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Samstag, September 29, 2012

事势第八 – Stand der Dinge #8

Stefanie:
  kommt Anfang April, ein paar Tage, nachdem ich arbeitslos bin. Oder wie man das elegant nennt: Ein Sabbatical mache. Bei den einschlägigen deutschen Fernsehsendern würde man mich vielleicht auch nur als „arbeitssuchend“ beschreiben, obwohl ich alles andere als das tue.
Wir touren drei Wochen durch Süd- China und die Provinz Yunnan. Viel erlebt, könnte darüber fast ein eigenes blog schreiben. Geile Zeit, von den Karstbergen in Guilin zu den schneebedeckten Bergwipfeln in Shangri- La. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an die Fremdenverkehrszentralen der Provinzen Guangxi und Yunnan: Schöneres Wetter und blauere Himmel hättet ihr uns auf unserer Reise nicht zur Verfügung stellen können. Werde bei Gelegenheit kräftig Werbung für euch machen und noch geilere Fotos veröffentlichen.

Lilo:
Ist dann im Mai hier, allerdings nur für ein paar Tage, die dann meistens auch noch total verregnet sind. Immerhin schaffen wir es in das Museum für Chinesische Kampfkünste, wo wir dann auch prompt viel Spaß haben. Schauen zusammen „Tatort“ und hängen ab. Finden bei mir um die Ecke eine richtig gute Suppenküche, in der wir öfters speisen. Am letzten Tag ihres Aufenthaltes lassen wir uns eine Fußmassage angedeihen. Fängt gut an, klasse Schultermassage, während unsere vom Training unansehnlichen Mauken in Ingweraufguss einweichen. Auf einmal fangen die Typen an, unsere Füße und Fußnägel mit einem Stecheisen zu bearbeiten. Kreische, wage aber nicht, mich zu bewegen. Möchte ja hier ohne größere Verluste an Gliedmaßen rauskommen. In meinem Spa wird immer Tee gereicht, während kundige Hände meine Hufe sachte bearbeiten, abhobeln und mit schickem Nagellack versehen. Lilo hatte sich ihre erste Pediküre sicher auch anders vorgestellt. Jedenfalls schließe ich das daraus, dass sie ebenfalls den Atem anhält und sich in die Polster des Sessels krallt.
Henkersmahlzeit in der Suppenküche, so was muss doch in Deutschland auch ankommen! Letzter Gang über meine palmenbestandene Compound, Gescherze mit meinen Nachbarn im Aufzug. Lilo wird ungewohnt sentimental und da geht auch mir auf, dass ich ja auch nicht mehr sooo lange hier bleiben werde. Schluck.

Training:
Endlich Zeit, endlich kann ich das tun, was ich am liebsten mache. Arbeite sehr hart an mir und freue mich, dass ich fast jeden Tag in den Park gehen kann. Treffe jede Menge interessanter Leute und stelle erneut fest, dass China echt voll von schrägen Typen ist. Intensiviere meine Freundschaft mit meinem Tongbei- Bruder Zheng Rui (Richard, der Teeknülch) durch intensive Chats und Xiao Lu taucht auch wieder auf. Immer noch nicht fit, immer noch Metall im Arm, aber trotzdem stehen wir morgens bei 30° und 80% Luftfeuchte im Park und üben zusammen. An einem Punkt sagt er: „Schau uns mal an. Wir sind Deppen (傻瓜, Sha Gua, wörtlich übersetzt: Alberne Melone). Deutscher Depp und Shanghaier Depp“. Muss lachen, ab jetzt rede ich Xiao Lu nur noch mit „Shanghai Shagua“ an und habe am nächsten Tag im Training eine Melone dabei. Bin jetzt natürlich die „Deguo Shagua“.

Meisterschülerin:
Da unser Stil sogar in China von sehr wenigen Leuten geübt wird, erwartet man von uns Ausländern, dass wir das in unseren Heimatländern lehren. Fühle mich dazu noch nicht berufen und bin mir über meine Leistung nicht sicher. Sein eigenes Niveau aufrecht zu erhalten ist ja schon schwer, aber das auch noch weitergeben? Nicht umsonst gibt es dazu etliche Chinesische Weisheiten. Treffe Birte und ihren Kumpel Jo auf ihrem Rückweg von Wudang in Shanghai, leider haben die beiden absolutes Pech mit dem Wetter, scheinen sich aber trotzdem zu amüsieren. Interessante Gespräche, die beiden sind auch Meisterschüler und doch so viel besser als ich. Auf jeden Fall bessere Lehrer. Bin in einem Dilemma.
Zheng Rui macht mir Feuer unter dem Arsch und ich vertraue ihm meinen geheimsten Wunsch an: Ich möchte als Meisterschülerin anerkannt werden. Zheng Rui zögert nicht lange und ruft den Meister an. OK, komm morgen ins Training.
Bin dann so nervös, dass ich mich kaum bewegen kann. Überraschend viele Schüler im Sonntagstraining. Anschließend gemeinsames Essen. Kriege keinen Bissen runter. Ernste Ansprache von Meister Wu, er steht nicht so auf Rituale, also kein Kotau vor dem Ahnenaltar. Aber: Ich schwöre auf moralische Integrität, die Wahrung der Tradition und noch vieles mehr. Nach intensiver Prüfung und Einweisung erklärt mich Meister Wu vor versammelter Mannschaft zu seiner Meisterschülerin. Kann kaum glauben, was ich da höre. Die erste Frau und dann noch Ausländerin in unserem System.

Dienstag, Juli 10, 2012

事势第七 – Stand der Dinge #7



Anmerkung: Habe gehofft, die Entwicklungen bis jetzt in einem Post abfrühstücken zu können. Dank meines Hanges zur Geschwätzigkeit ist das jedoch eher schwierig, will meinen Leser ja nicht zu Tode langweilen. Vielleicht kriege ich den Rest noch hin, bevor ich bald wieder aus dem Goldischen Meenz hinter die GFoC verschwinde.


Job:

wird immer chaotischer, irgendwie kriegt es unser sogenanntes Projektmanagement nicht auf die Reihe. Streckenweise sitze ich völlig unterbeschäftigt dumm in Büro rum, während meine chinesischen Kollegen in Arbeit schier ertrinken. Mache einige Wettbewerbe, dann ist mal wieder Stress angesagt. Und auf Präsentationen darf ich natürlich auch gerne mitfahren, Vorzeige- Langnase. Geilste Präse überhaupt: Stelle in Suzhou ein Projekt bei einer Veranstaltung vor, die potentielle Käufer anlocken soll. Habe das Ding noch nie gesehen, Kurzeinweisung Freitagabend. Samstagmorgen, fast verpennt, Haare ungewaschen, aber wenigstens coole Klamotten. Am Veranstaltungsort Sponsoren wie Harley Davidson, Nobelschampus und dergleichen. Und die Presse, das Fernsehen und der Bürgermeister sind auch da. Schäme mich. Von der perfekt gestylten Moderatorin werde ich als „Bettina, DIE deutsche Architektin“ angekündigt. Als ich die Bühne betrete, explodieren Feuerwerke um das riesige Modell unseres Projektes und es erklingt rockige Musik. Spule meinen Text ab, donnernder Applaus. Fühle mich wie ein Rockstar. Hätte ich das gewusst, hätte ich darauf bestanden, mit einer der Harleys durch einen brennenden Reifen auf die Bühne zu springen


Fahre über die Ferien zum Chinesischen Neuen Jahr kurz entschlossen nach Hongkong, meinen kleinen Bruder Felix besuchen. (Dass Elli zur selben Zeit da ist, erfahre ich erst später. Mist. ) Kann mir die Generalprobe zu der traditionellen Festparade auf der Ehrentribüne ansehen, Felix´Kungfu Schule macht da mit. Wir treten in das Jahr des Wasserdrachen ein, das verheißt viele Veränderungen. Hergeflogen bin ich mit Dragon Air, auf den Flieger war ein hübscher Drache gemalt. Sozusagen auf dem Rücken eines Drachens geflogen. Und das mit den
schönsten Stewardessen, die ich je gesehen habe. Beobachte die Drachentänzer und den sich auf der Anzeigentafel munter windenden Drachen und komme zu dem Schluß, dass sich bei mir jetzt auch was bewegen muss. Gehe nach der Generalprobe mit Felix, seinen Gungfu- Brüdern und –Schwestern und seinem Meister lecker essen und feiere mit denen Neujahr. Supernette Leute, es gibt Whiskey- Soda aus Pitchern. Merkwürdig, völlig anders als auf dem Festland. Da explodiert jetzt alles und jeder feiert mit seiner Familie. Denke mir, dass das vielleicht für längere Zeit mein letztes CNY in Asien sein wird. Mein erstes habe ich mit meiner Gongfu- Familie verbracht, mein letztes jetzt mit der von Felix. Fühlt sich komisch an.
Fahre mit dem Bus kreuz und quer über die Insel, verbrate einen Teil meines üppigen Neujahrs- Bonus bei Armani (muss ja anständige Klamotten für die nächsten Präsentationen haben), harre bei strömendem Regen im Hafen von Kowloon dem prächtigen Feuerwerk und mache in den Bars und Garküchen um mein schickes Boutique- Hotel herum interessante und nette einheimische Bekanntschaften. Speise göttlich und löse mein Konto bei der HSBC auf. OK, kein Grund mehr, demnächst mal wieder nach Hongkong zu kommen. Und erster Schritt in Richtung Heimat.
In Shanghai komme ich dann pünktlich zur Rückkehr des guten, alten Küchengottes an. Schweres Bombardement, ich komme endlich auf meine Kosten. Wir Festländer mögen es zwar manchmal etwas an guten Manieren gebrechen lassrn, aber dafür können wir ordentlich feiern und haben Eier in der Hose.
Denke lange, lange darüber nach, was ich denn mittelfristig so mit meinem Leben abfangen will und schaue mir die Dinge im Büro noch eine Weile an. Anfang März kündige ich fristgerecht zum Monatsende. Zu meiner Überraschung ist Evil Ji (der Projektmanger) anscheinend ehrlich betroffen, ebenso die meisten meiner Kollegen und vor allem meine Sekretärin. 

Best team ever
Letzter Arbeitstag, Präsentation eines Projektes, an dem ich auch tatsächlich teilgenommen habe. Schmeiße mich voll in Schale und gebe alles. Ehre des Büros hochhalten bis zuletzt. Die waren ja nicht böse, nur nicht so gut für Ausländer. Dem Kollegen, der verantwortlich ist, fällt die Kinnlade runter. Auf der Rückfahrt kuschelt sich Jenny, meine Sekretärin an mich und meint, sie müsse jeden verbleibenden Augenblick mit mir genießen. Hält mich anscheinend für eine coole Schnalle, fühle mich zugleich geschmeichelt und irgendwie gerührt. Während man sonst an irgendeiner Metro- Station rausgeschmissen wurde, bringt unser Fahrer mich heute bis an die Haustür und schüttelt mir beim Abschied heftig die Hand. Auch ein ganz lieber und freundlicher Kerl, was war der immer nett zu mir. Und wir haben uns auch immer prächtig unterhalten, sofern das meine miesen Chinesisch- Kenntnisse zuließen. Bin jedenfalls voll durch den Wind, dass ich anscheinend doch derartig geschätzt wurde und wohl nicht nur die Alibi- Ausländerin war.
(Anmerkung: Einen Monat nach meinem Ausscheiden kündigen nach und nach alle meine Teammitglieder. Haben keinen Bock mehr ohne mich. Bin von den Klötzen.)

Dienstag, Juli 03, 2012

事势第六 – Stand der Dinge #6

Anmerkung: Habe diesen Post bereits letzes Jahr kurz vor Weihnachten verfasst, ihn aber aufgrund Problemen mit der Great Firewall und weil er mir etwas zu ausschweifend erschien, nicht veröffentlicht. Mittlerweile ist schon wieder viel passiert.

Sieder:
Als ich meine Wohnung aufschließe, habe ich schon einen Kloß im Hals. Keine Katze, die mich begrüßen und sich vor mich zwecks Beschmusung auf den Boden werfen wird. Außerdem ist da ja noch das ganze Spielzeug, das mich an ihn erinnert. Zwar weiß ich, dass Sieder in Deutschland in besten Händen ist und es bestimmt besser hat als hier, aber trotzdem vermisse ich ihn fürchterlich.
Hatte nicht mit dem Feingefühl meiner Ayi gerechnet. Alle Katzensachen sind diskret beiseite geräumt und dem ersten Blick entzogen. So ist die katzenlose Wohnung nicht ganz so schrecklich. Könnte die Frau küssen! Brauche aber Wochen, bis ich im Supermarkt an dem Regal mit Tiernahrung vorbei gehen kann, ohne dass ich traurig werde. Spiele mit dem Gedanken, im Park eine Katze zu fangen oder eine Pflegekatze aufzunehmen, verwerfe ihn aber wieder. Dieses Tier und ich, das war Schicksal. Widerstehe tapfer jeglicher Versuchung, während Sieder unter Alis liebevoller Obhut tatsächlich nochmal an Größe zulegt. Muss ich unbedingt dem Meister und Xiao Lu erzählen, anscheinend sorgt die gute deutsche Luft dafür, dass Katzen bei uns größer werden als hier.

Lilo:
Montag nach meiner Rückkehr besucht mich Lilo auf ihrem Rückweg von Wudang für drei Tage. Ich habe noch vier Tage frei und es sind Nationalferien. Freue mich natürlich über Besuch aus der Heimat und erwartungsgemäß gestaltet sich der Aufenthalt als nicht enden wollender Shopping- Rausch. Bin immer wieder fasziniert, wie Lilo es schafft, über den hier feilgebotenen Tand in kindliches Entzücken zu geraten und dann auch mit sicherer Hand das wirklich kitschigste Zeugs zu finden. Interessant finde ich, wie Lilo laut zu jedem Gegenstand fast entschuldigend Überlegungen hinsichtlich seiner Nützlichkeit anstellt, um ihn dann anschließend doch zu kaufen.
Unwiederstehlich
Ich kenne das ja alles und bin langsam gegen blitzende Sachen mit aufgedruckten Kätzchen oder Glöckchen dran fast immun. Aber auch nur fast, denn natürlich schnappt auch bei mir die „mai dongxi“ (Zeugs kaufen) Falle zu.  Da findet sich dann doch noch ein schicker Schal, die Kühlschrankmagneten sind unverzichtbar und irgendwie süß und warme Hauspuschen kann man gerade im Shanghaier Winter auch immer gut gebrauchen. Während Stefanie und ich bei ihrem Aufenthalt im Mai unsere Mauken für den Sommer haben bearbeiten lassen, denken Lilo und ich an die herannahende kalte Jahreszeit und erwerben ganz entzückende flauschige Kätzchensocken. Und die mit Leopardenmuster müssen auch unbedingt gekauft werden. Abendliche Begutachtung der Beute und lange Gespräche in meiner Küche bei alkoholischen Getränken, Besuch von Freundinnen ist einfach geil.
Meister Wu und Xiao Lu werden zum obligatorischen Essen eingeladen, ein lustiger Abend. Xiao Lu sieht schon erheblich besser aus, auch wenn das mit der Hand immer noch nicht gut ist. Meister Wu hat zwar das Rauchen, nicht aber das Saufen aufgegeben, zum Essen hat er gleich mal eine Literflasche Schnaps mitgebracht, die wir dann auch zügig leeren. Noch während wir tafeln, ruft ihn Wujie an und kündigt sich für den nächsten Abend zum Essen an. Der Meister ist entzückt, da müssen Lilo und ich selbstverständlich mit dabei sein. Ob wir schon was vorhätten? Natürlich nicht, so eine Gelegenheit lassen wir uns doch nicht entgehen. Prima, Schnaps wäre auch ordentlich am Start, der Abend ist gebongt.
Solides Schuhwerk.
Am nächsten Tag besuchen wir Zhoujiazhou, ein Wasserdorf in der Nähe. Klasse Idee, denn während der Feiertage hat natürlich halb Shanghai denselben Plan. Erwischen auf der Rückfahrt voll denn Bummelbus, weswegen wir völlig abgehetzt und verspätet bei Meister Wu eintreffen. Egal, es wird ordentlich gesoffen und gespiesen, Lilo und ich kündigen uns vollmundig für den nächsten Tag zum Training an.
An Donnerstag schleppen wir uns leicht verkatert, aber tapfer in den Park und werden von Meister Wu hübsch auf Trab gebracht. Wir sind die beiden einzigen im Training, es wird eine nette Stunde. Frage den Meister, ob er morgen denn auch im Park sei? Ja? Oh fein! Mein letzter Urlaubstag, aber eine Einzelstunde mit Meister Wu lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Letzter Raubzug durch die Stadt, abschließende Massage und dann muss Lilo auch schon langsam aufbrechen. Begleite sie an den Flughafenbus und winke ihr nach.

Meister:
Kriege meine Einzelstunde und bin glücklich. Gegen Ende der Übungseinheit tauchen auf einmal vier ältere Herren auf, die vom Meister enthusiastisch begrüßt werden. Alte Kampfgefährten, jetzt selber Meister. Muss unsere Form vorturnen und bin entsprechend nervös, hier schauen schließlich Experten zu, kriege die Form aber fehlerfrei hin. Anscheinend auch gar nicht so schlecht, oder die Herren sind einfach nur höflich. Der Meister jedenfalls scheint zufrieden mit meiner Leistung. Die Herren führen nun ihrerseits ihre Stile vor und ich bin beeindruckt. Hätte ich nach denen auftreten müssen, hätte ich vor Respekt kein Glied rühren können. Nach diesen Vorführungen verkündet Meister Wu fröhlich, jetzt würden wir aber alle nett Mittagessen gehen und ruft Xiao Lu und seinen Sohn an, auf dass sie uns Gesellschaft leisten. Ich bin etwas vorsichtig, denn ich muss morgen meine neue Stelle antreten und hätte mich nach den anstrengenden Tagen mit Lilo gerne für den Rest des Tages aufs Ohr gelegt. Und Essen mit so alten Kampftigern kann schon mal sehr feuchtfröhlich werden. Kann mich ja immer noch entschuldigen, denke ich.
Was dann folgt, wird eine ausgiebige Fress- und Sauforgie quer durch Shanghai. Hätte ich mir fast denken können, als schon zum Mittagessen Schnaps gereicht wurde. Meine Rückzugsversuche werden durch heftige Proteste der alten Tiger verhindert. Kenne das Programm ja eigentlich, aber diesmal meinen die das tatsächlich auch so. Na gut, was willste machen.
Alte Geschichten werden erzählt, sehr lustig. Finde es interessant, dass Meister Wu mit seinem Vornamen angeredet wird, höre das zum ersten Mal. Einer der Tiger hat keine Probleme damit, sich am Tisch seiner Trainingskleidung zu entledigen und in einen seriösen Anzug zu schlüpfen. Pensionierter Chef der Staatssicherheit, wie mir Xiao Lu ins Ohr raunt. Wir finden uns schließlich in einem uigurischen Restaurant irgendwo in Pudong wieder, dass einem Schüler eines der Tiger gehört. Feuertopf wird aufgetischt, großzügig Zigaretten gereicht und der Schnaps fließt in Strömen. Mann, mit diesem uigurischen Schüler und vor allem seinem Bruder wollte ich mich aber auch nicht anlegen wollen! Ein Kerl wie ein Schrank, Tatzen wie ein Bär und cool wie ein Eisblock. Die Herren wollen alles Mögliche von mir wissen, zum Beispiel, was ich denn so als wichtig an einem Mann erachten würde? Herr im Himmel, die stellen Fragen! Und dann noch in einem so komplizierten Chinesisch! Langsam werde ich nervös, keine Ahnung, wo wir sind und ich muss doch morgen arbeiten! Einer der Typen versucht, mich abzufüllen, was ich aber mädchenhaft kichernd mit dem Hinweis, ich als Frau vertrüge keinen Alkohol verhindern kann. Absolutes worst- case scenario: Vollgesoffen mit sechs alten Kerlen, zwei Uiguren und Xiao Lu an einem unbekannten Ort und totaler Verlust sowohl der Mutter- als auch der Landessprache, neue Arbeitsstelle am nächsten Tag. Nee, danke. Meine Äußerung wiederum veranlasst Meister Wu zu brüllendem Gelächter und bringt mir einen kernigen Hieb auf den Rücken ein, so dass ich fast mit dem Gesicht im Feuertopf lande. Bei ihm waren die Abfüllversuche durchaus erfolgreich. Schließlich bugsieren wir den mächtig angezählten Meister in ein Taxi. Kriege mit, dass uns dieses lediglich bis zur nächsten Metrostation befördern soll und greife ein. Nix da, wir fahren jetzt nach Hause. Und ich zahle. Heftige Proteste, aber Wu Junior und Xiao Lu sehen schließlich ein, dass Meister Wu in seinem Zustand besser so schnell wie möglich nach Hause kommt. Der blöde Taxischerge verfährt sich natürlich, während Meister Wu ständig darauf besteht, dies sei doch jetzt die Quyang Road und irgendwann mal dem Schergen diskret für seine Unfähigkeit Konsequenzen androht. Das Taxameter wird hastig ausgeschaltet. Endlich am Ziel drücke Xiao Lu 100 RMB in seine verletzte und wehrlose Hand und sinke zu Hause zitternd in meinen Sessel.
Merke: Wenn du dich mit chinesischen Kampfkunst- Meistern in den Ring begibst, solltest du echt hart im Nehmen sein. Und zwar in jederlei Hinsicht.

Job:
Trotz der gestrigen Orgie erscheine ich einigermaßen frisch auf meiner neuen Stelle. Außer mir noch ein dröger Schotte, der Rest Chinesen, die meisten mit eher rudimentären bis nicht vorhandenen Englischkenntnissen. Kriege schnell mit, dass diese Typen ihr Handwerk echt verstehen. Und die mich eingestellt haben, weil die von mir denselben Eindruck hatten. James ist wohl eher der Vorzeige- Ausländer, ich hingegen finde mich in der Position eines Projekt- Mangers wieder und muss an den Teamleadersitzungen teilnehmen und wöchentlich Zeitpläne vorlegen. Auf Chinesisch.
Team
Erster Job: 60.000 m2 Commercial. Kein Raumprogramm, in zwei Wochen erste Präsentation. Man teilt mir James und einen jungen Chinesen, der in Sheffield seinen Master gemacht hat zu. Archie entpuppt sich als echter Glücksgriff. Nicht nur ist er ausgeschlafen, sondern auch lernfähig und fleißig. Und ein netter Kerl, der aufgrund seiner eigenen Erfahrung weiß, wie Scheiße man sich manchmal als Ausländer fühlt. Wir knechten wie die Bekloppten und unser Team wird langsam richtig gut. Zahllose Konzepte für unser Planungsgebiet, schließlich nickt unsere Chefin einen meiner Entwürfe ab. James taut langsam auf und Archie und ich werden Freunde. Wir beide gehen sogar zusammen vorzeigbare Klamotten für die nächste Präsentation für ihn kaufen, was ihn echt glücklich macht. Eine in seinen Augen sexy Ausländerin begleitet ihn, wow, was für ein Gewinn an Gesicht! Ich hingegen habe sowieso nichts Besseres vor und komme mir so vor, als ginge ich mit meinem Sohn shoppen. Tatsächlich ist seine Mamma nur drei Jahre älter als ich, aber in typisch asiatischer Fehleinschätzung hält Archie mich für knackige 33. Ich lasse ihn in dem Glauben und fühle mich geschmeichelt.
Meinen Geburtstag verbringe ich im Büro, wieder mal eine Präsentation vorbereiten. Mega- Stress, obwohl ich es zu schätzen weiss, dass ich endlich mal einen Kuchen bekomme und diesen zur Verfütterung an die restlichen dreißig zweisprachig  „Happy Birthday“ grölenden Kollegen zerhacken muss.
Der Bauherr fährt voll auf unseren Entwurf ab, wir freuen uns, aber noch mehr Stress. Mein soziales Leben kommt komplett zum Erliegen, von Trainieren ganz zu schweigen. Schaffe es aber trotzdem, mit Ali und Sieder, Stefanie und Lilo zu skypen oder zu chatten.
Liege nach dem ganzen Stress zwei Tage voll auf der Schnauze, die mir prompt vom Gehalt abgezogen werden, da ich kein ärztliches Attest habe. Scheißegal, Arztbesuch in der Ausländerabteilung hätte Kohle und noch mehr Stress bedeutet. Archie fällt die Kinnlade runter, als ich diese Tatsache huldvoll meiner Sekretärin erläutere. Für chinesische Verhältnisse verdiene ich ohnehin fürstlich, für einen Berufsanfänger wie ihn schwindelerregende Summen. Dass ich weiterhin mit der Metro und nicht im Porsche zur Arbeit fahre und in einer nicht so schicken Compound wohne, ist für ihn unverständlich.
Drücke Urlaub zu Weihnachten durch und buche meinen Flug. Schaffe es immerhin, am ersten Advent mit ein paar Freunden essen zu gehen, ansonsten Arbeit und Schlafen. Shanghai legt einen Tacken drauf und schmückt sich für Weihnachten. Obwohl ich täglich daran vorbeilaufe, halte ich eines Abends den Jing´An Tempel irrtümlich für eine überdimensionierte und schick beleuchtete Krippe.
Unser Keine- Ahnung-was-genau–aber–jedenfalls-superwichtigwichtig-Management- Typ kommt ständig mit neuen Regelungen und Bestrafungen, die ihn zum beliebtesten Mann des Büros werden lassen. Da diese Regelungen so kompliziert sind, dass es eine Weile braucht, sie zu kapieren und zu übersetzen, fühle ich mich nicht an sie gebunden. Wie ich mich überhaupt weigere, Ankündigungen, die in Chinesisch an die Büroschergen ergehen, zu befolgen. Bestehe darauf, dass in den Teamleader- Sitzungen Archie für mich übersetzt. Win- win Situation, er kann was lernen, die Sekretärin hat den Rücken frei und ich habe einen Fachübersetzer. Passt dem Supertypen nicht so, denn in der ersten Sitzung, in der Archie für mich übersetzt, geht es um diese Regelungen. Klimpere mit meinen blauen Augen, spiele mit meinem blonden Haar und schenke dem kleinen Fettsack ein strahlendes Lächeln. Sajiao. Archie ist ab jetzt mein designierter Übersetzer.
Montag mal wieder Präsentation, aber Donnerstag nacht endlich Heimflug. Glaube, ich werde nur schlafen und essen. Hoffentlich erkennt mich meine Katze noch, mein Mann wird mich wahrscheinlich mal wieder beschimpfen, weil ich noch dünner geworden bin und übel huste. Aber das wird schon.  Freue mich auf Weihnachten und Mann und Katz.

Sonntag, Mai 15, 2011

斯蒂芬妮第二 – Stefanie #2

21.04.2011, Donnerstag

Verfolge gespannt im Netz Stefanies Flugstatus. Sie landet pünktlich und informiert mich zügig per SMS über ihre Ankunft. Als ich völlig aufgeregt nach der Arbeit die Tür aufschließe, freundet sie sich gerade mit Sieder an und bespielt ihn mit einem neuen, von Ali geschickten Fellmausi. Der Kater ist natürlich begeistert. Geschenke meiner Lieben werden übergeben, geiles T- Shirt und eine raffinierte Kette von Ali, Ferrero Küsschen von der guten Elli. Und meine Schwiegermutter hat einen Brief geschrieben. Bin gerührt.
Wir speisen beim Uiguren um die Ecke, besorgen im E- Mart das Nötigste und quatschen in meiner Küche bis spät in die Nacht. Schließlich haben wir uns jetzt acht Monate nicht gesehen und Skype ist hier in China wegen oft wegbrechender Verbindungen einfach nervig. Scheiß- GFW. Aber Stefanie will ja morgen trainieren und ich muss arbeiten, deswegen gehen wir dann irgendwann doch ins Bett.

22.04.2011, Freitag

Schleppe mich hundemüde, aber glücklich auf die Arbeit, Stefanie hat für heute früh schon einen Massagetermin klar gemacht. Und anschließend trifft sie den Meister im Volkspark. Ihren Trainingsfummel hat sie in Deutschland vergessen, macht ja nichts, dann kriegt s
ie halt einen von mir. Hauptsache, sie hat die mir zugedachten Geschenke alle in ihren Koffer gekriegt.
Abends gehen wir in einem schlichten, aber guten Restaurant an der Tongji- Universität essen und dann in einer netten Kneipe nebenan noch einen trinken. Fieser Temperaturabfall, Stefanie muss mir leider eine meiner dickeren Jacken mitbringen. Felix und zwei Freunde von ihm stoßen später dazu, netter Abend. In der Kneipe gibt es ein Aquarium, in dem träge Quallen ihre leuchtenden Bahnen ziehen. Geil! Das muss ich Ali unbedingt zeigen, wenn er mich das nächste Mal besuchen kommt. Sehr spacig und die Musik passt auch dazu. Wieder lange Küchengespräche, während Stefanie wegen der Zeitverschiebung richtig aufdreht, baue ich nach einer superstressigen Arbeitswoche voll ab. Egal, meine beste Freundin kommt ja nur einmal im Jahr, da will die gemeinsame Zeit gut genutzt sein. Dass irgendwie gerade Ostern ist, geht voll an uns vorüber.

23.04.2011, Samstag

Vormittag

Stefanie begibt sich zum Training in den Park, während ich komatös im Bett bleibe. Sieder erweckt mich zwar schon früh mit kernigen Pfotenhieben, aber nach der Raubtierfütterung kuschelt er sich friedlich ein und sieht sich die letzten Folgen von „Desperate Housewives“ mit mir an. Xiao Lu ist mit ein paar Freunden bis Dienstag nach Tian Mu Shan gefahren, also haben wir den Nachmittag frei. Die Temperaturen haben wieder angezogen und die Sonne scheint, was will man mehr.

Nachmittag:

Wir besuchen den Konfuzius- Tempel und bummeln durch die Altstadt. (Die richtige Altstadt, nicht die Drosselgasse- Version am Yu Garten). Buntes Treiben auf der Straße, gackernde Hühner und interessante Dinge, die zum Verzehr feilgeboten werden. Viecher wie Frösche, Tauben und Schildkröten sowie alle Arten von Fischen sind ja eindeutig zu bestimmen, aber bei man
chem Obst und Gemüse muss ich passen.
Anschließend Tianzifang, Alis Schuhe sind fertig und selbstverständlich finden sich wieder nette Sachen, die unbedingt käuflich erworben werden müssen. Da denkt man immer, man habe schon alle coolen Taschen/ Jacken/ T- Shirts/ Schals etc. dieser Welt, aber natürlich stolpert man doch wieder über das eine oder andere. Nachdem wir uns mit Grüntee- Eis, Pizza und Alkoholika gestärkt haben, bemerken wir auf dem Weg nach draußen einen Taschen- Laden, der gerade bestückt und wohl morgen eröffnet wird. Erstehe eine Wahnsinns- Tasche, die auf den ersten Blick mit floralen Mustern bedruckt zu seien scheint, die sich aber bei näherem Hinsehen als Totenschädel entpuppen. Und was für Farben! Bin die erste Käuferin, die Besitzer sind glücklich und verpacken meine Beute sehr liebevoll. Stefanie liebäugelt mit einer Tasche in Lila mit einer knallgrünen Libelle, ist aber denn doch kaufunlustig.

24.04.2011, Sonntag

Vormittag:

Wunderschönes Wetter, Training mit Meister Wu, bin glücklich. Wegen Stefanies Hüftproblemen hatte der Meister ihr eine Massage angeboten, da Rose auch da ist, wird dieses Thema vertieft. Nach einigem Hin und Her Verabredung zur Massage am Mittwoch. Eigentlich war erst meine Behausung anvisiert, schließlich einigen wir uns doch auf Rose´s Wohnung, da sie eine anständige Massageliege besitzt und für uns kochen möchte. Auch wenn ich meinen Meister sehr gerne zu mir eingeladen, bewirtet und ihm meine Katze vorgeführt hätte, fällt mir ein richtiger Berg vom Herzen. Denn erstens ist meine Wohnung nicht sonderlich groß, zweitens kann ich keinen angemessenen Platz zum Massieren bieten und drittens nicht gut chinesisch kochen.

Nachmittag:

Wir fahren nach Zhoujiajiang, einem kleinen Wasserdorf in der Nähe. Gut mit dem Bus zu erreichen und jetzt im Frühling besonders nett. Mit Ali war ich im Winter da, mit Stefanie zusammen das letzte Mal im Rahmen des China- Camps im Dezember 2007.
Damals hatte sie hier die Erhu erworben, die auf dem Rest der Reise als „Arschgeige“ verunglimpft wurde. Heute ein ganz anderes Bild, alles blüht und ist grün. Interessante Erfahrung. Wir lassen uns mit einem Boot durch die Kanäle rudern, erstehen Haarpfeile, Armreifen, niedliche Notizbücher und coole Becher aus Bambus. Essen in einem kleinen Restaurant an einem der Kanäle, ich schaffe es, meine Sonnenbrille dort zu vergessen. Gut, die war jetzt nicht teuer, aber da mir Brillen generell nicht stehen und ich diese eigentlich ganz gerne mochte, ärgerlich.

25.04.2011, Montag

Stefanie hat sich bereit erklärt, mit Sieder zum Tierarzt zu fahren. Um deutscher Staatsbürger zu werden, braucht der Kater eine Tollwutspritze vom chinesischen Amtstierarzt sowie einen EU- tauglichen Mikrochip. Nach einem Monat Wartezeit kann dann sein Blut entnommen werden, dass dann zwecks Titerbestimmung an ein Labor in Deutschland geschickt werden muss. Sind die Werte in Ordnung, muss das Tier drei Monate warten, bevor es in die EU einreisen kann. Schritt eins und zwei hatte ich im Februar schon hinter uns gebracht, ich muss sagen, dass die Mitarbeiter der Shenpu- Klinik (Amtstierarzt) sehr behutsam und sensibel mit meinem kleinen Kater umgegangen sind. Soll nochmal einer sagen, Chinesen hätten kein Herz für Tiere! Also wird heute ein Termin bei einer deutschen Tierärztin ausgemacht, die dann Freitag die Blutentnahme durchführen wird. Nicht ganz einfach, denn die Tierärztin erfreut sich unter den Shanghaier haustierbesitzenden Expats großer Beliebtheit.
Wir treffen uns abends im Barbarossa, die Zeit ist knapp und wir müssen alle unsere Stammkneipen abfrühstücken. Mittlerweile steht Stefanie dem Taxifahren auch nicht mehr so skeptisch gegenüber, nachdem sie erkannt hat, dass die meisten Taxiborgs meine Adresse zügig erkennen. Und die alte Hüfte will ja auch nicht mehr so, da ist es natürlich nett, wenn man direkt vor die Haustür chauffiert wird und nicht von der Metrostation noch nach Hause laufen muss.

26.04.2011, Dienstag

Super warm und schwül in Shanghai, heute Abend ist dann Sashas dran, nicht wirklich weit von meiner Arbeitsstelle entfernt. Grandiose Steinofenpizza, Stefanie und ich lechzen beide schon danach. Unabhängig voneinander verlaufen wir uns aber beide absolut blöd in der French Concession, nachdem ich zum zweiten Mal an der schwer bewachten amerikanischen Botschaft vorbeitigere und von einem Typen, der mit einem Hochdruckreiniger die Straße säubert, fast in den Rinnstein getrieben werde, bin ich kurz vorm Aufgeben. Stefanies Telefon ist abgeschaltet, habe nicht übel Lust, in das nächste Taxi heimwärts zu springen. Wie durch ein Wunder stehe ich plötzlich vor dem Sashas, ergattere einen hübschen Tisch im Garten und ordere mein Lieblingsgetränk. Kurze Zeit später hetzt auch schon Stefanie heran, der Abend ist gerettet. Lecker Pizza, Happy Hour auch noch ausgenutzt: Erfolg auf ganzer Linie.

27.04.2011, Mittwoch

Xiao Lu ist wieder da und so kommt Stefanie in den Genuss von zwei Trainingseinheiten pro Tag. Abends kocht Rose für uns, vorher wird Stefanie von Meister Wu massiert. Bestimmt keine angenehme Angelegenheit, aber eine große Ehre. Zhen Rui ist auch noch eingeladen, als ich nach langem Suchen endlich Roses Wohnung finde, ergötzen sich die Herren an einem Western mit Clint Eastwood und Rose rotiert in der Küche. Blöderweise ist ihr das Salz ausgegangen, so dass sie improvisieren muss. Finde ihre Speisen trotzdem sehr gelungen, auch wenn die beiden chinesischen Feinschmecker anscheinend anderer Meinung sind. Ich jedenfalls hätte das nicht so hinbekommen.

28.04.2011, Donnerstag

Heute abend kocht Meister Wu, freue mich schon den ganzen Tag auf diesen Festschmaus. Gestern
bei einer Zigarette im Treppenhaus bei Rose hatte er mir verschwörerisch zugeraunt, er habe auch mehrere Flaschen guten Schnapses am Start. Da ich die Neigung der Chinesen zu schamlosen Übertreibungen und Ausschmückungen kenne, hatte ich das allerdings nicht so ernst genommen.
Xiao Lu holt mich mit seinem schicken neuen Motorroller an der Metrostation ab, genieße diese kurze Fahrt.
Da Wujie geladen ist, darf Rose von dieser Einladung nichts wissen, muss doch echt mal erheben, was diese beiden eigentlich für Probleme miteinander haben.
Da gibt es nämlich wilde Gerüchte. Lederhut, der den Start ins Tigerjahr mitgefeiert hatte ist auch mit dabei, heute allerdings eher lässig gedresst. Im Laufe des Abends und mit steigendem Alkoholpegel scheint er immer mehr Gefallen an mir zu finden, was ich umgekehrt nicht behaupten kann. Richtig heißt er Gu Yuanfu oder so und übt im Volkspark Chen- Stil. Und geschieden ist er auch.
Außer uns nehmen noch natürlich Xiao Lu, Jeremy, Zhen Rui und zu meiner Überraschung auch die Zappelmaid an dem Schmaus teil. Der Schnaps fließt dann tatsächlich in Strömen und die Zappelmaid entpuppt sich als kernige Säuferin. Zwar kichert sie immer mädchenhaft und behauptet, angeschickert zu sein, aber ich ha
be bis jetzt noch keine chinesische Frau derartig kippen sehen. Das kleine Luder toppt ja fast Stefanie und mich und das will schon was heißen. Unfassbar. Aufgetischt wird wieder, bis die Schwarte kracht, zu meiner Freude auch das Doufu nach des Meisters Art. Mmmmh, lecker! Im Gegensatz zu sonst wird nach dem Essen nicht gesittet zum Teetrinken übergegangen, sondern fröhlich weiter gesoffen. Und zwar alles, was das Haus zu bieten hat. Jeremy und Zhen Rui geraten in eine heftige Diskussion, die Stefanie noch ein wenig anstachelt. Ich kriege davon eher wenig mit, weil ich mich mit Xiao Lu über Snooker unterhalte, ein Spiel, dass er sehr zu schätzen scheint und das gerade im Fernsehen übertragen wird. Ein dicklicher Shanghaier besiegt gerade einen hässlichen Engländer. Stefanie und ich sind noch voll Herrinen der Lage und auch die Zappelmaid kann noch aufrecht stehen und sich klar artikulieren, was man von Lederhut nicht gerade behaupten kann. Tatsächlich bringt er es fertig, sich beim Anstoßen mit Meister Wu ein Glas Rotwein über das blütenweiße Sweatshirt zu kippen und kramt alle seine Englischkenntnisse hervor, um lallend mit Stefanie und mir Konversation zu machen. Für mich ist das noch schwerer zu verstehen, als wenn er gleich chinesisch gesprochen hätte. Aber auch ich erlebe meinen Moment der Schande: Stoße fröhlich mit Zhen Rui an und äußere enthusiastisch auf chinesisch, wir seien nicht nur Tongbei- Geschwister, sondern auch gute Freunde. Verständnisloser Blick, der neben mir sitzende Xiao Lu wiederholt mich wortwörtlich, nur anscheinend in den richtigen Tonhöhen. Wie demütigend. Aber Zhen Rui freut sich. Mann, wahrscheinlich kommt mein Chinesisch für die so rüber wie das Säuferenglisch von Lederhut. Wenn meine Grammatik auch besser ist.
Wir brechen zu später Stunde auf, blöderweise wohnt Lederhut in der Linping Lu nicht weit von uns entfernt und so wir teilen uns ein Taxi. Natürlich kriegt er es weder auf die Reihe, eines einzufangen beziehungsweise dem Fahrer korrekt über unser Ziel anzuweisen, so dass ich das tun muss. Unterwegs muss ich mir sein Gebrabbel anhören und so oft seinen Namen wiederholen, bis er zufrieden mit der Aussprache ist. Lasse den Fahrer dann in der Chifeng Lu halten, Lederhut muss ja nicht wissen, wo genau ich wohne. Will ihm die Kohle für unsere Strecke geben, was er ritterlich und lautstark ablehnt. Bewerfe ihn anschließend mit einen 20,- Yuan Schein und wir springen Höflichkeitsfloskeln artikulierend aus dem Taxi. Stefanie und ich trinken in der Küche noch einen Absacker, lassen den Abend Revue passieren, schauen Fotos und lachen uns scheckig.

29.04.2011, Freitag

Vormittags fährt Stefanie mit Sieder zur Tierärztin. Bin auf der Arbeit total nervös, hoffentlich geht alles glatt und das Vieh lässt sich anstandslos einfangen. Vor meinem inneren Auge sehe ich meine Wohnu
ng total lädiert und meine Freundin mit tiefen, heftig blutenden Fleischwunden vor mir. Die beiden haben um 10.00 ihren Termin, um 12.00 die erlösende SMS: Alles OK. Rufe Stefanie gleich an lasse mir alles schildern. Bin ein wenig stolz, dass die Tierärztin meinen Kater wohl auch außergewöhnlich schön fand. Ja, bei Männern bin ich wählerisch.
Nach all den Strapazen der letzten Woche und vor allem des heutigen Tages sinken wir ermattet bei Wein und Knabbereien vor dem Fernseher nieder und gönnen uns einen ruhigen Abend.

30.04.2011, Samstag

Schlafe aus, während Stefanie trainiert. Nachmittags treffen wir Xiao Lu, der mich dann auch gleich fragt, ob ich denn schon mit Meister Wu über den weiteren Verlauf unseres Nachmittagstrainings gesprochen habe, wenn Stefanie wieder weg ist? Tatsächlich hatte ich dem Meister eine mail geschrieben und der daraufhin irgendwas zu Xiao Lu gesagt, aber das war anscheinend nicht eindeutig genug. Breche frustriert in Tränen aus und erkläre Xiao Lu, dass ich keinen Bock mehr hätte, mich zum Deppen zu machen. Noch drei Monate, dann kann der Kater einwandern und dann werden wir China verlassen. Für immer. Ende der Durchsage.
Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen und dunkle Gewitterwolken heran
zuziehen. Stefanie blickt interessiert von einem zum anderen. Aber nahtlos müssen wir dann Mian Zhang üben, ich werde mit der Säbelform korrigiert, die Xiao Lu auf einmal „piaoliang“ findet, Stefanie wird zum alleine Üben verdonnert und Xiao Lu und ich üben Tui Shou. Natürlich sind alle meine Angriffe raffiniert, subtil und superklasse, besser als Rose und ich bin die beste Tui Shou Ausländerin in ganz China, ach was, auf der ganzen Welt. Ja, klar. Mann, Chinesen!
Abends Captain´s Bar, frustrierend. Mein Entschluß ist gefasst, ich werde bald nach Hause zurückkehren. Aber auf der Terrasse der Bar sitzend realisiere ich, dass ich das eigentlich noch gar nicht will. Shanghai ist einfach die geilste Stadt der Welt, die Wolkenkratzer in Pudong glitzern verführerisch. Natürlich will ich hier nicht den Rest meines Lebens zubringen, aber in drei Monaten schon abhauen? Keine Ahnung, was ich machen soll und wie ich den Rest vom Jahr hier plane. Alles so schwierig, betäube mich mit Long Island Ice Tea.

01.05.2011, Sonntag

Vormittag:
Entspanntes Training, wegen der Maiferien brennt die Luft im Park. Auf dem oberen Teil ( Xingyi- Territorium) des Geländes macht sich eine Großfamilie breit, die den Tag mit einem ausgedehnten Picknick zu verbringen gedenkt. Zelte werden konzentrisch aufgebaut, üppige Speisen herbeigeschleppt. Aber auch unsere Seite kann punkten: Rose hat echt guten grünen Tee sowie mehrere Kannen heißen Wassers und Zubereitungsutensilien mitgebracht. Und auch noch ihre Säbel mitgeschleppt. Die Großfamilie bietet uns ihre Speisen an, nachdem der neugierige Meister Wu die Deckel der Töpfe angehoben und an jedem Gericht kritisch geschnüffelt hat. Ach nee, so gierig sind wir ja denn doch nicht. Höfliche Ablehnung, obwohl der Meister und ich auch doch schon gerne mal gekostet hätten. Zhen Rui, unser Teemeister kommt heute nicht, aber außer mir können alle anderen aus unsrer Trainingsgruppe Tee halbwegs anständig zubereiten und verkosten. Mist, vielleicht kriege ich irgendwann mal die Gelegenheit, zu einer Weinprobe einzuladen. Wobei da dann die chinesische Seite wahrscheinlich nach Eiswürfeln und Cola oder gleichwertigem zum mixen verlangen wird.
Am Ende kommen Rose und ich auch noch dazu, unsere Form vorzuturnen, wobei ich eigentlich kaum korrigiert werde. Und natürlich macht der Meister auch viele Dinge ganz anders.

Nachmittags:

Die Großfamilie kampiert immer noch auf dem Gelände, reiße mich zusammen, obwohl ich immer noch Trübsal blase. Mian Zhang und Dongbao Quan werden korrigiert, letztere hatte ich schon lange nicht mehr geübt. Weise vorwurfsvoll auf die unterschiedliche Ausführung der Säbelform hin, macht nichts, sagt Xiao Lu. Solange man kapiert, wie die Anwendungen gehen, ist das OK. Morgen haben wir auch noch einen Tag, denn wegen der Maiferien muss ich nicht arbeiten. Wie das hier allerdings weitergehen soll, wenn Stefanie weg ist, weiss ich nicht.

Abends:

Stefanie und ich beschließen, was für die Schönheit zu tun und fahren in die Dagu Lu, um unsere Hufe bearbeiten und aufhübschen zu lassen. Geht doch nichts über eine kleine Beauty- Anwendung. Da der Nagellack dann doch ziemlich lange zum Trocknen braucht und wir ihn nicht ruinieren wollen, erwerben wir schicke Gummilatschen und schlurfen in das israelische Restaurant ge
genüber, wo wir uns mit orientalischen kleinen Happen stärken. Die Dagu Lu ist eine ziemlich kleine aber feine Straße, Luxuscompounds, dementsprechend groß ist auch das Angebot an seriösen Spas, Massagesalons und Restaurants. Und fliegende DVD- Händler mit den neuesten englischen Filmen, da wird natürlich auch gleich mal zugeschlagen. In der Straße lungern auch zwei Bettler herum, die aber ganz friedliche Gesellen zu seien scheinen. Leute, als Obdachloser hat man hier echt keine guten Karten, mir tun diese Leute immer leid. Auf der Terrasse des Restaurants können wir dann folgendes beobachten: Einer der Bettler erscheint mit einer Torte in Form eines fröhlichen Tigerkopfes, anscheinend ein Überbleibsel aus einer Bäckerei, den er stolz erst uns und dann seinem Kumpel präsentiert. Andächtig wird der Kuchen bewundert und die Schokoladenaugen des Tigers verzehrt. Mittlerweile schaut auch die Oberkellnerin zu. Kurze Konversation mit den Bettlern, dann geht sie in das Restaurant und kommt mit zwei Kuchengabeln, Tellerchen und Servietten wieder, die sie den Bettlern gibt. Die beiden verziehen sich auf die andere Straßenseite, wo sie auf einer kleinen Mauer Platz nehmen und bedächtig die Torte verspeisen. Dabei sehen sie aus wie zwei feine alte Herren, die einen netten Abend mit einem Freund verbringen. Ich bin von dieser Szene absolut gerührt. Diese beiden alten Knaben haben echt Würde im Leib. Während wir hier sitzen, exotische Köstlichkeiten in uns reinstopfen und die frisch lackierten Fußnägel wedeln, stellt für diese beiden ein abgestandener Kuchen den Höhepunkt des Tages dar, der vornehm und andächtig genossen wird. Lerne mein Leben richtig schätzen. Wir geben den Bettlern dann auch unser gesamtes Kleingeld, für die sind 5 RMB wahrscheinlich das Sahnehäubchen des Tages, jedenfalls bedanken sie sich überschwänglich.

02.05.2011, Montag

Vormittags:

Meister Wu lässt die Bombe platzen und verkündet, dass er ab jetzt nur noch Sonntags unterrichten werde. Für mich jetzt nicht so schlimm, aber für diejenigen, die bei ihm im Volkspark trainiert haben, natürlich ziemlich schlimm. Na, dann wollen wir doch mal sehen, wer sich denn ab jetzt so hier einfinden wird. Die Zappelmaid kommt wie immer zu spät, anscheinend gilt für sie das mit nur Sonntags nicht, denn der Meister wiederholt die Ansage nicht noch mal. Nach dem Training gehen Rose, Judd, Stefanie und ich gemeinsam essen, lange Gesichter. Aber was will man machen.

Nachmittags:

Wir erzählen Xiao Lu von des Meisters Ansage, der daraufhin echt geschockt zu sein scheint. Erst mein Gezicke und jetzt auch noch das! OK, dann ab jetzt Sonntags nachmittags heimlich Training bei mir in der Wohnanlage.

Abends:

Wir schauen die gestern erworbenen DVD, schlagen uns mit Knabbereien den Pansen voll und hängen ab. Wird wieder stressig morgen und Stefanie reist ja auch schon bald ab, wie schade!

03.05.2011, Dienstag

Treffen uns abends mit Judd und einem Kumpel von ihm im Lifestyle und schlemmen hervorragend. Judds andere Leidenschaft neben Tongbei ist Ultimate Frisbee, sein Kumpel Andy spielt das auch und so lernen Stefanie und ich einiges über diese Sportart. Demnächst Riesen- Turnier hier in Shanghai, obwohl ich nicht denke, dass ich Gefallen an diesem Sport finden könnte, ziehe ich in Erwägung, mir das Turnier mal anzuschauen.
Gehen noch einen trinken, Judd ist frustriert, dass Meister Wu ihn nicht ernst zu nehmen scheint und erwägt, sich um die förmliche Aufnahme als Meisterschüler zu bemühen. Wir denken, dass das keine so gute Idee ist. Als Judd rausbekommt, dass wir schon desöfteren bei Meister Wu zu Hause waren und ich sogar Neujahr dort verbracht habe, ist er noch frustrierter. Kann mir mittlerweile auch nicht mehr erklären, warum der Meister Judd so ablehnt, vor allem, da er so eine kleine Ratte wie Jeremy zu sich nach Hause eingeladen hat. China ist kompliziert.

04.05.2011, Mittwoch
Stefanies letzter Tag, ich bin traurig und hoffe insgeheim auf einen Vulkanausbruch oder eine sonstige Naturkatastrophe. Passiert natürlich nichts, wir lassen uns abends massieren und gehen noch mal in Vegetarian Lifestyle essen. Absacker in meiner Küche, irgendwie sind wir beide matt. Stefanie freut sich auf zu Hause, kann sie verstehen. Wie genau ich hier meinen Abgang plane, weiss ich immer noch nicht.

05.05.2011, Donnerstag

Immer noch kein Vulkanausbruch, Scheiß- Arbeitstag. Hetzte nach Hause, wo Stefanie schon auf gepackten Koffern hockt. Taxi zum Lu Xun Park an die Flughafenbushaltestelle, wenigstens haben wir noch 20 Minuten zum Plaudern. Winke ihr nach, als der Bus abfährt und trotte zu Fuß nach Hause, unterwegs erledige ich Einkäufe und bezahle Rechnungen. War wie immer eine geile Zeit, diesmal wartet aber zum Glück jemand auf mich. Diesmal geht Mike Sieder nicht auf Wanderschaft, um nach dem netten Gast zu suchen, wie er es nach Alis Abreise getan hat. Der Kater und ich kuscheln uns vor der Glotze ein, er tatzt sanft auf mein Gesicht, als mir dann doch ein paar Tränen aus den Augen kullern. Als sich mein kleines Tier schnurrend auf meinem Hintern einrollt, bin ich dann doch wieder einigermaßen in der Reihe. Stefanies Flug hebt pünktlich kurz vor Mitternacht ab, wünsche ihr im Gedanken eine gute Reise



Mittwoch, April 20, 2011

事势第五 – Stand der Dinge #5

Job:

Reihe mich am 14. März wieder in das Heer der arbeitenden Massen ein und knechte zu brutalen chinesischen Bedingungen (Krankheitstage zählen als unbezahlter Urlaub, Überstunden werden nicht anerkannt oder vergütet) für ein pseudo- deutsches Büro. Wenigstens sind die Kollegen sehr nett und ich habe ein Projekt auf Hainan. Da darf ich dann zur Begutachtung des Baugeländes auch schnell mal hinfliegen. Gibt Schlimmeres, aber alt werde ich in diesem Schuppen bestimmt nicht.

Training:

Xiao Lu taucht wieder auf und hat gleich mal beschissene Neuigkeiten für mich: Nachmittagstraining ist nicht mehr! Nach sehr langem Hin und Her finde ich heraus, dass jemand (wer auch immer) das Gerücht verbreitet hat, ich hätte Meister Wu im vergangenen Jahr keine Unterrichtsgebühr bezahlt. Ist natürlich Quatsch, aber Xiao Lu hat das geglaubt und war natürlich sauer auf mich. Anscheinend hat auch jemand anders Anstoß daran genommen, dass er mich unterrichtet. Und der muss ziemlich wichtig gewesen sein. Nach weiterem endlosen Gezacker erklärt er sich bereit, das auch weiterhin zu tun, nur im Heping Park geht das nicht mehr. Also vielleicht in meiner Compound oder auf dem Gelände der Tongji- Universität, mal sehen. (Am Institut für Materialprüfung und Statik wäre mir natürlich am Liebsten. Geiler Ort)
. Mein Gott, was sind Kampfkünstler kompliziert! Dafür lädt er mich aber eines Sonntags in seine Gegend ein, wo ich ihm bei seinem Abendtraining gegenüber der Spielhölle seiner Gattin zuschauen darf. Spannend! Lerne gleich mal ein paar seiner zahllosen Geschwister kennen, die in den Häusern nebenan Geschäfte betreiben und mache Bekanntschaft mit interessanten Trainingsgeräten und –methoden, die in der Öffentlichkeit des Parks nicht zum Einsatz kommen. Fühle mich geehrt.
Meister Wu lädt Wang Ming Bo, einen dicken Freund von Rose ein, sich Tongbei mal anzuschauen. Wang, der sonst Yang- Stil übt, findet das so interessant, dass er ab sofort bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitübt, sich gleich mal Fummel schneidern lässt und auch eifrig Notizen macht. Das wiederum findet Meister Wu ziemlich unangemessen und an uns geht die Ansage, bestimmte Dinge nicht zu zeigen, wenn Wang dabei ist. Für den Meister ist das so, als ob man einen Freund nach Hause einlüde und der auf einmal alle Dinge, die ihm gefallen, an sich nähme. Kann Meister Wu verstehen. Und irgendwie scheint er der Annahme zu sein, Wang wolle auch Tongbei unterrichten, was er jedem erzählt und was natürlich bei uns Schülern für helle Empörung sorgt. Rose merkt auch irgendwann, dass die Stimmung etwas angespannt ist und wendet sich hilfesuchend ausgerechnet an mich. Druckse erst ein wenig herum, kläre sie dann aber auf, soweit ich das kann. Dass der Meister selber die Gerüchte in die Welt gesetzt hat, verschweige ich hübsch. Und ich kann mich ja immer noch mit meinem schlechten Chinesisch rausreden. Rose ist natürlich schwer betroffen und eilt nach dem Training Meister Wu hinterher, um diese unschöne Sache zu klären. Bin mal gespannt, ob sie es geschafft hat.

Film:

Meine Tongbei- Brüder Andy und Jud haben einen Film über die Independent Musikszene hier in China gemacht und ich bin zur Vorpremiere eingeladen. Absolut empfehlenswert, bin beeindruckt. Mir war nie so klar, dass die Entscheidung, Punkmusiker zu werden, hier derartig weitreichende Konsequenzen hat. Sogar den totalen Bruch mit wirklich allem und totale gesellschaftliche Ächtung bedeutet. Respekt.
Der Film heisst „Down: Indie rock in the PRC“. Hoffe sehr stark, dass die beiden einen Vertrieb dafür finden oder den bei irgendwelchen Festivals platzieren können. Falls jemand die Chance hat, den Film zu sehen: Anschauen!!!

Freunde:

Eines unserer Vereinsmitglieder, Felix, tritt einen Job bei einem großen internationalen Softwareunternehmen in SH an. Was ich in einem Jahr nicht geschafft habe, leistet er bei einem einzigen Starbucks- Besuch bei sich um die Ecke: Er gabelt nette Leute auf. Wohne anscheinend in der falschen Gegend und/ oder bin zu unkommunikativ. Jedenfalls profitiere ich von seiner grandiosen Steilvorlage und habe ab sofort Leute zum Weggehen, die auch gute Happen zu schätzen wissen. Wir testen Restaurants, Kneipen und Spas und unternehmen interessante Ausflüge. Shanghai rockt!

Besuch:

Morgen, am 21.04.2011 kommt Stefanie. Bin schon total aufgeregt. Sieder beobachtet sein Weibchen bei den Vorbereitungen auf diesen lieben Besuch und ahnt große Zusammenhänge. Hoffentlich verstehen die beiden sich. Blicke zurück auf das eine Jahr, das seit ihrem letzten Besuch vergangen ist und muss schmunzeln. Da sie natürlich viel trainieren wird, bin ich gespannt, was sie so zu berichten hat. Und ich freue mich schon darauf, mit ihr um die Häuser zu ziehen und sie meinen neuen Bekanntschaften vorzustellen.

Donnerstag, Februar 17, 2011

无业 – Arbeitslos

Gehe meine Arbeitssuche erst mal gemütlich an und schicke am zweiten Arbeitstag nach den Ferien ein paar Bewerbungen raus. Zwei Stunden später habe ich drei Bewerbungsgespräche für diese und die nächste Woche klargemacht.
Freue mich, mit Meister Wu trainieren zu können, leider machen mir das Wetter oder des Meisters Vorliebe zu nächtlichen Sauf- und Zockgelagen öfters mal einen Strich durch die Rechnung. (Zu des Meisters Ehrenrettung muss man sagen, dass er nur zweimal wegen vorhergehenden Ausschweifungen das Training absagt).
Habe Glück und bin Samstag die einzige Schülerin. Meister Wu mag mich ja gerne, aber mit mir kann er nicht so viel labern wie mit seinen anderen Schülern, weswegen er am Einzeltraining mit mir wohl nicht so wahnsinnig viel Spaß hat. Später kommt dann noch für eine Stunde ein Typ Ende fünfzig in Zivilklamotten an, der in die Grundlagen unseres Stils eingewiesen wird und sich als sehr begeisterungsfähiger Schüler erweist. Meister Wu hat jemanden zum Quatschen und ich profitiere auch. Grundlagen sind ja nie verkehrt und der Typ ist ganz witzig. Mich bezeichnet er fröhlich als seine „shijie“, ältere Lehrschwester, wir lachen beide. Wenigstens weiß der Typ, was sich in Kampfkunstkreisen gehört.
Sonntags voller Auflauf, Jud hat noch zwei Interessenten mitgeschleppt. Auch meine Intimfeindin ist am Start. Einzig Xiao Lu bleibt verschollen. Mache mir langsam Sorgen um ihn. Stelle fest, dass Sonntag echt der uninteressanteste Trainingstag ist, aber was will man machen.
Meister Wu willigt ein, auch Montag in den Park zu kommen, sehr schön. Eiseskälte, obwohl die Sonne kräftig scheint. Ich nutze die Gunst der Stunde, um ihn ausgiebig zu einer bestimmten Einzelbewegung zu befragen, die ich noch nicht so richtig begriffen habe. Der Meister ist erfreut und erklärt mir die Anwendungen dieser Bewegung sehr ausführlich. Und er bringt mir ein paar Kombinationen bei, die er sonst nur in den eigenen vier Wänden übt. Soll ja keiner sehen, was wir so drauf haben. Bin sehr beglückt, aber es wird noch besser. Rose kommt mit zwei Säbeln. Jetzt ist Meister Wu natürlich nicht mehr zu halten. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit lehrt er uns Theorie und Praxis und erzählt unterhaltsame Geschichten, die sogar ich begreife. Die Säbelform üben wir dann auch, wobei hauptsächlich Rose korrigiert wird. Ich bin etwas nervös, denn schließlich habe ich diese Form ausschließlich von Xiao Lu gelernt und führe sie nun zum ersten Mal dem Meister vor. Stelle mich dann anscheinend nicht so blöd wie befürchtet an, Mittwoch wird vertieft. Leider schneit es am Mittwoch dann, was ich sehr betrüblich finde.

Erledige Dinge, zu denen ich wegen Arbeitsüberlastung bis jetzt nicht gekommen bin, stelle mich bei diversen Büros vor und lerne Chinesisch. Kaufe bei Ikea Hasenjahr- Fuppes, das hatten sich die Zimmers gewünscht. Nun, Christine, habe Topflappen und Puschen. Und Platzdeckchen, die finde ich allerdings selber sehr geschmackvoll. Entdecke auf dem Gelände der Tongji- Universität das Institut für Materialprüfung und bin begeistert: Etliche Wolkenkratzer im Maßstab 1/20 oder kleiner in ihrer Struktur nachgebaut und getestet. Die Modelle stehen vor dem Institut oder den umgebenden Parkanlagen, in denen ich mich auch gleich noch mit den Universitätskatzen anfreunde. Fotografiere wie verrückt.

Treffe unsere Frankfurter Freundin Weiwei, die Neujahr bei ihren Eltern in Südchina verbracht hat und jetzt in Shanghai ihren Sohn besucht. Ich freue mich sehr, sie wiederzusehen, wir lachen und haben Spaß. Weiwei ist überwältigt von den rapiden Veränderungen in Shanghai und entsetzt über die Probleme, mit denen sich die jungen Leute hier heutzutage herumschlagen müssen. So hat die Freundin ihres Sohnes neulich auf Geheiß ihrer Eltern mit ihm Schluß gemacht, weil er keine eigene Wohnung aufweisen kann. Finden wir beide empörend. Aber wie soll sich denn ein junger Mann im heiratsfähigen Alter von ca. 5.000 RMB Monatsgehalt in einer Stadt wie Shanghai eine Wohnung kaufen können? Mir tun die jungen Leute hier echt leid, Neujahr hatten sich Rose und ich schon mit des Meisters Sohn sehr ausgiebig darüber unterhalten.
Lotse Weiwei durch die Shanghaier Metro und freue mich, dass ich mich hier als Ausländerin besser auskenne als sie. Naja, Weiwei lebt hier ja auch schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr.

Die Elektrik in meiner Bude gibt langsam den Geist auf, traue mich kaum noch, irgendein Gerät in Betrieb zu nehmen oder das Licht einzuschalten. Die Klimaanlage im Schlafzimmer lässt regelmäßig die Sicherung durchbrennen, also kein warmes Schlafzimmer. Bin mal gespannt, ob mein Vermieter die tatsächlich reparieren lässt, nachdem ich die Mieterhöhung verweigert habe. Egal, meine letzte Stromrechnung war sowieso exorbitant. Die Notfallnummer der Elektrizitätswerke ist auf einmal ungültig, zum Glück kann mir mein netter Pförtner helfen. Der OK- Man wird mein allerbester Freund, wir rauchen oft gemeinsam eine, während er die Hauptsicherung meiner Bude repariert.
Trotz des Endes der staatlichen Ferien wurde immer des Nachts noch fröhlich gefeuert, der heutige Tag (Donnerstag, 17.02.2011) markiert jedoch das endgültige Ende der Neujahrsfeierlichkeiten. Heute ist der fünfzehnte Tag, Vollmond und somit 元宵节,Laternenfest. Habe schon einige Kinder mit Laternen auf der Straße gesehen und fühlte mich seltsam an Sankt Martin erinnert. Momentan mal wieder heftiges Feuerwerk, genieße die funkelnden Lichter. Sozusagen das große Finale. Morgen werden wohl dann die hübschen Laternen, die in den vergangenen Wochen zahllose Gebäude schmückten, entfernt werden, schade. Hadere mit mir, ob ich die von mir an meinem Erkerfenster angebrachte auch abnehmen soll. Ach nee, das Ding ist zu hübsch, und wenn die Chinesen das ganze Jahr über Weihnachtsdeko hängen lassen, werde ich als unwissende Ausländerin doch wohl meine Laterne solange nicht abnehmen, bis sie auseinanderfällt und von der Sonne unansehnlich geworden ist.

Sonntag, Februar 13, 2011

兔年快乐 – Fröhliches Hasenjahr!

01.02.2011, Dienstag

Will in meiner Freizeit wenigstens ordentlich trainieren, deswegen schleppe ich mich in den Volkspark. War da schon ewig nicht mehr zum Üben, weil ich ja arbeiten musste. Warte eine Viertelstunde, kommt keiner. Versuche, dem Meister eine SMS zu schicken. Klappt aus irgendwelchen Gründen nicht, beschließe daher, wenigstens etwas für die Gesundheit zu tun und im Vegetarian Lifestyle zu dinieren. Werde wie immer gefragt, ob ich eine Mitgliedskarte hätte. Nee, aber diese Pappkarte mit den Stempeln drauf, habe vier, die Mitgliedskarte gibt es ab zehn. Die Bedienstete geht weg und kommt mit einem Formular auf Chinesisch wieder, das sie mir zu erklären versucht. Kein Problem, kann doch lesen. Fülle das Formular aus, einige Fragen der Bediensteten und zehn Minuten später überreicht mir die Oberkellnerin meine Mitgliedskarte. WOW! Vegetarian Lifestyle ist mit diesen Karten sehr eigen und die sind fast unmöglich zu bekommen. Jetzt habe ich eine. Ritterschlag! (Später kriege ich raus, dass die im Januar 6- jähriges Jubiläum hatten und es im Rahmen einer Sonderaktion die Mitgliedskarten schon ab vier Stempeln gab). Das neue Jahr fängt ja gut an.

02.02.2011, Mittwoch - Silvester

Nachmittags Chinesisch- Unterricht, abends sind Rose und ich beim Meister eingeladen. Oskar hat eine schlimme Erkältung und kann nicht kommen. Wenn Jud wüsste, dass wir drei beim Meister eingeladen sind, würde er sicher vor Neid platzen, klar, dass wir dem das nicht unbedingt unter die Nase reiben.
Gemütliches Abendessen bei den Wus, nur die Familie, Rose und ich. Es wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen, des Meisters Gattin weist mich in das korrekte Knabbern von Kürbiskernen ein. Ich werde gleich für den nächsten Tag zum Mittagessen wieder eingeladen, wie nett! Xiao Lu soll da dann auch kommen, Rose hat schon was anderes vor.
Der Meister hat eine neue Katze, so einen riesigen Brocken habe ich selten gesehen. Da braucht er aber wirklich nicht mehr auf Lilos tigergleichen Kater neidisch sein.
Danke mit Roses Unterstützung als Übersetzerin ungelenk der Familie Wu und versuche, meinen Dank für diese überaus wichtige Einladung zu übermitteln, auch im Namen meines Gatten, der mich in der Ferne in guten Händen wisse. Die Wus winken ab, wir hätten uns ja auch um den Meister gekümmert, als er in Deutschland war. Des Meisters Gattin nimmt mich in den Arm und knuddelt mich.
Leute, auch wenn ich hier manchmal fast verzweifeln möchte: Mein Meister und seine Familie gehören zu den warmherzigsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Und das lässt mich alle Schwierigkeiten vergessen.
Entspannter Abend, wir futtern, bis die Schwarte kracht und schauen Fernsehen. Die Neujahrsshow auf CCTV hat den Charme der 80ger Jahre, grauenhaft. Aber auf Star TV läuft die „Mr. Zhou Live Show“. Herr Zhou ist hier enorm populär, hat ein freches Maul und zieht aktuelle Themen durch den Dreck. Vor dreißig Jahren hätte er für solche Äußerungen noch in einem Arbeitslager in der Inneren Mongolei Latrinen ausheben dürfen, heute kann er ganz frei im Fernsehen ablästern. Und das am Neujahrsabend. Ich verstehe zwar den Wortwitz von Herrn Zhou nicht so ganz, da er auch teilweise Shanghainese redet, aber die Wus und Rose wälzen sich vor Lachen auf dem Boden.
Rose und ich empfehlen uns dann so um 22.00, Shanghai liegt mittlerweile unter schwerem Beschuss. Hetze hakenschlagend den Detonationen ausweichend zum Family Mart und erstehe eine Flasche Weisswein. Vor dem Eingang meines Hauses entzündet ein Nachbar gerade eine 1m3 Feuerwerksbatterie. Chinesen geben sich nicht mit so läppischen Raketen zufrieden wie wir, nein, ein einigermaßen würdiger Feuerwerkskörper muss schon mindestens die Dimensionen einer Flakkanone haben. Recht so, kerniges Volk! Und das Feuerwerk haben sie ja sowieso erfunden.
Genieße bei einem Glas Wein gemeinsam mit dem Kater von meinem Wohnzimmerfenster aus das um uns herum explodierende Shanghai. Bin heiter und entspannt, kann jetzt nur noch aufwärts gehen.

03.02.2011, Donnerstag

Klemme mir Xiao Lus Geschenk unter den Arm und schwinge mich ins Taxi. (Finde später heraus, dass es auch einen direkten Bus von mir zu des Meisters Behausung gibt- Nächstes Mal halt).
Fühle mich dann doch etwas blöd, dass ich zwar für Xiao Lu was dabei habe, nicht aber für die Familie Wu, die mich ja schließlich schon wieder bewirtet. Gut, die hatte ich gestern schon ordentlich mit Geschenken bedacht, aber ich komme mir trotzdem doof vor. Kaufe daher schnell noch einen üppigen Obstkorb für 88,- RMB, das einzige Vernünftige, was auf die Schnelle zu kriegen ist. Mama Wu beschimpft mich daraufhin natürlich prompt. Viel zu höflich, das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen! Mir egal, wenigstens ist mein Gewissen beruhigt. Ein anderer Knülch ist schon anwesend, schick in einem für hiesige Verhältnisse sogar recht flotten Anzug gekleidet. Er wird mir zwar nicht namentlich vorgestellt, aber ich gehe davon aus, dass er wohl einer meiner Tongbei- Brüder ist. Ja, wir sind alle eine große Familie. Das ist ja das Schöne, wenn man Kampfkünste übt.
Xiao Lu lässt auf sich warten, schließlich greift der Meister zum Telefon und ruft bei ihm an. Er hofft, dass nicht Xiao Lus Gattin abheben möge, die fürchtet er nämlich. Interessant, der Sache muss ich mal auf den Grund gehen. Früher hatten die beiden wohl mal ein ganz gutes Verhältnis zueinander und der Meister pflegte regelmäßig mit ihr Mahjang zu spielen, da muss irgendwas passiert sein.
Xiao Lu kann dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht kommen, wie ärgerlich. Habe ich sein Geschenk für nix und wieder nix mitgeschleppt.
Wie immer superleckeres Essen, Anzug ist sehr nett, bietet mir zackig und formvollendet Kippen an und hat ganz schnell raus, wie ich heiße. Seinen Namen bekomme ich jedoch trotz intensivem Zuhören nicht mit.

Bemerke ein über der Eingangstür zur Wohnung prangendes Schild mit Schriftzeichen, die ich nicht kenne, aber darunter steht in lateinischen Buchstaben "Om mani padme hum". Aha. Interessant. Wer ist wohl der Buddhist in des Meisters Familie? Er wohl sicher nicht, da hatte scheinbar Mama Wu ihre Hände im Spiel. Jedenfalls gab es dieses Schild bei meinem letzten Besuch noch nicht.

Entspannte Stimmung, schaue mit Mama Wu Fernsehen. Es läuft ein Beitrag, in dem die Körpergrößen westlicher und chinesischer Filmstars verglichen werden, der Heilige Steven ist auch dabei. Kreische entzückt und erkläre Mama Wu, dass ich den besonders Klasse fände. Ja, der sei wirklich sehr lustig. Punkte, indem ich ganz viele chinesische Stars beim Namen zu nennen weiß.

Nach sehr ausgiebigem Essen und Teetrinken verabschiede ich mich gegen 17.30. Mama Wu rafft etliche Süßigkeiten, Nüsse, Kürbis- und Sonnenblumenkerne in eine Tüte, die superleckeren dicken Bohnen und eingelegten Tofu packt sie auch noch hübsch eingedost dazu. Und als Nachtisch die geilen mit schwarzem Sesam gefüllten Klebreisbällchen, für deren Zubereitung mir noch etliche Anweisungen gegeben werden. Werde über die Neujahrsferien bestimmt nicht verhungern. Bin mir mittlerweile fast sicher, dass Mama Wu und meine Schwiegermutter auf unheimliche Art Zwillinge sind.
Breche völlig ermattet auf dem Sofa zusammen und schaue mit Sieder DVDs. Draußen wird weiter wie verrückt geballert.

04.02.2011, Freitag

Tue heute das, worauf ich mich schon seit langem gefreut habe: Nämlich gar nichts. Gut, mein Fellwecker weckt mich zwar schon ziemlich früh, da er gefüttert werden will und spielen möchte. Als Zeichen seiner Liebe zu mir legt er mir das Rattenmausi aufs Kopfkissen. Bloß gut, dass er hier keine chten Mäuse fangen kann. Seinem Begehren verleiht er mit ein paar sachten Pfotenhieben Nachdruck. Aber den Rest des Tages verbringen wir dösend vor der Glotze. Schön.

05.02.2011, Samstag

Zheng Rui hat ein Treffen mit seinem Baulöwen- Kumpel klargemacht, schmeiße mich also in Schale und fahre in die Stadt. Herr Zhou ist auch ganz nett, aber Bauunternehmer und kein Architekt. Er hat eine Architektin aufgetrieben, die übersetzt. Herr Zhou will natürlich seinem alten Kumpel Zheng Rui einen Gefallen tun und schaut sich dann halt mal diese ausländische Architektin an, die bis jetzt (für seine Verhältnisse) nur Klickerprojekte gemacht hat. Er baut dann eher so Bürotürme oder Einkaufszentren ab 50.000 m2 aufwärts. Aber von meinen Softwarekenntnissen ist er dann doch beeindruckt. Da Herrn Zhous Firmensitz in Ordos in der Inneren Mongolei ist, fühlt sich Zheng Rui verpflichtet, zügig an meiner Stelle zu erklären, dass ich wegen unseres Meisters Shanghai nicht verlassen würde. Dafür bin ich ihm auch sehr dankbar, denn ich wollte die Innere Mongolei zwar schon immer mal besuchen, aber keinesfalls dort leben. Aber vielleicht geht ja was mit freier Mitarbeit? Mir ist von Anfang an klar, dass ich keine Lust habe, diese Art von Arbeit zu machen. Auf Abruf schnell im Tudorstil einen Wolkenkratzer hinrotzen? Habe da denn doch noch Ideale. Versuchen, uns gegenseitig aus der Affäre zu ziehen, ohne dass jemand Gesicht verliert. Klappt jedenfalls von meiner Seite aus ganz gut, denn meine Arbeitserlaubnis und damit auch mein Aufenthaltstitel sind an eine Anstellung gebunden. Als Freiberufliche dürfte ich hier nur arbeiten, wenn ich eine Firma gründen würde. (Was allerdings auch nicht allzu kompliziert ist). Wir verbleiben, dass wir uns beide mal so unsere Gedanken machen. Zheng Rui ist happy und schreibt mir am folgenden Tag eine lange, das Gespräch zusammenfassende mail. Da die aber in ziemlich komplexem Chinesisch ist, beantworte ich sie zunächst nicht. Lieber auf Hilfestellung von Ying warten.

06.02.2011, Sonntag

Da Xiao Lu versprochen hatte, heute im Park zu sein, schäle ich mich früh aus dem Bett und springe voll bewaffnet und mit Geschenk in den Bus. Geiles Wetter, aber wegen des ständigen Geballers hängt eine Dunstwolke über der Stadt.
Warte am Parkeingang, natürlich kommt der feine Herr Lu nicht. Aber der chinesische Xingyi- Stil übende Steve Buscemi erspäht mich und schießt freudestrahlend und wild grüßend auf mich zu. Hahaha, frohes neues Jahr, warte hier gerade auf meinen Shixiong, der mich mal wieder versetzt. Blödmann. Geschenk schon wieder nicht losgeworden. Egal.
Sieder und ich hängen auf dem Sofa rum und arbeiten DVDs ab. Der Schacht des DVD- Gerätes übt auf den Kater eine unheimliche Anziehungskraft aus und auch die sich plötzlich auf dem Fernseher bewegenden Bilder findet er faszinierend. Macht seinem Ingenieur- Namensgeber alle Ehre.
Der Wohlstandsgott kehrt heute auf die Erde zurück, deswegen wieder schweres Bombardement. Kenne ich schon vom letzten Jahr und bin vorbereitet. Habe allerdings den Eindruck, dass dieses Jahr etwas weniger gefeuert wird. Naja, einen sachten Hasen begrüßt man halt verhaltener als einen wilden Tiger.

07.02.2011, Montag

Vielleicht kommt Shen Ayi heute, etwas unklar. Schließlich sind immer noch Ferien. Flüchte jedenfalls vorsorglich und schaue mir einen buddhistischen Tempel in einer Vorstadt an.
In der Metro sitzt neben mir eine Familie mit einem unglaublich dicken Kind. Die Familie führt zwei sehr große Tüten mit langsam auftauendem Fleisch mit sich. Wohl auf dem Weg zu einem Festschmaus. Lecker.
Die Straße von der Metro zum Tempel säumt ein sehr großer Fischmarkt, interessant, das feilgebotene Viehzeug und die Volksgenossen bei der kritischen Auswahl desselben zu beobachten. Muss ständig aufpassen, nicht in irgendwelche Fischabfälle zu latschen.
Der Tempel ist sehr hübsch und idyllisch an einem Wasserlauf gelegen. Außerdem gibt es eine ganz reizende Pagode, die ich natürlich bis ganz nach oben ersteigen muss. Klasse Idee bei Höhenangst. Meine letzte Tat in meinem alten Büro war der Entwurf eines kleinen Parks, in dem unbedingt historisierend eine Pagode und ein buddhistischer Tempel eingebunden werden mussten. Deswegen schien mir dieser heutige Ausflug auch ganz angemessen. Stelle fest, dass mein Entwurf anscheinend ganz OK war, auch wenn ich mit den Planungsansätzen nicht einverstanden war.
Fahre zum Blumenmarkt, auf dem wegen der Ferien allerdings nichts los ist. Schade, hätte gerne eine hübsche Orchidee gehabt.
Da das Cloud 9 Einkaufszentrum sowieso auf dem Heimweg liegt, beschließe ich, ein wenig zu bummeln. Huldige im dortigen Carrefour, der im Gegensatz zu meinem auch viele westliche Produkte feilbietet, dem Wohlstandsgott und kaufe Unmengen von Käse, ein wenig Wein, Kekse und Weißbrot. Auf dem Weg von der Metrostation noch ein schneller Besuch im DVD- Laden, wo ich unter anderem den Film „Four Lions“ schieße.
Shen Ayi hat die Bude auf Hochglanz gebracht, schlage mir den Magen mit Weißbrot und Blauschimmel- und Gruyerekäse voll, während ich mit dem Kater die gerade erworbenen DVDs anschaue. „Four Lions“ ist zum Brüllen komisch, einer der besten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Soll im April in Deutschland anlaufen, unbedingt reingehen!
Von dem übermäßigen Käsegenuss kriege ich prompt Pansenrattern. Egal, hat sich gelohnt.

08.02.2011, Dienstag

Letzter Ferientag, bin ganz froh, es endlich mal wieder zum Training in den Volkspark zu schaffen. Außer Jud und Rose sehe ich meine anderen Brüder und Schwestern ja sonst kaum. Frühlingshafte Temperaturen, da ist man doch gleich viel entspannter.
Im Volkspark wird dann auch ein ganz anderes Tempo vorgelegt als Sonntags im Heping- Park. Klar, die hier Trainierenden haben ja auch ein ziemlich hohes Niveau. Für mich interessant, wie meine Mitschüler so drauf sind und ich bin erleichtert, dass auch die nicht immer alles perfekt hinkriegen.
Wang Ming Bo, ein alter Kumpel von Rose und eigentlich Yang Stil Meister übt seit Neuestem wohl auch Tongbei. Interessant. Muss ich Stefanie unbedingt erzählen, wir beide haben 2006 ziemlich viel mit ihm geübt, Stefanie auch schon vorher. Bin glücklich, jetzt mehr Zeit zum Üben zu haben.