Mittwoch, Oktober 26, 2011

德国 – Deutschland


- Sieder versteckt sich erst mal unter dem Bett, um von dort aus vorsichtig sein neues Revier zu erkunden. Er lernt Teppiche zu schätzen und wählt ziemlich schnell seinen Lieblingsplatz, korrekterweise auf einem Deutschland- Kissen. Erweiterung seines Reviers um das Doppelte und der neue männliche Dosenöffner sind auch ganz nett. Dass bei uns zu Hause ständig was los ist, findet er auch klasse und verwickelt die uns besuchenden Zweibeiner gerne in ausgiebige Gespräche. Dass er nicht auf den Balkon darf, findet er allerdings mäßig geil. Anfängliche Schwierigkeiten mit der Fütterung , aber dafür jede Menge interessantes neues Spielzeug. Und zum Glück ist ja noch das Weibchen da, an das man sich bei Bedarf kuscheln kann.

- Hochzeit meines Lieblingscousins in Berlin, freue mich, dass ich meine Familie wiedersehe und auf einer Hochzeit tanzen kann. Die letzten paar Jahre waren ja für Familientreffen eher unerfreuliche Anlässe. Wetter ist bombig. Deutschland rockt.

- Wir besuchen das Bauhaus in Dessau. Bin aufgeregt, schließlich ist das hier die Wiege der zeitgenössischen Architektur und des modernen Designs. Wir bummeln andächtig durch die Gebäude und ich versuche mir vorzustellen, wie das hier in den 30er Jahren brummte und ambitionierte junge Leute die Flure bevölkerten, die das Glück hatten, von Lehrern wie Mies van der Rohe oder Walter Gropius unterrichtet zu werden. Beeindruckend.

- Abhängen mit Freunden, Samstags laufe ich auf dem Markt zufällig Herrn Burland, der mit der in Mainz gestrandeten, ebenfalls bloggenden Australierin Helen einen Kaffee genießt an der Blechdose auf Rädern in die Arme. Mainz ist ein Dorf.

- Interessantes Erlebnis: Ich nehme zum ersten Mal in meinem Leben an der Sitzung einer Bürgerinitiative teil. Interessiert mich als Professionelle. Auf der Ludwigsstrasse will ein messfremder Investor durch Um- und Ausbau ein Mega- Einkaufszentrum etablieren. Mache mich kundig und studiere die Pläne. Zu diesem Thema gab es schon mehrere Wettbewerbe, an denen ich für verschiedene Büros beteiligt war. Denke, dass der Investor keine Ahnung hat und der Entwurf eine städtebauliche Katastrophe ist. Diese Meinung scheinen viele Mainzer zu teilen, allerdings entweder aus handfesten wirtschaftlichen (isch bin en ordentlischer Einzelhandelkaufmann der vierten Generation und sehe misch gefährdet) oder eher diffusen (unser Meenz werd verschandelt) Gründen. Auf jeden Fall aufschlussreich. Nach allem, was ich so höre und sehe denke ich, dass Mainz und Shanghai gar nicht so unterschiedlich sind.

- Verfolge im Netz die Eingänge auf mein chinesisches Konto. Als ich sehe, dass ich meinen Lohn für August anstandsgemäß erhalten habe, kündige ich formvollendet per mail. Natürlich habe ich schon einen neuen Job. Keine Reaktion von meinem Boss, aber die chinesischen Kollegen sind anscheinend echt traurig. Mein deutscher Kollege war natürlich eingeweiht. Ist eigentlich nicht mein Stil, so linke Nummern zu schieben, aber da bis jetzt fast alle Leute von denen unfair behandelt wurden mache ich das jetzt halt auch so. Den Septemer habe ich sowieso komplett abgeschrieben.

- Sieder und Ali kommen gut miteinander aus, bin beruhigt. Und obwohl ich Mainz über alles liebe und meine Leute schrecklich vermissen werde, habe ich Heimweh nach dem dreckverpesteten Shanghai mit seinem chaotischem Verkehr, seinen verpeilten aber liebenswerten Einwohnern und seinen Wolkenkratzern. Und bald kommt ja auch Lilo und Weihnachten hoffentlich Ali. Bis denne, Deutschland.

Freitag, Oktober 14, 2011

麦克四大第二 – Mike Sieder #2

Zwei Tage vor Abflug hole ich in der Tierklinik die Transportpapiere ab. Alles in Ordnung, das Vieh darf das Land verlassen. Zum Glück muss ich nicht noch einmal mit der Katze vorstellig werden, das hätten meine Nerven nicht mitgemacht. Von der Tierklinik mit Papieren zu China Eastern, wo ich denn endlich auch die letzten Formulare bekomme und jetzt auch wirklich ganz sicher ist, dass Sieder befördert wird.

Überraschungsbesuch von Xiao Lu, der sich von mir verabschieden will. Erklärung für seine lange Abwesenheit: Vor ein paar Wochen hat er sich mit seinem Elektroroller auf die Fresse gelegt und sich dabei den rechten Unterarm und einige Knochen seiner Hand gebrochen. Außerdem noch Stress in der weitläufigen Familie. Unterarm gedrahtet und dick geschwollen, der arme Kerl bietet ein Bild des Jammers. Sieht fast so aus, als ob er geschrumpft wäre, abgenommen hat er auf jeden Fall. Und Training ist jetzt auch erst mal längere Zeit nicht, von Parktraining mal ganz abgesehen. Er ist sehr frustriert, versuche, ihn mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen aufzuheitern, so gut ich kann. Sieder und ich jedenfalls werden mit einem Küsschen verabschiedet und mit den besten Wünschen auf die lange Reise geschickt, Xiao Lu würde uns wohl gerne begleiten. Eine Spritze in den Hintern und einen Mikrochip zwischen die Schultern würde er dafür wohl auch gerne in Kauf nehmen, aber für menschliche Chinesen ist das mit dem Visum leider nicht so einfach.

Am Tag meines Abflugs verfolgt der Kater aufmerksam, wie ich den Koffer packe, wie spannend! Und warum verpacke ich auch seinen Mainz 05 Fressnapf und seine Lieblingsspielzeuge? Aufregend. Ganz zum Schluss mache ich mich an seiner Box zu schaffen und lege sie mit dem Handtuch und saugfähigem Papier aus, was ihn natürlich neugierig werden lässt. Muss sofort untersucht werden, ich schließe schnell die Tür der Box. Als Sieder dämmert, dass diese Tür sich so schnell nicht mehr öffnen wird, wird er ungehalten. Packe beherzt Koffer und Box, schultere den Rucksack, verlasse meine Wohnung und schließe die Wohnungstür ab. Habe meinen Freund noch nie derartig wütend und markerschütternd kreischen hören, aber da muss er jetzt durch, auch wenn mir fast das Herz bricht.

Erwische auch sofort ein Taxi, dessen Fahrscherge allerdings nicht ganz so der große Tierfreund ist. Er macht sich Sorgen, mein Kater könne sein vergammeltes Taxi verunreinigen. Nein, ganz sicher nicht, die Box ist doch wasserdicht und das Tier kann auch bestimmt nicht entkommen. Nach einigem Hin und Her fährt er uns endlich zum Flughafen, meinen Koffer muss ich aber hübsch selber in den Kofferraum wuchten. Blödmann.

Der Check- In verläuft dann auch ziemlich reibungslos. Die Papiere werden studiert, die Box mit Nylonbändern gesichert (10,- RMB), der Kater samt Box gewogen und ich zur Zahlung von 2.600,- RMB aufgefordert. Sieder wimmert leise vor sich hin, nur ab und an erhebt er seine Stimme. Ein ausländischer Vater mit seinem quengelingen Mischlingskind ist für diese unerwartete Ablenkung sehr dankbar, denn der Bengel ist von meinem Tier total hingerissen. Schließlich schlendert ein junger Mann in Arbeitsbekleidung mit einem Rollwägelchen herbei, auf das er sachte aber emotionslos die Box mit meinem Liebling stellt. Verabschiede mich hastig, dann karrt der junge Mann gemütlich und fröhlich pfeifend Herrn Sieder in die dunklen Eingeweide des Pudong International Airport. Hoffentlich zur richtigen Maschine.

Nachdem ich die Sicherheitskontrollen passiert habe, bleibt gerade noch Zeit für eine Dose Bier und eine hastig genossene Zigarette, dann boarden wir auch schon. Stürme als erstes gleich mal auf den für meinen Abschnitt zuständigen Steward zu und verlange zu wissen, ob meine Katze an Bord sei. Der Knabe versteht leider nur mäßig Englisch, deswegen wiederhole ich mein Ansinnen auf Chinesisch. Katze im Cargo? Keine Ahnung. Ja, ob er bitte nachfragen könne? Der Steward verschwindet trotz seiner sich wie immer völlig undiszipliniert verhaltenden Landsleute. Als endlich alle Reiskocher, Plastiktaschen und -tüten und dergleichen sicher verstaut sind, kommt er wieder und strahlt über das ganze Gesicht. Daumen nach oben, Cat in Cargo. Da er mir ein netter Mensch zu sein scheint, glaube ich ihm, dass er sich tatsächlich erkundigt hat und sich nicht nur durch meine Anfrage der Bändigung der Volksgenossen in willkommener Weise entzogen hat. Könnte jedenfalls den Flug entspannt genießen, wenn die Klimaanlage nicht auf Kühlhaustemperaturen heruntergeschraubt wäre.

Landung frühmorgens in Frankfurt, nachdem ich meinen Koffer vom Band gezerrt habe, erkundige ich mich, wo ich denn jetzt mein Tier abholen könne? Oh, da hinten beim Sperrgepäck. Wie? Nicht in der „Animal Lounge“ irgendwo in „Cargo City“ wie auf der offiziellen Website des Frankfurter Flughafens angegeben? Und muss nicht ein Veterinär meinen Freund begutachten und freigeben? Das mit dem Veterinär weiss der freundliche Herr jetzt auch nicht so genau, aber er ist ganz sicher, dass Sieder beim Sperrgepäck abzuholen ist und gibt mir eine genaue Beschreibung dieses Bereiches. Warte unruhig eine Ewigkeit, ein netter Polizist beruhigt mich. Sperrgepäck wird als Letztes ausgeladen. Freue mich, statt Shanghainese mal wieder Hessisch zu hören. Endlich sehe ich, wie das Frankfurter Gegenstück zu dem Shanghaier Flughafenmitarbeiter eine Rosa- Weiße Box sachte vor dem Lastenaufzug niedersetzt und renne überglücklich auf ihn zu. Trinkbehälter fehlt und zusätzlich zu den Nylonstrippen sind noch ein paar Schnüre um die Box geschlungen und ungeschickt verknotet. Mein Tier muss wohl randaliert haben. Tigerherz, ganz wie sein Menschenweibchen. Bin stolz auf ihn. Sieder kauert jedenfalls maulend in seiner Box, der nette Cargotyp weiß von nichts, meint aber, der Zoll werde sich schon um alles kümmern. Keine Sau mehr am Zoll, renne einfach durch und Ali in die Arme. Sieder ist deutscher Staatsbürger, ich bin bei meinem Gatten und alles ist gut.

Dienstag, September 06, 2011

麦克四大第一 – Mike Sieder #1

01.09.2011


Fange früh am Morgen das sich heftig sträubende Tier ein und verfrachte es nach langem und zähem Ringen in seine Transporttasche. Bin nach diesem Kampf schon völlig fertig, am liebsten würde ich schon wieder duschen. Natürlich fängt der Kater nach Verlassen der Wohnung an, aus Leibeskräften zu kreischen, was auch nicht gerade zur Beruhigung meiner flatternden Nerven beigeträgt. Voll die Rush- Hour, außerdem hat heute die Schule wieder angefangen, weswegen der Verkehr noch chaotischer als sonst ist. Kriege zum Glück ziemlich schnell ein Taxi, während die zahlreichen zur Arbeit oder sonst wohin eilenden Volksgenossen viel Spaß mit der tigergleich heulenden Katze haben.Kann ihn dann auf der Fahrt ein wenig beruhigen, aber protestiert wird er immer noch, wenn auch mit etwas verminderter Lautstärke. Nach dem Betreten der Tierklinik ist denn erst mal Ruhe im Karton, wohl weil da auch schon ein Typ mit einem Monster- Labrador sitzt.
Im Untersuchungsraum will der feine Herr nicht aus der Tasche, zerre ihn schließlich gemeinsam mit dem ständig gewaltige Rülpser ausstoßenden Assistenten daraus hervor. Natürlich will der Kater gleich flüchten und sich verstecken, aber das Tier wird von der Tierärztin und dem Rülpsmann sanft niedergerungen und ihm Blut abgenommen, während sein Menschenweibchen fast in Ohnmacht fällt. Anschließend heißt es warten, während der Rülps- Assi alle möglichen Formulare ausfüllt und mit wichtigen Stempeln versieht. Sieder kauert währenddessen in seiner Tasche und miaut ab und zu leise. In vier Tagen kriege ich die Dokumente, dann muss ich damit zu China Eastern, um den Katzentransport endgültig klar zu machen.
Nach dieser Prozedur ist dann der Kauf einer stabilen Transportbox in dem Klinikshop angesagt. Die einzig passende gibt es leider nur mit dunkelrosa Unterteil, was willste machen. Dafür hat die Trinkflasche dunkelblaue Elemente. Top. Optischer Super- GAU. Eigentlich sagen die Tiertransportvorschriften, dass so eine Box mit einem von außen befüllbaren Wasser- und Futterspendern versehen sein muss, aber die englisch sprechende der Klinikschergen erklärt mir, das Tier solle auf dem Flug nichts fressen (Chinesisch für: Wir haben gerade keine Futterspender). Wenigstens sind die Bediensteten so nett, mir saugfähige Tücher zu schenken, falls der Kater während des Fluges mal muss, auch wenn ich das mir hartnäckig angepriesene Beruhigungsmittel dankend ablehne. Wenn die sowas für Zweibeiner gehabt hätten, hätte ich wahrscheinlich eine Großpackung gekauft.
Ewig kein Taxi zu bekommen und der Kater fängt wieder langsam an, zu protestieren. Der Taxi- Knülch, den ich dann erwische ist aber anscheinend ein großer Tierliebhaber, der es sich nicht nehmen lässt, bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit (Ampel, Stau, Bullenfahrzeug direkt hinter uns) sich umzudrehen und mit dem mittlerweile wieder aus Leibeskräften kreischenden Tier Faxen zu machen. Chinesen unter sich halt.
Zu Hause muss ich dann zur Beruhigung erst mal hektisch eine rauchen und meine vor Stress völlig durchgeschwitzten Klamotten wechseln. Am liebsten würde ich nach dieser Aktion einen kernigen Schnaps kippen. Oder auch zwei. Oder mehr. Geht leider nicht, muss ja noch arbeiten.
Nach der Arbeit Besuch bei Carrefour, finde kein wirklich passendes Futterbehältnis, aber dafür ein schickes Handtuch mit rosa, weißen und orangenen Streifen zur Auspolsterung der Transportbox. Passt zur Box und zum Fell des Katers. Das Handtuch lege ich im Wohnzimmer aus und Herr Sieder fährt sofort darauf ab. Heftiges Gewälze und Gekralle auf dem Teil, werde wohl auch noch mal ein oder zwei Nächte darauf schlafen, damit es nach seinem Menschen riecht und er im Flieger vertraute Gerüche in der Nase hat. Die Box ist natürlich auch irre interessant. Jetzt steht sie hier im Wohnzimmer und wird ausgiebig untersucht und beschubbert. Kleine Experimente mit geschlossener Box und das darin Herumgetragen werden machen wir auch, klappt gut. Denke aber, dass das nächste Woche anders aussehen wird.

Montag, August 08, 2011

想家第二- Heimweh #2

War jetzt fast ein Jahr nicht mehr zu Hause und so langsam überkommt mich wieder der China- Blues. Arbeit ist Scheiße und ich habe seit fast zwei Monaten nicht mehr anständig trainiert. Xiao Lu ist spurlos verschwunden, noch nicht mal Meister Wu weiss, was mit dem los ist.
Und obwohl ich gelernt habe, die kleinen Widrigkeiten des Alltags zu meistern und krötige Typen in Unterhosen, die im Sommer die Straßen bevölkern oder modische Entgleisungen für mich einfach zum normalen Stadtbild gehören, freue ich mich einfach nur auf Deutschland. Denke, das wird jedem so gehen, der in einem fremden Land lebt.
Und obwohl ich von einem Mopedfahrer über den Haufen gefahren wurde, ich unter rätselhaften Hautausschlägen oder anderen gesundheitlichen Phänomenen leide, Taifune um
meine Fenster peitschen und ich beim Frisör neulich derbe abgerippt wurde, weiss ich, dass Shanghai für mich immer meine zweite Heimat seien wird. Mache mir allerdings langsam Sorgen, ob ich mich an das geordnete Leben in Deutschland überhaupt wieder werde anpassen können. Immerhin habe ich keine Probleme mehr damit, beim morgendlichen Metro- Kungfu meinen Mitreisenden brutal meine Handtasche in die Kniekehlen zu schwingen, um einen guten Platz zu ergattern oder die Kassiererin beim Einkauf lautstark auf das Angebot „Kaufe eines, kriege eines geschenkt“ hinzuweisen. Musste feststellen, dass ich mir das zustimmende Shanghainesische „Eeeeeeeeeh“ auch schon angewöhnt habe. Und über Rechnungen wird grundsätzlich diskutiert, ebenso wird im Restaurant für die Auswahl von Speisen mindestens eine halbe Stunde benötigt, um anschließend die Hälfte wieder zurückgehen zu lassen („Das hatten wir so nicht bestellt! Hatten Sie nicht gesagt, das sei Vegetarisch?! Da ist aber Fleisch/ Wurst/ Fisch/ Krabbe dran, das wollen und zahlen wir nicht!“).Verkehrssünder tituliere ich aber noch auf deutsch und auf die Straße rotze ich auch noch nicht. Auch nutze ich die langweiligen Metrofahrten/ Bürostunden noch nicht dazu, meine Nägel ausgiebig mit einem Klipser zu bearbeiten und bin noch nicht mit meinem Mobilfon verwachsen. Und ich kann immer noch nicht während der Arbeitszeit oder in der Metro in komatösen Schlaf verfallen. Oder habe mindestens einen superlangen Fingernagel, mit dem sich allerlei Interessantes aus diversen Körperöffnungen zu Tage fördern lässt, nur um es nach ausgiebiger Begutachtung achtlos in Richtung der Mitmenschen zu schnipsen. Mit so einem Fingernagel lassen sich im Übrigen auch Mobilfone oder andere Elektrogeräte mit Touchscreen hervorragend bedienen, diesen albernen Stift braucht man gar nicht mehr.
Ich weiß. Leute, die dieses wundersame Land nur für jeweils ein paar Wochen im Jahr aufsuchen, mögen diese Angewohnheiten als liebenswert schrullig empfinden. Wenn man aber hier lebt, ist das etwas ganz anderes.
Nur noch knapp ein Monat, dann fliegen der Kater und ich nach Hause. Freue mich schon auf Bundesligaübertragungen in meiner Muttersprache, bei denen ich nicht den Namen der Spieler oder gar der Vereine grob erraten muss. Freue mich vor allem auf meinen verständnisvollen Gatten, auf meine Freunde, auf anständige Brötchen. Auf Essen. Auf Wein. Auf Meenz.
Alla fott, bis zum 9. September.

Freitag, August 05, 2011

台风 – Taifun

Schon seit Tagen wirbelt ein Taifun namens „Muifa“ auf das chinesische Festland zu. Erste Ausläufer haben uns schon erreicht, die letzten zwei Tage gingen Gewitter auf uns nieder, dass man meinen mochte, das Ende der Welt sie gekommen. Heute strahlender Sonnenschein und hübsch fluffige weiße Wolken am Himmel. Ruhe vor dem Sturm? Laut dem Shanghaier Meteorologischem Institut soll der Taifun morgen Nacht mit Windgeschwindigkeiten von über 120 km/h und sintflutartigen Regenfällen über unsere beschauliche Kleinstadt herfallen. Eigentlich schreit das nach einem Prä- Taifun Besäufnis in einer netten Lokalität, wer weiss, ob wir Montag noch leben. Aber leider sind meine Freunde alle unterwegs oder anderweitig beschäftigt. Und das Shanghaier Meteorologische Institut ist mit seinen Vorhersagen auch nicht immer zuverlässig.
Unsere Verwaltungsmäuschen machen sich Sorgen, zu Recht, da der Anbau unseres Büros aus Glas besteht und total undicht ist. Sicherheitshalber werden die Rechner auf die Tische gestellt und wir um Punkt 18.00 aus dem Büro gescheucht, weil der Strom abgedreht wird. Insgeheim bete ich, Montagmorgen den Scheißladen in Schutt und Asche wiederzufinden.
Mache auf dem Heimweg einen Umweg über den Carrefour am Zhongshan Park und decke mich mit exquisiten Käsespezialitäten, Gummibärchen und Wein ein. Sollte Muifa mir im Wohn- und Schlafzimmer die Fenster wegblasen, möchte ich gemeinsam mit dem Kater doch wenigstens mit Stil in meiner Küche hausen können. Überhaupt bin ich der Meinung, der Weltuntergang sollte in Anstand und Würde begangen werden. Morgen werde ich dann noch ausreichend Trinkwasser und ein paar schöne Fischhappen für Herrn Sieder besorgen. Wir sind bereit.

Mittwoch, Juli 06, 2011

问题 – Problem

Arbeite entspannt vor mich hin und ahne nichts Böses, als sich auf einmal fünf uniformierte Bullen und drei Herren von der Immigration in unserem kleinen Büro drängen.
Bin im Moment die einzige anwesende Ausländerin, der Rest ist krank oder auf Dienstreise und der indonesische Kollege geht zur Not noch als ziemlich dunkelhäutiger Chinese durch. Wähne meine Papiere in bester Ordnung und überreiche den uniformierten Herren strahlend meine Arbeitserlaubnis. Die ist aber auf meinen vorherigen Arbeitgeber ausgestellt. Und? Naja, Arbeitserlaubnis und somit auch Aufenthaltserlaubnis sind aber an den Arbeitgeber gebunden. Oha. Und jetzt? Sofortige Deportation? Was mache ich mit meinem Kater, der darf doch erst frühestens im August das Land verlassen? Der Schergentrupp zieht mit meiner Arbeitserlaubnis ab, die Sekreteusen sind durch den Wind und ich bin ratlos. Jedenfalls sind wir für den nächsten Tag zu den Bullen einbestellt, hastig wird ein Arbeitsvertrag gefälscht, laut dem ich hier erst seit zwei Wochen tätig bin.
Freitags begeben wir uns also auf die Bullenstation, Annie hat zur Feier des Tages ein neckisches kleines Matrosenkostümchen an und sich die Haare zu keuschen Zöpfchen geflochten. Könnte glatt einem bizarren Manga entsprungen sein. Jackie, das Shanghaier Äquivalent zu einem Meenzer Schlappmaul ist eher lässig, wenn auch in sehr knappen Jeans gedresst. Überhaupt ein interessantes Phänomen: Während die Shanghaierin gerne Beinkleider anlegt, die bei uns eher von Damen des horizontalen Gewerbes bevorzugt werden, ist doch die obere Körperhälfte stets züchtig bedeckt. Kann man mal sehen, chinesische Typen scheinen echt nicht auf Beine oder Hintern zu stehen, wenn man die denen hier so schamlos präsentieren darf.
Ich selber habe, um meine tiefe Verbundenheit zu China und seiner mindestens 5.000 Jahre alten Kultur zu demonstrieren das T- Shirt an, auf dem ein Comic- Pandabär in Schuluniform Augengymnastik betreibt und sich dabei die schwarzen Flecken von den Augen rubbelt. Immer ein echter Ankommer. Über den Pandabildern steht in Chinesisch „Für die Revolution lasst uns täglich unsere Augen üben“. Dass nach diesem enthusiasmierenden Satz dummerweise groß das Schriftzeichen für „Fuck“ prangt, ist mir leider irgendwie entgangen.
Dann folgt eine Stunde lang intensives Gekreische auf Shanghainese, von dem ich natürlich kein Wort verstehe. Jackie kullern Tränen aus den Augen. Hat man uns jetzt zum Latrinenputzen in die Innere Mongolei verbannt? Nee, übersetzt Annie mir, aber eine Geldstrafe wird auf jeden Fall fällig. Im schlimmsten Fall 50.000 RMB für den Arbeitgeber und 10.000 RMB für mich. Dicker Brocken. Jackie handelt die Mindeststrafe von 5.000/ 100 RMB aus und weint vor Erleichterung. Kann nämlich gut sein, dass die Mädels diese Summe aus eigener Tasche löhnen müssen, weil die mich nicht rechtzeitig umgemeldet haben. Bitter. Ungerecht.
Die Erledigung der Formalitäten dauert dann noch einmal eine Stunde. Die Mädels schäkern intensiv mit den beiden Bullen, wobei Jackie die Kernige und Annie die kleine Unschuldige mimt. Sie nennt den Oberbullen „Sexy Wang“ (ein Wortspiel mit seinem Vornamen) und haucht an ihren Schulmädchenzöpfen spielend an einem Punkt der Vernehmung/ des Geständnisses „Danke für ihre Mühen, Sexy Wang“, was Herr Kriminaloberinspektor Wang natürlich unglaublich niedlich findet. Was für ausgebuffte Luder! Mädels, lernt von den Shanghaierinnen.
Meine Aussage wird mir von Annie ins Englische übersetzt („Wussten Sie, dass Sie in China eine gültige Arbeitserlaubnis besitzen müssen?“ „Nein“.) und dann dürfen wir noch ganz viele Ausfertigungen der Dokumente unterschreiben. Das war es, jetzt bin ich hier aktenkundig. Na klasse.

Donnerstag, Juni 30, 2011

Aint no Party like the Chinese Communist Party


Am 1. Juli 1921 wurde die CCP in Shanghai gegründet. Also morgen vor 90 Jahren.
Heute befindet sich in dem unscheinbaren, aber hübsch in Schuss gehaltenen Gründungsort ein kleines Museum, direkt daneben der schick renovierte Konsumkomplex Xintiandi („Neue Welt“) mit Paulaner, hippen Kneipen und Luxusläden. Wenn das der Große Vorsitzende noch hätte erleben müssen!
Hätte ja ein wenig mehr Feierlichkeiten erwartet, zu mindestens hätte man uns gefälligst mal einen Tag frei geben können. Aber nein, nur blöde patriotische Gesänge im Fernsehen, muss das in der Metro jeden Tag ertragen. Besonders tut sich dabei Jackie Chan hervor, der mir langsam so richtig unsympathisch wird. Wo bleiben die Feuerwerke, die Paraden, die jubelnden Volksmassen? Da hätten wir Shanghaier doch mal richtig Gas geben müssen. Das toppen, was die blöden Beijinger zum 60. Jahrestag der Republikgründung 2009 abgezogen haben, wäre doch das Mindeste gewesen. Aber nein, alles, was uns einfällt ist ein wenig mehr Gefunkel als sonst. Demütigend! Naja, vielleicht geht ja morgen doch noch so richtig was. Jedenfalls Herzlichen Glückwunsch.

Mittwoch, Juni 29, 2011

出差 – Dienstreise

Werde gemeinsam mit meinem anderen deutschen Kollegen Paul, unserem völlig verpeilten chinesischen Projektleiter Peter und Sophia, der Übersetzerin nach Sanya zur Präsentation zweier Projekte geschickt. Abflug 6:30, aber gut, es gibt schlimmere Dienstreisen. Kommen um 10.00 an und lassen uns erst mal durch sämtliche Luxushotels der Insel karren, Recherche. Erster Stopp Mandarin Oriental, Peter und Sophia sind beeindruckt. Peter kapiert endlich, was schlichte Eleganz heißt und dass Luxus nicht automatisch mit Kitsch und dick auftragen verbunden ist.
Schickes Hotel, Sophia und ich teilen uns eine sogenannte Luxus- Suite. Natürlich kriege ich das Zimmer mit Meerblick, ihres hat eher Katastrophen- Aussicht. Tja, Scheiße, wenn man in der Hackordnung unten steht. Paul und mir fallen in der Besprechung fast die Augen zu, ziemlich schnell ist klar, dass wir mal wieder die Vorzeige- Langnasen geben. Für unsere in Nachtschicht zusammengekloppte Präsentation interessiert sich kein Mensch. Auch gut. Wenigstens ist das Essen echt lecker und das Hotel nicht übel, abends entspannen Paul und ich bei einem Cocktail, bis die Ruhe von dem hektischen Peter gestört wird. Lange Gespräche, Peter scheint das alles jedenfalls ungemein konstruktiv zu finden und ist glücklich.
Überraschend geiles Frühstück im Hotel, blöd, dass Paul und ich nur eine halbe Stunde dafür vorgesehen hatten, konnte ja keiner ahnen. Wir hauen ordentlich rein während die chinesischen Kollegen irgendwo anders frühstücken und werden anschließend von lustigen Typen, deren Verhältnis zu unserem Büro immer noch unklar ist, mit Sophia zu unserem Baugelände gekarrt. Peter hat zum Glück einen anderen Termin. Natürlich alles staubig, während Paul und ich eher pragmatisch angezogen sind, hat Sophia sich voll in Schale geschmissen und erleidet wahrscheinlich einen inneren Heulkrampf, weil ihre rosa Bommelschuhe gerade ziemlich dreckig und außerdem noch von einem auf dem Gelände umherstreunendem Schäferhundrüden mit etwas unschönem Interesse gewürdigt werden.
Unser Nachmittagstermin fällt aus und Peter ist glücklicherweise noch beschäftigt, weswegen Paul und ich an den Strand können. Sophia muss wohl oder übel mitmachen, sie erwirbt hektisch ein flottes Badekleidchen in schwarz und pink. Leute, ich rede hier nicht von einem pragmatischen Badeanzug, wie wir den von zu Hause kennen. Nein, das ist ein Teil mit angearbeitetem Röckchen, in dem sich Sophia aber immer noch sehr entblößt zu fühlen scheint. Unser netter Fahrer, Herr Zhao, stellt uns Handtücher und einen Schwimmring für Sophia bereit, wir beiden dürfen uns in einem seiner untervermieteten Appartements umziehen. Paule hat seine Schwimmsachen praktischerweise schon morgens angelegt. Während ich schon sämtliche Hüllen fallen lasse, muss Sophia die Tür zuschubsen und dreimal verriegeln. Bin schon längst umgezogen, als Sophia sich vorsichtig entblättert, unter der Schwimmbekleidung lässt sie natürlich die Unterhosen an. Wahrscheinlich bin ich in ihren Augen voll die schamlose Sau, weil ich a) einen Bikini trage, b) mich bei geöffneter Tür (wenn auch außerhalb des Blickfeldes) umgezogen habe und c) unter meiner schier obszönen frivolen Badebekleidung keine Unterwäsche trage. Sie realisiert, dass sie ihre schicken Alltags- Hosen nicht über ihr Kleidchen kriegt, ich versichere, das sähe aber aus wie ein ganz schicker Minirock und sie habe eine ganz tolle Figur, was ja noch nicht mal gelogen ist. Mann, sind Chinesinnen verklemmt!
Rede auf sie ein wie auf ein krankes Pferd, schließlich dackeln wir drei in Richtung Strand, Paul und ich vorneweg, Sophia mit ihrem gelben Schwimmring hinterher. Der gute Herr Zhao gibt uns noch Getränke und superleckere Mangos mit, wirklich ein ganz netter Mensch, wie die meisten Chinesen.
Wegen Sophia müssen wir einen Platz im Schatten suchen, die garstigr Sonne könnte ja die zarte Haut verbrennen oder gar bräunen. Wir müssen ganz schön laufen, bis wir einen Ort finden, der nicht von Fischern belegt ist.

Abhängen am Strand, Paul versucht mit mäßigem Erfolg Sophia schwimmen beizubringen. Wir genießen die Sonne, die Natur und die Ruhe, am Strand ist bis auf ein paar Netze flickenden Fischer und gelegentlicher Flaneure kein Mensch. Klar, die Chinesen kommen ja auch erst abends an den Strand, wenn die böse Sonne weg ist. Und schwimmen können die in der Regel sowieso nicht. Obwohl man Sanya nicht gerade als Traum bezeichnen kann, ist es doch nett, mal Shanghai und dem hektischen Leben dort zu entfliehen und im Meer schwimmen zu können.
Interessant auch, dass der chinesische Herr im Gegensatz zu den Damen deutlich freizügigere Badebekleidung bevorzugt. Nämlich Speedos. Als wir Sophia erklären, wir Westler fänden das ziemlich schwul und kein Mann, der etwas auf sich hielte, würde bei uns mit sowas rumlaufen, ist mal wieder schamhaftes Gekicher angesagt. Sie findet Speedos sexy. Ach ja, was sind unsere Kulturen doch verschieden!
Nach drei Stunden bezahlten Abhängens eine schnelle Dusche (Sophia kann sich zu ihrer übergroßen Erleichterung ungestört umziehen) und dann ab an den Flughafen. Jede Menge Reisegruppen in identischen Hawaiihemden, die mit lokalen Spezialitäten beladen sind und sich gegenseitig fröhlich fotografieren. Lustiges Volk.
Um Mitternacht sind wir endlich wieder zu Hause in Shanghai. Wie schon gesagt, es gibt echt schlimmere Dienstreisen.

Sonntag, Mai 15, 2011

斯蒂芬妮第二 – Stefanie #2

21.04.2011, Donnerstag

Verfolge gespannt im Netz Stefanies Flugstatus. Sie landet pünktlich und informiert mich zügig per SMS über ihre Ankunft. Als ich völlig aufgeregt nach der Arbeit die Tür aufschließe, freundet sie sich gerade mit Sieder an und bespielt ihn mit einem neuen, von Ali geschickten Fellmausi. Der Kater ist natürlich begeistert. Geschenke meiner Lieben werden übergeben, geiles T- Shirt und eine raffinierte Kette von Ali, Ferrero Küsschen von der guten Elli. Und meine Schwiegermutter hat einen Brief geschrieben. Bin gerührt.
Wir speisen beim Uiguren um die Ecke, besorgen im E- Mart das Nötigste und quatschen in meiner Küche bis spät in die Nacht. Schließlich haben wir uns jetzt acht Monate nicht gesehen und Skype ist hier in China wegen oft wegbrechender Verbindungen einfach nervig. Scheiß- GFW. Aber Stefanie will ja morgen trainieren und ich muss arbeiten, deswegen gehen wir dann irgendwann doch ins Bett.

22.04.2011, Freitag

Schleppe mich hundemüde, aber glücklich auf die Arbeit, Stefanie hat für heute früh schon einen Massagetermin klar gemacht. Und anschließend trifft sie den Meister im Volkspark. Ihren Trainingsfummel hat sie in Deutschland vergessen, macht ja nichts, dann kriegt s
ie halt einen von mir. Hauptsache, sie hat die mir zugedachten Geschenke alle in ihren Koffer gekriegt.
Abends gehen wir in einem schlichten, aber guten Restaurant an der Tongji- Universität essen und dann in einer netten Kneipe nebenan noch einen trinken. Fieser Temperaturabfall, Stefanie muss mir leider eine meiner dickeren Jacken mitbringen. Felix und zwei Freunde von ihm stoßen später dazu, netter Abend. In der Kneipe gibt es ein Aquarium, in dem träge Quallen ihre leuchtenden Bahnen ziehen. Geil! Das muss ich Ali unbedingt zeigen, wenn er mich das nächste Mal besuchen kommt. Sehr spacig und die Musik passt auch dazu. Wieder lange Küchengespräche, während Stefanie wegen der Zeitverschiebung richtig aufdreht, baue ich nach einer superstressigen Arbeitswoche voll ab. Egal, meine beste Freundin kommt ja nur einmal im Jahr, da will die gemeinsame Zeit gut genutzt sein. Dass irgendwie gerade Ostern ist, geht voll an uns vorüber.

23.04.2011, Samstag

Vormittag

Stefanie begibt sich zum Training in den Park, während ich komatös im Bett bleibe. Sieder erweckt mich zwar schon früh mit kernigen Pfotenhieben, aber nach der Raubtierfütterung kuschelt er sich friedlich ein und sieht sich die letzten Folgen von „Desperate Housewives“ mit mir an. Xiao Lu ist mit ein paar Freunden bis Dienstag nach Tian Mu Shan gefahren, also haben wir den Nachmittag frei. Die Temperaturen haben wieder angezogen und die Sonne scheint, was will man mehr.

Nachmittag:

Wir besuchen den Konfuzius- Tempel und bummeln durch die Altstadt. (Die richtige Altstadt, nicht die Drosselgasse- Version am Yu Garten). Buntes Treiben auf der Straße, gackernde Hühner und interessante Dinge, die zum Verzehr feilgeboten werden. Viecher wie Frösche, Tauben und Schildkröten sowie alle Arten von Fischen sind ja eindeutig zu bestimmen, aber bei man
chem Obst und Gemüse muss ich passen.
Anschließend Tianzifang, Alis Schuhe sind fertig und selbstverständlich finden sich wieder nette Sachen, die unbedingt käuflich erworben werden müssen. Da denkt man immer, man habe schon alle coolen Taschen/ Jacken/ T- Shirts/ Schals etc. dieser Welt, aber natürlich stolpert man doch wieder über das eine oder andere. Nachdem wir uns mit Grüntee- Eis, Pizza und Alkoholika gestärkt haben, bemerken wir auf dem Weg nach draußen einen Taschen- Laden, der gerade bestückt und wohl morgen eröffnet wird. Erstehe eine Wahnsinns- Tasche, die auf den ersten Blick mit floralen Mustern bedruckt zu seien scheint, die sich aber bei näherem Hinsehen als Totenschädel entpuppen. Und was für Farben! Bin die erste Käuferin, die Besitzer sind glücklich und verpacken meine Beute sehr liebevoll. Stefanie liebäugelt mit einer Tasche in Lila mit einer knallgrünen Libelle, ist aber denn doch kaufunlustig.

24.04.2011, Sonntag

Vormittag:

Wunderschönes Wetter, Training mit Meister Wu, bin glücklich. Wegen Stefanies Hüftproblemen hatte der Meister ihr eine Massage angeboten, da Rose auch da ist, wird dieses Thema vertieft. Nach einigem Hin und Her Verabredung zur Massage am Mittwoch. Eigentlich war erst meine Behausung anvisiert, schließlich einigen wir uns doch auf Rose´s Wohnung, da sie eine anständige Massageliege besitzt und für uns kochen möchte. Auch wenn ich meinen Meister sehr gerne zu mir eingeladen, bewirtet und ihm meine Katze vorgeführt hätte, fällt mir ein richtiger Berg vom Herzen. Denn erstens ist meine Wohnung nicht sonderlich groß, zweitens kann ich keinen angemessenen Platz zum Massieren bieten und drittens nicht gut chinesisch kochen.

Nachmittag:

Wir fahren nach Zhoujiajiang, einem kleinen Wasserdorf in der Nähe. Gut mit dem Bus zu erreichen und jetzt im Frühling besonders nett. Mit Ali war ich im Winter da, mit Stefanie zusammen das letzte Mal im Rahmen des China- Camps im Dezember 2007.
Damals hatte sie hier die Erhu erworben, die auf dem Rest der Reise als „Arschgeige“ verunglimpft wurde. Heute ein ganz anderes Bild, alles blüht und ist grün. Interessante Erfahrung. Wir lassen uns mit einem Boot durch die Kanäle rudern, erstehen Haarpfeile, Armreifen, niedliche Notizbücher und coole Becher aus Bambus. Essen in einem kleinen Restaurant an einem der Kanäle, ich schaffe es, meine Sonnenbrille dort zu vergessen. Gut, die war jetzt nicht teuer, aber da mir Brillen generell nicht stehen und ich diese eigentlich ganz gerne mochte, ärgerlich.

25.04.2011, Montag

Stefanie hat sich bereit erklärt, mit Sieder zum Tierarzt zu fahren. Um deutscher Staatsbürger zu werden, braucht der Kater eine Tollwutspritze vom chinesischen Amtstierarzt sowie einen EU- tauglichen Mikrochip. Nach einem Monat Wartezeit kann dann sein Blut entnommen werden, dass dann zwecks Titerbestimmung an ein Labor in Deutschland geschickt werden muss. Sind die Werte in Ordnung, muss das Tier drei Monate warten, bevor es in die EU einreisen kann. Schritt eins und zwei hatte ich im Februar schon hinter uns gebracht, ich muss sagen, dass die Mitarbeiter der Shenpu- Klinik (Amtstierarzt) sehr behutsam und sensibel mit meinem kleinen Kater umgegangen sind. Soll nochmal einer sagen, Chinesen hätten kein Herz für Tiere! Also wird heute ein Termin bei einer deutschen Tierärztin ausgemacht, die dann Freitag die Blutentnahme durchführen wird. Nicht ganz einfach, denn die Tierärztin erfreut sich unter den Shanghaier haustierbesitzenden Expats großer Beliebtheit.
Wir treffen uns abends im Barbarossa, die Zeit ist knapp und wir müssen alle unsere Stammkneipen abfrühstücken. Mittlerweile steht Stefanie dem Taxifahren auch nicht mehr so skeptisch gegenüber, nachdem sie erkannt hat, dass die meisten Taxiborgs meine Adresse zügig erkennen. Und die alte Hüfte will ja auch nicht mehr so, da ist es natürlich nett, wenn man direkt vor die Haustür chauffiert wird und nicht von der Metrostation noch nach Hause laufen muss.

26.04.2011, Dienstag

Super warm und schwül in Shanghai, heute Abend ist dann Sashas dran, nicht wirklich weit von meiner Arbeitsstelle entfernt. Grandiose Steinofenpizza, Stefanie und ich lechzen beide schon danach. Unabhängig voneinander verlaufen wir uns aber beide absolut blöd in der French Concession, nachdem ich zum zweiten Mal an der schwer bewachten amerikanischen Botschaft vorbeitigere und von einem Typen, der mit einem Hochdruckreiniger die Straße säubert, fast in den Rinnstein getrieben werde, bin ich kurz vorm Aufgeben. Stefanies Telefon ist abgeschaltet, habe nicht übel Lust, in das nächste Taxi heimwärts zu springen. Wie durch ein Wunder stehe ich plötzlich vor dem Sashas, ergattere einen hübschen Tisch im Garten und ordere mein Lieblingsgetränk. Kurze Zeit später hetzt auch schon Stefanie heran, der Abend ist gerettet. Lecker Pizza, Happy Hour auch noch ausgenutzt: Erfolg auf ganzer Linie.

27.04.2011, Mittwoch

Xiao Lu ist wieder da und so kommt Stefanie in den Genuss von zwei Trainingseinheiten pro Tag. Abends kocht Rose für uns, vorher wird Stefanie von Meister Wu massiert. Bestimmt keine angenehme Angelegenheit, aber eine große Ehre. Zhen Rui ist auch noch eingeladen, als ich nach langem Suchen endlich Roses Wohnung finde, ergötzen sich die Herren an einem Western mit Clint Eastwood und Rose rotiert in der Küche. Blöderweise ist ihr das Salz ausgegangen, so dass sie improvisieren muss. Finde ihre Speisen trotzdem sehr gelungen, auch wenn die beiden chinesischen Feinschmecker anscheinend anderer Meinung sind. Ich jedenfalls hätte das nicht so hinbekommen.

28.04.2011, Donnerstag

Heute abend kocht Meister Wu, freue mich schon den ganzen Tag auf diesen Festschmaus. Gestern
bei einer Zigarette im Treppenhaus bei Rose hatte er mir verschwörerisch zugeraunt, er habe auch mehrere Flaschen guten Schnapses am Start. Da ich die Neigung der Chinesen zu schamlosen Übertreibungen und Ausschmückungen kenne, hatte ich das allerdings nicht so ernst genommen.
Xiao Lu holt mich mit seinem schicken neuen Motorroller an der Metrostation ab, genieße diese kurze Fahrt.
Da Wujie geladen ist, darf Rose von dieser Einladung nichts wissen, muss doch echt mal erheben, was diese beiden eigentlich für Probleme miteinander haben.
Da gibt es nämlich wilde Gerüchte. Lederhut, der den Start ins Tigerjahr mitgefeiert hatte ist auch mit dabei, heute allerdings eher lässig gedresst. Im Laufe des Abends und mit steigendem Alkoholpegel scheint er immer mehr Gefallen an mir zu finden, was ich umgekehrt nicht behaupten kann. Richtig heißt er Gu Yuanfu oder so und übt im Volkspark Chen- Stil. Und geschieden ist er auch.
Außer uns nehmen noch natürlich Xiao Lu, Jeremy, Zhen Rui und zu meiner Überraschung auch die Zappelmaid an dem Schmaus teil. Der Schnaps fließt dann tatsächlich in Strömen und die Zappelmaid entpuppt sich als kernige Säuferin. Zwar kichert sie immer mädchenhaft und behauptet, angeschickert zu sein, aber ich ha
be bis jetzt noch keine chinesische Frau derartig kippen sehen. Das kleine Luder toppt ja fast Stefanie und mich und das will schon was heißen. Unfassbar. Aufgetischt wird wieder, bis die Schwarte kracht, zu meiner Freude auch das Doufu nach des Meisters Art. Mmmmh, lecker! Im Gegensatz zu sonst wird nach dem Essen nicht gesittet zum Teetrinken übergegangen, sondern fröhlich weiter gesoffen. Und zwar alles, was das Haus zu bieten hat. Jeremy und Zhen Rui geraten in eine heftige Diskussion, die Stefanie noch ein wenig anstachelt. Ich kriege davon eher wenig mit, weil ich mich mit Xiao Lu über Snooker unterhalte, ein Spiel, dass er sehr zu schätzen scheint und das gerade im Fernsehen übertragen wird. Ein dicklicher Shanghaier besiegt gerade einen hässlichen Engländer. Stefanie und ich sind noch voll Herrinen der Lage und auch die Zappelmaid kann noch aufrecht stehen und sich klar artikulieren, was man von Lederhut nicht gerade behaupten kann. Tatsächlich bringt er es fertig, sich beim Anstoßen mit Meister Wu ein Glas Rotwein über das blütenweiße Sweatshirt zu kippen und kramt alle seine Englischkenntnisse hervor, um lallend mit Stefanie und mir Konversation zu machen. Für mich ist das noch schwerer zu verstehen, als wenn er gleich chinesisch gesprochen hätte. Aber auch ich erlebe meinen Moment der Schande: Stoße fröhlich mit Zhen Rui an und äußere enthusiastisch auf chinesisch, wir seien nicht nur Tongbei- Geschwister, sondern auch gute Freunde. Verständnisloser Blick, der neben mir sitzende Xiao Lu wiederholt mich wortwörtlich, nur anscheinend in den richtigen Tonhöhen. Wie demütigend. Aber Zhen Rui freut sich. Mann, wahrscheinlich kommt mein Chinesisch für die so rüber wie das Säuferenglisch von Lederhut. Wenn meine Grammatik auch besser ist.
Wir brechen zu später Stunde auf, blöderweise wohnt Lederhut in der Linping Lu nicht weit von uns entfernt und so wir teilen uns ein Taxi. Natürlich kriegt er es weder auf die Reihe, eines einzufangen beziehungsweise dem Fahrer korrekt über unser Ziel anzuweisen, so dass ich das tun muss. Unterwegs muss ich mir sein Gebrabbel anhören und so oft seinen Namen wiederholen, bis er zufrieden mit der Aussprache ist. Lasse den Fahrer dann in der Chifeng Lu halten, Lederhut muss ja nicht wissen, wo genau ich wohne. Will ihm die Kohle für unsere Strecke geben, was er ritterlich und lautstark ablehnt. Bewerfe ihn anschließend mit einen 20,- Yuan Schein und wir springen Höflichkeitsfloskeln artikulierend aus dem Taxi. Stefanie und ich trinken in der Küche noch einen Absacker, lassen den Abend Revue passieren, schauen Fotos und lachen uns scheckig.

29.04.2011, Freitag

Vormittags fährt Stefanie mit Sieder zur Tierärztin. Bin auf der Arbeit total nervös, hoffentlich geht alles glatt und das Vieh lässt sich anstandslos einfangen. Vor meinem inneren Auge sehe ich meine Wohnu
ng total lädiert und meine Freundin mit tiefen, heftig blutenden Fleischwunden vor mir. Die beiden haben um 10.00 ihren Termin, um 12.00 die erlösende SMS: Alles OK. Rufe Stefanie gleich an lasse mir alles schildern. Bin ein wenig stolz, dass die Tierärztin meinen Kater wohl auch außergewöhnlich schön fand. Ja, bei Männern bin ich wählerisch.
Nach all den Strapazen der letzten Woche und vor allem des heutigen Tages sinken wir ermattet bei Wein und Knabbereien vor dem Fernseher nieder und gönnen uns einen ruhigen Abend.

30.04.2011, Samstag

Schlafe aus, während Stefanie trainiert. Nachmittags treffen wir Xiao Lu, der mich dann auch gleich fragt, ob ich denn schon mit Meister Wu über den weiteren Verlauf unseres Nachmittagstrainings gesprochen habe, wenn Stefanie wieder weg ist? Tatsächlich hatte ich dem Meister eine mail geschrieben und der daraufhin irgendwas zu Xiao Lu gesagt, aber das war anscheinend nicht eindeutig genug. Breche frustriert in Tränen aus und erkläre Xiao Lu, dass ich keinen Bock mehr hätte, mich zum Deppen zu machen. Noch drei Monate, dann kann der Kater einwandern und dann werden wir China verlassen. Für immer. Ende der Durchsage.
Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen und dunkle Gewitterwolken heran
zuziehen. Stefanie blickt interessiert von einem zum anderen. Aber nahtlos müssen wir dann Mian Zhang üben, ich werde mit der Säbelform korrigiert, die Xiao Lu auf einmal „piaoliang“ findet, Stefanie wird zum alleine Üben verdonnert und Xiao Lu und ich üben Tui Shou. Natürlich sind alle meine Angriffe raffiniert, subtil und superklasse, besser als Rose und ich bin die beste Tui Shou Ausländerin in ganz China, ach was, auf der ganzen Welt. Ja, klar. Mann, Chinesen!
Abends Captain´s Bar, frustrierend. Mein Entschluß ist gefasst, ich werde bald nach Hause zurückkehren. Aber auf der Terrasse der Bar sitzend realisiere ich, dass ich das eigentlich noch gar nicht will. Shanghai ist einfach die geilste Stadt der Welt, die Wolkenkratzer in Pudong glitzern verführerisch. Natürlich will ich hier nicht den Rest meines Lebens zubringen, aber in drei Monaten schon abhauen? Keine Ahnung, was ich machen soll und wie ich den Rest vom Jahr hier plane. Alles so schwierig, betäube mich mit Long Island Ice Tea.

01.05.2011, Sonntag

Vormittag:
Entspanntes Training, wegen der Maiferien brennt die Luft im Park. Auf dem oberen Teil ( Xingyi- Territorium) des Geländes macht sich eine Großfamilie breit, die den Tag mit einem ausgedehnten Picknick zu verbringen gedenkt. Zelte werden konzentrisch aufgebaut, üppige Speisen herbeigeschleppt. Aber auch unsere Seite kann punkten: Rose hat echt guten grünen Tee sowie mehrere Kannen heißen Wassers und Zubereitungsutensilien mitgebracht. Und auch noch ihre Säbel mitgeschleppt. Die Großfamilie bietet uns ihre Speisen an, nachdem der neugierige Meister Wu die Deckel der Töpfe angehoben und an jedem Gericht kritisch geschnüffelt hat. Ach nee, so gierig sind wir ja denn doch nicht. Höfliche Ablehnung, obwohl der Meister und ich auch doch schon gerne mal gekostet hätten. Zhen Rui, unser Teemeister kommt heute nicht, aber außer mir können alle anderen aus unsrer Trainingsgruppe Tee halbwegs anständig zubereiten und verkosten. Mist, vielleicht kriege ich irgendwann mal die Gelegenheit, zu einer Weinprobe einzuladen. Wobei da dann die chinesische Seite wahrscheinlich nach Eiswürfeln und Cola oder gleichwertigem zum mixen verlangen wird.
Am Ende kommen Rose und ich auch noch dazu, unsere Form vorzuturnen, wobei ich eigentlich kaum korrigiert werde. Und natürlich macht der Meister auch viele Dinge ganz anders.

Nachmittags:

Die Großfamilie kampiert immer noch auf dem Gelände, reiße mich zusammen, obwohl ich immer noch Trübsal blase. Mian Zhang und Dongbao Quan werden korrigiert, letztere hatte ich schon lange nicht mehr geübt. Weise vorwurfsvoll auf die unterschiedliche Ausführung der Säbelform hin, macht nichts, sagt Xiao Lu. Solange man kapiert, wie die Anwendungen gehen, ist das OK. Morgen haben wir auch noch einen Tag, denn wegen der Maiferien muss ich nicht arbeiten. Wie das hier allerdings weitergehen soll, wenn Stefanie weg ist, weiss ich nicht.

Abends:

Stefanie und ich beschließen, was für die Schönheit zu tun und fahren in die Dagu Lu, um unsere Hufe bearbeiten und aufhübschen zu lassen. Geht doch nichts über eine kleine Beauty- Anwendung. Da der Nagellack dann doch ziemlich lange zum Trocknen braucht und wir ihn nicht ruinieren wollen, erwerben wir schicke Gummilatschen und schlurfen in das israelische Restaurant ge
genüber, wo wir uns mit orientalischen kleinen Happen stärken. Die Dagu Lu ist eine ziemlich kleine aber feine Straße, Luxuscompounds, dementsprechend groß ist auch das Angebot an seriösen Spas, Massagesalons und Restaurants. Und fliegende DVD- Händler mit den neuesten englischen Filmen, da wird natürlich auch gleich mal zugeschlagen. In der Straße lungern auch zwei Bettler herum, die aber ganz friedliche Gesellen zu seien scheinen. Leute, als Obdachloser hat man hier echt keine guten Karten, mir tun diese Leute immer leid. Auf der Terrasse des Restaurants können wir dann folgendes beobachten: Einer der Bettler erscheint mit einer Torte in Form eines fröhlichen Tigerkopfes, anscheinend ein Überbleibsel aus einer Bäckerei, den er stolz erst uns und dann seinem Kumpel präsentiert. Andächtig wird der Kuchen bewundert und die Schokoladenaugen des Tigers verzehrt. Mittlerweile schaut auch die Oberkellnerin zu. Kurze Konversation mit den Bettlern, dann geht sie in das Restaurant und kommt mit zwei Kuchengabeln, Tellerchen und Servietten wieder, die sie den Bettlern gibt. Die beiden verziehen sich auf die andere Straßenseite, wo sie auf einer kleinen Mauer Platz nehmen und bedächtig die Torte verspeisen. Dabei sehen sie aus wie zwei feine alte Herren, die einen netten Abend mit einem Freund verbringen. Ich bin von dieser Szene absolut gerührt. Diese beiden alten Knaben haben echt Würde im Leib. Während wir hier sitzen, exotische Köstlichkeiten in uns reinstopfen und die frisch lackierten Fußnägel wedeln, stellt für diese beiden ein abgestandener Kuchen den Höhepunkt des Tages dar, der vornehm und andächtig genossen wird. Lerne mein Leben richtig schätzen. Wir geben den Bettlern dann auch unser gesamtes Kleingeld, für die sind 5 RMB wahrscheinlich das Sahnehäubchen des Tages, jedenfalls bedanken sie sich überschwänglich.

02.05.2011, Montag

Vormittags:

Meister Wu lässt die Bombe platzen und verkündet, dass er ab jetzt nur noch Sonntags unterrichten werde. Für mich jetzt nicht so schlimm, aber für diejenigen, die bei ihm im Volkspark trainiert haben, natürlich ziemlich schlimm. Na, dann wollen wir doch mal sehen, wer sich denn ab jetzt so hier einfinden wird. Die Zappelmaid kommt wie immer zu spät, anscheinend gilt für sie das mit nur Sonntags nicht, denn der Meister wiederholt die Ansage nicht noch mal. Nach dem Training gehen Rose, Judd, Stefanie und ich gemeinsam essen, lange Gesichter. Aber was will man machen.

Nachmittags:

Wir erzählen Xiao Lu von des Meisters Ansage, der daraufhin echt geschockt zu sein scheint. Erst mein Gezicke und jetzt auch noch das! OK, dann ab jetzt Sonntags nachmittags heimlich Training bei mir in der Wohnanlage.

Abends:

Wir schauen die gestern erworbenen DVD, schlagen uns mit Knabbereien den Pansen voll und hängen ab. Wird wieder stressig morgen und Stefanie reist ja auch schon bald ab, wie schade!

03.05.2011, Dienstag

Treffen uns abends mit Judd und einem Kumpel von ihm im Lifestyle und schlemmen hervorragend. Judds andere Leidenschaft neben Tongbei ist Ultimate Frisbee, sein Kumpel Andy spielt das auch und so lernen Stefanie und ich einiges über diese Sportart. Demnächst Riesen- Turnier hier in Shanghai, obwohl ich nicht denke, dass ich Gefallen an diesem Sport finden könnte, ziehe ich in Erwägung, mir das Turnier mal anzuschauen.
Gehen noch einen trinken, Judd ist frustriert, dass Meister Wu ihn nicht ernst zu nehmen scheint und erwägt, sich um die förmliche Aufnahme als Meisterschüler zu bemühen. Wir denken, dass das keine so gute Idee ist. Als Judd rausbekommt, dass wir schon desöfteren bei Meister Wu zu Hause waren und ich sogar Neujahr dort verbracht habe, ist er noch frustrierter. Kann mir mittlerweile auch nicht mehr erklären, warum der Meister Judd so ablehnt, vor allem, da er so eine kleine Ratte wie Jeremy zu sich nach Hause eingeladen hat. China ist kompliziert.

04.05.2011, Mittwoch
Stefanies letzter Tag, ich bin traurig und hoffe insgeheim auf einen Vulkanausbruch oder eine sonstige Naturkatastrophe. Passiert natürlich nichts, wir lassen uns abends massieren und gehen noch mal in Vegetarian Lifestyle essen. Absacker in meiner Küche, irgendwie sind wir beide matt. Stefanie freut sich auf zu Hause, kann sie verstehen. Wie genau ich hier meinen Abgang plane, weiss ich immer noch nicht.

05.05.2011, Donnerstag

Immer noch kein Vulkanausbruch, Scheiß- Arbeitstag. Hetzte nach Hause, wo Stefanie schon auf gepackten Koffern hockt. Taxi zum Lu Xun Park an die Flughafenbushaltestelle, wenigstens haben wir noch 20 Minuten zum Plaudern. Winke ihr nach, als der Bus abfährt und trotte zu Fuß nach Hause, unterwegs erledige ich Einkäufe und bezahle Rechnungen. War wie immer eine geile Zeit, diesmal wartet aber zum Glück jemand auf mich. Diesmal geht Mike Sieder nicht auf Wanderschaft, um nach dem netten Gast zu suchen, wie er es nach Alis Abreise getan hat. Der Kater und ich kuscheln uns vor der Glotze ein, er tatzt sanft auf mein Gesicht, als mir dann doch ein paar Tränen aus den Augen kullern. Als sich mein kleines Tier schnurrend auf meinem Hintern einrollt, bin ich dann doch wieder einigermaßen in der Reihe. Stefanies Flug hebt pünktlich kurz vor Mitternacht ab, wünsche ihr im Gedanken eine gute Reise



Mittwoch, April 20, 2011

事势第五 – Stand der Dinge #5

Job:

Reihe mich am 14. März wieder in das Heer der arbeitenden Massen ein und knechte zu brutalen chinesischen Bedingungen (Krankheitstage zählen als unbezahlter Urlaub, Überstunden werden nicht anerkannt oder vergütet) für ein pseudo- deutsches Büro. Wenigstens sind die Kollegen sehr nett und ich habe ein Projekt auf Hainan. Da darf ich dann zur Begutachtung des Baugeländes auch schnell mal hinfliegen. Gibt Schlimmeres, aber alt werde ich in diesem Schuppen bestimmt nicht.

Training:

Xiao Lu taucht wieder auf und hat gleich mal beschissene Neuigkeiten für mich: Nachmittagstraining ist nicht mehr! Nach sehr langem Hin und Her finde ich heraus, dass jemand (wer auch immer) das Gerücht verbreitet hat, ich hätte Meister Wu im vergangenen Jahr keine Unterrichtsgebühr bezahlt. Ist natürlich Quatsch, aber Xiao Lu hat das geglaubt und war natürlich sauer auf mich. Anscheinend hat auch jemand anders Anstoß daran genommen, dass er mich unterrichtet. Und der muss ziemlich wichtig gewesen sein. Nach weiterem endlosen Gezacker erklärt er sich bereit, das auch weiterhin zu tun, nur im Heping Park geht das nicht mehr. Also vielleicht in meiner Compound oder auf dem Gelände der Tongji- Universität, mal sehen. (Am Institut für Materialprüfung und Statik wäre mir natürlich am Liebsten. Geiler Ort)
. Mein Gott, was sind Kampfkünstler kompliziert! Dafür lädt er mich aber eines Sonntags in seine Gegend ein, wo ich ihm bei seinem Abendtraining gegenüber der Spielhölle seiner Gattin zuschauen darf. Spannend! Lerne gleich mal ein paar seiner zahllosen Geschwister kennen, die in den Häusern nebenan Geschäfte betreiben und mache Bekanntschaft mit interessanten Trainingsgeräten und –methoden, die in der Öffentlichkeit des Parks nicht zum Einsatz kommen. Fühle mich geehrt.
Meister Wu lädt Wang Ming Bo, einen dicken Freund von Rose ein, sich Tongbei mal anzuschauen. Wang, der sonst Yang- Stil übt, findet das so interessant, dass er ab sofort bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitübt, sich gleich mal Fummel schneidern lässt und auch eifrig Notizen macht. Das wiederum findet Meister Wu ziemlich unangemessen und an uns geht die Ansage, bestimmte Dinge nicht zu zeigen, wenn Wang dabei ist. Für den Meister ist das so, als ob man einen Freund nach Hause einlüde und der auf einmal alle Dinge, die ihm gefallen, an sich nähme. Kann Meister Wu verstehen. Und irgendwie scheint er der Annahme zu sein, Wang wolle auch Tongbei unterrichten, was er jedem erzählt und was natürlich bei uns Schülern für helle Empörung sorgt. Rose merkt auch irgendwann, dass die Stimmung etwas angespannt ist und wendet sich hilfesuchend ausgerechnet an mich. Druckse erst ein wenig herum, kläre sie dann aber auf, soweit ich das kann. Dass der Meister selber die Gerüchte in die Welt gesetzt hat, verschweige ich hübsch. Und ich kann mich ja immer noch mit meinem schlechten Chinesisch rausreden. Rose ist natürlich schwer betroffen und eilt nach dem Training Meister Wu hinterher, um diese unschöne Sache zu klären. Bin mal gespannt, ob sie es geschafft hat.

Film:

Meine Tongbei- Brüder Andy und Jud haben einen Film über die Independent Musikszene hier in China gemacht und ich bin zur Vorpremiere eingeladen. Absolut empfehlenswert, bin beeindruckt. Mir war nie so klar, dass die Entscheidung, Punkmusiker zu werden, hier derartig weitreichende Konsequenzen hat. Sogar den totalen Bruch mit wirklich allem und totale gesellschaftliche Ächtung bedeutet. Respekt.
Der Film heisst „Down: Indie rock in the PRC“. Hoffe sehr stark, dass die beiden einen Vertrieb dafür finden oder den bei irgendwelchen Festivals platzieren können. Falls jemand die Chance hat, den Film zu sehen: Anschauen!!!

Freunde:

Eines unserer Vereinsmitglieder, Felix, tritt einen Job bei einem großen internationalen Softwareunternehmen in SH an. Was ich in einem Jahr nicht geschafft habe, leistet er bei einem einzigen Starbucks- Besuch bei sich um die Ecke: Er gabelt nette Leute auf. Wohne anscheinend in der falschen Gegend und/ oder bin zu unkommunikativ. Jedenfalls profitiere ich von seiner grandiosen Steilvorlage und habe ab sofort Leute zum Weggehen, die auch gute Happen zu schätzen wissen. Wir testen Restaurants, Kneipen und Spas und unternehmen interessante Ausflüge. Shanghai rockt!

Besuch:

Morgen, am 21.04.2011 kommt Stefanie. Bin schon total aufgeregt. Sieder beobachtet sein Weibchen bei den Vorbereitungen auf diesen lieben Besuch und ahnt große Zusammenhänge. Hoffentlich verstehen die beiden sich. Blicke zurück auf das eine Jahr, das seit ihrem letzten Besuch vergangen ist und muss schmunzeln. Da sie natürlich viel trainieren wird, bin ich gespannt, was sie so zu berichten hat. Und ich freue mich schon darauf, mit ihr um die Häuser zu ziehen und sie meinen neuen Bekanntschaften vorzustellen.