Um 6:30 giesst es in Shanghai in Strömen und endlich wird es kühler und die Luft frischer. Wir treffen Lily an der Metro und fahren zu einem riesigen Busbahnhof unter einer monströsen Brücke, wo man uns zügig in einen Bus verfrachtet und erstmal 11/2 Stunden aus der Stadt ans Meer karrt, wo schon ein wenig vertrauenserweckendes Boot auf uns wartet. Kaum dass wir unsere Sitzplätze eingenommen haben, läuft im Bordkino ein Video mit einer glatzköpfigen Nonne, die fromme Weisen anstimmt, während sie über ätherische Landschaften schwebt. Wir wären nicht in China, wenn nicht innerhalb von 20 Minuten noch vor dem Ablegen das ganze Schiff nach Essen riechen und Abfälle über den Boden verteilt wären. Lily bekommt eine Tablette gegen Seekrankheit und los geht es. Schon kurz nach dem Ablegen fangen die Ersten an, sich diskret zu übergeben, während die glatzköpfige Nonne immer noch singt. Dann folgt ein bizarrer Film mit deftigen Sex- Szenen, den ich jedoch verschlafe. (Mein Gott, ich werde assimiliert!) Nach einer sonst sehr ruhigen Fahrt kracht kurz vor Putuo Shan das Boot über exakt drei Brecher, was mit Aaaahh und Ooooh quittiert wird, danach übergeben sich ca. 70% aller Mitreisenden in die vor dem Ablegen grosszügig ausgehändigten Plastiktüten.
In Putuo Shan angekommen sammelt uns ein recht hübscher junger Mann ein, der von Lily heftig bebalzt wird und man karrt uns zu dem ersten Tempel, wo wir unsere restliche Reisegruppe treffen. Die gucken natürlich nicht schlecht, als auf einmal drei blonde Schnallen auftauchen und den Worten des Reiseführers ergriffen lauschen (Listening Comprehension) , obwohl wir natürlich kaum was verstehen. Stefanie und ich erstehen als erstes jede einer dieser orangenen Pilgertaschen, die man sich in jedem Tempel gegen eine geringe Spende abstempeln lassen kann, schließlich müssen wir ja beweisen, dass wir unser lange gehegtes Projekt endlich in die Tat umgesetzt haben. Wir besichtigen den sehr schönen Fayu Si, lassen unsere Taschen bestempeln und treffen uns mit der Gruppe. Eine mürrisch dreinblickende Dame hat eine Tasche mit der deutschen Flagge drauf, aber ich traue mich nicht, sie darauf anzusprechen. Dann steht der nächste Tempel auf dem Programm: Ob wir dahin laufen wollten (ca. 2 Stunden), mit der Seilbahn fahren oder einen Bus chartern wollten? Wir wollen eigentlich laufen, aber das dauert angeblich zu lange und für die Seilbahn ist es angeblich auch schon zu spät, also müssen wir mit dem Bus fahren, wofür man uns pro Nase 50 Yuan (ca. 5,00 €) abknöpft. Ich hatte erst 15 verstanden, was mir angemessen schien, als wir dann zahlen müssen und ich realisiere, dass das ein Betrag ist, für den ich quer durch Shanghai mit dem Taxi gondeln könnte, werde ich dann doch etwas ungehalten. Während unsere chinesischen Mitreisenden anstandslos bezahlen, keife ich den hübschen jungen Mann an und schenke ihm beim Einstieg in den Bus einen Blick, der besagt, dass ich ihm am liebsten die Eingeweide herausreissen würde. Der zweite Tempel ist dann auch vor allem wegen der Pilger interessant, die spezielle Gewänder tragen und sich alle drei Schritte niederwerfen. Was mich etwas erschüttert, sind die grossen „Nicht Rauchen“ Schilder in den heiligen Bezirken. Ich selber käme nie auf die Idee, mir im Mainzer Dom eine Kippe anzustecken. Was mich noch mehr erschüttert ist die Tatsache, dass die Schilder von der einheimischen Bevölkerung weitgehend ignoriert werden.
Lily bringt uns bei, wie man angemessen betet und so finden wir uns plötzlich mit unseren hübschen orangenen Taschen vor Guanyin knieend und Wünsche äußernd wieder.
Auf der Fahrt ins Hotel preist ein Mitreisender Stefanies Schönheit und fragt, aus welchem Land wir denn kämen. Er findet, sie sähe aus wie ein Filmstar. Lily weist diskret darauf hin, dass wir Chinesisch lernen würden und ein wenig verständen, was ihn aber nicht davon abhält, trotz seiner neben ihm sitzenden, makellos zurechtgemachter Gattin Lily schamlos weiter über uns auszufragen.
Das Hotel entpuppt sich als miese Absteige, aber das kennen wir ja schon von unserer letzten Rundreise aus Wudang Shan. Im Park hinter dem Hotel sind liebevoll gepflegte Panzer und Flakgeschütze montiert, was dem Ganzen eine pikante Note verleiht. Etwas unangenehm ist die Tatsache, dass es keine Handtücher oder ähnliches gibt, nach einigem Gekeife händigt man uns taschentuchgrosse verschossene Lappen aus. Nachdem wir uns etwas aufgehübscht haben, gehen wir erstmal in eines der zahlreichen Seafood- Lokale essen (weiteres Gekreische über die Anzahl und den Preis der Speisen sowie über den Sitzplatz), werden Zeuge einer munteren Schnaps saufenden Herrenrunde, dürfen uns anschliesend über einem mit Fischeingeweiden bedeckten Waschbecken die Hände säubern, nachdem ich für Stefanie Krustentiere nackig gemacht habe, weil sie sich vor denen zu sehr geekelt hat. Lily hingegen steckt das ganze Vieh in ihren Mund, gibt einige saugende und schlürfende Geräusche von sich, um anschließend die Schale säuberlich auf den Tisch zu rotzen. Gott, manchmal wünsche ich mir, kein Vegetarier zu sein.
Lily geht ab wie eine Rakete und zerrt uns zum nahegelegenen Strand, wo wir stundenlang abwechselnd Karaoke- Darbietungen oder Polonaisen von betrunkenen Chinesen über uns ergehen lassen. Wow, ich bin erstaunt über die wirklich sehr unterschiedlichen Konzepte von Freizeitvergnügen in Westen und im Osten. Zwischen Lilys Karaoke- Darbietungen führen wir noch ein paar Gespräche unter Mädels über Typen und erfahren ein paar sehr interressante Dinge. Sie schafft es auch, sämtliche am Strand aufschlagenden Ausländer an unseren Tisch zu locken, wie sich herausstellt, alles Deutsche, am Ende hat sich Lily jedem als Chinesisch- Lehrerin angeboten, jede Menge Visitenkarten ausgeteilt und eingesackt und das alles ohne einen einzigen Tropfen Alkohol. Und irgendwie scheinen ihre Hautunreinheiten schon viel besser geworden zu sein. Vielleicht der Einfluss der Göttin?
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