Freitag, Oktober 31, 2008

你的生日快乐 - Alles Gute zum Geburtstag

31.10.08, Freitag

Gerade kehre ich von dem opulentem Mahl zurück, dass Meister Wu anlässlich meines Geburtstags für mich zubereitet hat. Es ist hier 3.00 Nachts, bin zu müde, um zu schreiben, ausführlicher Bericht folgt, wenn ich wieder in Deutschland bin. Danke an alle, die an mich gedacht haben.

Vormittags:

Ein Blick aus dem Fenster zeigt Regen. Klasse. Eigentlich hatte ich ja gehofft, meinen Geburtstag mit einer kleinen Übungseinheit beginnen zu können, aber das soll dann halt nicht sein. Also sinke ich zurück in die Kissen, schlafe noch eine Stunde und klingele dann mal vorsichtig bei Alessandra durch, um nach ihren Plä
nen für den heutigen Vormittag zu fragen. Da dies mein letzter Tag hier ist, ist sie ganz ambivalent, ich schlage vor, die Galerien in der Moganshan Lu zu besuchen, damit ist sie auch einverstanden. Meister Wu ruft an und bellt die Order für heute Abend in den Hörer, ich verstehe nur, dass ich irgendwie um 17.00 im Hotel abgeholt werde. Prima. Alessandra und ich treffen uns in der Lobby und organisieren uns ein Taxi. Sie findet auf dem Rücksitz ein Mobilphon, das offensichtlich der letzte Gast dort vergessen hatte und reicht es wortreich dem Fahrer. Ich muss innerlich lachen: Wenn Alessandra eine andere Sprache als englisch spricht, brauche ich immer einige Sekunden, um zu merken, ob das jetzt Chinesisch oder Italienisch ist. Aber offensichtlich wird sie verstanden. Wir sind keine drei Minuten unterwegs, als die Besitzerin des Phons völlig panisch anruft. Der Taxifahrer erklärt ihr geduldig, dass er noch zwei ausländische Fahrgäste (er benutzt den leicht unschmeichelhaften Begriff „laowei“) abzuliefern habe, dann würde er sofort das Phon vorbeibringen. Von da an erkundigt sich die Besitzerin im Abstand von ca. fünf Minuten nach dem Stand der Dinge und wird jedes Mal geduldig vertröstet. Irgendwann erklärt er uns, die Schnalle sei auch eine Laowei, Koreanerin. Aha.
M50 ist richtig klasse, hunderte von Galerien. Habe zwar von mo
derner Kunst keine Ahnung, aber einiges ist sehr spannend. Mich interessiert vor allem der städtebauliche und architektonische Ansatz der Revitalisierung dieses Geländes, schließlich hat mich das neulich gekaufte Buch neugierig gemacht. Ich finde es faszinierend, hier das Erwachen einer individuellen Szene zu spüren, alles noch etwas provisorisch und im Probierstadium, aber voller Leben. Durch das Fenster eines Designbüros beobachte ich junge Leute, die an ihren Rechnern konzentriert arbeiten, an den Wänden hängen Skizzen diverser Projekte und ich bin etwas neidisch und fühle mich alt. Wie cool muss das sein, als arroganter junger Hochschulabsolvent in dieser Atmosphäre zu arbeiten. In einer Galerie schenke ich mir zum Geburtstag ein Photo, hübsch mit Passepartout und handsigniert, es zeigt die typischen Wäschetrocknungsmethoden dieser Stadt.
Alessandra und ich trennen uns an der Shanghai Railway Station, sie fährt zu ihrem Akupunkturtermin und ich nach Hause.
Kerstin gibt sich die Ehre, standesgemäß im Pyjama und schenkt mir ein wunderschönes weißes T- Shirt mit einer schwarzen stilisierten Päonienblüte auf dem Rücken, das sie liebevoll verpackt hat. Ich bin sehr gerührt. Xiao Lu ruft an und erzählt mir was von Treffen am Haupteingang des Parks um 17.00. Aha, Planänderung, denke ich. Da für ein Schläfchen keine Zeit mehr ist, beginne ich schon mal, meine Koffer zu packen.

Nachmittags/ Abends:

Bedachte Wahl der Garderobe, zu dick auftragen will ich ja nicht, soll ja ein lässiger Abend werden. Aber ein wenig Farbe klatsche ich mir dann doch schon ins Gesicht und lege Ohrringe an. Schnell noch die Stange Kippen als Gastgeschenk in die Tasche gestopft, dann zum Bus gerannt. Während ich im Bus sitze, ruft Meister Wu an und will mir irgendetwas wegen der
Abholung mitteilen. Aha, anscheinend ist irgendwas schief gegangen. Chinesisch telefonieren, vor allem mit Wu Laoshi ist eine Qual, weil er immer wahnsinnig schnell redet und mich meistens dann erwischt, wenn ich irgendwo (wie z.B. öffentlichen Verkehrsmitteln) bin ,wo die Geräuschkulisse sowieso maximal ist und ich schon rein akustisch nicht verstehe. Ich brülle also in das Phon, ich sei unterwegs zum Park, weil Xiao Lu mich da hinbeordert habe, käme in ca. 10 Minuten an und alles würde gut. Punkt 17.00 am Haupteingang, keine Sau da. Warte zehn Minuten, langsam kommen mir Zweifel: Hat der vielleicht doch die U- Bahn Station gemeint? Renne da hin, kein Xiao Lu, also wieder zurück zum Park, immerhin war das mein letzter dem Meister bekannter Aufenthaltsort. Und da sitzt dann auch Xiao Lu auf dem Elektroroller mit einem monströsen Blumenstrauß, sehr geschmackvoll, rosa Lilien und Rosen. Der wird mir in den Arm gelegt, aufsitzen, ab geht es. Als Xiao Lu vor einer Konditorei hält, ahne ich schlimmes. Tatsächlich wird eine farbenfrohe Torte in eine Styroporschachtel verpackt, die darf ich dann auch noch halten. Scherzhaft sage ich zu Xiao Lu, er sei der Traumprinz (baimawangzi, wörtlich: „Ritter auf dem weißen Pferd“), er lacht und sagt, heute Abend sei ich die Prinzessin. Ach, Shanghaier Männer, letzte Bastion der Ritterlichkeit!
Meister Wu erwartet uns schon ungeduldig, was die Schäbigkeit seiner Behausung angeht, hat er nicht untertrieben. Alle Glühbirnen im Treppenhaus sind kaputt. Er und sein Sohn hausen auf ca. 15 m2, schlafen in einem Bett, es gibt eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad. Wer aus Studententagen ähnliche Verhältnisse kennt: Kein Vergleich. Im Bad gibt es eine schäbige Toilette und einen Spülstein, kein warmes Wasser, keine Dusche, nackter Betonboden, ebenso die Küche. Das Haus wurde in den 40er Jahren errichtet, schnell hingekloppt. Nebenan werden neue Häuser gebaut, Anfang des nächsten Jahres werden sie da eine Wohnung bekommen, die dann immerhin zwei Zimmer haben wird.
Freunde, wir wissen gar nicht, wie gut es uns geht.
Auf dem Tisch stehen Speisen, die mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Herr Si ist auch geladen, was mich sehr erfreut. Auch wenn ich ihn nicht verstehe, ist mir dieser stets fröhliche, liebenswerte Mann sehr ans Herz gewachsen, ich bewundere seine Lässigkeit. Und wir sind ja so was wie Klassenkameraden. Meister Wus Sohn spricht ein wenig englisch und bemüht sich um Konversation. Ach Gott, vor ein paar Jahren haben Stefanie, Adam und ich ihm im Übermut den westlichen Namen „Wesley“ verpasst, als alte Trekkies fanden wir, dass sich Wesley Wu irgendwie cool anhört und Adam sagte, Wesley Crusher sei schon imm
er sein Idol als gehemmter Nerd gewesen. Rose ist auch geladen, Xiao Lu wird losgeschickt, um sie von der U- Bahn Station abzuholen. (Natürlich werden alle fünf Minuten Telefonate über den Stand der Dinge geführt.) Und noch ein weiterer Schüler des Meisters trifft ein, voll die Stimmungsbombe. Leider wird er mir nicht namentlich vorgestellt, aber letztes Jahr haben wir uns kurz gesehen, er holte nach unserem Abschiedsessen die Jungs ab. Wir kriegen raus, dass er am 1. November Geburtstag hat. Zur Überbrückung der Wartezeit wird Tee zeremoniell zubereitet, und zwar nach allen Regeln der Kunst. Rose trifft ein und dann wird geschmaust. Fast alle Gerichte sind vegetarisch und schmecken unglaublich gut, Shanghaier Hausmannskost, ich kann gar nicht aufhören, zu essen. Eine der kalten Speisen besteht aus dicken eingelegten Bohnen, weder Rose noch ich haben dies je zuvor gegessen. Meister Wu erklärt, in seiner Kindheit sei dieses Gericht auf der Straße als Snack verkauft worden, heute müsse man danach suchen. Köstlich! Der Abend ist sehr locker, die Glotze läuft, Nachbarn schauen vorbei. Stefanie und Ali rufen an, um mir zu gratulieren und den Rest der Runde zu grüßen, alle freuen sich und brüllen fröhlich Grüße zurück. Die Herren räumen auf, während Rose und ich entspannt plaudern. (Ich kann nur wiederholen: Mädels, Shanghaier Männer sind die besten. Bin auch gerne beim Aufsetzten eines Textes für den Kontakthof im Volkspark behilflich). Der Kuchen wird aufgetischt, die Kerzen entzündet, die ich dann unter Blitzlichtgewitter auspuste. Typisch chinesisch wurde ich ein Jahr älter gemacht, denn hier wird das Alter ab der Zeugung gerechnet. Meister Wu zaubert eine Kaffeemaschine hervor, der Kaffee wird aus Teeschalen genossen. Diese werden anschließend sauber abgespült, dann wird zwei Stunden lang Tee getrunken. Für alle die, die so was noch nicht oder nur im Rahmen einer kommerziellen Veranstaltung erlebt haben: Weinprobe ist nichts dagegen, dies hier ist ein Ritual. Ich lerne mehr über Tee als ich jemals in meinem Leben über Wein wissen werde, wir haben Spaß und ich fühle mich in des Meisters schäbiger Bude unendlich wohl.
Um 02:30 werden Rose und ich in den klapperigen Bus des Teeknülches eingetütet, der uns natürlich noch eine Dose hochwertigen grünen Tees schenkt. Großer Abschied auf der Straße, im Zimmer des Gästehauses befinde ich mich in absoluter Agonie: Wie soll ich die Blumen aufbewahren? Völlig verzweifelt befülle ich schließlich eine Plastiktüte mit Wasser und schlafe lilienbeduftet ein.

Donnerstag, Oktober 30, 2008

Shanghai Blues #2

30.10.08, Donnerstag

Vormittags:

Da es nur leicht nieselt, beschließe ich, trotzdem in den Park zu fahren. Der Bus ist sogar relativ leer, sehr angenehm. Busfahren während der Hauptverkehrszeit kann manchmal etwas abenteuerlich sein, da die Türen schon mal gerne während der Fahrt geöffnet beziehungsweise erst nach dem Anfahren geschlossen werden, so geht das Ein- und Aussteigen zügiger. Wenn man dann ohne unterwegs aus dem Bus zu fallen sein Ziel erreicht hat, muss man aufpassen, nicht von Moped- und Fahrradfahrern umgenietet zu werden, die haben eine extra Spur, die neben der Busspur verläuft.
Im Park angekommen regnet es mittlerweile ziemlich heftig, natürlich ist keiner da. Meister Wu ruft an und fragt, wo ich denn wäre? Schon im Park? Er eilt herbei, da Training keinen Sinn macht, lädt er mich zum Teetrinken ein und ich erhalte eine weitere Theoriestunde. Ich übe wirklich gerne Tong Bei, deswegen will ich ja auch möglichst viel darüber wissen. Das freut den Meister, der bereitwillig über die Arten zu üben und Unterschiede zu anderen Kampfkünsten Auskunft gibt. Interessant: He Yi Tong Bei zählt nicht zu den Taiji- Stilen, dass wusste ich auch noch nicht. Zu Hause muss ich dringend recherchieren, hier ist das bei dem lahmen Internetzugang eher nervenaufreibend. Der Meister ist ein Füllhorn des Wissens. Warum kann denn niemand mal bei solchen Gesprächen eine Kamera mitlaufen lassen, damit das der Nachwelt erhalten bleibt? Unfassbar, was verloren geht, wenn Menschen wie er nach und nach verschwinden. Ich versuche, mir alles zu merken und lasse mir auch den Spruch von dem Tiger und
dem Schaf aufschreiben. Über Yürgen äußert sich der Meister sehr positiv, dass er in Wudang trainiert hat ihn wohl beeindruckt. Er hält ihn für den besten Mainzer Taijimeister. Naja, ist ja auch nicht ganz so schwer, gemessen an unserer Einwohnerzahl und der Anzahl der Übenden. (Lass dir das mal nicht zu Kopfe steigen, Oster!). Ich stopfe noch diskret den Umschlag mit dem Lohn für den vergangenen Monat in des Meisters Rucksack und fahre mit der U- Bahn heim.
Erfreulicherweise ist mein Zimmer schon aufgeräumt und ich mache es mir mit einer Tüte Chips und dem Rechner im Bett gemütlich. Regentage können durchaus etwas für sich haben.

Nachmittags/ Abends:

Letzte Trainingsstunde mit Xiao Lu, es regnet zum Glück nicht. Die Erkältungstabletten dröhnen ganz schön, vielleicht sollte ich mir mal den Beipackzettel durchlesen. Wahrscheinlich ist das Zeug bei uns auf der roten Liste.
Da unser Trainingsgelände zu matschig ist, muss ich auf dem Platz davor meine Formen vorturnen. Der Platz ist rutschig, meine Schuhe sind glatt und um mich bildet sich eine Menschentraube. Bin ja Zuschauer gewöhnt und Kampfkunst Übende sind ja hier auch nichts besonderes, trotzdem komme ich mir vor, als stünde ich Samstags vormittags auf dem Domplatz und bin entsprechend nervös. Das wird auch beim Push- Hands nicht besser, vor allem, weil ich Angst habe, auf dem glatten Boden auszurutschen. Schließlich werde ich etwas entspannter, dann geht es. Xiao Lu muss früher weg, er hat noch was vor. Als wir den Park verlassen, versuche ich tapfer, meine Tränen zu unterdrücken, ich will nicht, dass er mich weinen sieht. Natürlich scheitere ich kläglich, Xiao Lu versucht unbeholfen, mich zu trösten und sagt, nächstes Jahr würde er mir dann eine neue Form beibringen, er wolle, dass ich Deutschlands beste Tong Bei Schnalle würde und wir könnten ja auch viel chatten. Ein schwacher Trost. Letzter Ritt auf dem Roller, im Bus ist es zum Glück dunkel und ich verfluche mich dafür, dass ich so nah am Wasser gebaut habe.
Keinen Bock, was zu essen, Kerstin und Alessandra sind beide unterwegs. Habe das dringende Bedürfnis, mich sinnlos zu betrinken, im Geschäft besorge ich mir irgendeinen üblen Fusel mit ordentlich Umdrehungen, zusammen mit den Erkältungstabletten sollte das hübsch in die Birne gehen. Schaue mir die Fotos vom Training an und heule hemmungslos.

Später am Abend:

Als ic
h gerade im Begriff bin, mir den Fusel hinter die Binde zu gießen, ruft Alessandra an, ihre Verabredung ist geplatzt. Wir gehen ins Nyoro um die Ecke und knabbern Fritten und Nüsse, ich bescheide mich dann doch mit Bier. Aus den Lautsprechern plätschert Bob Marley, draußen regnet es. Und das soll morgen gerade so weitergehen. Also kein Training. Mist.

Mittwoch, Oktober 29, 2008

So viel zu lernen, so wenig Zeit!

29.10.08, Mittwoch

Vormittags:

Habe schlecht geschlafen, da mir die ganze Nacht die Nase lief. Allerdings war ich hier auch schon schlimmer erkältet, habe also Glück. Nur noch drei Tage, dann wieder Wachkoma. Trübes Wetter, wenigstens regnet es nicht. Voller Ausländerauflauf im Park, außer dem Australier und Rose sind alle da. Ein junger Mann betritt das Trainingsgelände und fragt den Meister, ob er der Tongbei Wu sei? Anscheinend will er bei ihm lernen, der Meister führt ein lockeres Vorstellungsgespräch mit dem jungen Mann, der sich den Unterricht dann auch anschaut. Keine besonderen Vorkommnisse, ich gönne mir einen Fladen zum Mittagessen. Als ich nach Hause komme, ist mein Zimmer noch nicht aufgeräumt, ärgerlich. Ich tigere zur Apotheke, um mir was gegen meine Erkältung zu besorgen, habe sowieso nichts besseres vor. Und ich besorge auch gleich noch eine Stange von des Meisters Lieblingskippen als Gastgeschenk, bei lokalen Alkoholika kenne ich mich nicht so aus und möchte keinen Fehlgriff tun. Xiao Lu war heute morgen nicht im Training, (er hat verpennt, mir aber eine Nachricht hinterlassen, dass wir uns mittags treffen können. Gut so.)

Nachmittags:

Als ich das Gästehaus verlasse, wird der Regen stärker. Wir treffen uns im Park und entscheiden uns dazu, Push Hands zu üben, da müssen wir uns nicht groß umziehen. Es regnet immer heftiger, wir kuscheln uns unter dem Schirm zusammen und machen trotzdem mit Tui Shou weiter, geht ja auch so. Als der Regen zu stark wird, lädt Xiao Lu mich in die gegenüberliegende Pizzeria ein, auf dem Weg dahin achtet er sorgfältig darauf, dass ich nicht in irgendwelche Pfützen trete, den Schirm hält natürlich er. Mädels, wenn ihr einen Mann sucht, der euch auf Händen trägt- lacht euch einen Shanghaier an! Die Pizza und der Capuccino sind überraschend gut, Stefanie und ich waren hier letztes Jahr schon essen und waren eher mäßig begeistert.
Wir reden über unsere Vorlieben und entdecken sehr viele Gemeinsamkeiten (außer zum Thema Musik). Im Hintergrund singt Mariah Carey Weihnachtslieder, bizarr. Irgendwann kommen wir natürlich wieder zu den Kampfkünsten, ich weiß ja, dass Xiao Lu schon mit sechs Jahren angefangen hat und frage ihn, ob seine acht Brüder auch alle Wu Shu geübt hätten? Klar, es stellt sich heraus, dass die Familie Lu eine lange Tradition in dieser Richtung hat. (Ich gebe jetzt mal nur das wesentliche wieder). Schon immer wurden in dieser Familie die Kampfkünste gepflegt. Xiao Lus Vater war selber ein großer Shaolin - Meister , übte auch Tongbei und war mit Meister Wus Lehrer eng befreundet. Da aber sein Vater sehr früh starb und ihn selber nicht mehr unterrichten konnte und Meister Wus Lehrer zu dieser Zeit keine Schüler mehr annahm, beschloss Xiao Lus Mutter, ihn dann in Shaolin Gongfu ausbilden zu lassen, um die Tradition zu wahren, später ist er denn bei Meister Wu gelandet. (Xiao Lu benutzt die deutschen Begriffe für „Vater“ und „Mutter“, mir fällt die Kinnlade runter). In alten Zeiten waren sehr viele Lus Minister oder Generäle, er schreibt mir die Namen auf chinesisch auf und sagt, ich solle die mal auf Baidu (chinesische Konkurrenz zu Google, sehr gut) suchen. Während ich völlig gefesselt seinen Erzählungen lausche, habe ich eine Vision von waffenschwingenden, langmähnigen Versionen von Xiao Lu in voller Kampfmontur, die sich todesmutig in die Schlacht stürzen. Ich selber kann in meiner Ahnenreihe keine derartig coolen Vorfahren aufweisen, einer war ein General und ist achtzehnhundertirgendwas in einer historisch unbedeutenden Schlacht gefallen. Generationen von Kampfkünstlern, wie grandios! Schon als Kind habe ich das geliebt und Kung Fu Filme gemeinsam mit meinem Vater angeschaut, der meine Affinität für dieses Land entscheidend geprägt hat. Das versuche ich ihm zu vermitteln, ich glaube, er versteht.
Für diese Gelegenheit zum Quatschen bin ich unendlich dankbar, endlich kann man sich mal über so viele Dinge austauschen, die in den vergangenen 10 Monaten beim Chat viel zu kurz kamen. Wir vereinbaren, uns morgen trotzdem zu treffen, Regen hin oder her.
Im Gästehaus angekommen habe ich natürlich nichts eiligeres zu tun, als im Netz zu recherchieren. Da ich chinesische Schreibschrift nicht wirklich gut lesen kann, schaffe ich es nur, den Namen Lu Xiu Fu zu entziffern und finde heraus, dass der lieber mit dem letzten Kaiser der Song Dynastie (960- 1279 n. Chr.) in den Tod gegangen ist, als sich dem Feind zu ergeben. Am Meeresufer in die Enge getrieben von den mongolischen Horden, sprach Lu Xiu Fu „Wir, der Kaiser und der Minister, werden von den Ausländern nicht gedemütigt werden“ und ging mit dem jungen Kaiser auf dem Rücken ins Meer, wo beide ertranken. Held.

Abends:

Obwohl es immer noch regnet, fahren Kerstin, Alessandra und ich in die Taikang Lu in der French Concession, da war ich noch nicht. Ein absolut lässiger Ort, sogar bei Regen, altes Shanghai mit jeder Menge kleinen, witzigen Geschäften, Galerien und Kneipen. Da es regnet, ist nicht viel los, aber trotzdem sehr hübsch. Intensive Hand- Augen Koordinationsübungen, Kerstin und ich erwerben gleich im ersten Laden ein paar sehr coole Anstecker und Postkarten. Ich finde noch ein Geschäft mit sehr witzigen T- Shirts und kaufe eines, außerdem eine sehr große Tasche mit lustiger Verballhornung sozialistischer Propaganda. Handgenäht, solide und von chinesischen Designern, das muss man unterstützen. Klasse, die wird mir in Zukunft zum Transport meiner Trainingsfummel oder Lernunterlagen dienen. Wahrscheinlich werde ich die auf dem Rückflug schon einsetzen müssen. Angesichts solcher Orte kann ich überhaupt nicht verstehen, warum alle Ausländer so wild auf gefälschte Produkte sind. Leute, was wollt ihr denn mit diesem hässlichen D&G und was weiß ich Zeug, wenn es hier doch soviel abgefahrene Sachen gibt! Ich würde das noch nicht mal kaufen, wenn ich mir die Originale leisten könnte.
Wir finden eine nette Kneipe in einem der alten Häuser, die Cocktails schmecken zwar Scheiße (als Batgirl trinke ich natürlich den „Dark Knight“), aber es gibt massig Erdnüsse, es ist saugemütlich und wir unterhalten uns prächtig. Mir schwirrt langsam der Kopf vom ständigen Umschalten von einer Sprache zur anderen.

Dienstag, Oktober 28, 2008

Warrior Woman #7

28.10.08, Dienstag

Vormittags:

Bei der morgendlichen Lektüre von Spiegel online falle ich bei Jamiris Comic vor Lachen fast vom Stuhl und habe ab sofort einen neuen Lieblingsanglizismus (siehe oben, den Rest gibt es
hier).
Das Wetter ist erstaunlich gut, klarer Himmel und die Sonne scheint. Ich bin sogar vor Xiao Lu im Park, der ist ganz überrascht. Auf der Nase hat er einen Kratzer, seine Katze hat ihm ein paar verpasst. Neulich hatte er schon versucht, dem Tier die Krallen zu stutzen (schlechte Idee). Resultat: Tiefe Kratzwunden am Arm. Geschieht ihm recht. Wir machen uns warm und üben dann die Einzelbewegungen sehr langsam und sorgfältig, fast schon Qi Gong. Sehr entspannend. Herr Si gesellt sich bald auch dazu. Den Meister sehe ich schon von weitem nahen, in die Lektüre einer Zeitung vertieft, irgendwie schafft er es, mit keinem zu kollidieren. Er hatte mir mal gesagt, er läse unwahrscheinlich gerne Zeitung, heute ist er von seiner Lektüre derartig gefesselt, dass er an unserem Trainingsgelände einfach vorbeiläuft und auf unsere Zurufe nicht reagiert. Er merkt erst auf, als er plötzlich mitten in einer Gruppe Tänzer steht. Typisch, man muss ihn einfach lieben.
Meister Wu kündigt an, am Freitag fiele das Training flach, anlässlich meines Geburtstages werde er für uns bei sich zu Hause kochen. Was für eine Ehre! Er hat erst sehr wenige seiner ausländischen Schüler zu sich nach Hause eingeladen, da er wohl in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt und sich seiner Behausung ein wenig schämt. Ich bin sehr gerührt und auch sehr gespannt.
Entspanntes Üben in der Herrenrunde, der junge Mann kommt später auch noch. Der Meister muss wieder früher weg und weist Xiao Lu an, mit uns weiter zu machen. Der fragt Herrn Si und mich, was wir denn heute für neue Lines gelernt hätten? Die können wir natürlich nicht reproduzieren, ohne dass uns die jemand vorhampelt, Xiao Lu verdreht die Augen und bringt uns Pfeifen erst mal auf Kurs. Der junge Mann ist sehr ambitioniert und stellt sehr schlaue Fragen, da kann man echt was von lernen. In diversen Ständen wird an uns herumgeschraubt und immer wieder Drucktestes gemacht, erstaunlich, wie ein paar Millimeter Abweichung in der Körperhaltung die ganze Struktur und Stabilität verändern. Ich werde an dem Unterarm, der gestern so böse malträtiert wurde gepackt und krümme mich vor Schmerz. Herr Si empfiehlt hilfreich ein paar Abhärtungsübungen und demonstriert, wie hübsch kräftig seine Unterarme geworden seien. Ja, werde ich beherzigen, aber aussehen wie Popeye möchte ich eher nicht.
Mittags nur ein paar Kekse und Kaffee, bin todmüde und falle eine Stunde lang auf dem Bett in totenähnlichen Schlaf.

Nachmittags:

Wiederholung der Lines von heute morgen, natürlich darf ich wieder filmen. Xiao Lu ist derartig begeistert von der Videofunktion meiner Kamera, dass er einen albernen Clip mit uns beiden schießt, wahrscheinlich werde ich zu Hause dicke Tränen in den Augen haben, wenn ich mir den ansehe und an die lustige Zeit hier zurückdenke. Einen coolen Fingertrick, mit dem hier Versprechen besiegelt werden, lerne ich auch noch, ist ja fast wie bei den Brüdern in der Bronx. Außerdem lerne ich Varianten der Übungstechniken. Im Park zeigen die hier nicht das volle Programm, damit die anderen einem nichts abschauen können. Zu Hause wird dann die knackige Variante geübt. Formkorrekturen, Elektroroller, Bus. Freitag holt er mich ab, um zu Meister Wu zu fahren, hoffentlich mit diesem Gefährt.

Abends:

Mit Kerstin gehe ich in das Restaurant, in dem Stefanie und ich an ihrem Abreisetag waren, aus welchen Gründen auch immer stehen die Auberginen nicht auf dem Programm, schade. Kerstin ist derartig phobisch, an irgendeinem Gericht könne auch nur der Hauch von tierischen Produkten sein, dass sie kaum etwas isst. Prima, da kann ich ja alle Chili- Kartoffelbällchen alleine aufessen. Sie ordert einen Nachtisch, der auf dem Bild nach Pudding aussah, sich aber als faulig schmeckende eingelegte Frucht entpuppt. Meine Güte, die Ärmste hat aber auch immer ein Pech mit dem Essen!

Montag, Oktober 27, 2008

Warrior Woman #6

27.10.08, Montag

Vormittags:

Ich wache früh auf, durch den Nebel dringt die Sonne. Internet funktioniert auch, Mainz hat leider nicht so gut gespielt wie Shenhua, immerhin unentschieden. Stefanie ist sicher angekommen, leider mit Umweg über Brüssel und dreistündiger Wartezeit dort, die Ärmste!
Bin schon um halb neun im Park, wo der fleißige Xiao Lu sich warm macht, Herr Si ist auch schon da. Nebenan wird zu den Klängen von Julio Iglesias flott geschwooft, Xiao Lu findet die Musik klasse. Wir verstehen uns ja ansonsten echt gut, aber bei diesem Thema werden wir uns wohl nie einig, fürchhte ich.
Auch der Meister kommt ziemlich früh, die Fummel werden erwähnt, wahrscheinlich kriegen wir so viele, dass wir bis an unser Lebensende keine mehr brauchen werden. Auch Oskar und der Australier (er heißt David) kommen etwas später dazu, ein netter Vormittag. David macht endlich mal Konversation, scheint ja doch nicht ganz unnett zu sein. Oskar, Xiao Lu und ich liefern uns Wettbewerbe, wer am längsten auf einem Bein stehen kann, ich gewinne. Die Wu- Stil Gang ist beeindruckt. Der Herr mit dem weißen Seidenanzug und der gewagten Perücke schaut wieder vorbei, auch ich kriege eine Kippe, als er mir Feuer gibt, bewundere ich seinen aufwändig geschnitzten dicken Jadering.
Auf dem Weg ins Hotel lade ich die Verkehrsmittelkarte auf und erledige Einkäufe, die vermeintlichen Kräcker entpuppen sich als süße kokosbestreute Kekse. Mist, schmeckt mit Scheibelettenkäse nicht wirklich geil. Zahncreme brauche ich auch, also erwerbe ich oben abgebildetes Produkt. Ich glaube, das Logo und der Produktname sind einer amerikanischen Marke „nachempfunden“, die Zeichen jedenfalls bedeuten „Schwarzer Mensch Zahnpasta“. So viel zum Thema Political Correctness in China.
Während ich meine Kekse knabbere und Kaffee trinke, chatte ich mit Xiao Lu, der erneut großes Interesse an Deutschland zeigt. Daher beschließe ich, ihm das Phrasenbuch und die Reiseführer schon heute Mittag zu schenken, wer weiß, vielleicht regnet es bald ja wieder und ich sehe ihn nicht mehr. Die Wettervorhersage jedenfalls verheißt nichts Gutes. Mist, ich habe doch nur noch so wenig Zeit!

Nachmittags:

Ich bin wieder sehr früh im Park und kann der alten Dame noch beim Üben zusehen, bei der ist das wirklich Kunst. Xiao Lu freut sich über die Reiseführer und kriegt erst mal die Teile über Mainz unter die Nase gehalten, ich zeige ihm auf der Karte, wo ich wohne. Wir unterhalten uns über Scheinehen und lästern über hässliche alte Westler, die sich junge Chinesinnen anlachen und von diesen ausgenutzt werden.
Zunächst wiederholen wir die Lines von heute Vormittag, dann zeigt er mir ein paar ganz fiese Tricks für den Freikampf, die Meister Wu wohl sonst niemandem beibringt und bricht mir dabei fast das rechte Handgelenk. Ich muss versprechen, diese Anwendungen für mich zu behalten, kein Problem, bin sowieso zu beschränkt, mir das zu merken. Außerdem pflege ich mich zu Hause eher selten zu prügeln. Eine Dame in flottem roten Fummel, dem sie mit einem Glitzergürtel zusätzlichen Pepp verliehen hat, baut sich neben uns auf und fragt interessiert, was wir denn da für einen Stil üben würden. Xiao Lu erklärt es ihr, dann schaltet die Dame ihren Ghettoblaster mit voller Lautstärke ein und beginnt, Mulan- Taiji zu üben, während anmutige Weisen aus der Brüllbox dröhnen. Bin echt kein Fan von Musikuntermalung während des Trainings.
Xiao Lu betont noch mal, dass er sich sonst von keinem außer mir filmen ließe und erzählt mir, wie eigentlich traditionell hier gelernt wird, nämlich sehr langsam und sorgfältig. Und man darf weder filmen noch mitschreiben. Ja, leicht gesagt, wenn man seinen Lehrer jeden Tag sieht, würde ich ja auch gerne machen, aber ich habe ja nur einen Monat hier und in Deutschland keinen Meister. Die Formen laufen wir in perfekter Harmonie zusammen, ich bin unendlich glücklich und entspannt. Weitere intensive Gespräche, kleine Deutschlektion (schließlich soll er auch was anderes als „Scheiße“ lernen), zum Bus mit dem Roller.

Abends:

Alessandra verhungert auch fast, wir speisen in dem rustikalen Restaurant mit dem Garnelenballett, wo man unsere Albernheiten von neulich hoffentlich vergessen hat. Die Wunderwaffe wird vorgeführt, Alessandra ist begeistert und beschließt, sich morgen auch so eine zuzulegen.

Sonntag, Oktober 26, 2008

Warrior Woman #5

26.10.08, Sonntag


Vormittags:

Wieder leichter Regen, ich nehme den Bus zum Park. Irgendwie hat meine neue Wunderwaffe es geschafft, den Meister anzurufen, als ich in meiner Tasche Gegenstände oben drauf gestopft habe, peinlich. Ich entdecke einen Sperrknopf. Herr Si ist schon da, der Meister trifft schließlich auch gut gelaunt ein. Gestern hat er wohl zu viele Wollhandkrabben gefressen, deswegen hat er kleine Magenprobleme, ist aber ansonsten gut drauf, ich entschuldige mich für mein kleines Mobilphonproblem. Chinesen haben manchmal etwas eigenwillige Vorstellung, was die körperliche Ertüchtigung im Freien bei feuchtem Wetter angeht, deswegen ist Xiao Lu wohl nicht da. Weichei.
Wir haben viel Spaß beim Üben, Herr Si ist überrascht, wie schnell ich die Line mit dem Armgewickel gelernt habe. Gut, ich hatte ja auch Nachhilfe. Nebenan unterrichtet ein alter Herr eine junge Frau und einen Herren im Yang- Stil. Meister Wu befindet die für „bu hao“ (nicht gut), das kann sogar ich sehen. Warum das so sei? Er meint, Taiji wäre Kunst, das, was die da machen, sei es nicht. Das Aroma (schwer zu übersetzen) stimme nicht, außerdem führten die bloß Bewegungen aus, ohne den Sinn zu kennen oder zu verstehen. Also Leute, lehrt und lernt die Anwendungen! Sonst ist es nur Gymnastik.
Die Form laufen wir unter besonderer Berücksichtigung der Gewichtsverlagerungen, auch sehr wichtig. Dong Bao Quan muss ich auch noch vormachen, der Meister korrigiert völlig andere Dinge als Xiao Lu und führt einige Bewegungen ganz anders aus. Kompliziert.
Da der feine Herr Lu nicht zum Training erschienen ist, weiß ich natürlich nicht, was jetzt Nachmittags angesagt ist. Ich möchte ja nicht, dass Xiao Lu wieder vergebens anreist. Meister Wu gibt mir die Mobilnummer von Xiao Lus Gattin (Xiao Lu selber hat keines), da anzurufen habe ich allerdings eher mäßig Bock, da die Shanghaier Schnallen für ihre Eifersucht bekannt sind. „Kein Problem“ sagt Meister Wu und hängt gleich noch eine Geschichte dran, dass Xiao Lus Frau ihrem Gatten schon mal den Umgang mit einer anderen Frau verboten habe, die er ganz nett fand und bei ihm (Meister Wu) Kontrollanrufe gemacht habe, ob ihr Gemahl auch wirklich im Training sei. (Jedenfalls ist das in den Grundzügen das, was ich verstanden habe). Jetzt habe ich natürlich noch weniger Bock, da anzurufen, schicke aber mit der Wunderwaffe eine SMS.
Zu Hause mache ich mir eine Nudelsuppe, Stefanie dürfte in diesen Minuten in Deutschland einschweben. Das Netz ist wahnsinnig lahm, wahrscheinlich ist halb China online. Der Meister ruft an und fragt nach, wie viele Fummel in welcher Farbe wir denn noch mal wollten, er sei gerade beim Stoffkauf. Dass er dabei ständig lautstark in den Hörer hustet, ist für das Verständnis nicht wirklich hilfreich. Ich brabbele irgendwas und sage ja, mal schauen, wie viele Fummel wir jetzt kriegen.
Xiao Lu geht online, heute Mittag Unterricht, sehr gut.

Nachmittags/ Abends:

Als wir uns aufwärmen, kommt ein wie ein Schnapsladen stinkender Typ in schäbiger Kleidung angetrabt und verwickelt Xiao Lu in ein Gespräch, leider auf Shanghainese. Nach ein paar Minuten Konversation verabschiedet er sich freundlich und zieht von dannen. Irgendein Penner, denke ich, Xiao Lu erklärt mir, der Typ sei ein sehr berühmter Dokumentarfilmer, der schon Filme über Wu Shu gedreht habe und selber auch ein nicht übler Kampfkünstler sei. Tja, so kann man sich täuschen. Vielleicht kam er ja gerade von einer wüsten Premierenfeier und hatte keine Zeit zum Duschen und Umziehen.
Heute hat sich mein großer Bruder was ganz Feines ausgedacht: Wir laufen alle Lines hintereinander, ohne abzusetzen. Im tiefen Stand ist das ganz schön anstrengend und da ich nicht damit gerechnet hatte, stehe ich natürlich besonders tief. Aua. Auch an den Formen wird ordentlich rumgeschraubt, mit Dong Bao Chuan bin ich nicht wirklich zufrieden, das lief schon mal besser. Trotzdem bringt Xiao Lu mit jetzt noch die Sprünge bei, die bei der langsamen Ausführung nur angetäuscht werden, cool. Ich bin immer noch nicht mit mir zufrieden, aber er tröstet mich und meint, ich sei ein wenig besser als Oskar, der das ja immerhin schon zwei Jahre macht. Er verstehe nicht, warum Oskar so von sich überzeugt sei, immer wieder mache er die selben Fehler. Na, sooo schlecht ist der ja auch wieder nicht, zu seiner Ehrenrettung schlage ich vor, dass ihm das vielleicht einfach mal jemand sagen solle? Das nütze nichts, sagt Xiao Lu, er höre einfach nicht. Na dann.
Das mit der Schnalle will ich natürlich auch etwas genauer wissen, schließlich habe ich keine Lust auf eifersüchtige Shanghaier Ehefrauen. Er lacht und sagt, er ließe sich von seiner Gattin nichts sagen. Ein Irrglaube, dem weltweit alle Ehemänner verfallen sind.
Heute wieder mit dem Elektroroller zum Bus, in der Fressgasse lasse ich Gerechtigkeit walten und bestelle zur Abwechslung mal ein Crepe. Die Mädels erkundigen sich ganz angelegentlich nach Stefanie und fragen, ob sie denn schon angekommen sei?
Von dem Crepe werde ich nicht satt und belege mir daher eine Scheibe labberigen Vollkorntoast dick mit Scheibelettenkäse, was anderes gibt es nicht. Das Internet geht nicht, sehr ärgerlich.
Das Hongkou Stadion ist hell erleuchtet, gerade wird die Nationalhymne gespielt. Shenhua kickt wohl gegen Guangzhou, diesmal kann ich die Blauen Teufel auch lauthals brüllen hören. Das erinnert mich daran, dass heute auch die Mainzer spielen, wünsche beiden Mannschaften Erfolg. Zumindestens das Shenhua- Spiel kann ich mir im Fernsehen anschauen.

Nachtrag:

Shenhua liegt zur Halbzeit 2:0 zurück, sichert sich aber nach furioser Aufholjagd einen 3:2 Sieg. Im Fernsehen läuft das ganze zeitversetzt, ich kann das Jubelgeheul aus dem Stadion schon hören, bevor die Tore im Fernsehen gezeigt werden. Die Fans grölen nach dem Abpfiff noch fröhliche Schlachtgesänge, erinnert mich irgendwie an Mainz. Hoffentlich haben die auch soviel Glück.

Samstag, Oktober 25, 2008

Shanghai Blues

25.10.08, Samstag

Vormittags:

Leichter Regen, eigentlich nicht der Rede wert. Ich bin ein wenig schwermütig, zum einen, weil Stefanie heute abreist, zum anderen, weil ich nächste Woche auch hier abrücken werde, was mir schmerzlich bewusst wird.
Im Park brennt die Luft, vor allem schwingen diverse Paare eine flotte Sohle. Rose hatte uns erzählt, dass diese Tanzkreise gerne zur Einfädelung außerehelicher Aktivitäten genutzt werden, wir fragen uns jetzt natürlich, was da wohl so abgeht, ohne das wir das ahnen. Stefanie entdeckt Anzeichen von außerirdischem Leben im Lotusteich des Parks.
Da außer uns nur Herr Si da ist, wird milde trainiert, der Meister will Stefanie vor dem anstrengenden Flug wohl auch schonen. Außerdem sollte man bei Regen sowieso nur sachte üben, deswegen ist Xiao Lu wahrscheinlich auch gar nicht erst gekommen. Herr Si fragt, ob wir denn nächstes Jahr wiederkämen, klar doch. Am Parkeingang verabschiedet er Stefanie mit einem fröhlichen „Dann bis nächstes Jahr!“. Der gute Mann!
Anschließend gehen wir beim Schneider vorbei, der Meister näht unsere Kleider also doch nicht selber. Stefanie wird vermessen und ordert auch einen weißen Sommer- und einen schwarzen Winterfummel. Dem Meister wird diskret der Umschlag mit dem Geld für die Unterrichtseinheiten ausgehändigt, Er wünscht Stefanie „Yi lu ping an“ (Gute Reise), grinst und knufft sie freundschaftlich an die Schulter. Das ist die wirklich maximalste Gefühlsregung, die ich beim Abschied bis jetzt von ihm gesehen habe, er muss uns wirklich mögen. Naja, wir sind ja auch jetzt das vierte Jahr in Folge hier und Meister Wu muss man einfach gerne haben.

Nachmittags/ Abends:

Wir ziehen uns um, schlendern durch den Lu Xun Park und suchen ein Restaurant, werden fündig und speisen hervorragend. So leckere Kartoffelbällchen mit ordentlich Chili und Knoblauch habe ich hier noch nie gegessen, auch die scharfen Auberginen sind phantastisch. Nach dem Essen bummeln wir durch die Gegend und stolpern über ein Kaufhaus mit Elektrogeräten. Mir war schon lange auf den Sender gegangen, dass bei meinem Mobilphon ständig der Akku leer ist und ich keine SMS auf chinesisch schreiben kann, an einem der Stände verliebe ich mich in ein schickes kleines Teil der Marke Samsang (ähem, nein, kein Tippfehler), dessen Vorzüge vom Verkäufer eilfertig vorgeführt werden. Voll die Wunderwaffe, kann Filme und Musik abdudeln, zwei SIM- Karten aufnehmen und außer Kaffe kochen fast alles, außerdem hat es einen Touch- Screen und spricht neben Chinesisch auch Englisch (Das lasse ich mir sofort als Sprache einstellen). Nach zähen Preisverhandlungen wechseln 700,- Yuan den Besitzer und das Phon gehört mir. Beschäftigungstherapie für heute Abend. Mittlerweile regnet es echt heftig und es ist unangenehm frisch, zu Hause hätte man sich mit einem Glas Rotwein in die heiße Badewanne gelegt. Wir entscheiden uns für die Fußmassage. Dann wird es auch langsam Zeit, ins Hotel zurückzukehren, wir trinken noch einen Kaffee und schließlich schleppen wir uns mit Stefanies Gepäck an die Bushaltestelle. Ich warte noch, bis der Bus abfährt und winke ihr nach, als ich trübsinnig durch den Regen nach Hause trotte, habe ich einen dicken Kloß im Hals. Zum einen bin ich traurig, dass Stefanie weg ist, wir hatten wie immer eine schöne Zeit. Zum anderen wird mir ganz mulmig bei dem Gedanken, dass ich nächste Woche auch diese Wahnsinnsstadt verlassen und ins trübe Deutschland zurückkehren muss. Hoffentlich kann ich wenigstens noch ordentlich trainieren, aber der Wetterbericht verheißt nichts Gutes. Vielleicht hat Xiao Lu ja Lust, am Stadion mit mir zu üben.
Im Gästehausshop versorge ich mich mit Bier und Kartoffelchips, um sieben Uhr abends kann man sich schon mal ein Bierchen gönnen, finde ich. Ich spiele noch eine Weile an meinem neuen Spielzeug herum, im Fernsehen läuft nur Mist, kein Mensch ist online. Ich fühle mich einsam.

Freitag, Oktober 24, 2008

Warrior Women #4

Erstmal vielen Dank an Herrn Oster für den Hinweis auf mein blog in seinem Newsletter (der unsere Mailboxen hier zunächst völlig lahm gelegt hat). Er vergaß leider zu erwähnen, dass Stefanie und ich die dritte beziehungsweise zweite Vorsitzenden unseres Vereins sind. Aber so kleine Formfehler sieht man ja gerne nach.
24.10.08, Freitag

Vormittags:

Strahlender Sonnenschein weckt mich um 6.00, ich muss mir mal angewöhnen, die Gardinen zuzuziehen. Aber irgendwie kann ich mich abends nie von dieser grandiosen Kulisse losreißen, der Ausblick ist einfach zu schön.
Ein Blick in die Online- Ausgabe von Shanghai Daily gibt die Erklärung für den Aufruhr neulich: Eine Gruppe Japaner (was sonst) hatte wohl in der Studentenkneipe Geburtstag gefeiert und danach noch in der 9. Etage des Gästehauses rumgelärmt. Fäuste und Plastikflaschen flogen, es gab gering Verletzte. Die Japaner provozierten weiter, das führte wohl zu Protesten der Chinesen. Merke: Niemals Chinesen provozieren, vor allem nicht als Japaner und schon garnicht im eigenen Land.
Gut gelaunt kommen wir im Park an. Nur wir beide, Xiao Lu und Herr Si sind da, der junge Mann kommt später auch noch. Xiao Lu hat gestern natürlich auf mich gewartet, das tut mir sehr leid und ich entschuldige mich ausgiebig. Der Meister hat neue Hosen für Stefanie angefertigt, diese passen perfekt. Xiao Lu erkundigt sich nach ihrer Schuhgröße, um ihr ebenfalls diese schönen Schlappen zu besorgen, wie nett.
Ich glaube, wir machen jede Einzelbewegung, die es in Tongbei- System gibt, dazu noch etliche Kombinationen. Der Meister demonstriert mit einer Kippe in der Faust „Fa Jin“ (Freisetzen der Kraft, für die Kampfsportunkundigen: Volles Rohr draufhauen), die Faust schnellt nach vorne und aus der Kippe fliegt die Hälfte des Tabaks. Respekt. Die Form laufen wir sehr langsam und sorgfältig. Die Typen, die Meister Wu eigentlich heute im Volkspark hätte treffen sollen rufen an und sagen ab, was zu einer verlängerten Unterrichtseinheit führt. Alle sind gut drauf, Stefanie und der Knabe werden durch den Park geschleudert während ich mit Xiao Lu Push Hands mache, natürlich ziehe ich ständig den kürzeren, aber wir haben viel Spaß.
Die drei Damen vom Fladenstand erkundigen sich, wann wir denn nach Hause zurückkehrten und sind ganz traurig, dass Stefanie morgen schon fährt.

Nachmittags:

Da ich mir angewöhnt habe, alle Lines, die ich so lerne, auf Video aufzunehmen und mir die korrekten chinesischen Bezeichnungen dazu aufschreiben zu lassen, bin ich natürlich in der Pflicht. (Mit Sachen wie „Schlag- von- oben- und- Pferd- hochziehen“ kann ich eher weniger anfangen). Wenn jetzt „Si Xing“ oder „Jiao“ angesagt werden, muss ich natürlich sofort schon die richtige Anfangsstellung einnehmen, sonst gibt es Gemaule vom großen Bruder. Immerhin geben meine Ärmel mittlerweile leise Flappgeräusche von sich, ein Zeichen, dass ich ansatzweise auch Fa Jin beherrsche. (Zur Erklärung: Die Ärmel unserer Jacken sind relativ lang, bei korrekter Ausführung eines Schlages sollten die ordentlich knallen. Ist ziemlich schwierig, vor allem muss man dabei sehr locker sein und im richtigen Moment den Impuls geben). An meinen Formen wird erstaunlich wenig rumgemeckert, Xiao Lu meint, jeden Tag würde man Fortschritte sehen. Wäre ja auch schlimm, wenn das nicht so wäre. Damit die Bodenaction bei Dong Bao Quan zu Hause auch richtig korrekt ausgeführt wird, muss ich mich wieder auf den dreckigen Boden schmeißen und werde in die richtige Position gebogen, in der ich gefühlte 10 Minuten verharren muss. Der Lerneffekt ist größer, wenn man sich mit jedem schmerzenden Muskel anfreundet. Zur Entspannung noch ein bisschen Push- Hand- Gerangel, der geile Elektroroller ist leider kaputt, deswegen geht es auf dem Gepäckträger des klapperigen Fahrrades zur Bushaltestelle. Auch nett.

Abends:


Wir suchen wieder das leicht rustikale Restaurant mit Shanghaier Hausmannskost auf und bestellen unsere Favoriten. Da das Stefanies letzter Abend ist, gönnt sie sich Garnelen, eigentlich wollte sie ja nur ein p
aar, das geht aber aus irgendwelchen Gründen nicht. Egal, die kosten sowieso nur umgerechnet 2,50 Euro pro Portion, lassen wir uns also überraschen. Die Wirtin macht uns diskret darauf aufmerksam, dass wir zu zweit gerade fünf Gerichte bestellt hätten, sei das nicht etwas viel? Quatsch, wir bleiben bei unserer Bestellung. Die ersten Speisen werden zügig aufgetischt, während im Hintergrund ein schmieriger Koch massenweise Garnelen aus dem Becken angelt. Vor allem die Auberginen werden hastig assimiliert, dann kommen die Garnelen in Ingwer, Chilli und Knoblauch, ein Riesen- Berg, da muss Stefanie jetzt durch. Tatsächlich schaffen wir das meiste des Essens, bedürfen jedoch noch eines Verdauungsgetränkes und ordern eine kleine Flasche Schnaps. Das Zeug ist etwas hart im Angriff, geht dann aber doch ganz gut runter. Zu unserer Überraschung entdecken wir eine ungelenke englische Beschreibung genau dieses Effektes auf dem Etikett der Flasche. Übermütig spielen wir mit den Essensresten, bestellen noch eine Flasche Schnaps und beobachten den Tanz einer in bessere Welten hinübergegangenen Garnele in einem der Aquarien, während an uns vorbei die Küchenabfälle nach draußen geschleppt werden. Interessant: Die Garnele wird von der Pumpe des Aquariums angesogen und dann ruckartig an die Wasseroberfläche gestoßen, um dann nach einigen Konvulsionen in anmutigen Trudelbewegungen wieder auf den Grund des Beckens zu sinken. Wir sind derartig fasziniert von diesem Totentanz, dass wir das ganze ausgiebig filmen. Die Chinesen halten uns wahrscheinlich für völlig übergeschnappt.

Donnerstag, Oktober 23, 2008

Scheiss- Tag #3

23.10.08, Donnerstag

Um 7.00 wirft mich ein Anruf Meister Wus aus dem Bett. „Xia yü le“ (es regnet) mit geschätzten 120 dB, ja, das kann ich sehen, danke. Ob wir im Volkspark trainieren wollten? Mein Hirn ist noch nicht im Chinesisch- Modus, ich biege das erst mal in Stefanies und meinem Interesse ab. Auch haben die gestrigen Exzesse ihren Tribut gefordert und den Renmin Gongyuan schätzen wir sowieso nicht besonders, weil man da sehr exponiert ist. Chinesisches Publikum ist ja in Ordnung, aber die blöden Touristen versuchen einen ständig in Gespräche zu verwickeln, glotzen und fotografieren, das mögen wir nicht sonderlich.
Was also mit dem angebrochenen Tag anfangen. Da dieses Jahr mal wieder Biennale ist, bietet sich ein Besuch im Kunstmuseum an. Massen von jungen Chinesen, sieht aus wie ein Klassenausflug. Am Eingang zur Ausstellung ein Riesen- Schild, auf dem ausdrücklich der Genuss von Nahrungsmitteln, das Fotografieren und das Berühren der Exponate sowie Rumlärmen untersagt wird. Natürlich hält sich kein Mensch daran, schließlich sind wir in China. Vor den Augen der Wachschergen wird fotografiert, angepackt und gegessen als gäbe es kein Morgen, alles völlig in Ordnung. Wie immer eine sehr interessante Ausstellung, mit Videoinstallationen kann ich in der Regel nicht sonderlich viel anfangen, aber
diese und diese rocken. (Auf die Schnelle habe ich nur diese beiden Links gefunden, vielleicht später mehr, die fand ich richtig klasse).
Nach der Ausstellung kleine Stärkung im Vegetarian Lifestyle, wie so oft ist unsere Gier bei der Bestellung größer als unser Magen. Macht nichts, alles wird tapfer verschlungen. In den Restaurants gibt es hier nach dem Begleichen der Rechnung immer Rubbellose, Stefanie und ich gewinnen 10 Yuan. Wenn man bedenkt, dass das ca. 10% dessen ist, was wir verfressen haben und alle unsere hier lebenden Bekannten bis jetzt maximal 1,50 Yuan gewonnen haben, ist dies ein echter Hauptgewinn.
Stefanie fährt zu ihrem Akupunkturtermin und da ich von Xiao Lu nichts gehört habe, gehe ich davon aus, das Nachmittags auch kein Training stattfindet. Schade.
Nickerchen im Gästehaus, wir brauchen unbedingt einen Stimmungsaufheller. Abendhappen mit Alessandra im Barbarossas, ein paar Cocktails später scheint die Welt schon wieder in Ordnung. Morgen regnet es hoffentlich nicht, Wettervorhersage sieht gut aus, auf ein Neues!

Mittwoch, Oktober 22, 2008

Wir können auch anders

22.10.08, Mittwoch

Vormittags:

Bin saumüde und hatte heimlich auf einen Regentag gehofft, um ausschlafen zu können, aber die Sonne scheint durch den Nebel und es ist schwül. Da die Luftfeuchte relativ hoch ist und es gestern geregnet hat, hüpfen überall im Park Kröten rum, man muss aufpassen, nicht auf eine draufzutreten.
Neben uns beiden sind noch Oskar und der merkwürdige Australier da, außerdem Herr Si und der nette Junge von gestern. Netterweise hat Oskar wieder seine Festplatte mitgebracht und diesmal
klappt das auch mit der Übertragung. Er ist ja schon ein netter Kerl, manchmal erzählt er halt etwas viel.
Da Meister Wu ein begeisterter Anhänger der Nachwuchsförderung ist, werden bei den Einzelbewegungen auch ordentlich Anwendungen geübt. Meist trifft es den Buben, der leise wimmert, wenn der Meister ihm den Arm verdreht. Wir lernen die Taiji- Bewegung „Hände im Wolkenfluss“ in einem völlig neuen Licht zu sehen, unglaublich, was für fiese Dinge man damit anstellen kann. Zu jeder Anwendung gibt es natürlich auch eine Geschichte, wer zu welcher Gelegenheit damit schachmatt gesetzt wurde, ich liebe das und könnte stundenlang zuhören. In Deutschland sollten Anwendungen einfach mehr geübt und vermittelt werden, sonst ist das nur dummes Armgewedel. Der Australier ist ziemlich schlecht, aber gut, wir haben ja alle mal klein angefangen. Allerdings sprüht er vor Selbstbewusstsein und nimmt sich die Korrekturen des Meisters nicht wirklich zu Herzen, im Gegenteil, er versucht noch Stefanie und mich zu verbessern. Bei Oskar lasse ich mir das ja noch gefallen, denn der weiß wenigstens, wovon er redet, auch wenn es in der Ausführung manchmal hapert. Angeberisch macht der Australier die „stehende Säule“ und wird vom Meister erst mal abgekanzelt, wir alle müssen uns so hinstellen. Meister Wu zeigt auf Stefanie und mich und sagt „hen hao“ (sehr gut). Geht runter wie Öl. (Danke an unsere Lehrerin Heike, die uns das beigebracht hat!). Alle dürfen mal an uns rumdrücken, um unsere tolle Struktur zu spüren, dann an dem Australier als Negativbeispiel. Das bekümmert den allerdings nicht wirklich.
Stefanie fährt weiter nach Pudong, um Wujie zu treffen, ich begebe mich zurück ins Gästehaus. Ich hatte kurz in Erwägung gezogen, mit Alessandra in das Galerieviertel zu fahren, entscheide mich aber dagegen und mache lieber ein Schönheitsschläfchen, um für heute abend fit zu sein. Ich hatte Xiao Lu gestern ganz angeberisch verkündet, ich sei so froh, mich endlich mal hübsch machen zu können, da muss ich jetzt auch was bringen.

Nachmittags/ Abends:

(Um etwaige Kommentare vorwegzunehmen: Nein, die Perücken waren nicht
am Start).
Paradefummel aus dem Schrank gezerrt, geduscht, Juwelen angelegt, Haare bearbeitet und dezent geschminkt: Ab geht es zur Hauptverkehrszeit mit der U- Bahn quer durch Shanghai, was das Gesamtergebnis natürlich etwas ruiniert. Immerhin Meister Wu und Xiao Lu haben uns in strahlender Schönheit und taufrisch erlebt. (Xiao Lu raunt mir auf dem Weg zur U- Bahn "piaoliang" zu, Charmeur). Auf Wujie müssen wir im Restaurant ein wenig warten, da er gleich nach der Arbeit kommt. Meister Wu verteilt zur Überbrückung der Wartezeit Mandarinen an alle und holt aus den Tiefen seines Rucksacks alle Kippen, die er hat, ich werfe meine auch in die Runde. Als Wujie eintrifft, grinsen wir beide uns an und umarmen uns innig. Vor Enthusiasmus haue ich ihm auf den Rücken, was mit einem „lihai“ kommentiert wird. (Eine meiner Lieblings- Universalvokabeln, kann sowohl „schrecklich, heftig“ als auch „abgefahren“ bedeuten). Als die Jungs Essen bestellen, ahnen wir, dass die uns einladen wollen, ordentlich was zu saufen gibt es auch. Stefanie wird wegen ihres Chinesisch und ihres Gongfu getadelt, jedes Jahr das selbe Programm. Wujie ist immer noch frech wie eh und je, wir hauen ordentlich rein, saufen und mit steigendem Alkoholpegel kann ich sogar Shanghainese verstehen. Liebe Erinnerungen an unser erstes gemeinsames Essen am 03. Oktober 2005 werden aufgefrischt, Meister Wu erinnert sich voller Rührung an Yürgen, Lilo und Elli, auch an deren Schwester, die ihm damals durch die Kontrollen am Frankfurter Flughafen geholfen hat. In Mainz hat es ihm immer sehr gut gefallen und er würde gerne wiederkommen, hoffentlich klappt das nächstes Jahr. Da Meister Wu sich mit brennender Kippe in der einen und dem Schnapsglas in der anderen Hand einen gesamten Schweinefuß in die Kauleiste fingert, anschließend die Kippe auf dem sauber ausgelutschten Knochen ausdrückt und einige Kämpfe demonstriert, gehe ich davon aus, dass er sich wohlfühlt. Wujie droht mir, mich nächstes Jahr einer Freundin vorzustellen, die Schnaps saufen könne wie ein Kerl. Lieber nicht, mit chinesischem Schnaps haben wir so unsere Erfahrungen. Stefanie tut so, als müsste sie auf sie Toilette und begleicht heimlich die Rechnung, wir freuen uns diebisch, die Jungs ausgetrickst zu haben.

Saulustiger Abend, herzliche Verabschiedung von Wujie, wir kriegen gerade noch die letzte U- Bahn, Meister Wu unterhält das gesamte Abteil. Als die Bahn voller wird, bin ich der Gegenstand seiner Aufmerksamkeit, kann aber ganz gut folgen. Die Jungs liefern uns am Gästehaus ab, wir tun so, als gingen wir brav ins Bett, nehnehmen jedoch noch einen Absacker in der Studentenkneipe und lassen den Abend Revue passieren.

Dienstag, Oktober 21, 2008

Heute mal Volle Lotte


21.10.08, Dienstag

Gestern Nacht gab es hier vor dem Gästehaus noch einen kleinen Aufruhr: So gegen 23:00 versammelten sich auf einmal etwa 100 bis 120 junge Leute, die zornige Parolen brüllten und kämpferische Lieder sangen. Die Menge schien sehr aufgebracht, der Grund war allerdings nicht ersichtlich. Gelegentlich war auch ein „Fuck off“ und „Fuck Japan“ zu hören. Irgendwann kam dann auch mal ein Bullenwagen, das Gebrüll ging aber mindestens noch eine halbe Stunde in voller Lautstärke weiter. Nachdem die Ordnungsorgane mittels Megaphon ein paar Ansagen gemacht hatten, entspannte sich allmählich die Situation und die Menge zerstreute sich. Was genau den Volkszorn hier so hochkochen ließ, weiß ich allerdings immer noch nicht.

Vormittags:

Der Meister muss wieder in den Volkspark und kommt deswegen etwas später, dafür ist Xiao Lu wieder da, was mich sehr erfreut. Meister Wu hat meinen weißen Fummel mitgebracht, wunderschön! In den vergangenen Tagen hatte er immer schon berichtet, was für Fortschritte die Anfertigung dieser Kleidung mache, so hat er den Stoff vorher extra eingeweicht, damit er beim Waschen nicht einläuft. In der Tat sind 14 Meter Stoff wohl um 30 cm eingegangen, beachtlich. Meine neue Jacke passt perfekt und hat sogar Taschen, auch die Anzahl der Knöpfe ist korrekt. Ich bin unglaublich stolz auf dieses von meinem Meister persönlich für mich angefertigte Kleidungsstück. Bei Stefanies Hosen allerdings hat er sich vertan: Er hatte nicht um ihre Hüften Maß genommen, daher sind die Hosen am Hintern ein wenig eng. Er hat das Maßband dabei, misst noch mal, brüllt die Maße laut durch die Gegend und lacht über seine Fehleinschätzung. Schönen Dank, jetzt weiß der gesamte Heping Park, dass Stefanie einen dicken Hintern hat. (Dafür hat sie aber eine sehr zierliche Tallie und ist ansonsten wohlgeformt, das wird nur leider nicht verkündet). Morgen gibt es neue Hosen.
Ständig schauen irgendwelche alte Bekannte des Meisters und Herrn Sis vorbei, die beiden machen ordentlich Zigarettenpausen und wir üben mit dem unerbittlichen Xiao Lu. Auch ein junger Mann stellt sich ein, wohl ein Schüler, der länger nicht mehr da war und wieder mitmachen möchte. Er zeigt uns eine Chen- Form, wir sind beeindruckt. Xiao Lu ermahnt ihn, lockerer zu werden, da hat er wohl recht, trotzdem ist der aber wahnsinnig gut. Der junge Knabe ist uns gegenüber ein wenig schüchtern, denn er spricht uns nie direkt an, sondern fragt Xiao Lu über uns aus, obwohl er mitbekommen hat, dass wir ein wenig Chinesisch können. Niedlich.
Mittags wieder ein Streifzug durch die Fressgasse, jetzt muss ich noch mal die bösen Teile der Form vor dem Nachmittagstraining wiederholen.

Nachmittags:

Es ist wahnsinnig schwül, die Sonne knallt, Stefanie begleitet mich in den Park, um Lanshou zu üben. Ich habe mich in der Pause nicht geschont und wie wahnsinnig an der Form gearbeitet. Wir sind schon früher da, als Xiao Lu kommt, bin ich schon umgezogen, aufgewärmt und tänzele unruhig auf und ab. Dann folgen eineinhalb Stunden knallhartes Training, ich schenke mir nichts. Stefanie geht nach einer Stunde, mir läuft der Schweiß aus allen Poren, scheißegal. Xiao Lu schreibt mir die ganzen Bezeichnungen der Lines auf chinesisch auf und lässt sich bereitwillig filmen, er sagt mir, das ließe er bei niemandem sonst zu. Der Fummel klebt mir am Körper, trotzdem wird immer wieder und wieder angefangen, bis es sitzt. Während ich keuchend und verschwitzt vor ihm stehe, betrachtet er mich wohlgefällig und meint, so müsse das sein, im Sommer wie im Winter. Zur Belohnung lädt er mich zum Essen ein, auf dem Rücksitz des Elektrorollers lerne ich mal ganz andere Seiten Shanghais kennen und erfahre nebenher, wo Meister Wu wohnt. Beim Essen quatschen wir intensiv, anschließend lädt er mich bei der nächsten U- Bahn Station ab.

Abends:

Da ich keine Zeit mehr zum Umziehen habe, starte ich in meinem verschwitzen Klamotten direkt zu Barbarossas durch. Ein besonderer Abend, denn wir treffen Alessandra wieder, mit der wir 2006 Sprachkurs gemacht haben und eine wahnsinnig gute Zeit hatten. Gespräche unter Mädels, es fängt zu regnen an und wir rennen zum Bus, Taxis bekommt man sowieso keine. Während ich durchnässt an den Haltegriffen hänge und diese Wahnsinnsstadt an mir vorbeiziehen sehe, habe ich nur einen einzigen Gedanken: Ich will hier nicht mehr weg. Und selbst jetzt, wo ich hier im 14. Stock sitze und der Regen an mein Fenster peitscht kann ich an nichts anderes denken.

Montag, Oktober 20, 2008

Heute mal lasch

20.10.08, Montag

Vormittags:

Über Shanghai donnern wieder Düsenflieger, voller Auflauf beim Morgentraining, nur Xiao Lu fehlt, der ist ja noch auf Familienbesuch. Dafür ist aber der merkwürdige Australier da, fällt aber nicht weiter auf. Der Meister ist wohl etwas kaputt, aber ansonsten gut gelaunt, da es sehr schwül ist und wir schwitzen wie die Schweine werden mehr Zigarettenpausen als üblich eingelegt. Oskar versucht, mir seine Videos auf den Rechner zu leiern, während wir üben, angesichts der üblichen Toberei bin ich etwas unentspannt, da ich mein Schmuckstück sehr ungern zu Bruch gehen sehen würde. Leider funktioniert das mit den Videos nicht, schade, Mittwoch versuchen wir es noch einmal. Stefanie wird zwecks Anfertigung von Pumphosen vermessen, sie möchte das Modell gerne in Schwarz, ist ja auch schicker und passt zu ihrer Perücke.
Meister Wu hat mit Wujie einen Termin zum Essen ausgemacht, Mittwoch Abend treffen wir uns am Parkeingang. Die genaue Uhrzeit wird von Stefanie in einem kontrollierten Dialog genau bestätigt, wahrscheinlich muss ich mal wieder in Trainingsklamotten auflaufen, sollte ich Nachmittags Training haben. Mist, dabei wollte ich hier doch endlich mal schick angezogen zu einem solchen Termin erscheinen, wird wohl wieder nichts.

Nachmittags:

Stefanie übt mit Wujie und geht anschließend zur Akupunktur, ich nutze den trainingsfreien Nachmittag zum rumgammeln, chatte mit Ali und fahre schließlich in die Stadt. Zunächst erledige ich meine Auftragsarbeiten, für die Amazonenkollegin wird im Hello- Kitty- Fanshop Gebamsel für das Mobilfon erworben, nach Udos CDs suche ich auch. Leider gibt es nur die, die er schon hat, tut mir leid. Fächer für Elli werden auch erstanden, nachdem ich den unverschämten Preisvorstellungen der Verkäuferin nicht nachgegeben habe.
Im Foreign Languages Bookstore schaue ich mir die Lehrbücher für Deutsch an, meine Güte, kein Wunder, dass die alle denken, unsere Sprache sei so schwer. Es wundert mich, dass das hier überhaupt jemand lernt beziehungsweise so gut spricht wie Kerstins Freunde Stefan oder Sarah. Aber ein kleines Phrasenbuch nehme ich mit, das schien mir ganz nützlich. In der Nähe soll es angeblich einen Laden für Pekingoper Ausstattung geben, entweder finde ich den nicht oder es gibt ihn schon nicht mehr. Kann hier schnell passieren. Schade, ich hätte gerne einen schmucken Kopfputz mit ordentlich Bommeln dran mein Eigen genannt.
Die nächste Aufgabe ist was für Fortgeschrittene: Da Xiao Lu mehrmals schon großes Interesse an Deutschland geäußert hatte und ich weiß, dass er mich unheimlich gerne einmal dort besuchen würde, möchte ich ihm einen vernünftigen Reiseführer schenken. Ich begebe mich also in die City of Books und werde glücklicherweise schon im Erdgeschoss fündig. Dann werden erst mal stundenlang die diversen Reiseführer gewälzt, natürlich suche ich einen, in dem mein Heimatland und meine geliebte Stadt möglichst optimal rüberkommen, gar nicht so einfach. Nach ausgiebigem Studium finde ich auch einen, in dem auf der Seite von Rheinland- Pfalz ein fröhlicher Winzer abgebildet ist, der dem Betrachter mit einem Glas Weißwein lächelnd zuprostet. Die zu Mainz gemachten Aussagen kann ich bei meinem chinesischen Sprachwissen zumindestens grob verifizieren, das Buch wird käuflich erworben. (Es gab auch noch eines namens „Kulturschock Deutschland“, das wollte ich ihm jetzt nicht gerade antun). An der Kasse zücke ich ganz lässig die Kundenkarte, die unser Lehrer Yabo uns freundlicherweise geliehen hatte und komme mir mächtig cool vor, als ich auf meine Einkäufe auch noch Rabatt bekomme.

Abends:

Wir laden Rose zum Essen ein und leiern unser ambitioniertes Projekt „Nächstes- Jahr- Meister- und- vielleicht- Xiao Lu- nach- Europa- bringen“ an. Klar ist es zu früh, um konkrete Pläne zu schmieden, aber ein Anfang muss ja mal gemacht werden. Rose ist immer eine sehr interessante Informationsquelle bezüglich der Verhältnisse hier, auch diesen Abend hat sie wieder viel zu erzählen.
Heute spielen wohl die Mainzer, live verfolgen können werde ich das nicht, zu spät. Hoffentlich ist wenigstens morgen früh das Netz schnell genug, dass ich das Ergebnis kriege. Werde auf jeden Fall die Daumen drücken.
Ab Mittwoch ist hier Regen und Temperaturabfall angesagt, Mist, dann fällt Training aus, das wäre sehr ärgerlich. Aber verlässlichen Quellen zufolge soll das Wetter zu Hause ja auch nicht besser sein. Vielleicht komme ich dann aber endlich mal dazu, mein restliches Kulturprogramm hier abzuarbeiten.

Sonntag, Oktober 19, 2008

Shanghai Triathlon

19.10.08, Sonntag

Wir dürfen ausschlafen, also erst um 8.00 aufstehen und langsam fertig machen. Um 9.30 brechen wir in die Stadt auf, Kerstin ist noch mit ihrer morgendlichen Einpflegung beschäftigt und begleitet uns nicht.
Zunächst mal steht ganz seriös Kultur auf dem Programm, wir besuchen das MOCA. Dieses Museum ist klein, aber fein, man ist so in gut eineinhalb Stunden durch und die
Ausstellungen sind immer sehr interessant. Man hat hier ein sogenanntes Art- Lab zum Austausch zwischen den Künstlern eingerichtet, coole Ausstattung, bestimmt geil zum Partymachen. Den Namen des Architekturbüros notiere ich mir gleich mal, man weiß ja nie. Stefanie hat einen Bus ausfindig gemacht, der uns zum Yu- Garden bringt, das Ding ist natürlich rappelvoll und wir wie immer die einzigen Ausländer. Hier werden die Karten noch von Hand kontrolliert, die Schaffnerin geht mir bis zur Brust, schlängelt sich geschickt durch die Menge, fragt, wo wir hinwollen und behält uns im Auge. Am Yu- Garden brüllt der gesamte Bus, dies sei jetzt unsere Station und man macht uns beim Aussteigen hilfreich Platz.
In einer Seitengasse stellen wir fest, dass das Phänomen der 1,- Euro Läden nicht nur auf deutsche Fußgängerzonen beschränkt ist, das gibt es hier auch, nur kostet hier alles 2 Yuan (umgerechnet etwa 20 Cent). Natürlich tapp
en wir in die Falle. Den Perückenladen in einem schäbigen Kaufhaus, das außer uns wahrscheinlich auch noch nie ein Westler betreten hat, finden wir auch zügig und haben Spaß am ausgiebigen Ausprobieren der verschiedenen Modelle. Die Ladenbesitzer speisen gerade zu Mittag, ein Herr lässt sich gerade ein Toupet anpassen. Ich schwanke stark zwischen den Modellen „Bordsteinschwalbe“ und „Pamela“, da ich aber nicht über Frau Andersons Silikonvorbau verfüge, entscheide ich mich für die lange blonde Nuttenperücke. Stefanie erwirbt ein üppig gelocktes schwarzes Exemplar (Modell „Lucy“), eine rothaarige hatte sie ja schon bei ihrem ersten Besuch hier gekauft.
Befriedigt über unsere Einkäufe kehren wir mit dem Bus zum Volkspark zurück und stärken und bei Starbucks. Danach mit einem anderen Bus in die French Concession, mein Lieblings- DVD Laden existiert zum Glück noch und auch hier werden intensive Hand- Augen Koordinationsübungen betrieben. Batman auf chinesisch mit englischen und spanischen Untertiteln, originell, für ca. 80 Cent nimmt man das halt mit, ebenso das neuste und einige ältere Werke des heiligen Stephen. Auf dem Weg zu unserer anderen favorisierten Tränke hier, Sashas, (dort gibt es die mit
Abstand beste Pizza Shanghais, original aus dem Steinofen) stolpern wir in einer Fußgängerzone über etliche Promotionsstände mit französischen Produkten, eine willkommene Gelegenheit, kostenlose Käse- und Weinproben abzugreifen. Bei uns gibt es zwar in jedem Supermarkt besseres Zeug, aber in China ist einem so was schon sehr angenehm. Sashas ist immer noch klasse, Mitte Oktober in einem hübschen Garten zu sitzen und leckere Dinge zu konsumieren hat definitiv was. Und selbstverständlich haben wir es mal wieder zur Happy Hour geschafft, die hier leider nur bis 19.00 geht. Den letzen Bus verpassen wir, da wir leider auf dem Fahrplan falsch nachgeschaut hatten (er fuhr schon um 21.15), erwischen ausgerechnet ein rotes Taxi, aber nach einiger Nachhilfe durch Benennung der nächsten größeren Straße bringt uns der Fahrer zielsicher und vor allem schweigend nach Hause.

Samstag, Oktober 18, 2008

Warrior Women #3

18.10.08, Samstag

Vormittags:

Vielleicht hätten wir uns gestern im Barbarossas mit ein paar weniger Getränke
n bescheiden sollen, jedenfalls sind wir ganz schön unfit, als wir im Park ankommen. Mein Auge sieht zwar nicht mehr ganz so schlimm aus wie gestern, trotzdem kein schöner Anblick. Nur Stefanie, Rose und ich sind da, wenigstens werden wir nicht verdroschen, aber trotzdem ordentlich rangenommen. Kerstin haben wir mitgenommen, damit sie mal sieht, wie hier Kampfkünste geübt werden und sie schaut auch ganz sachverständig zu. Außerdem fotografiert sie unser Publikum, dazu kam ich bis jetzt noch nie. Mit Genugtuung bemerke ich, wie die Wu- Stil Schnallen unsere Einzelbewegungen mitmachen, die sind wohl auf den Geschmack gekommen, nachdem sie gesehen haben, wie kernig wir draufhauen können. Wir versuchen, dem Meister zu vermitteln, dass wir ihn, Wujie und Xiao Lu gerne zum Essen einladen würden, das werden die Jungs unter sich klären und uns dann Bescheid sagen, wenn es klappt. Und ich kriege von Meister Wu noch eine Runde Nachhilfe in Push Hands, die Tricks, die Xiao Lu mir beigebracht hat, wende ich aber lieber nicht an, das hätte beim besten Tui Shou Meister Shanghais sowieso keinen Sinn und ich habe keine Lust auf Haue. Wir erklären, dass wir morgen nicht zu erscheinen gedenken, das scheint dem Meister auch ganz recht zu sein, da kann er heute abend mit seinen Kumpeln mal ordentlich saufen gehen.
Am Parkeingang wird frisch gepresster Zuckerrohrsaft verkauft, von dem wir uns einen Becher gönnen, das Zeug schmeckt überraschend gut. Die Verkäuferin deutet zielsicher auf mein Auge und sagt, der Saft sei sehr gut bei solchen Beschwerden.
Uns fallen die vielen blumengeschmückten Karossen auf, die durch die Gegend fahren, heute scheint ein guter Tag zum Heiraten zu sein. Schließlich ist ja auch eine Acht im Datum.

Nachmittags/ Abends:

Um das Wochenende einzuläuten, speisen wir ausgiebig im Vegeta
rian Lifestyle. Kerstin trifft sich mit Freunden, Stefanie und ich fahren nach Pudong, um das World Financial Center zu besichtigen. Da hier mal wieder kräftig gebaut wird, müssen wir ordentlich Umwege laufen und kommen durch einen Park, in dem sich Hunderte von Brautpaaren fotografieren und filmen lassen. Da fällt es auch nicht weiter auf, wenn wir die völlig unverfroren ebenfalls fotografieren. Entzückend.
Am Wolkenkratzer steht eine riesige Schlange, geschätzte Wartezeit drei Stunden, da haben wir denn doch keinen Bock drauf. Statt dessen shoppen wir uns lieber durch die Fuzhou Lu, wo ich eine pinkfarbene Schutzhülle für meinen Rechner (Nein, Ali, du musst die nicht nehmen) und Stefanie ihre geliebten Schreibblöcke erstehen. Für das Museum of Contemporary Art (MOCA) und den Perückenladen ist es schon zu spät, dafür kommen wir aber gerade rechtzeitig zur Happy Hour im Barbarossas an. Samstags ist im Volkspark immer
Heiratsmarkt, an jedem Baum hängen Zettel mit den Daten und schamlos übertriebenen Lobpreisungen der Fähigkeiten und der finanziellen Situation der potentiellen Ehepartner: Stefanie und ich lesen ein paar durch, sofort kommen die Makler angeschossen und fragen uns, ob wir Interesse hätten. Ach nee, auf einen 43jährigen 1,74 m Troll haben wir dann doch nicht so Lust, auch wenn er studiert hat und eine Wohnung und ein Auto besitzt.
Eigentlich wollen wir uns ja nach der Rennerei noch eine Fußmassage angedeihen lassen, aber im Salon ist Hochbetrieb und warten wollen wir nicht. Auf dem Nachtmarkt wird das Kleingeld nach kräftigem Handeln in Kühlschrankmagneten und geschmacklose Mobilfonanhänger umgesetzt (kann mich kaum zwischen der Speckschwarte und der Garnele entscheiden, die Wurst rockt auch), dann ist Schlafenszeit. Kein Training morgen, endlich ausschlafen, was für eine Wonne.