09.10.2008, Donnerstag
Vormittags:
Die Sonne scheint und ich springe gut gelaunt aus dem Bett. Bei Sonnenschein kann man hier ein interessantes Phänomen beobachten: Sobald die ersten Strahlen durch den Dunst dringen, entfalten die hiesigen Damen hektisch ihre Schirme, als fiele radioaktive Säure vom Himmel. Die Haut könnte ja Schaden nehmen. Ich beschließe, zum Park zu laufen. Im Netz habe ich irgendwo gelesen, dass „Jaywalking“ ab sofort hier mit Geldstrafen geahndet wird. Dieser Begriff bezeichnet das unerlaubte Überqueren einer Straße bei roter Ampel und es gibt ihn im Deutschen nicht. Wahrscheinlich, weil Deutsche bei Rot grundsätzlich keine Straße überqueren, wir sind halt ein diszipliniertes Volk. An den großen Kreuzungen hier wird zumindestens während der Hauptverkehrszeiten auch streng auf die Einhaltung dieser Verkehrsregel geachtet.
Oskar will ein paar neue Fummel, der Meister hat deswegen ein Maßband mitgebracht und vermißt ihn. Er möchte gerne zwei weiße und einen für den Winter, da er trotz seiner zwei Jahre hier beschämenderweise immer noch kein Chinesisch spricht, muss ich das für ihn übersetzen. Da bestelle ich mir doch gleich auch mal einen schwarzen und einen weißen Fummel mit, dann brauche ich hier wenigstens nicht mehr Xiao Lus Klamotten auftragen. Außerdem reißen schwarze Pumphosen mehr als blaue, bei dem Studentenvolk hier auf dem Campus dürfte das durchgehen. Ich werde sowieso dauernd gefragt, was denn mein Hauptfach wäre, wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Althippie. Also wird auch bei mir Maß genommen und ich werde belehrt, dass die Herrenfummel sieben Knöpfe und eine Naht auf dem Rücken haben und auf links geknöpft werden, die der Damen haben nur fünf Knöpfe, keine Naht und werden auf rechts geknöpft. Interessant. Angesichts dieser Flut von Bestellungen entschließt sich lemmimghaft auch Herr Si, der immer in türkisfarbenen Hosen und weißem T- Shirt trainiert, sich einen Fummel anfertigen zu lassen. Mit Interesse bemerke ich, dass Oskars Name in lateinischen Buchstaben, meiner jedoch in Hanzi notiert wird.
Training verläuft für mich ganz OK und ich achte auf lockere Hüften, leider laufen wir nicht die Line, die ich gestern mit Xiao Lu so hart trainiert habe, dafür aber die mit fieser Drehung und Arme verrenken. Da ich das nicht ganz so gut hinbekomme, weiß ich schon, was mir heute Mittag blüht.
Oskar sülzt mich voll, jeder solle beim Üben seinen eigenen Stil entwickeln beziehungsweise seinen individuellen Touch hinzufügen. Soll der doch mal sehen, dass er das erstmal richtig hinbekommt, bevor er hier irgendwas hinzufügt. Dann erzählt er mir noch, er denke, wenn er hier noch weitere fünf Jahre trainiere, werde er so gut wie Xiao Lu. Bei soviel Vermessenheit bleibt mir glatt die Spucke weg und ich muss lachen. Ich habe das Gefühl, dass Oskar ein bisschen verschnupft ist. Ist ja gut, wenn man sich hohe Ziele setzt, aber man sollte doch die eigenen Fähigkeiten einigermaßen realistisch einschätzen können. Ein gesundes Maß an Selbstkritik hat noch niemandem geschadet. Mal sehen, was Xiao Lu dazu sagt, wenn ich ihm das heute Nachmittag erzähle. Werde gleich mal in meinen mitgeschleppten Chinesisch- Büchern nach der entsprechenden Formulierung suchen, um das ja richtig rüberzubringen.
Nachmittags:
Frisch geduscht springe ich in den Bus und fahre zum Park. Auf dem Weg dorthin lege ich eine Gedenkminute für meine Freundin Lilo ein, die in diesen Minuten nach einem Monat in Wudang Shan die Heimreise antreten dürfte und uns mit ihren launigen Berichten von dort oft ergötzt hat. Arme Lilo, an meinen Abschied von hier will ich gar nicht denken.
Meinem großen Bruder petzte ich erst mal, was Oskar so abgesondert hat und prahle mit meiner chinesischen Halbbildung, indem ich geschmeidig „Ein altes Roß will tausend Meilen laufen“ (Alte Menschen können sich hohe Ziele stecken) einfüge. Xiao Lu schüttet sich vor Lachen aus und erwähnt, er selbst sei ja nur vier Jahre jünger als Oskar. Aber dann wird er ernst und sagt, das sei nicht zu schaffen. Erstens habe er selber schon als kleiner Junge mit den Kampfkünsten begonnen, zweitens spräche Oskar kein Chinesisch und sei schon alleine deswegen nicht in der Lage, richtig gut zu werden, weil er die Erklärungen gar nicht verstehen und deren tieferen Sinn nicht begreifen könne. Auf so was kann man auch von selber kommen, keine Ahnung, wo manche Leute ihr Selbstbewusstsein hernehmen. Natürlich laufen wir die Lines, und auch wenn ich die mit dem Armgewickel immer noch nicht richtig flüssig hinbekomme, werde ich das nächste Mal hoffentlich nicht mehr ganz so schlimm abstinken. Mit Dong Bao Fist sind wir durch, das Ende sitzt noch nicht so richtig, aber das wird noch. Jetzt ist Feinarbeit angesagt und da ist Xiao Lu unerbittlich. Mir ist das gerade recht, denn lieber lerne ich wenige Dinge gründlich, als über irgendwas drüber zu huddeln.
In der Luft liegt ein süßer Duft, ich habe der Presse entnommen, das sei der Osmanthusbaum, ausnahmsweise haben im gesamten Stadtgebiet genau am Tag unserer Ankunft sämtliche Bäume auf einmal zu blühen begonnen, ein seltenes Phänomen. Xiao Lu und ich schnuppern hingebungsvoll, nach dem Training tollen wir durch den mondbeschienenen Park und suchen einen blühenden Strauch, aber leider sind die Blüten schon von irgendwelchen Vandalen abgerissen worden.
In der Fressgasse gönne ich mir den anderen Fladen, auch sehr lecker. Die Mädels kennen meine Vorlieben so langsam und auch ich gewöhne mich an deren Dialekt und verstehe grob ihre Fragen, zahlt sich halt aus, irgendwo Stammkunde zu sein.
Kerstin muss leider für ihre Klausur morgen büffeln, recht so, fleißiges Mädchen! Wir machen aus, dafür aber morgen Abend endlich mal im Barbarossa einen anständigen Drink zu nehmen, darauf freue ich mich doch! Im Hotelzimmer wird das Erlernte wiederholt, klappt ganz gut, Belohnungsbier. Am Wochenende soll es regnen, Mist, kein Training also, aber dann kann ich wenigstens mal meinen Fummel waschen und einkaufen gehen.
Vormittags:
Die Sonne scheint und ich springe gut gelaunt aus dem Bett. Bei Sonnenschein kann man hier ein interessantes Phänomen beobachten: Sobald die ersten Strahlen durch den Dunst dringen, entfalten die hiesigen Damen hektisch ihre Schirme, als fiele radioaktive Säure vom Himmel. Die Haut könnte ja Schaden nehmen. Ich beschließe, zum Park zu laufen. Im Netz habe ich irgendwo gelesen, dass „Jaywalking“ ab sofort hier mit Geldstrafen geahndet wird. Dieser Begriff bezeichnet das unerlaubte Überqueren einer Straße bei roter Ampel und es gibt ihn im Deutschen nicht. Wahrscheinlich, weil Deutsche bei Rot grundsätzlich keine Straße überqueren, wir sind halt ein diszipliniertes Volk. An den großen Kreuzungen hier wird zumindestens während der Hauptverkehrszeiten auch streng auf die Einhaltung dieser Verkehrsregel geachtet.
Oskar will ein paar neue Fummel, der Meister hat deswegen ein Maßband mitgebracht und vermißt ihn. Er möchte gerne zwei weiße und einen für den Winter, da er trotz seiner zwei Jahre hier beschämenderweise immer noch kein Chinesisch spricht, muss ich das für ihn übersetzen. Da bestelle ich mir doch gleich auch mal einen schwarzen und einen weißen Fummel mit, dann brauche ich hier wenigstens nicht mehr Xiao Lus Klamotten auftragen. Außerdem reißen schwarze Pumphosen mehr als blaue, bei dem Studentenvolk hier auf dem Campus dürfte das durchgehen. Ich werde sowieso dauernd gefragt, was denn mein Hauptfach wäre, wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Althippie. Also wird auch bei mir Maß genommen und ich werde belehrt, dass die Herrenfummel sieben Knöpfe und eine Naht auf dem Rücken haben und auf links geknöpft werden, die der Damen haben nur fünf Knöpfe, keine Naht und werden auf rechts geknöpft. Interessant. Angesichts dieser Flut von Bestellungen entschließt sich lemmimghaft auch Herr Si, der immer in türkisfarbenen Hosen und weißem T- Shirt trainiert, sich einen Fummel anfertigen zu lassen. Mit Interesse bemerke ich, dass Oskars Name in lateinischen Buchstaben, meiner jedoch in Hanzi notiert wird.
Training verläuft für mich ganz OK und ich achte auf lockere Hüften, leider laufen wir nicht die Line, die ich gestern mit Xiao Lu so hart trainiert habe, dafür aber die mit fieser Drehung und Arme verrenken. Da ich das nicht ganz so gut hinbekomme, weiß ich schon, was mir heute Mittag blüht.
Oskar sülzt mich voll, jeder solle beim Üben seinen eigenen Stil entwickeln beziehungsweise seinen individuellen Touch hinzufügen. Soll der doch mal sehen, dass er das erstmal richtig hinbekommt, bevor er hier irgendwas hinzufügt. Dann erzählt er mir noch, er denke, wenn er hier noch weitere fünf Jahre trainiere, werde er so gut wie Xiao Lu. Bei soviel Vermessenheit bleibt mir glatt die Spucke weg und ich muss lachen. Ich habe das Gefühl, dass Oskar ein bisschen verschnupft ist. Ist ja gut, wenn man sich hohe Ziele setzt, aber man sollte doch die eigenen Fähigkeiten einigermaßen realistisch einschätzen können. Ein gesundes Maß an Selbstkritik hat noch niemandem geschadet. Mal sehen, was Xiao Lu dazu sagt, wenn ich ihm das heute Nachmittag erzähle. Werde gleich mal in meinen mitgeschleppten Chinesisch- Büchern nach der entsprechenden Formulierung suchen, um das ja richtig rüberzubringen.
Nachmittags:
Frisch geduscht springe ich in den Bus und fahre zum Park. Auf dem Weg dorthin lege ich eine Gedenkminute für meine Freundin Lilo ein, die in diesen Minuten nach einem Monat in Wudang Shan die Heimreise antreten dürfte und uns mit ihren launigen Berichten von dort oft ergötzt hat. Arme Lilo, an meinen Abschied von hier will ich gar nicht denken.
Meinem großen Bruder petzte ich erst mal, was Oskar so abgesondert hat und prahle mit meiner chinesischen Halbbildung, indem ich geschmeidig „Ein altes Roß will tausend Meilen laufen“ (Alte Menschen können sich hohe Ziele stecken) einfüge. Xiao Lu schüttet sich vor Lachen aus und erwähnt, er selbst sei ja nur vier Jahre jünger als Oskar. Aber dann wird er ernst und sagt, das sei nicht zu schaffen. Erstens habe er selber schon als kleiner Junge mit den Kampfkünsten begonnen, zweitens spräche Oskar kein Chinesisch und sei schon alleine deswegen nicht in der Lage, richtig gut zu werden, weil er die Erklärungen gar nicht verstehen und deren tieferen Sinn nicht begreifen könne. Auf so was kann man auch von selber kommen, keine Ahnung, wo manche Leute ihr Selbstbewusstsein hernehmen. Natürlich laufen wir die Lines, und auch wenn ich die mit dem Armgewickel immer noch nicht richtig flüssig hinbekomme, werde ich das nächste Mal hoffentlich nicht mehr ganz so schlimm abstinken. Mit Dong Bao Fist sind wir durch, das Ende sitzt noch nicht so richtig, aber das wird noch. Jetzt ist Feinarbeit angesagt und da ist Xiao Lu unerbittlich. Mir ist das gerade recht, denn lieber lerne ich wenige Dinge gründlich, als über irgendwas drüber zu huddeln.
In der Luft liegt ein süßer Duft, ich habe der Presse entnommen, das sei der Osmanthusbaum, ausnahmsweise haben im gesamten Stadtgebiet genau am Tag unserer Ankunft sämtliche Bäume auf einmal zu blühen begonnen, ein seltenes Phänomen. Xiao Lu und ich schnuppern hingebungsvoll, nach dem Training tollen wir durch den mondbeschienenen Park und suchen einen blühenden Strauch, aber leider sind die Blüten schon von irgendwelchen Vandalen abgerissen worden.
In der Fressgasse gönne ich mir den anderen Fladen, auch sehr lecker. Die Mädels kennen meine Vorlieben so langsam und auch ich gewöhne mich an deren Dialekt und verstehe grob ihre Fragen, zahlt sich halt aus, irgendwo Stammkunde zu sein.
Kerstin muss leider für ihre Klausur morgen büffeln, recht so, fleißiges Mädchen! Wir machen aus, dafür aber morgen Abend endlich mal im Barbarossa einen anständigen Drink zu nehmen, darauf freue ich mich doch! Im Hotelzimmer wird das Erlernte wiederholt, klappt ganz gut, Belohnungsbier. Am Wochenende soll es regnen, Mist, kein Training also, aber dann kann ich wenigstens mal meinen Fummel waschen und einkaufen gehen.
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