Sonntag, Oktober 24, 2010

丽露第三 – Lilo #3

14.10.- 15.10.2010, Donnerstag/ Freitag

Lilo ist sicher gelandet und trifft sich nach einer kleinen Stärkung mit Tori zum Shoppen. Nach der Arbeit stoße ich im Starbucks zu den Damen, Tori berichtet von ihrer Reise nach Tibet und Lilo hat natürlich mal wieder ein elektronisches Spielzeug erworben. Ein Taschenübersetzter, auf dessen Bildschirm man direkt Schriftzeichen malen kann. Nützlich. So was hatte ich schon für den Meister im Sinn, der nicht immer sicher in der Pinyin- Umschrift ist.
Lilo hat nach dem Shoppen Hunger, ich schlage das gute alte Vegetarian Lifestyle vor. Gierig ordern wir natürlich viel zu viel und werden von der Kellnerin ermahnt. Schaffen aber dann doch fast alles. Ich werde gefragt, ob ich eine VIP- Karte hätte? Nee, aber ich hätte gerne eine. Und das schon seit Jahren. Das Lifestyle ist da aber sehr knauserig, immerhin bekomme ich jetzt eine kleine Pappkarte, die ich mir bei jedem Besuch abstempeln lassen kann. Nach zehn Stempeln gibt es dann die begehrte VIP- Karte. Bin erfreut, meinem Ziel endlich näher gekommen zu sein.
Anschließend Absacker in der Captains Bar, die Mädels sind begeistert von dem Ausblick auf das glitzernde Pudong. Auch mir als alter Shanghaierin geht hier jedes Mal das Herz auf. Und in Deutschland kann man Mitte Oktober bestimmt nicht mehr im Freien sitzen.

Freitag fliegt Lilo, damit sie auch ja China und Shanghai in guter Erinnerung behält, geht sie mit mir und meinen Kollegen im Chongqing- „Restaurant“ zu Mittag essen. Da sie erst nächstes Jahr im Oktober wieder kommt, wollte ich sie den Flieger nicht besteigen lassen, ohne den köstlichen Jiachang Doufu gekostet zu haben. Und außerdem ist das meine letzte Chance, mit meiner Freundin zu quatschen. Shanghai zeigt sich von seiner schönsten Seite, das Wetter ist prächtig und erwartungsgemäß mundet das Essen hervorragend. Wie sich herausstellt, ist meine Vermieterin mit einem Klempnertrupp heute Morgen um halb acht angerückt und hat Lilo aus dem Bett geschmissen. Das ist natürlich wenig nett, aber wie es scheint, funktioniert der Abfluss nach drei Anläufen zur Reparatur und Sauerei im Badezimmer jetzt wieder.
Abschied von Lilo, war so nett mit ihr und wir werden uns jetzt eine ganze Weile nicht sehen, traurig. Aber ich kann mich ja auf meinen nächsten Besucher hier freuen: Ali kommt Weihnachten für drei Wochen. Eine davon werden wir in einem hübschen Resort auf Hainan verbringen und schön entspannen. Und ich werde ihm dann mein Shanghai zeigen zu können.
(Die beiden Tage aus Lilos Sicht kann man hier nachlesen.)

Donnerstag, Oktober 21, 2010

放假第四次 – Ferien #4

30.09.2010, Donnerstag

Morgen ist der erste freier Tag unserer Ferienwoche, eigentlich wollte ich ausschlafen und habe deswegen extra die Ayi abbestellt. Bin davon ausgegangen, dass am Nationalfeiertag sowieso niemand Lust auf Training hat. Chat mit Xiao Lu, er ist ab halb neun im Park. Na gut, dann doch Training.
Der Zustand meiner Hand hat sich nur unwesentlich verbessert, bin deswegen ziemlich unglücklich. Der nette Arzt in der Ausländerabteilung des Huashan- Krankenhauses (empfehlenswert) erklärt mir, dass ich mir da wohl den Radialis- Nerv ziemlich übel gequetscht habe. Auch bekannt als Fallhand oder „Parkbank- Syndrom“. Kann dauern, nichts zu machen. Mist.
Da wir eine Woche frei haben, kann Mike Sieder, unsere Bürokatze natürlich nicht so lange alleine im Büro bleiben. Erkläre mich bereit, den kleinen Kerl bei mir aufzunehmen. Nach der Arbeit wird Mike in die von mir eigens besorgte Transporttasche gelockt und mitsamt Klo, Futter und Spielzeug in ein Taxi verfrachtet. Der erste Taxifahrer schmeißt uns auch prompt aus seinem Fahrzeug, er mag wohl keine Tiere. Wüste Beschimpfungen, der zweite Taxifahrer ist ein Netter und nimmt regen Anteil an Sieders Gejaule, der über seine Gefangenschaft in der zwar schicken aber doch einengenden Tasche natürlich nicht sehr begeistert ist. Konversationen mit chinesischen Taxifahrern können den Sprachkenntnissen echt dienlich sein, wie ich schon mehrfach festgestellt habe.
Sieder erkundet vorsichtig meine Wohnung, zum Glück rafft er ziemlich schnell, wo er seine Geschäfte zu verrichten hat. Dass er mir beim Pinkeln zuschaut, mag dabei geholfen haben. Er erweist sich als sehr höflicher und angenehmer Gast.

01.10.2010, Freitag- 08.10.2010, Freitag

Vormittags, Meister Wu:

 Prächtiges Wetter und herrlich entspannte Trainingstage, die Zappelmaid ist wohl auf Hei-maturlaub. Stattdessen üben Rose und Jud öfter mit, so wird Fortgeschrittenenprogramm gefahren. Und mit der Säbelform wird auch endlich angefangen. Keine sehr kluge Idee mit einer immer noch widerspenstigen Hand, aber wir üben ersatzweise mit Stöcken, die nicht sonderlich schwer sind. Auch wieder doof, denn so weiß ich nicht, ob ich diese Waffe auch richtig handhabe. Säbel haben ja im Unterschied zu Schwertern nur eine scharfe Seite und die sollte dann schon effektiv eingesetzt werden. Macht nichts, Hauptsache, ich kriege den Bewegungsablauf drauf und der hat nichts mit dem zu tun, den ich von meiner Schwertform kenne. Klar, andere Waffe.
 Jud bringt seine Profi- Kameraausrüstung mit und nimmt Xiao Lu´s Mian Zhang aus mehreren Perspektiven auf. Helle Aufregung im Park, da wird gefilmt! Massenauflauf. Anschließend filmt der Meister unter Xiao Lu´s und meinen kritischen Blicken Jud bei der Tai Zu Form. Jud möchte das jeden Monat aufnehmen, um sich korrigieren zu können, keine schlechte Idee, wie ich finde. Ich verzichte auf das Vorturnen vor Kamera, nach Sichtung des Materials sind wir der Meinung, dass Xiao Lu eine Karriere als Wujia- Filmdarsteller einschlagen sollte. Der lacht und winkt ab, versuche, ihn mir in historischem Fummel und mit langen Haaren vorzustellen. Schwierig.
 Spontane „Früher war alles besser“ Diskussion. Habe Meister Wu selten dermaßen erregt gesehen, lautstark äußert er sich über die Ungerechtigkeit des Systems und die Tatsache, dass für die einfachen Bürger die Lebenshaltenskosten und die Kosten für medizinische Versorgung ins Unermessliche schießen, während korrupte Beamte alles in die eigene Tasche stecken und die Reichen immer reicher werden. Und auch mein großer Bruder hat dazu was zu sagen: Warum stützt China den Euro und insbesondere Griechenland, wo doch so viele Chinesen gerade auf dem Lande im Armut leben? Und erntet dafür nur Undank, die westlichen Länder fordern eine Abwertung des Yuan! Soll sich China doch erst mal um seine eigenen Leute kümmern! Aber leider dürfe man gegen sowas ja nicht demonstrieren, sonst käme man in den Knast. Habe von Volkswirtschaft ja nur eine eher diffuse Ahnung, die ich auf Chinesisch schon gar nicht formulieren kann. Außerdem fühle ich mich als Ausländerin nicht berechtigt, zum Thema Regierung und dergleichen irgendwelche Kommentare zu äußern. Schaue mich aber vorsichtshalber nach eventuell in den Büschen lauernden Schergen der Staatssicherheit um und krame verzweifelt nach Phrasen wie „Ich will meinen Konsul sprechen“ und „Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun“ in meinem Wortschatz. Zum Glück kann Rose die ganze Situation etwas beruhigen.
 Der nette Baji- Typ schaut auch öfters mal vorbei und erkundigt sich vorsichtig nach meinem Namen. Er selber nennt sich „Rocky“. Aha. Muss sehr an mich halten, um mich nicht vor Lachen schreiend auf dem Boden zu wälzen.
 Hasenzahn hat seit Neuestem einen Schüler, dem er die hohe Kunst des Xingyi beibringt. Sehr knackiger Knabe Ende Zwanzig, im Sommer habe ich ihn schon beobachtet, wie er in knappen Hosen und mit nacktem Oberkörper einen jungen Baum attackierte. Augenweide. Witzigerweise sieht er von den Gesichtszügen her meinem Lieblingscousin ziemlich ähnlich, überhaupt entdecke ich häufiger Chinesen, die mich an irgendwelche Leute in Deutschland erinnern. Hasenzahns Trainingsmethoden finden wir aber alle nicht so toll, der leckere Knabe übt unter voller Anspannung. Was soll es, weide mich heimlich an seinem makellosen Körper, richtig hübsche und gut gebaute Männer kriegt man ja hier nicht so oft zu sehen.


Nachmittags, Xiao Lu:

 Training mit Xiao Lu, es wird langsam Herbst und in der Luft hängt der süße Duft des Osmanthus. Ich liebe diese Jahreszeit am meisten, vor allem das Licht am Spätnachmittag, das dem Park eine verwunschene Atmosphäre verleiht. Wenig Leute unterwegs, wir üben sehr gewissenhaft alle 24 Einzelbewegungen unseres Stiles unter verschiedenen Aspekten. Ich lerne viele Dinge, die regulären Schülern so nicht unbedingt beigebracht werden und muss versprechen, dieses Wissen auch nicht weiter zu geben. Warum Xiao Lu ausgerechnet mich zu sowas auserkoren hat, werde ich nie verstehen. Vielleicht hatten wir ja in einem früheren Leben eine innige Beziehung, Waffenbrüder oder so was. Ich glaube zwar nicht an Reinkarnation, aber wenn man in Asien lebt, beginnt man doch einige westliche Sichtweisen in Frage zu stellen.
Was die Säbelform angeht, hat Xiao Lu auch einen besonderen Ehrgeiz entwickelt: Ich muss jetzt ganz schnell den Vorsprung der anderen Ausländer aufholen. Und gerade bei dieser Waffe zeigt sich für mich, was für ein toller Lehrer er ist. Xiao Lu kennt echt jede Finte und reagiert blitzschnell. Schwert habe ich erst richtig gut von Ramona gelernt, die zwar theoretisch weiß, wie die Anwendungen sind, aber nie mit dem Schwert kämpfen könnte. Xiao Lu hingegen kann mit dem Säbel auch wirklich umgehen. Ich muss ihn mit meinem Zweig angreifen und noch bevor ich ihm die Halsschlagader aufschlitzen kann, hat er die Sehnen meiner waffenführenden Hand durchtrennt, bevor er mir mit einem eleganten Schlenker den Bauch aufschlitzt, die Eingeweide durchbohrt und die Füße schlimm verwundet. Ich lerne, dass auf den Brustkorb oder vielmehr das Herz des Gegners zu zielen nichts bringt. Zu viele Knochen, die Klinge könnte brechen. Obwohl chinesische Säbel ihrer Form nach sehr nach brutalem Hacken aussehen, wird in der Anwendung doch eher geschnitten oder gestochen. Das macht man eher mit japanischen Samurai- Schwertern, die auch anders geschliffen sind. Beim Hacken könnte die Waffe ja im Knochen stecken bleiben, zu viel Zeit geht beim Versuch, sie los zu rütteln verloren. (Wie so oft muss ein unschuldiger Baum in Heping Park für diese Demonstration herhalten). Bin von den Klötzen.
 Dienstag besucht Xiao Lu mich, um Sieder zu bewundern, der sich jedoch scheu versteckt. Ich werde getadelt, meine Katze gehorche mir nicht, aber ist das nicht typisch? Ob seine Katzen denn auf ihn hören würden? (Mittlerweile hat der Meister ihm auch noch Aomi, seine Burmakatze aufgenötigt). Kleinlaut muss er zugeben, dass die auch eher ihrem eigenen Willen folgen. Wir gehen gemeinsam meine aufzeichnungen zu Tongbei durrch und er hilft mir, da ich des Meisters Klaue nicht immer entziffern kann.
 Donnerstag- und Freitagmittag hat Xiao Lu leider keine Zeit für mich, wie schade. Dafür spiele und schmuse ich mit meinem vierbeinigen Mitbewohner und gammele ein wenig. Freitag erkunde ich auf der Flucht vor der Ayi das Gelände der Tongji- Universität. In der Chifeng Lu entdecke ich ein nettes kleines Restaurant, dass sehr annehmbare Pizza feilbietet. Gut zu wissen. Der Quyang Park bei mir um die Ecke wird auch noch auskundschaftet, nicht so schön wie der Heping Park. Sitze in der Sonne, lese und mache die Bekanntschaft einer kleinen Tigerkatze. So eine Fellzeichnung habe ich noch nie gesehen: Das Tier ist schwarz und hat helle beige- graue Streifen. Aber mein kleiner Freund ist niedlicher.

09.10.2010, Samstag

Wir fangen wieder an, zu arbeiten und das bedeutet auch das Ende von Mikes und meiner harmoni-schen Wohngemeinschaft. Der kleine Kater lässt sich ohne Murren in die Tasche verfrachten, erst als wir meine Wohnung verlassen, fängt er an zu protestieren. Taxi ins Büro, der Kater heult und ich heule auch. Hatte mich gerade daran gewöhnt, dass zu Hause jemand auf mich wartet, jetzt bin ich wieder alleine.
Während der Arbeit schläft mein kleines Tier auf meinem Schoß zusammengerollt, schwerer Ab-schied. Meine Wohnung kommt mir leer vor, muss wieder heulen. Wenigstens kommt Donnerstag Lilo auf ihrem Rückweg nach Deutschland hier vorbei, immerhin ein gewaltiger Lichtblick.

Dienstag, Oktober 05, 2010

丽露第二 – Lilo #2

Mittherbstfest, wir haben drei Tage frei. Erwerbe vorsichtshalber tonnenweise Mondkuchen, man weiss ja nie. Gekeife mit der Kassiererin bei Carrefour, die nicht glauben will, dass meine Mondkuchen- Präsentpakete zum Angebot „Kaufe zwei, zahle eines“ gehören. Ich behalte Recht. Ein Paket wird unter den Kollegen verteilt und auch die Ayi bekommt einen prachtvollen Kuchen, für den sie sich artig schriftlich bedankt.
Am Tag des Festes fällt leichter Regen, hocke schon mit einem Zentner Mondkuchen und einer Stange Kippen im Park, als der Meister mir per SMS mitteilt, dass heute nicht trainiert würde. Auch gut.
Meister Wu lädt mich dieses Jahr leider nicht ein, aber zum Glück hat sich Lilo diese Zeit für eine ihrer Trainingsaufenthalte ausgesucht. Schlafe dumm auf meinem rechten Arm ein, an Lilos An-kunftstag habe ich die komplette feinmotorische Kontrolle über meine rechte Hand verloren. Klasse. Wir haben trotzdem jede Menge Spaß. Den ersten Tag lassen wir ruhig angehen und erledigen die notwendigen Dinge wie Telefonkarten aufladen und dergleichen. Elli hat Ferrero Küsschen mitgeschickt, bin gerührt. Und Mainz 05 ist Tabellenführer, unfassbar!
Am zweiten Tag fahren wir in die Stadt und versorgen zunächst mal die Bürokatze. Bummel auf der Nanjing Lu, ich mache Lilo auf den Li Ning Sportladen aufmerksam, den sie erwartungsgemäß geil findet. Sie erwirbt praktische Armstulpen, ich eine schicke Windjacke. An der Kasse kriege ich mit, wie eine Verkäuferin der anderen zuzischt, sie solle mal vorsichtig mit ihren Äußerungen sein, wir sprächen chinesisch. Die junge Dame schlägt kichernd und schamhaft errötend die Hände vors Gesicht und flüchtet verlegen. Was sie über uns gesagt hat, haben wir jetzt nicht mitbekommen, aber ihre Scham ist für uns Genugtuung. Stärkung mit Kaffee und anschließende Massage, wir lassen uns eine Stunde lang bearbeiten. Interessanterweise konzentrieren sich die Masseure ausschließlich auf unseren Schulter- und Nackenbereich. Bildschirmarbeit und Langstreckenflüge fordern halt ihren Tribut. Meine Masseurin ermahnt mich eindringlich, intensive Leibesübungen zu betreiben. Damit ich das auch ja verstehe, spricht sie sehr langsam und deutlich. Krümme mich vor Scham auf der Liege, das darf ich echt Meister Wu oder Xiao Lu nicht erzählen. Kein Wunder, dass ich eher selten zur Massage gehe.
Obligatorischer Besuch des Cybermart, Lilo hat natürlich mal wieder ein elektronisches Spielzeug (Tablet- PC) im Sinn, über das wir uns kundig machen. Gekauft wird erst mal nicht.
Abendessen mit dem Meister und Xiao Lu, endlich werde ich meine Mondkuchen, wenn auch verspätet los. Witziger Abend, Meister Wu ist voll in seinem Element und erzählt kuriose Geschichten. Wir wagen vorsichtig zu fragen, ob er denn mal wieder Lust habe, in Deutschland zu unterrichten? Ach nee, er sei zu alt für sowas. Aber Xiao Lu könne ja kommen! Triumph! Der wehrt bescheiden ab, er könne doch keine Fremdsprachen! Ach was, sagt Meister Wu, Bettina kann ja übersetzen. Na, dann mal sehen. Was mich an dieser Sache ganz besonders freut: Meister Wu wird ziemlich oft von Leuten eingeladen und kriegt bei diesen Gelegenheiten kräftig Puderzucker in den Arsch geblasen. Deswegen nimmt er nicht oft Einladungen an, weil ihn das langweilt. Auf unsere aber hat er sich gefreut, weil diese eine lässige und zwanglose Angelegenheit zu werden versprach. Ja, wir hatten auch Spaß und schließlich sind Lilo und ich ja auch zwei ganz Nette.
Am nächsten Tag wird nach zähem Feilschen Lilos Spielzeug errungen, die Verhandlungen führe ich. Bin nicht ganz zufrieden, hätte das Ding auch noch 100,- RMB drücken können, meine ich. Die sich anschließende Gebrauchseinführung durch den Verkäufer verfolge ich nicht wirklich und Lilo ist nach dem Gefeilsche noch zu sehr durch den Wind, als das sie sich was hätte merken können. Ein großer Fehler, denn das Spielzeug hat keine Gebrauchsanweisung, obwohl es Deutsch kann.
Treffen mit Tori und Aufrollen der Taikang Lu, am Ende bin ich stolze Besitzerin eines Kaschmir-schals, Nylon- Körpertatoos, einer umwerfenden Bomberjacke aus Sweatshirtstoff mit eingestickten spielenden chinesischen Löwen und eines Handygebamsels aus Kimonostoff mit Glöckchen dran. (So finde ich das Ding wenigstens zügig in den Tiefen meiner Tasche). Unnötig zu sagen, dass die beiden anderen Damen bei unserer kleinen Tour ebenso erfolgreich waren. Stärkung bei Pizza und alkoholischen Getränken, die Einkäufe werden bewundert.
Lilo und ich müssen beide am nächsten Morgen früh raus, Absacker in meiner Küche. Wir liegen beide schon im Bett, als Lilo eine SMS von Elli bekommt: Bayern 2:1 geschlagen! Immer noch Tabellenführer! Darauf müssen wir erst mal eine rauchen, unfassbar!

Montag, Oktober 04, 2010

异客在异乡 – Fremde in einem fremden Land #2

Zwei Wochen in Deutschland und es ist, als sei ich nie fortgewesen. Wache zwar jeden Morgen völlig desorientiert auf und habe Angst, zu spät zur Arbeit zu kommen und bin ansonsten ziemlich unentspannt, aber endlich kann ich meine Leute wiedersehen. Training und anschließendes Apres- Qi mit Lilo und Elli im Heiligen Aal. Noch viele Sachen zu regeln, aber schließlich komme ich endlich dazu, stressfrei Klamotten und Schuhe kaufen und auch zum Friseur. War nach acht Monaten Shanghai auch mal nötig.
Herrn Burland und seine charmante Gemahlin lerne ich dann auch endlich kennen, er schafft es sogar, ein einigermaßen anständiges Foto von mir zu schießen. (Habe mich langsam schon gefragt, ob ich wirklich so schlimm aussehe oder einfach nur unfotogen bin).
Am Ende meines Urlaubs dann doch noch Mega- Stress: Der Lüfter meines Rechners macht die Hufen hoch und das, nachdem wir das Teil gerade neu aufgesetzt hatten. An meinem letzten Abend in Mainz also hektisches grob-auf-die-Reihe-bringen des Rechners, nichts mit entspanntem Abschieds- Training mit den Mädels und lecker Essen mit dem Herrn Gemahl.
Reise mit einem halbwegs eingerichteten Rechner zurück nach Shanghai, hoffentlich schaffe ich es, ins Netz zu kommen. Alles andere wäre eine Katastrophe.
Netz funktioniert, aber auf einmal fühle ich mich hier sehr einsam. Alle anderen Leute haben schwarze Haare und ich knalle mit meiner Größe und meiner Haarfarbe mal wieder voll raus. Und Sachen, die in Deutschland reibungslos liefen, sind auf einmal wieder kompliziert. Oder Sachen, die in Deutschland kompliziert sind, sind hier auf einmal kein Problem. Man hört ja immer wieder, Shanghai sei eine so stressige und laute Stadt. Stimmt nicht, meine Wohnung in der Mainzer Altstadt ist lauter als die hier in Shanghai und die Shanghaier sind ganz schön entspannt. Jedenfalls, wenn sie flanieren. Das tun sie nämlich sehr gemächlich und unter voller Ausnutzung der Bürgersteigbreite, gerne auch mit den besten Freundinnen/ Freunden untergehakt. Und telefoniert oder mit dem Mobilfon sonstiges getrieben wird dabei auch. Kann mich als zielorientierte Deutsche manchmal zur Weißglut treiben, vor allem, wenn ich mit schweren Einkaufstaschen beladen bin. Das einzig wirklich stressige in Shanghai sind für mich die Menschenmassen und die weiten Entfernungen, obwohl ich es sowohl zum Park als auch zur Arbeit echt nicht weit habe.
Bin dann in meiner ersten Arbeitswoche gleich auch mal zwei Tage krank. Frage mich, ob es das alles hier wirklich wert ist.
Bauschäden in meiner Bude, Tauwasserbildung an einer Erkerwand. Chinesen haben halt keine Ahnung von Bauphysik, leider weiß ich nicht, was „diffusionsoffener Anstrich“ auf Chinesisch heißt, sonst würde ich meiner Vermieterin mal was erzählen. Aber wahrscheinlich ist das Zeug hier sowieso sauteuer. Klimaanlage im Schlafzimmer tropft auch, zum Glück sind die Temperaturen wieder so erträglich, dass man sie nicht unbedingt einsetzen muss.
Komme von der Arbeit nach Hause und entdecke, während ich mir die Schuhe ausziehe, im Bade-zimmer eine träge krabbelnde Kakerlake. Bin wie gelähmt. Dass es das Viehzeug hier gibt, wusste ich natürlich, aber da ich neun Monate keine zu Gesicht bekommen hatte, wähnte ich mich sicher. Also Schuhe wieder an und ab zum E- Mart, wo Giftköder und Spray erworben werden. Das Biest soll verrecken, bevor es seinen Kumpels Bescheid sagen kann.
Die Giftköder werden in Bad und Küche verteilt, der Spray griffbereit unter der Spüle deponiert. Jetzt wird auch Shen Ayi wissen, was Sache ist und auf der Hut sein.
Kaufe mir die neue Staffel von Dr. House und ein paar Filme als Trostpflaster. Bin angenehm über-rascht, es gibt sogar Untertitel und die brauche ich bei Dr. House trotz guter Englischkenntnisse allein wegen der ganzen Fachausdrücke. Kann mich auch bei Vegetarian Lifestile mit meinen geliebten Nudelsuppen eindecken, es geht aufwärts.
Training mit Xiao Lu, wir arbeiten sehr systematisch an den Einzelbewegungen und den dazugehörigen Schrittfolgen. Bin glücklich, denn als Deutsche und als Ingenieurin finde ich Systematik natürlich klasse. Es gibt eine bestimmt Reihenfolge für diese Übungen und die klappern wir jetzt ab. Nehme mein Projekt „Dokumentiere Heyi Tongbei“ wieder auf.
Fortsetzung des Chinesisch- Unterrichts, danach geht Ying pinkeln und schließt natürlich die Schie-betür meines Badezimmers. (Ich mache das nie, bin ja schließlich alleine). Nach dem Öffnen der Tür starren wir beide auf eine auf der Schwelle liegende Kakerlake, die offensichtlich ihrem Schöpfer gegenüber getreten ist. Wir beide kreischen, dann fege ich das leblose Insekt auf, Ying nimmt die Tüte mit runter. Anscheinend hat das Vieh den Köder gefressen und ist unter der Tür verendet. Gut, soll den anderen eine Warnung sein. Fühle mich mal wieder gestresst.