Donnerstag, August 12, 2010

周末 – Wochenende

Versacke Freitag Abend mit Marc, dem anderen Senior Architect im Barbarossas. Auch eine nette Sache, Freitags gehen wir oft mit dem Team nach der Arbeit noch einen trinken (team building) oder Marc und ich gehen gemeinsam essen und/ oder trinken und beweihräuchern uns gegenseitig (Streben nach Weltherrschaft). Außerdem müssen wir uns ja über unser Team austauschen und uns überlegen, wie wir unsere Schäfchen auf Kurs bringen, das macht man dann doch gerne bei einem guten Getränk oder leckeren Essen.
Ständig richtig gut essen zu können ist eines der Dinge, die ich an China echt zu schätzen weiss. Haben in der Nähe unseres Büros noch einen weiteren hervorragenden kleinen Imbiss ausfindig gemacht, in dem es wahnsinnig leckere Nudeln gibt. Über die hygienischen Bedingungen möchte man zwar nicht so gerne Bescheid wissen, aber für die Jiaozi mit Lauch und Ei könnte ich sterben. Und die Rechnung für fünf Personen beläuft sich jedes Mal auf so ungefähr vier Euro. Krass.
Das Konzept für unsere Kreativ- Fabrik steht soweit, echt gute Teamarbeit. Ich habe großen Spaß daran, vor allem, da ich schon sehr lange keinen städtebaulichen Entwurf mehr gemacht habe. Da macht man auch gerne mal Überstunden.
Der Investor will Montag unser Konzept sehen, deswegen treffen wir uns Samstag Vormittag, um unsere Ergebnisse zusammen zu stellen. Unsere Bürokatze freut sich, dass wir am Wochenende da sind und wird ausgiebig beschmust. Ich merke, dass ich langsam echt urlaubsreif bin, wie gerne hätte ich ausgeschlafen. Tröste mich aber mit dem Gedanken, dass ich nächstes Wochenende im Flieger und im Urlaub ja dann ganz viel schlafen und ausruhen kann.
Unsere Präsentation sieht dann auch ganz gut aus, bin mal gespannt, was der Investor dazu sagen wird.
Nachmittags treffe ich mit Xiao Lu zum Training, darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut. Der möchte, dass ich Ying Quan jetzt bitte schön zackig laufen soll, nur so würde das was aussehen. Da stimme ich zu, aber ich muss immer noch zu lange überlegen, um diese Form richtig krachen zu lassen. Bei den Schrittfolgen feilt er auch noch ganz schön an mir rum, sehr schwierig. Naja, wird schon. Wenigstens schwitze ich ordentlich, das freut ihn.
Nach dieser Übungseinheit bin ich dermaßen ausgelaugt, dass ich schon früh ins Bett gehe und schlafe wie eine Tote.
Sonntags bin ich schon früh wach, freue mich auf eine Stunde Aufwärmen mit Xiao Lu. Leider regnet es leicht, hört aber schnell wieder auf. Kein Xiao Lu im Park, als ich um viertel vor neun eintreffe. Macht nichts, die Sonne scheint wieder, also setze ich mich auf eine Bank und lese ein wenig. Um viertel nach neun beschließe ich, mich umzuziehen und mich warm zu machen, ziemlich schnell zappelt auch die Maid an und macht ein langes Gesicht. Herr Lu nicht da? Nein, wie sie sehen könnte, ja offensichtlich nicht. Ich fange mit Einzelbewegungen an, die Maid traut sich nicht, mitzumachen. Meister Wu kommt mit dem Teeknülch und erlöst sie aus ihrer Verlegenheit. Der Teeknülch ist seit ein paar Wochen im Training, Xiao Lu und ich waren sehr gespannt, ihn üben zu sehen. Bisher kannten wir ihn nur aus privaten Zusammenkünften beim Meister, aber wussten nicht, was er drauf hat. Eigentlich heißt er Zhen soundso, wie ich nach diskretem Nachfragen erfahren habe. Wichtig für mich, denn Herr Zhen ist mein „Shixiong“, mein älterer Lehrbruder. Bin mir nicht sicher, wie ich ihn anreden muss, wahrscheinlich „Zhenxiong“. (Eigentlich sollte ich Xiao Lu auch mit „Luxiong“ anreden, aber ich glaube, das würden wir beide irgendwie albern finden). Auch des Meisters Sohn übt seit neuestem mit, meistens auch ein recht freundliches Muskelpaket, dass eigentlich Baji trainiert. Der ist heute morgen allerdings nicht da. Werde meine Kohle an den Meister los, war mir ein Anliegen, bevor ich in den Urlaub gehe. Entspanntes Üben vieler Einzelbewegungen, da ich vor der Zappelmaid Papier und Stift greifbar habe, kriege ich alle Erklärungen hübsch in mein Buch geschrieben.
Ying Quan wird vertieft, ich darf neben Meister Wu stehen, damit die, die diese Form nicht so können, nach den Drehungen auf mich schauen können. Bin stolz.
Aus dem Bäumen plumpst ein fettes Zhiliao (chinesischer Begriff für Zikade, finde, der beschreibt dieses Insekt besser), das die beiden Wus ausgiebig untersuchen. Für einen Moment fürchte ich, dass das Ding gleich zerlegt und aufgefressen wird, aber es wird schnell für uninteressant befunden und ins Gebüsch geschleudert. Kreische ein wenig, als das Insekt an mir vorbeifliegt, dass so eine kernige Kampfschnalle wie ich vor den Viechern scheinbar Angst hat, finden wohl alle lustig.
Am Ende der Stunde frage ich den Meister, ob er denn immer noch Tui Shou unterrichten würde? Zack, ich muss mit dem Meister Hände drücken. Der ist gar nicht zufrieden und übergibt mich an den Teeknülch zur Basisarbeit, während er sich die Zappelmaid vornimmt. Ziemlich schnell stehen zwei aufgeweckt wirkende junge Männer neben uns. Einer trägt ein T- Shirt der nahe gelegenen Tongji- Universität, also scheinbar echt keine Deppen. Der andere ist ganz aufgeregt, ob er denn mal mit dem Meister ein wenig Tui Shou üben dürfe? Klar darf er, wird schnell eingetütet und freut sich. Lihai. Klar, Meister Wu ist der Größte. Der junge Mann hat in Hangzhou Tongbei gelernt, er führt uns seine Schrittfolgen vor. Sehr interessant für mich, erkenne zwar grob unseren Stil wieder, aber ich sehe, was da alles nicht passt. So viele Leute üben auf Kraft und Härte, wo doch Lockerheit und eine gute Struktur viel wichtiger und effektiver sind, wie ich schon oft am eigenen Leib erfahren durfte.
Die Zappelmaid quatscht auf dem Weg zum Ausgang auf den Meister ein, schaffe es aber, ihm mitzuteilen, dass ich Freitag für zwei Wochen nach Deutschland fliege. Ach ja? Schöne Grüße an Ali, Elli, Stefanie und Lilo! Richte ich doch gerne aus.
Mittagspause, bin früh im Park, lese ein wenig und weide meine Augen an dem See. So schön, so friedlich, alles so schön grün. Shanghai kann so schön sein.
Xiao Lu schlendert lässig heran und grinst. Er streckt seine Faust aus und sagt, er habe ein Geschenk für mich. Ach ja, was denn? In meine Handfläche fällt ein Fächer. Bin gerührt. Während der Hitzewelle hatte ich gejammert, aber immer, wenn ich einen Fächer kaufen wollte, waren die Verkäufer schon weg. Xiao Lu hatte sich erkundigt, ob ich denn lieber einen großen oder kleinen Fächer hätte? Lieber den kleinen, kann man besser in der Handtasche rumschleppen. Habe heute den Fächerverkäufer gesehen, aber da ich in Deutschland schon einige Fächer habe, wollte ich mir von da einen mitbringen. Jetzt schenkt mir Xiao Lu einen, ich freue mich sehr darüber. Keinen schicken filigranen aus Seide, sondern einen kernigen mit einem Gedicht und Päonienblüten drauf. Eine meiner Lieblingsblumen und auch Chinas Nationalblume. Von jetzt an ist dieser Fächer mein Favorit. Und er passt optimal in meine Handtasche.
Während wir üben, kommt der nette Baji- Koffer, er hat einen Speer dabei. Kann richtig sehen, wie neugierig Xiao Lu ist. Aber der Speer bleibt zunächst in seiner Hülle und unser Baji- Freund übt die Einzelbewegungen seines Stiles.
Ich erzähle Xiao Lu erstmal von den Ereignissen des Vormittages, interessant. Er hat heute morgen verpennt, weil er gestern bis nach Mitternacht geübt hat. Fleißig. Ob ich denken würde, dass Meister Wu die Zappelmaid mag? Sicher, die ist fröhlich und sehr interessiert an Tongbei, klar mag er die. Natürlich auf eine eher väterliche Art. Xiao Lu denkt, dass Meister Wu die Maid vielleicht für seinen Sohn auserkoren hat, deswegen trainiert der auch auf einmal wieder. Bin von den Klötzen, tatsächlich war mir dieser Gedanke auch schon gekommen. Was verstehen wir uns doch gut! Ich wende ein, die Maid könne vielleicht an Wu Junior nicht so das Interesse haben, da dieser nicht studiert und wenig Kohle habe? (Die Maid ist auch nicht die Hellste, macht aber immerhin ein berufsbegleitendes Studium. Oder so was ähnliches. Kann aber nicht schlecht Englisch). Egal, sagt Xiao Lu. Shanghaier Männer sind bei Nicht- Shanghaier Frauen beliebt, weil man durch eine Heirat den begehrten Hukou, die Niederlassungsberechtigung oder Registrierung für Shanghai bekommt. Aber ob ich mich für so was Meister Wus Sohn in die Arme werfen würde? Weiss ja nicht...
Xiao Lu fängt auch ein Zhiliao, Deja Vue von heute morgen. Ziemlich schnell wird klar, dass dies ein weibliches Tier ist. Die machen keine Geräusche. Ich meine scherzhaft, dass sei bei den Menschen und vor allem den Chinesen sehr untypisch. Zikaden sind echt zu bedauern. Ihre Männer machen Krach, die Weiber schweigen stille. Natürlich mag das von einem männlichen Standpunkt durchaus erstrebenswert sein, aber ich als Frau finde das erbärmlich.
Morgens üben noch zwei weitere Knaben auf dem höheren Teil unseres Geländes so vor sich hin, die ich noch nicht erwähnt habe. Einer sieht aus wie Steve Buscemi in fett, der andere ist mager und hat brutale Hasenzähne. Steve freut sich immer, mich zu sehen und wir quatschen gerne, Hasenzahn ist da eher zurückhaltend. Aber der ist auch nachmittags öfters da. Und ein Waffenexperte. Heute entdeckt er den Speer, der natürlich sofort ausgepackt und von uns begutachtet wird. Schöne Spitze, anscheinend handgeschliffen, nicht der übliche Scheiß. Und der Schaft ist auch ordentlich, richtige Länge und Dicke, vor allem schön flexibel. Hasenzahn führt sein Können vor, Xiao Lu zeigt seine Form. Hat das meiste vergessen, aber ich kann an seinem Gesicht sehen, wie viel Spaß ihm das macht. Speer ist eine Waffe, die mich wahnsinnig interessiert. Wollte mir schon immer mal einen kaufen, kenne aber keinen, der mir das beibringen kann. Und in unserem Stil gibt es leider keine Speerform. Während ich Hasenzahn zuschaue, bin ich doch verwundert, wie viele Attacken offensichtlich für den Bodenkampf sind. Dachte bis jetzt immer, einen Speer benutze man gegen Leute hoch zu Ross. Diskutiere erregt mit Xiao Lu. Nee, Speer benutzt man gegen Fußvolk. Mit dem Langstock holt man Leute vom Pferd und macht sie anschließend fertig.
Speere haben unterhalb ihrer Spitze eine rote Quaste. Ob ich wisse, wozu die diene? Logo, Blutfänger. Xiao Lu ist zufrieden. Ja, genau, wenn man jemanden aufspiesst, wird das Blut von der Quaste aufgesogen, rinnt nicht den Schaft runter und macht diesen glitschig. Obwohl ich sonst keiner Fliege was zu Leide tun könnte, liebe ich Kampfkünste gerade wegen solcher Details. Speer ist der Kaiser der klassischen Waffen, sagt Xiao Lu. Echt? Dachte immer, das wäre das Schwert? Nee, mit dem Speer hat man eine bessere Reichweite. Leuchtet ein.
Mian Zhang wird geübt, meine schlechteste Form. Macht nichts, vertiefen wir, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin.
Dass Meister Wu mit meinem Tui Shou ganz und gar nicht zufrieden war, bleibt auch nicht unerwähnt. Hm. Kriegen wir auch noch hin.
Wir schlendern mit dem Baji- Knaben zum Ausgang, echt ein netter Typ. Kann den ganz gut leiden, der übt zwar sehr verbissen und hat Muskeln wie ein Gorilla, aber er hat nette Augen und ist ansonsten sehr sanft und freundlich. Anscheinend auch ein Fan von mir, aber ich denke, der lässt sich wie viele andere einfach davon blenden, dass ich eine Schnalle bin und außerdem groß und schlank und Ausländerin. Klar sieht das gut aus, wenn ich mit Xiao Lu Formen oder Schrittfolgen laufe, weil wir optimal aufeinander eingeschwungen sind und die selbe Größe und Statur haben. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir beide halt nur Schüler sind. Wobei Xiao Lu natürlich der Beste von allen ist. Wie gut Meister Wu ist, sehe ich jedes Wochenende, so auch heute. Und jedes Wochenende sehe ich, wie weit der Weg für mich noch ist, auch nur annähernd einigermaßen gut in Tongbei zu werden.
Quatsche am Ausgang noch ein wenig mit Xiao Lu, den werde ich echt vermissen. Wann geht mein Flieger? Freitag Mitternacht? Naja, vielleicht sehen wir uns ja vorher noch. Ansonsten gute Reise.
Nach dem Training schmeisse ich mein Geraffel in den Schrank und hänge meine klitschnassen Fummel zum Trocknen auf, bevor ich sie in den Wäschesack kloppe. Eile zu Carrefour, um Nahrung, Getränke und ein Hackebeil für Ali zu erwerben. Größere Sache, wegen der Scheiß- Expo kann man momentan in Shanghai nicht mal eben so ein Messer kaufen. Winke eine Verkäuferin herbei und äußere meinen Wunsch, ein Messer zu kaufen. Der Messerschrank wird aufgeschlossen, ich wähle das grösste und teuerste Messer. Oder vielmehr Beil. Liegt gut in der Hand und ist ordentlich schwer. Für meinen Gatten ist gerade das beste gut genug. Falls Ali das nicht mag, werde ich es nehmen. Personalausweis dabei? Klar. Die Verkäuferin notiert die Nummer in einer Kladde. Augen nicht mehr so gut, die Kollegin wird herbeigekrischen. Wundere mich immer wieder über die Lautstärke, die Shanghaierinnen an den Tag legen können. Vielleicht sind sie sauer, dass weibliche Zhiliaos keine Geräusche machen können und wollen das kompensieren. Ausgiebige Studie meines Passes. Scheiß- komplizierte ausländische Namen! Ob ich denn auch einen chinesischen hätte? Zücke meine Arbeitserlaubnis. Shen Beiya. Was ein Glück. Telefonnummer? Drücke der Kollegin meine Visitenkarte in die Hand, die Damen sind erleichtert. Arbeitgeber, Mobilnummer, alles da! Darf denn das Beil endlich bezahlen, die kurzsichtige Dame begleitet mich zur Kasse. Mein Chinesisch wird gelobt, wehre höflich ab. Denke, dass das für uns alle voll der Stress war und bin froh, dass der Beilkauf so reibungslos geklappt hat.
Nach dem Stress gönne ich mir eine Flasche Martini, trinke ich auch in Deutschland selten. Eiswürfel sind am Start, Packe das Beil aus und schneide mir prompt in den Finger. Dass ich das so schnell nicht merke, spricht für die Qualität des Messers. Sauerei in der Wohnung, der Finger ist schnell mit Pflastern versehen, nichts Ernstes. Beseitige hastig die Blutspuren, Shen Ayi soll morgen doch keinen Schreck kriegen. Das Beil wandert wieder in seine Verpackung, hoffentlich kriege ich das Ding nach Deutschland.
Noch eine Woche arbeiten. Dann nach Hause. Bin gespannt, wie mir Deutschland nach so langer Zeit hier in China vorkommen wird.

Sonntag, August 01, 2010

事势 – Stand der Dinge

Erfolgserlebnis:

Ich schaffe es endlich, meine Türklingel gangbar zu machen.

Preis:
Kriege von Smart Shanghai je eine Flasche Weiß- und Rotwein. Und zwar richtig guten. Lecker.

Aufzug:
Nachdem die Renovierung des einen Aufzuges nach drei Monaten endlich abgeschlossen ist, ist jetzt der andere dran. Zweimal schon waren beide Aufzüge nicht in Betrieb, einmal musste ich 17 Etagen runterlaufen und hörte schon im zweiten Stock die im Erdgeschoss erregt wartende Menge. Chinesen können sich hervorragend aufregen, bleiben aber in der Regel friedlich. Echt duldsames Volk. Typisch chinesisch: Der neue Aufzug hat eine schicke Edelstahlkabine, aber niemand entfernt die Schutzfolie. Im Gegenteil, da er als Transportaufzug für Baumaterial des anderen Aufzuges benutzt wird, ist er mit Pappe und Sperrholz geschützt und sieht schon wieder aus wie Sau. Nach der Renovierung des einen Aufzuges wurde komplett gestrichen, das wird dann wiederholt werden müssen, wenn der zweite neu gemacht ist. Ineffektiv, aber was soll es: Bin immer wieder über die Masse an Arbeitskraft erstaunt.

Ausflug:
Hektische und arbeitsintensive Tage, unsere Chefs beschließen zur Stärkung des Teamgeistes einen Ausflug nach Moganshan. Dieser Berg liegt etwa 250 km von Shanghai entfernt und war in den 30er Jahren die Sommerfrische der westlichen Ausländer und der reichen Chinesen.
Ich freue mich, mal aus der heißen Stadt rauszukommen und nach Moganshan wollten Stefanie und ich auch die ganze Zeit schon, haben es aber nie geschafft, da dieser Ort schwer erreichbar ist.
Vor allem Jiajia, unsere kleine Büroassistentin, ist über diesen Ausflug ausser sich vor Entzücken: Sie kommt aus einem kleinen Kaff irgendwo in Pudong und ist in ihrem Leben noch nie verreist.
Wir quetschen uns mit elf Leuten in einen Kleinbus, der eigentlich für zehn Personen vorgesehen ist, macht nichts, China halt. Und Jiajia ist ja klein, die zählt fast nicht. Zur Einstimmung gibt es chinesische Jazzmusik der 30er Jahre und ich dusele zufrieden ein. Kurz hinter Hangzhou verlassen wir die Autobahn. Ich wache auf und bin begeistert: Üppige grüne Bambuswälder, wohin man auch blickt. Und immer wieder kleine, flauschige Dörfer und Reisfelder, hier ticken die Uhren noch anders. Ich bin richtig überwältigt von der grandiosen Natur, meine Augen sind soviel Grün auf einem Fleck gar nicht mehr gewöhnt. Was hat China doch für schöne Orte!
Auch unsere Öko- Lodge befindet sich in einem Dörfchen mit sehr freundlichen Einwohnern. Cooles Gebäude mit großen Terrassen, sehr liebevoll gestaltet. Es gewittert und wir speisen im Freien unter einem Schutzdach, anschließend hängen alle gemütlich ab und weiden ihre Augen an den sich im Regen wiegenden Bambuspflanzen. Fühle tiefen Frieden, das Leben ist schön.
Nach dem Regen wandern wir zu einem Reservoir und baden im türkisblauen Wasser. Ein Teil der Truppe wandert zur Lodge zurück, der andere fährt schon mal vor und bereitet das Grillen vor. Mann, was habe ich das vermisst! Abhängen unterm Sternenhimmel, freie Natur und angenehme Gesellschaft, während auf dem Grill fröhlich Köstlichkeiten brutzeln. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal Folienkartoffeln gegessen habe, diese jedenfalls munden hervorragend. Und auch die anderen Gemüse.
Da unser Kollege Mark Geburtstag hat, wird die Nacht eher kurz, am nächsten Tag frühstücken wir gemütlich und fahren auf den Berg, wo wir von Villa zu Villa wandern. Einige sind verfallen, andere zu Pensionen ausgebaut oder sehr liebevoll zu Lodges restauriert. Ein sehr schöner Ort, touristisch wenig erschlossen, was eigentlich nicht schlecht ist. So ist noch einiges vom ursprünglichen Charme vorhanden.
Als wir wieder in Shanghai ankommen, bin ich fast traurig. Gerade hatten sich meine Augen an üppige Natur und sattes Grün gewöhnt, jetzt wieder so viel Gebäude, auch wenn die hübsch beleuchtet sind. Und auch wenn meine Compound schön grün ist, an diese Wahnsinns- Bambuswälder kommt einfach nichts ran. Ich glaube, ich werde mein Leben lang nicht vergessen, wie sich diese Pflanzen angefühlt haben und wie sie leise rauschten und Wasser aus ihnen herabgeregnet ist, wenn man sie sanft rüttelte.

Training:
Ich lerne von Meister Wu, dass nicht die Faust, sondern die Geschicklichkeit den Menschen schlägt. Hmm. Muss ich mir hinter die Ohren schreiben.
Xiao Lu ist dann natürlich auch sehr interessiert an unserem Ausflug und erklärt mir erstmal die Symbolik von Bambus für das chinesische Volk. Neigt sich mit dem Sturm und bricht nicht, wenn er gebogen wird. Wie die Chinesen. Überhaupt gibt es vier Blumen oder Pflanzen, die sehr wichtig für die Chinesen sind, so auch die Winterpflaume. Zu jeder gibt es eine Erklärung, die ich aber nur ansatzweise verstehe. Bin für diese Lektionen zu chinesischer Kultur aber immer sehr dankbar.
(Habe jetzt rausgefunden, dass die "vier Edlen" die Plaume, der Bambus, die Orchidee und die Chrysamtheme sind).
Es hat sich eingebürgert, dass ich Samstag in der Regel auspenne und mittags dann mit Xiao Lu übe, Sonntags morgens treffen wir uns eine Stunde vor dem regulären Training und mittags dann noch mal. Dann üben wir hauptsächlich Anwendungen und Tui Shou, was großen Spaß macht. Mittags übt neuerdings auch eine Gruppe von älteren Herrschaften Yang- Stil auf unserem Gelände, denen Xiao Lu ziemlich schnell klarmachte, dass wir die älteren Rechte auf diesen Platz haben. Wir haben uns jetzt aber gut mit dieser Gruppe arrangiert, die bei ihren Übungen immer fröhlich süßliche chinesische Musik dudeln lässt. Hat was.
Heute kam ein netter Opa vorbei, wohl auch ein Meister. Der dachte, wir beide seien ein Ehepaar, was er ganz dufte fand. So viele westliche Ausländer angeln sich Chinesinnen, da ist es doch prima, wenn ein chinesischer Typ das Herz einer Deutschen erobert. Nee, leider nicht, der Opa war ganz traurig. Aber dass wir so gute Freunde sind und beide Kampfkünste lieben, fand er denn doch klasse. Interessanterweise sind viele chinesische Männer ziemlich angepisst, wenn Ausländer mit Chinesinnen zusammen sind. Als Ausländerin kann ich natürlich auch argumentieren, dass wir es Scheiße finden, wenn diese kleinen Luder uns die Kerle wegschnappen. Kann aber die männlichen Chinesen auch verstehen, denn wegen der Ein- Kind- Politik gibt es hier halt mehr Männer als Frauen. Und ohne Kohle, Wohnung und Auto braucht ein junger Chinese erst gar nicht auf Brautschau zu gehen. Während im Hintergrund die Familie immer unentspannter wird, je älter der Knabe wird. Ist schon nicht leicht.
Seit Ende der Regenzeit ist Shanghai um eine Lärmquelle reicher: Tag und Nacht zirpen Zikaden. Und diese Drecksviecher können echt einen Lärm verursachen, der unglaublich ist. Heute lerne ich neben Armhebeln auch noch was über Zikaden. Xiao Lu zeigt mir mehrere Löcher im Boden und dann anschließend auf merkwürdige Einsiedlerkrebsartige Wesen, die an einem Baumstamm hocken. Die würden dann mal Zikaden, sagt er. Anscheinend entwickelt sich das Viehzeug im Boden, poppt irgendwann mal da raus und krabbelt dann einen Baum hoch, wo es sich dann mal wieder verpuppt und später zu einem lärmenden Insekt wird. Das Endprodukt kann man dann auch essen, dazu muss man Kopf und Beine abreissen und einen Teil des Abdomens entfernen. Anhand eines verendeten Exemplares zeigt Xiao Lu mir den leckeren Abschnitt des Krabbeltieres. Ob er die denn immer noch essen würde? Nee, aber in seiner Kindheit war das ein beliebter Snack. Xiao Lu überrascht mich immer wieder.

中国欢迎您 - Willkommen in China

Da ruft doch neulich Gummilippe (das ist unser Spitzname für den Chef des Büros, mit denen ich während Lilos Besuch völlig sinnlos nach Changsha geflogen bin) mitten in der Nacht meine Kollegin an und fragt, ob denn am nächsten Tag zufällig einer meiner Chefs abkömmlich sei? Ach, da müsse Zhen erstmal nachhören? Naja, irgendein anderer Westler würde es auch tun. Hintergrund des Ganzen: An diesem Tag hatten sich potentielle Auftraggeber zu Besuch angesagt, da sieht es für ein britisches Büro natürlich ganz schön blöd aus, wenn da nur Chinesen rumhocken. Also wollte Gummilippe, dass sich einer von uns dazuhockt, wichtig tut und die Vorzeigelangnase gibt. (Frage mich, warum er mich nicht angefordert hat, schließlich habe ich doch Visitenkarten, die mich als deren „Chief Design Officer“ ausweisen).
Wir denken daraufhin ernsthaft über die Gründung einer Agentur Rent-a-Laowei nach. Als Chief Design Officer mit entsprechenden Klamotten auftreten mindestens 1.200,- RMB die Stunde, mit dem Klienten reden 1.500,-. Wenn das auf chinesisch sein soll, mindestens 2.000,-. Spesen und so natürlich extra.
Ein chinesischer Investor tritt an uns heran, er hat da im Nordosten der Stadt ein Fabrikgelände gefunden, von dem er glaubt, dass man da was draus machen könnte. Interessenten hat er auch schon, am nächsten Tag sitzen dann Zhen, Xianqi und ich auf dem Rücksitz des senfgelben Porsche Chayenne des Investors, um uns von ihm das Gelände zeigen zu lassen. Die ganze Sache ist furchtbar dringend, der Investor will ganz schnell mit Nutzungsvorschlägen an die Regierung herantreten, bevor ihm jemand anderes diesen Happen wegschnappt. Deswegen sollen wir binnen einer Woche Konzepte ausarbeiten. Um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu untermauern, holt er aus dem Handschuhfach ein fettes Bündel Geldscheine, dass er lässig Zhen in den Schoß wirft. 10.000,- RMB. Spesen. Unsere Arbeit würde natürlich gesondert vergütet. Bin von den Socken.