Dienstag, Juli 04, 2006

21. Spieltag

01.07.2006, Samstag

Die gesamte Nation rätselt immer noch über den Jens Lehmann von Andy Köpcke zugesteckten Zettel, den er vor jedem Strafstoß aus dem Stutzen zog und konsultierte. Comedy- Sendungen behaupten, darauf hätte es gehießen: “Lass zwei durch, alles andere wäre unhöflich“. Der Wahrheit näher kommt aber die Mutmaßung, dass da die bevorzugten Ecken der argentinischen Elfmeterschützen draufstanden, was mich die Effizienz des deutschen Trainerstabes bewundern lässt. Außerdem teilt die FIFA mit, dass wegen des gestrigen von den enttäuschten Argentiniern angezettelten Gerangels nach dem Spiel gegen die deutschen Spieler nicht ermittelt werde. Ich lasse also beruhigt das Spiel England gegen Portugal laufen und versuche, meinen Schönheitsschlaf zu machen. Als ich gerade einnicke, tritt Wayne Rooney einem Portugiesen in die Eier, während der Unparteiische gerade mal einen Meter entfernt steht und sieht völlig berechtigt rot. So aufgeschreckt schaue ich mir das Spiel weiter an, das schließlich auch auf ein Elfmeterschießen hinausläuft. Die Engländer versagen erwartungsgemäß, was mich mit einer gewissen Häme erfüllt, denn schon am nach unserem Sieg hatte die Times verzweifelt gefragt: "Was ist bloß das Geheimnis der Deutschen beim Elfmeterschießen? Vermutlich wissen sie es selbst nicht." Dabei hatten die Engländer doch angeblich das Elfmeterschießen bis zum Erbrechen trainiert. Mick Jagger auf der VIP- Tribüne sieht noch älter aus, als er eigentlich ist, die Beckhams brechen zusammen, heulende Engländer, jubelnde Portugiesen und in der Stadt das übliche Programm. (Autokorso) Jedenfalls werden wir jetzt keine fettbäuchigen englischen Gäste mehr hier haben, die sich bei jeder Gelegenheit das Hemd vom rot- weiß beschmierten Körper reißen, rumgrölen und uns das Bier wegsaufen.

Spätnachmittags der Schock: Ein italienischer Fernsehsender will Beweise dafür haben, dass Torsten Frings bei der Rangelei mit den Argentiniern fröhlich mitgemischt und angeblich Julio Cruz in die Fresse gehauen hat, was aber sowohl Cruz als auch Frings verneinen. Das sieht den feigen Italienern natürlich ähnlich: Die haben derartig viel Angst vor uns, dass sie mit solchen Mitteln versuchen, einen unserer besten Männer auszuschalten. (Nicht umsonst heißt es, dass das Buch „Italienische Heldentaten“ neben „Englische Schönheiten“ eines der dünnsten der Welt sei.) Die FIFA leitet eine Untersuchung ein, eventuell wird Frings für die nächsten beiden Spiele gesperrt. In Frankfurt begegnen sich Frankreich und Brasilien, deswegen die Verkehrshinweise auf französisch und portugiesisch. Die erste Halbzeit des Spieles Frankreich gegen Brasilien schenken wir uns und grillen lieber in dieser lauen Sommernacht auf dem Balkon, werden dann aber doch neugierig. Wir sehen einen lustlosen Haufen von Multimillionären in grässlichen gelben Trikots, der gegen eine munter aufspielende Altherrenriege kickt. Zinedine Zidane hat offensichtlich zu seiner alten Form gefunden und dominiert das Spiel. In der 57. Minute verwandelt Thierry Henry einen Freistoß von Zidane und nun herrscht auf den brasilianischen Rängen Blues statt Samba. Endstand 1:0, Brasilien ist verdient raus, willkommen zur Europameisterschaft!

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