Sonntag, Oktober 12, 2008

Scheiss- Tag #2

12.10.2008, Sonntag

Vormittags:

Sonnenschein, klares Wetter, ich wache hundemüde auf, weil ich die Nacht nicht schlafen konnte. Erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass unsere Nationalmannschaft die Russen 1:0 bei der WM- Qualifikation besiegt hat, um Kevin Kuranyi gab es wohl einen kleine Eklat.
Wenn im Aufzug nicht jeden Tag ein neuer Teppich mit dem aktuellen Wochentag läge, wüsste ich manchmal gar nicht, was für ein Tag ist, so gleichförmig ist mein Ablauf hier. Da an der SISU auch ziemlich viele Japaner studieren, kommt man sich hier manchmal vor wie in einem Wirklichkeit gewordenen Manga. Voller Stolz lege ich einen meiner neuen Joppen an, der die Pumphosen auch gleich ein paar Etagen schicker macht und trabe in den Park. Es sind nur der Meister und Xiao Lu da, Herr Si hat sich am heutigen Sonntag mal eine Auszeit gegönnt, der gute Mann. Morgen kommt wohl noch ein amerikanischer Student, der auch ziemlich gut Chinesisch kann, prima, hoffentlich nicht noch so ein Schwätzer wie Oskar. Auch die Wu- Stil Gang hat sich heute frei genommen, nebenan singt ein Chor. Keine besonderen Vorkommnisse oder kuriose Gestalten, ich muss überraschend Dong Bao Fist vorturnen, bin ziemlich nervös und kriege eine Einzelstunde bei Meister Wu, unbezahlbar.
Zurück im Gästehaus wird eine Nudelsuppe aufgebrüht, langsam könnte ich mal wieder eine Pizza oder so was essen. Muss mich dringend hinlegen, um heute Mittag fit zu sein.

Nachmittags:

Ich fahre
schon etwas früher in den Park, um wie der Rest Shanghais ein wenig zu lustwandeln. Auf unserem Trainingsgelände übt eine würdige alte Dame die Yang- Form. Zwei Mädels fotografieren sich gegenseitig im anmutigen Posen vor der Mauer, Xiao Lu kommt dazu und kommentiert zu den beiden, das sei sehr hübsch, die Mädels kichern verschämt.
Als die beiden weg sind und wir uns umgezogen haben, geht voll das Gewitter auf mich nieder: Was ich denn da heute morgen für eine Scheiße abgeliefert hätte? Das könne ich doch viel besser, habe er mir nicht schon etliche Male gesagt, an der und der Stelle ginge das so und so und dergleichen? So schlimm fand ich mich jetzt gar nicht, klar wusste ich, dass ich das besser kann und das habe ich dem Meister auch gesagt und mich entschuldigt. Ein schlimmer Verdacht überkommt mich: Könnte der Meister jetzt etwa denken, Xiao Lu würde nicht anständig unterrichten? Natürlich ist das so, wenn der Schüler was vermasselt, fällt das immer auf den Lehrer zurück. Ich merke, wie meine Unterlippe mal wieder anfängt, verdächtig zu zittern. Der Gedanke, dass durch mein Verschulden mein geliebter großer Bruder jetzt vielleicht Ärger bekommt, ist mir dermaßen unerträglich, dass ich vor Kummer außer mir bin. Ich schaffe es gerade so, die Form zweimal anständig durchzulaufen, dann breche ich in Tränen aus. Ich entschuldige mich nochmals bei Xiao Lu und sage, ich werde sofort heute Abend dem Meister eine Mail schreiben und ihm erklären, dass das nicht seine, sondern ganz und gar meine Schuld sei und er ein ganz toller Lehrer, ich nur leider zu beschränkt, um das alles umzusetzen. Er sagt, ich solle das mal besser nicht tun. Obwohl ich mich immer noch nicht richtig im Griff habe, kriege ich die Form noch dreimal hintereinander richtig gut hin und werde gelobt. Unglücklich entgegne ich, der Meister habe das aber leider nicht gesehen, Xiao Lu sagt, dafür habe er es aber gesehen und ich wisse ja jetzt auch, dass ich es könne. Wir wiederholen Lines, um ihn glücklich zu machen, laufe ich die auch extra ganz tief und er ist zufrieden. Er meint, keiner der Kerle würde derartig tief stehen, die wären alle zu bequem dafür. Und wenn ich vor Schmerzen fast umkippen sollte: Von jetzt an werde ich jede Line laufen, so tief ich nur kann, wenn das meinen großen Bruder glücklich macht!

Abends:

Als wir gerade mit dem Training fertig sind, ruft Kerstin an und sagt, sie sei gerade auf dem Weg aus der Stadt, was denn anläge? Ich brauche unbedingt Kalorien, Tütensuppe, Crepes, Kaffee und ordentlich Kippen sind bei meinem Sportprogramm vielleicht nicht so ganz die kluge Diät. Wir tre
ffen uns bei Pizza Hut am Stadion, ich vertilge fast ein ganzes Wagenrad Käsepizza, die restlichen beiden Stücke lasse ich mir einpacken, das wird morgen mein Mittagessen. In diesen Minuten dürfte Stefanies Flieger hierher starten, hoffe, sie kommt heil an. Das mit der Mail lasse ich bleiben, da werde ich Taten sprechen lassen. Muss dringend schlafen.

1 Kommentar:

jb hat gesagt…

Er...eigentlich 2:1.
Und KK war nicht der Einziger, der eklatmässig tätig war.