkt mir Xiao Lu einen, ich freue mich sehr darüber. Keinen schicken filigranen aus Seide, sondern einen kernigen mit einem Gedicht und Päonienblüten drauf. Eine meiner Lieblingsblumen und auch Chinas Nationalblume. Von jetzt an ist dieser Fächer mein Favorit. Und er passt optimal in meine Handtasche.
Während wir üben, kommt der nette Baji- Koffer, er hat einen Speer dabei. Kann richtig sehen, wie neugierig Xiao Lu ist. Aber der Speer bleibt zunächst in seiner Hülle und unser Baji- Freund übt die Einzelbewegungen seines Stiles.
Ich erzähle Xiao Lu erstmal von den Ereignissen des Vormittages, interessant. Er hat heute morgen verpennt, weil er gestern bis nach Mitternacht geübt hat. Fleißig. Ob ich denken würde, dass Meister Wu die Zappelmaid mag? Sicher, die ist fröhlich und sehr interessiert an Tongbei, klar mag er die. Natürlich auf eine eher väterliche Art. Xiao Lu denkt, dass Meister Wu die Maid vielleicht für seinen Sohn auserkoren hat, deswegen trainiert der auch auf einmal wieder. Bin von den Klötzen, tatsächlich war mir dieser Gedanke auch schon gekommen. Was verstehen wir uns doch gut! Ich wende ein, die Maid könne vielleicht an Wu Junior nicht so das Interesse haben, da dieser nicht studiert und wenig Kohle habe? (Die Maid ist auch nicht die Hellste, macht aber immerhin ein berufsbegleitendes Studium. Oder so was ähnliches. Kann aber nicht schlecht Englisch). Egal, sagt Xiao Lu. Shanghaier Männer sind bei Nicht- Shanghaier Frauen beliebt, weil man durch eine Heirat den begehrten Hukou, die Niederlassungsberechtigung oder Registrierung für Shanghai bekommt. Aber ob ich mich für so was Meister Wus Sohn in die Arme werfen würde? Weiss ja nicht...
Xiao Lu fängt auch ein Zhiliao, Deja Vue von heute morgen. Ziemlich schnell wird klar, dass dies ein weibliches Tier ist. Die machen keine Geräusche. Ich meine scherzhaft, dass sei bei den Menschen und vor allem den Chinesen sehr untypisch. Zikaden sind echt zu bedauern. Ihre Männer machen Krach, die Weiber schweigen stille. Natürlich mag das von einem männlichen Standpunkt durchaus erstrebenswert sein, aber ich als Frau finde das erbärmlich.
Morgens üben noch zwei weitere Knaben auf dem höheren Teil unseres Geländes so vor sich hin, die ich noch nicht erwähnt habe. Einer sieht aus wie Steve Buscemi in fett, der andere ist mager und hat brutale Hasenzähne. Steve freut sich immer, mich zu sehen und wir quatschen gerne, Hasenzahn ist da eher zurückhaltend. Aber der ist auch nachmittags öfters da. Und ein Waffenexperte. Heute entdeckt er den Speer, der natürlich sofort ausgepackt und von uns begutachtet wird. Schöne Spitze, anscheinend handgeschliffen, nicht der übliche Scheiß. Und der Schaft ist auch ordentlich, richtige Länge und Dicke, vor allem schön flexibel. Hasenzahn führt sein Können vor, Xiao Lu zeigt seine Form. Hat das meiste vergessen, aber ich kann an seinem Gesicht sehen, wie viel Spaß ihm das macht. Speer ist eine Waffe, die mich wahnsinnig interessiert. Wollte mir schon immer mal einen kaufen, kenne aber keinen, der mir das beibringen kann. Und in unserem Stil gibt es leider keine Speerform. Während ich Hasenzahn zuschaue, bin ich doch verwundert, wie viele Attacken offensichtlich für den Bodenkampf sind. Dachte bis jetzt immer, einen Speer benutze man gegen Leute hoch zu Ross. Diskutiere erregt mit Xiao Lu. Nee, Speer benutzt man gegen Fußvolk. Mit dem Langstock holt man Leute vom Pferd und macht sie anschließend fertig.
Speere haben unterhalb ihrer Spitze eine rote Quaste. Ob ich wisse, wozu die diene? Logo, Blutfänger. Xiao Lu ist zufrieden. Ja, genau, wenn man jemanden aufspiesst, wird das Blut von der Quaste aufgesogen, rinnt nicht den Schaft runter und macht diesen glitschig. Obwohl ich sonst keiner Fliege was zu Leide tun könnte, liebe ich Kampfkünste gerade wegen solcher Details. Speer ist der Kaiser der klassischen Waffen, sagt Xiao Lu. Echt? Dachte immer, das wäre das Schwert? Nee, mit dem Speer hat man eine bessere Reichweite. Leuchtet ein.
Mian Zhang wird geübt, meine schlechteste Form. Macht nichts, vertiefen wir, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin.
Dass Meister Wu mit meinem Tui Shou ganz und gar nicht zufrieden war, bleibt auch nicht unerwähnt. Hm. Kriegen wir auch noch hin.
Wir schlendern mit dem Baji- Knaben zum Ausgang, echt ein netter Typ. Kann den ganz gut leiden, der übt zwar sehr verbissen und hat Muskeln wie ein Gorilla, aber er hat nette Augen und ist ansonsten sehr sanft und freundlich. Anscheinend auch ein Fan von mir, aber ich denke, der lässt sich wie viele andere einfach davon blenden, dass ich eine Schnalle bin und außerdem groß und schlank und Ausländerin. Klar sieht das gut aus, wenn ich mit Xiao Lu Formen oder Schrittfolgen laufe, weil wir optimal aufeinander eingeschwungen sind und die selbe Größe und Statur haben. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir beide halt nur Schüler sind. Wobei Xiao Lu natürlich der Beste von allen ist. Wie gut Meister Wu ist, sehe ich jedes Wochenende, so auch heute. Und jedes Wochenende sehe ich, wie weit der Weg für mich noch ist, auch nur annähernd einigermaßen gut in Tongbei zu werden.
Quatsche am Ausgang noch ein wenig mit Xiao Lu, den werde ich echt vermissen. Wann geht mein Flieger? Freitag Mitternacht? Naja, vielleicht sehen wir uns ja vorher noch. Ansonsten gute Reise.
Nach dem Training schmeisse ich mein Geraffel in den Schrank und hänge meine klitschnassen Fummel zum Trocknen auf, bevor ich sie in den Wäschesack kloppe. Eile zu Carrefour, um Nahrung, Getränke und ein Hackebeil für Ali zu erwerben. Größere Sache, wegen der Scheiß- Expo kann man momentan in Shanghai nicht mal eben so ein Messer kaufen. Winke eine Verkäuferin herbei und äußere meinen Wunsch, ein Messer zu kaufen. Der Messerschrank wird aufgeschlossen, ich wähle das grösste und teuerste Messer. Oder vielmehr Beil. Liegt gut in der Hand und ist ordentlich schwer. Für meinen Gatten ist gerade das beste gut genug. Falls Ali das nicht mag, werde ich es nehmen. Personalausweis dabei? Klar. Die Verkäuferin notiert die Nummer in einer Kladde. Augen nicht mehr so gut, die Kollegin wird herbeigekrischen. Wundere mich immer wieder über die Lautstärke, die Shanghaierinnen an den Tag legen können. Vielleicht sind sie sauer, dass weibliche Zhiliaos keine Geräusche machen können und wollen das kompensieren. Ausgiebige Studie meines Passes. Scheiß- komplizierte ausländische Namen! Ob ich denn auch einen chinesischen hätte? Zücke meine Arbeitserlaubnis. Shen Beiya. Was ein Glück. Telefonnummer? Drücke der Kollegin meine Visitenkarte in die Hand, die Damen sind erleichtert. Arbeitgeber, Mobilnummer, alles da! Darf denn das Beil endlich bezahlen, die kurzsichtige Dame begleitet mich zur Kasse. Mein Chinesisch wird gelobt, wehre höflich ab. Denke, dass das für uns alle voll der Stress war und bin froh, dass der Beilkauf so reibungslos geklappt hat.
Nach dem Stress gönne ich mir eine Flasche Martini, trinke ich auch in Deutschland selten. Eiswürfel sind am Start, Packe das Beil aus und schneide mir prompt in den Finger. Dass ich das so schnell nicht merke, spricht für die Qualität des Messers. Sauerei in der Wohnung, der Finger ist schnell mit Pflastern versehen, nichts Ernstes. Beseitige hastig die Blutspuren, Shen Ayi soll morgen doch keinen Schreck kriegen. Das Beil wandert wieder in seine Verpackung, hoffentlich kriege ich das Ding nach Deutschland.
Noch eine Woche arbeiten. Dann nach Hause. Bin gespannt, wie mir Deutschland nach so langer Zeit hier in China vorkommen wird.