Nachdem wir uns mit lecker Sandwiches und Getränken für das Seminar eingedeckt haben, treffen wir uns mit English- John, besichtigen die Tower Bridge und bummeln noch ein wenig.
Zum Glück erwischen wir frühzeitig den Bus, denn ich hatte keine Lust, völlig abgehetzt zu dem Seminar aufzuschlagen. Nach einer längeren Fahrt stehen wir auf einmal mitten im Nirgendwo, jedenfalls die Richtung hat grob gestimmt. John hat etwas ausführlicheres Kartenmaterial, welches Stefanie ihm sofort entreißt. Nach etlichen Debatten, Diskussionen mit freundlichen Einheimischen und Gekeife marschieren wir los, meine zaghafte Einwendung, wir hätten doch eigentlich hier abbiegen müssen, wird roh abgebügelt. Weitere Debatten und Einheimischenbefragungen. Wir marschieren zurück und biegen ein. John und ich sind enorm ungehalten, Taxi ist auch keines in Sicht. Stefanie versucht, durch belangloses Geplauder die Stimmung zu heben.
Nach schier endlosem Laufen (1,5 Km) durch eine wunderschön gepflegte Siedlung erreichen wir endlich North Dulwich. Zerknirscht stimmt Stefanie zu, künftig die Bahn zu benutzen und English- John verliert seinen Glauben an deutsche Effizienz. Das Seminar findet im Gemeindesaal einer Kirche statt, da wir noch gut Zeit haben, setzen wir uns in den Park gegenüber, verzehren unseren Proviant und beobachten den Eingang. Und schon bald bemerken wir eine ältere, grauhaarige, resolut aussehende Dame in Sportklamotten, die die Lokalität umkreist. Also begeben wir uns dann auch mal zu dem Veranstaltungsort und stellen uns der Dame vor, die auch gleich fragt: „Are you ready to get killed?“ Aha, offensichtlich kennt sie den Meister. Dann stellt sich eine etwa gleichaltrige grauhaarige Dame in Hippiefummel mit wilder Haarpracht ein, der wir uns ebenfalls vorstellen. Die beiden Damen heißen Jane und Jeane, ich kann mir natürlich nicht merken, welche von beiden Jane und welche Jeane ist. Nach und nach tröpfeln noch ein paar Leute ein, als letztes kommt ein absolut farblos aussehender Typ mit seiner hässlichen, fetten, geschmacklos gekleideten Gemahlin. Die liefert er nur hier ab, er selber nimmt nicht an dem Seminar teil. In letzter Sekunde verkneife ich mir noch, mit Stefanie über die hässliche Schnalle zu lästern, für mich das, was ich mir unter einer typischen Engländerin vorstelle. Dummerweise entpuppt sie sich als schon seit 25 Jahren in England lebende Deutsche. Mittlerweile hat uns eine in grauenhaften Spitzenfummel und hochhackige Schuhe gepresste, dem Akzent nach französische Bedienstete der Gemeinde den Saal aufgesperrt, so dass wir uns schon mal umziehen können. Und dann warten wir erstmal draußen im Sonnenschein auf Rose und den Meister.
Als nach einer halben Stunde Verspätung endlich das Auto auf den Hof einbiegt, schlägt mein Herz ein paar Takte schneller. Und Meister Wu schießt wie eine Kanonenkugel aus der Karre, um uns (für seine Verhältnisse) herzlich zu begrüßen. Ich habe sofort eine seiner grässlichen chinesischen Kippen zwischen den Lippen und wir machen zunächst ein wenig Konversation, danach geht das Seminar los. Mir ist, als wäre ich nie aus China fort gewesen und habe fast Tränen der Rührung in den Augen, als ich den Meister mal wieder in voller Aktion sehe. Auch die gesetzteren Damen (Jane, Jeane und die Deutsche) haben offensichtlich großen Spaß daran, den Meister durch die Gegend zu schubsen und ihm in die Plauze zu boxen. In einer Pause händige ich Meister Wu dann auch die CDs mit den Bildern und Videos vom letzten Jahr aus, die ich für ihn und Xiao Lu gebrannt habe.
Nach dem Seminar gehen wir alle gemeinsam essen, da North Dulwich nicht gerade mit gehobener chinesischer Küche aufwarten kann, fahren wir in die Stadt nach Chinatown. Erstmal ewige Warterei am Leinster Square auf den Meister und Rose, Jane und Jeane vertreiben sich die Zeit mit dem gewissenhaften Üben von Schlagkombinationen, die Menschenmassen ignorierend. Nachdem wir endlich alle wieder versammelt sind, begeben wir uns in ein nettes Restaurant und es folgt mal wieder eine der Aktionen, für die ich den Meister so sehr liebe. Natürlich wollen die Speisen sehr umsichtig ausgewählt sein, nach etlichen Diskussionen mit dem Chef des Hauses wird das dann auch schließlich klargemacht. Dann öffnet Meister Wu seinen Rucksack, zerrt ein komplettes Teeservice daraus hervor und verlangt nach kochendem (nicht nur heißem) Wasser. Dann bereitet er sehr sorgfältig einen absoluten Spitzentee (sozusagen der Chateau Lafite Rothschild unter den Tees) zu, den er uns anschließend kredenzt und den wir dann mit hoffentlich angemessener Würde zu uns nehmen. Das Essen ist echt lecker und findet auch Gnade vor dem strengen Gaumen des Meisters, er ist sogar der Meinung, die Ente und die Auberginen seien besser als in Shanghai. Und das will was heißen! Und da ich meinen kettenrauchenden Meister sehr gut kenne, weiß ich auch ganz genau, in welchen Abständen ich ihn vor die Tür zerren muß, wofür er wohl ganz dankbar ist. Wir verbringen jedenfalls einen sehr lustigen Abend und freuen uns auf das Seminar am nächsten Tag.
1 Kommentar:
Die Frequenz der Berichterstattung wird auffällig dichter, man kann schon befürchten, dass der nächste Beitrag gestern erscheint. Dann wart ihr tatsächlich nur so 8 peoples da in der Londoner Provinz? Ich hab mich immer geschämt, wenn wir hier in der kleinen Stadt nur 12 -15 Aktive zu den Seminaren locken konnten.
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