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Dienstag, Juli 10, 2012

事势第七 – Stand der Dinge #7



Anmerkung: Habe gehofft, die Entwicklungen bis jetzt in einem Post abfrühstücken zu können. Dank meines Hanges zur Geschwätzigkeit ist das jedoch eher schwierig, will meinen Leser ja nicht zu Tode langweilen. Vielleicht kriege ich den Rest noch hin, bevor ich bald wieder aus dem Goldischen Meenz hinter die GFoC verschwinde.


Job:

wird immer chaotischer, irgendwie kriegt es unser sogenanntes Projektmanagement nicht auf die Reihe. Streckenweise sitze ich völlig unterbeschäftigt dumm in Büro rum, während meine chinesischen Kollegen in Arbeit schier ertrinken. Mache einige Wettbewerbe, dann ist mal wieder Stress angesagt. Und auf Präsentationen darf ich natürlich auch gerne mitfahren, Vorzeige- Langnase. Geilste Präse überhaupt: Stelle in Suzhou ein Projekt bei einer Veranstaltung vor, die potentielle Käufer anlocken soll. Habe das Ding noch nie gesehen, Kurzeinweisung Freitagabend. Samstagmorgen, fast verpennt, Haare ungewaschen, aber wenigstens coole Klamotten. Am Veranstaltungsort Sponsoren wie Harley Davidson, Nobelschampus und dergleichen. Und die Presse, das Fernsehen und der Bürgermeister sind auch da. Schäme mich. Von der perfekt gestylten Moderatorin werde ich als „Bettina, DIE deutsche Architektin“ angekündigt. Als ich die Bühne betrete, explodieren Feuerwerke um das riesige Modell unseres Projektes und es erklingt rockige Musik. Spule meinen Text ab, donnernder Applaus. Fühle mich wie ein Rockstar. Hätte ich das gewusst, hätte ich darauf bestanden, mit einer der Harleys durch einen brennenden Reifen auf die Bühne zu springen


Fahre über die Ferien zum Chinesischen Neuen Jahr kurz entschlossen nach Hongkong, meinen kleinen Bruder Felix besuchen. (Dass Elli zur selben Zeit da ist, erfahre ich erst später. Mist. ) Kann mir die Generalprobe zu der traditionellen Festparade auf der Ehrentribüne ansehen, Felix´Kungfu Schule macht da mit. Wir treten in das Jahr des Wasserdrachen ein, das verheißt viele Veränderungen. Hergeflogen bin ich mit Dragon Air, auf den Flieger war ein hübscher Drache gemalt. Sozusagen auf dem Rücken eines Drachens geflogen. Und das mit den
schönsten Stewardessen, die ich je gesehen habe. Beobachte die Drachentänzer und den sich auf der Anzeigentafel munter windenden Drachen und komme zu dem Schluß, dass sich bei mir jetzt auch was bewegen muss. Gehe nach der Generalprobe mit Felix, seinen Gungfu- Brüdern und –Schwestern und seinem Meister lecker essen und feiere mit denen Neujahr. Supernette Leute, es gibt Whiskey- Soda aus Pitchern. Merkwürdig, völlig anders als auf dem Festland. Da explodiert jetzt alles und jeder feiert mit seiner Familie. Denke mir, dass das vielleicht für längere Zeit mein letztes CNY in Asien sein wird. Mein erstes habe ich mit meiner Gongfu- Familie verbracht, mein letztes jetzt mit der von Felix. Fühlt sich komisch an.
Fahre mit dem Bus kreuz und quer über die Insel, verbrate einen Teil meines üppigen Neujahrs- Bonus bei Armani (muss ja anständige Klamotten für die nächsten Präsentationen haben), harre bei strömendem Regen im Hafen von Kowloon dem prächtigen Feuerwerk und mache in den Bars und Garküchen um mein schickes Boutique- Hotel herum interessante und nette einheimische Bekanntschaften. Speise göttlich und löse mein Konto bei der HSBC auf. OK, kein Grund mehr, demnächst mal wieder nach Hongkong zu kommen. Und erster Schritt in Richtung Heimat.
In Shanghai komme ich dann pünktlich zur Rückkehr des guten, alten Küchengottes an. Schweres Bombardement, ich komme endlich auf meine Kosten. Wir Festländer mögen es zwar manchmal etwas an guten Manieren gebrechen lassrn, aber dafür können wir ordentlich feiern und haben Eier in der Hose.
Denke lange, lange darüber nach, was ich denn mittelfristig so mit meinem Leben abfangen will und schaue mir die Dinge im Büro noch eine Weile an. Anfang März kündige ich fristgerecht zum Monatsende. Zu meiner Überraschung ist Evil Ji (der Projektmanger) anscheinend ehrlich betroffen, ebenso die meisten meiner Kollegen und vor allem meine Sekretärin. 

Best team ever
Letzter Arbeitstag, Präsentation eines Projektes, an dem ich auch tatsächlich teilgenommen habe. Schmeiße mich voll in Schale und gebe alles. Ehre des Büros hochhalten bis zuletzt. Die waren ja nicht böse, nur nicht so gut für Ausländer. Dem Kollegen, der verantwortlich ist, fällt die Kinnlade runter. Auf der Rückfahrt kuschelt sich Jenny, meine Sekretärin an mich und meint, sie müsse jeden verbleibenden Augenblick mit mir genießen. Hält mich anscheinend für eine coole Schnalle, fühle mich zugleich geschmeichelt und irgendwie gerührt. Während man sonst an irgendeiner Metro- Station rausgeschmissen wurde, bringt unser Fahrer mich heute bis an die Haustür und schüttelt mir beim Abschied heftig die Hand. Auch ein ganz lieber und freundlicher Kerl, was war der immer nett zu mir. Und wir haben uns auch immer prächtig unterhalten, sofern das meine miesen Chinesisch- Kenntnisse zuließen. Bin jedenfalls voll durch den Wind, dass ich anscheinend doch derartig geschätzt wurde und wohl nicht nur die Alibi- Ausländerin war.
(Anmerkung: Einen Monat nach meinem Ausscheiden kündigen nach und nach alle meine Teammitglieder. Haben keinen Bock mehr ohne mich. Bin von den Klötzen.)

Dienstag, Juli 03, 2012

事势第六 – Stand der Dinge #6

Anmerkung: Habe diesen Post bereits letzes Jahr kurz vor Weihnachten verfasst, ihn aber aufgrund Problemen mit der Great Firewall und weil er mir etwas zu ausschweifend erschien, nicht veröffentlicht. Mittlerweile ist schon wieder viel passiert.

Sieder:
Als ich meine Wohnung aufschließe, habe ich schon einen Kloß im Hals. Keine Katze, die mich begrüßen und sich vor mich zwecks Beschmusung auf den Boden werfen wird. Außerdem ist da ja noch das ganze Spielzeug, das mich an ihn erinnert. Zwar weiß ich, dass Sieder in Deutschland in besten Händen ist und es bestimmt besser hat als hier, aber trotzdem vermisse ich ihn fürchterlich.
Hatte nicht mit dem Feingefühl meiner Ayi gerechnet. Alle Katzensachen sind diskret beiseite geräumt und dem ersten Blick entzogen. So ist die katzenlose Wohnung nicht ganz so schrecklich. Könnte die Frau küssen! Brauche aber Wochen, bis ich im Supermarkt an dem Regal mit Tiernahrung vorbei gehen kann, ohne dass ich traurig werde. Spiele mit dem Gedanken, im Park eine Katze zu fangen oder eine Pflegekatze aufzunehmen, verwerfe ihn aber wieder. Dieses Tier und ich, das war Schicksal. Widerstehe tapfer jeglicher Versuchung, während Sieder unter Alis liebevoller Obhut tatsächlich nochmal an Größe zulegt. Muss ich unbedingt dem Meister und Xiao Lu erzählen, anscheinend sorgt die gute deutsche Luft dafür, dass Katzen bei uns größer werden als hier.

Lilo:
Montag nach meiner Rückkehr besucht mich Lilo auf ihrem Rückweg von Wudang für drei Tage. Ich habe noch vier Tage frei und es sind Nationalferien. Freue mich natürlich über Besuch aus der Heimat und erwartungsgemäß gestaltet sich der Aufenthalt als nicht enden wollender Shopping- Rausch. Bin immer wieder fasziniert, wie Lilo es schafft, über den hier feilgebotenen Tand in kindliches Entzücken zu geraten und dann auch mit sicherer Hand das wirklich kitschigste Zeugs zu finden. Interessant finde ich, wie Lilo laut zu jedem Gegenstand fast entschuldigend Überlegungen hinsichtlich seiner Nützlichkeit anstellt, um ihn dann anschließend doch zu kaufen.
Unwiederstehlich
Ich kenne das ja alles und bin langsam gegen blitzende Sachen mit aufgedruckten Kätzchen oder Glöckchen dran fast immun. Aber auch nur fast, denn natürlich schnappt auch bei mir die „mai dongxi“ (Zeugs kaufen) Falle zu.  Da findet sich dann doch noch ein schicker Schal, die Kühlschrankmagneten sind unverzichtbar und irgendwie süß und warme Hauspuschen kann man gerade im Shanghaier Winter auch immer gut gebrauchen. Während Stefanie und ich bei ihrem Aufenthalt im Mai unsere Mauken für den Sommer haben bearbeiten lassen, denken Lilo und ich an die herannahende kalte Jahreszeit und erwerben ganz entzückende flauschige Kätzchensocken. Und die mit Leopardenmuster müssen auch unbedingt gekauft werden. Abendliche Begutachtung der Beute und lange Gespräche in meiner Küche bei alkoholischen Getränken, Besuch von Freundinnen ist einfach geil.
Meister Wu und Xiao Lu werden zum obligatorischen Essen eingeladen, ein lustiger Abend. Xiao Lu sieht schon erheblich besser aus, auch wenn das mit der Hand immer noch nicht gut ist. Meister Wu hat zwar das Rauchen, nicht aber das Saufen aufgegeben, zum Essen hat er gleich mal eine Literflasche Schnaps mitgebracht, die wir dann auch zügig leeren. Noch während wir tafeln, ruft ihn Wujie an und kündigt sich für den nächsten Abend zum Essen an. Der Meister ist entzückt, da müssen Lilo und ich selbstverständlich mit dabei sein. Ob wir schon was vorhätten? Natürlich nicht, so eine Gelegenheit lassen wir uns doch nicht entgehen. Prima, Schnaps wäre auch ordentlich am Start, der Abend ist gebongt.
Solides Schuhwerk.
Am nächsten Tag besuchen wir Zhoujiazhou, ein Wasserdorf in der Nähe. Klasse Idee, denn während der Feiertage hat natürlich halb Shanghai denselben Plan. Erwischen auf der Rückfahrt voll denn Bummelbus, weswegen wir völlig abgehetzt und verspätet bei Meister Wu eintreffen. Egal, es wird ordentlich gesoffen und gespiesen, Lilo und ich kündigen uns vollmundig für den nächsten Tag zum Training an.
An Donnerstag schleppen wir uns leicht verkatert, aber tapfer in den Park und werden von Meister Wu hübsch auf Trab gebracht. Wir sind die beiden einzigen im Training, es wird eine nette Stunde. Frage den Meister, ob er morgen denn auch im Park sei? Ja? Oh fein! Mein letzter Urlaubstag, aber eine Einzelstunde mit Meister Wu lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Letzter Raubzug durch die Stadt, abschließende Massage und dann muss Lilo auch schon langsam aufbrechen. Begleite sie an den Flughafenbus und winke ihr nach.

Meister:
Kriege meine Einzelstunde und bin glücklich. Gegen Ende der Übungseinheit tauchen auf einmal vier ältere Herren auf, die vom Meister enthusiastisch begrüßt werden. Alte Kampfgefährten, jetzt selber Meister. Muss unsere Form vorturnen und bin entsprechend nervös, hier schauen schließlich Experten zu, kriege die Form aber fehlerfrei hin. Anscheinend auch gar nicht so schlecht, oder die Herren sind einfach nur höflich. Der Meister jedenfalls scheint zufrieden mit meiner Leistung. Die Herren führen nun ihrerseits ihre Stile vor und ich bin beeindruckt. Hätte ich nach denen auftreten müssen, hätte ich vor Respekt kein Glied rühren können. Nach diesen Vorführungen verkündet Meister Wu fröhlich, jetzt würden wir aber alle nett Mittagessen gehen und ruft Xiao Lu und seinen Sohn an, auf dass sie uns Gesellschaft leisten. Ich bin etwas vorsichtig, denn ich muss morgen meine neue Stelle antreten und hätte mich nach den anstrengenden Tagen mit Lilo gerne für den Rest des Tages aufs Ohr gelegt. Und Essen mit so alten Kampftigern kann schon mal sehr feuchtfröhlich werden. Kann mich ja immer noch entschuldigen, denke ich.
Was dann folgt, wird eine ausgiebige Fress- und Sauforgie quer durch Shanghai. Hätte ich mir fast denken können, als schon zum Mittagessen Schnaps gereicht wurde. Meine Rückzugsversuche werden durch heftige Proteste der alten Tiger verhindert. Kenne das Programm ja eigentlich, aber diesmal meinen die das tatsächlich auch so. Na gut, was willste machen.
Alte Geschichten werden erzählt, sehr lustig. Finde es interessant, dass Meister Wu mit seinem Vornamen angeredet wird, höre das zum ersten Mal. Einer der Tiger hat keine Probleme damit, sich am Tisch seiner Trainingskleidung zu entledigen und in einen seriösen Anzug zu schlüpfen. Pensionierter Chef der Staatssicherheit, wie mir Xiao Lu ins Ohr raunt. Wir finden uns schließlich in einem uigurischen Restaurant irgendwo in Pudong wieder, dass einem Schüler eines der Tiger gehört. Feuertopf wird aufgetischt, großzügig Zigaretten gereicht und der Schnaps fließt in Strömen. Mann, mit diesem uigurischen Schüler und vor allem seinem Bruder wollte ich mich aber auch nicht anlegen wollen! Ein Kerl wie ein Schrank, Tatzen wie ein Bär und cool wie ein Eisblock. Die Herren wollen alles Mögliche von mir wissen, zum Beispiel, was ich denn so als wichtig an einem Mann erachten würde? Herr im Himmel, die stellen Fragen! Und dann noch in einem so komplizierten Chinesisch! Langsam werde ich nervös, keine Ahnung, wo wir sind und ich muss doch morgen arbeiten! Einer der Typen versucht, mich abzufüllen, was ich aber mädchenhaft kichernd mit dem Hinweis, ich als Frau vertrüge keinen Alkohol verhindern kann. Absolutes worst- case scenario: Vollgesoffen mit sechs alten Kerlen, zwei Uiguren und Xiao Lu an einem unbekannten Ort und totaler Verlust sowohl der Mutter- als auch der Landessprache, neue Arbeitsstelle am nächsten Tag. Nee, danke. Meine Äußerung wiederum veranlasst Meister Wu zu brüllendem Gelächter und bringt mir einen kernigen Hieb auf den Rücken ein, so dass ich fast mit dem Gesicht im Feuertopf lande. Bei ihm waren die Abfüllversuche durchaus erfolgreich. Schließlich bugsieren wir den mächtig angezählten Meister in ein Taxi. Kriege mit, dass uns dieses lediglich bis zur nächsten Metrostation befördern soll und greife ein. Nix da, wir fahren jetzt nach Hause. Und ich zahle. Heftige Proteste, aber Wu Junior und Xiao Lu sehen schließlich ein, dass Meister Wu in seinem Zustand besser so schnell wie möglich nach Hause kommt. Der blöde Taxischerge verfährt sich natürlich, während Meister Wu ständig darauf besteht, dies sei doch jetzt die Quyang Road und irgendwann mal dem Schergen diskret für seine Unfähigkeit Konsequenzen androht. Das Taxameter wird hastig ausgeschaltet. Endlich am Ziel drücke Xiao Lu 100 RMB in seine verletzte und wehrlose Hand und sinke zu Hause zitternd in meinen Sessel.
Merke: Wenn du dich mit chinesischen Kampfkunst- Meistern in den Ring begibst, solltest du echt hart im Nehmen sein. Und zwar in jederlei Hinsicht.

Job:
Trotz der gestrigen Orgie erscheine ich einigermaßen frisch auf meiner neuen Stelle. Außer mir noch ein dröger Schotte, der Rest Chinesen, die meisten mit eher rudimentären bis nicht vorhandenen Englischkenntnissen. Kriege schnell mit, dass diese Typen ihr Handwerk echt verstehen. Und die mich eingestellt haben, weil die von mir denselben Eindruck hatten. James ist wohl eher der Vorzeige- Ausländer, ich hingegen finde mich in der Position eines Projekt- Mangers wieder und muss an den Teamleadersitzungen teilnehmen und wöchentlich Zeitpläne vorlegen. Auf Chinesisch.
Team
Erster Job: 60.000 m2 Commercial. Kein Raumprogramm, in zwei Wochen erste Präsentation. Man teilt mir James und einen jungen Chinesen, der in Sheffield seinen Master gemacht hat zu. Archie entpuppt sich als echter Glücksgriff. Nicht nur ist er ausgeschlafen, sondern auch lernfähig und fleißig. Und ein netter Kerl, der aufgrund seiner eigenen Erfahrung weiß, wie Scheiße man sich manchmal als Ausländer fühlt. Wir knechten wie die Bekloppten und unser Team wird langsam richtig gut. Zahllose Konzepte für unser Planungsgebiet, schließlich nickt unsere Chefin einen meiner Entwürfe ab. James taut langsam auf und Archie und ich werden Freunde. Wir beide gehen sogar zusammen vorzeigbare Klamotten für die nächste Präsentation für ihn kaufen, was ihn echt glücklich macht. Eine in seinen Augen sexy Ausländerin begleitet ihn, wow, was für ein Gewinn an Gesicht! Ich hingegen habe sowieso nichts Besseres vor und komme mir so vor, als ginge ich mit meinem Sohn shoppen. Tatsächlich ist seine Mamma nur drei Jahre älter als ich, aber in typisch asiatischer Fehleinschätzung hält Archie mich für knackige 33. Ich lasse ihn in dem Glauben und fühle mich geschmeichelt.
Meinen Geburtstag verbringe ich im Büro, wieder mal eine Präsentation vorbereiten. Mega- Stress, obwohl ich es zu schätzen weiss, dass ich endlich mal einen Kuchen bekomme und diesen zur Verfütterung an die restlichen dreißig zweisprachig  „Happy Birthday“ grölenden Kollegen zerhacken muss.
Der Bauherr fährt voll auf unseren Entwurf ab, wir freuen uns, aber noch mehr Stress. Mein soziales Leben kommt komplett zum Erliegen, von Trainieren ganz zu schweigen. Schaffe es aber trotzdem, mit Ali und Sieder, Stefanie und Lilo zu skypen oder zu chatten.
Liege nach dem ganzen Stress zwei Tage voll auf der Schnauze, die mir prompt vom Gehalt abgezogen werden, da ich kein ärztliches Attest habe. Scheißegal, Arztbesuch in der Ausländerabteilung hätte Kohle und noch mehr Stress bedeutet. Archie fällt die Kinnlade runter, als ich diese Tatsache huldvoll meiner Sekretärin erläutere. Für chinesische Verhältnisse verdiene ich ohnehin fürstlich, für einen Berufsanfänger wie ihn schwindelerregende Summen. Dass ich weiterhin mit der Metro und nicht im Porsche zur Arbeit fahre und in einer nicht so schicken Compound wohne, ist für ihn unverständlich.
Drücke Urlaub zu Weihnachten durch und buche meinen Flug. Schaffe es immerhin, am ersten Advent mit ein paar Freunden essen zu gehen, ansonsten Arbeit und Schlafen. Shanghai legt einen Tacken drauf und schmückt sich für Weihnachten. Obwohl ich täglich daran vorbeilaufe, halte ich eines Abends den Jing´An Tempel irrtümlich für eine überdimensionierte und schick beleuchtete Krippe.
Unser Keine- Ahnung-was-genau–aber–jedenfalls-superwichtigwichtig-Management- Typ kommt ständig mit neuen Regelungen und Bestrafungen, die ihn zum beliebtesten Mann des Büros werden lassen. Da diese Regelungen so kompliziert sind, dass es eine Weile braucht, sie zu kapieren und zu übersetzen, fühle ich mich nicht an sie gebunden. Wie ich mich überhaupt weigere, Ankündigungen, die in Chinesisch an die Büroschergen ergehen, zu befolgen. Bestehe darauf, dass in den Teamleader- Sitzungen Archie für mich übersetzt. Win- win Situation, er kann was lernen, die Sekretärin hat den Rücken frei und ich habe einen Fachübersetzer. Passt dem Supertypen nicht so, denn in der ersten Sitzung, in der Archie für mich übersetzt, geht es um diese Regelungen. Klimpere mit meinen blauen Augen, spiele mit meinem blonden Haar und schenke dem kleinen Fettsack ein strahlendes Lächeln. Sajiao. Archie ist ab jetzt mein designierter Übersetzer.
Montag mal wieder Präsentation, aber Donnerstag nacht endlich Heimflug. Glaube, ich werde nur schlafen und essen. Hoffentlich erkennt mich meine Katze noch, mein Mann wird mich wahrscheinlich mal wieder beschimpfen, weil ich noch dünner geworden bin und übel huste. Aber das wird schon.  Freue mich auf Weihnachten und Mann und Katz.

Mittwoch, April 20, 2011

事势第五 – Stand der Dinge #5

Job:

Reihe mich am 14. März wieder in das Heer der arbeitenden Massen ein und knechte zu brutalen chinesischen Bedingungen (Krankheitstage zählen als unbezahlter Urlaub, Überstunden werden nicht anerkannt oder vergütet) für ein pseudo- deutsches Büro. Wenigstens sind die Kollegen sehr nett und ich habe ein Projekt auf Hainan. Da darf ich dann zur Begutachtung des Baugeländes auch schnell mal hinfliegen. Gibt Schlimmeres, aber alt werde ich in diesem Schuppen bestimmt nicht.

Training:

Xiao Lu taucht wieder auf und hat gleich mal beschissene Neuigkeiten für mich: Nachmittagstraining ist nicht mehr! Nach sehr langem Hin und Her finde ich heraus, dass jemand (wer auch immer) das Gerücht verbreitet hat, ich hätte Meister Wu im vergangenen Jahr keine Unterrichtsgebühr bezahlt. Ist natürlich Quatsch, aber Xiao Lu hat das geglaubt und war natürlich sauer auf mich. Anscheinend hat auch jemand anders Anstoß daran genommen, dass er mich unterrichtet. Und der muss ziemlich wichtig gewesen sein. Nach weiterem endlosen Gezacker erklärt er sich bereit, das auch weiterhin zu tun, nur im Heping Park geht das nicht mehr. Also vielleicht in meiner Compound oder auf dem Gelände der Tongji- Universität, mal sehen. (Am Institut für Materialprüfung und Statik wäre mir natürlich am Liebsten. Geiler Ort)
. Mein Gott, was sind Kampfkünstler kompliziert! Dafür lädt er mich aber eines Sonntags in seine Gegend ein, wo ich ihm bei seinem Abendtraining gegenüber der Spielhölle seiner Gattin zuschauen darf. Spannend! Lerne gleich mal ein paar seiner zahllosen Geschwister kennen, die in den Häusern nebenan Geschäfte betreiben und mache Bekanntschaft mit interessanten Trainingsgeräten und –methoden, die in der Öffentlichkeit des Parks nicht zum Einsatz kommen. Fühle mich geehrt.
Meister Wu lädt Wang Ming Bo, einen dicken Freund von Rose ein, sich Tongbei mal anzuschauen. Wang, der sonst Yang- Stil übt, findet das so interessant, dass er ab sofort bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitübt, sich gleich mal Fummel schneidern lässt und auch eifrig Notizen macht. Das wiederum findet Meister Wu ziemlich unangemessen und an uns geht die Ansage, bestimmte Dinge nicht zu zeigen, wenn Wang dabei ist. Für den Meister ist das so, als ob man einen Freund nach Hause einlüde und der auf einmal alle Dinge, die ihm gefallen, an sich nähme. Kann Meister Wu verstehen. Und irgendwie scheint er der Annahme zu sein, Wang wolle auch Tongbei unterrichten, was er jedem erzählt und was natürlich bei uns Schülern für helle Empörung sorgt. Rose merkt auch irgendwann, dass die Stimmung etwas angespannt ist und wendet sich hilfesuchend ausgerechnet an mich. Druckse erst ein wenig herum, kläre sie dann aber auf, soweit ich das kann. Dass der Meister selber die Gerüchte in die Welt gesetzt hat, verschweige ich hübsch. Und ich kann mich ja immer noch mit meinem schlechten Chinesisch rausreden. Rose ist natürlich schwer betroffen und eilt nach dem Training Meister Wu hinterher, um diese unschöne Sache zu klären. Bin mal gespannt, ob sie es geschafft hat.

Film:

Meine Tongbei- Brüder Andy und Jud haben einen Film über die Independent Musikszene hier in China gemacht und ich bin zur Vorpremiere eingeladen. Absolut empfehlenswert, bin beeindruckt. Mir war nie so klar, dass die Entscheidung, Punkmusiker zu werden, hier derartig weitreichende Konsequenzen hat. Sogar den totalen Bruch mit wirklich allem und totale gesellschaftliche Ächtung bedeutet. Respekt.
Der Film heisst „Down: Indie rock in the PRC“. Hoffe sehr stark, dass die beiden einen Vertrieb dafür finden oder den bei irgendwelchen Festivals platzieren können. Falls jemand die Chance hat, den Film zu sehen: Anschauen!!!

Freunde:

Eines unserer Vereinsmitglieder, Felix, tritt einen Job bei einem großen internationalen Softwareunternehmen in SH an. Was ich in einem Jahr nicht geschafft habe, leistet er bei einem einzigen Starbucks- Besuch bei sich um die Ecke: Er gabelt nette Leute auf. Wohne anscheinend in der falschen Gegend und/ oder bin zu unkommunikativ. Jedenfalls profitiere ich von seiner grandiosen Steilvorlage und habe ab sofort Leute zum Weggehen, die auch gute Happen zu schätzen wissen. Wir testen Restaurants, Kneipen und Spas und unternehmen interessante Ausflüge. Shanghai rockt!

Besuch:

Morgen, am 21.04.2011 kommt Stefanie. Bin schon total aufgeregt. Sieder beobachtet sein Weibchen bei den Vorbereitungen auf diesen lieben Besuch und ahnt große Zusammenhänge. Hoffentlich verstehen die beiden sich. Blicke zurück auf das eine Jahr, das seit ihrem letzten Besuch vergangen ist und muss schmunzeln. Da sie natürlich viel trainieren wird, bin ich gespannt, was sie so zu berichten hat. Und ich freue mich schon darauf, mit ihr um die Häuser zu ziehen und sie meinen neuen Bekanntschaften vorzustellen.

Donnerstag, Februar 17, 2011

无业 – Arbeitslos

Gehe meine Arbeitssuche erst mal gemütlich an und schicke am zweiten Arbeitstag nach den Ferien ein paar Bewerbungen raus. Zwei Stunden später habe ich drei Bewerbungsgespräche für diese und die nächste Woche klargemacht.
Freue mich, mit Meister Wu trainieren zu können, leider machen mir das Wetter oder des Meisters Vorliebe zu nächtlichen Sauf- und Zockgelagen öfters mal einen Strich durch die Rechnung. (Zu des Meisters Ehrenrettung muss man sagen, dass er nur zweimal wegen vorhergehenden Ausschweifungen das Training absagt).
Habe Glück und bin Samstag die einzige Schülerin. Meister Wu mag mich ja gerne, aber mit mir kann er nicht so viel labern wie mit seinen anderen Schülern, weswegen er am Einzeltraining mit mir wohl nicht so wahnsinnig viel Spaß hat. Später kommt dann noch für eine Stunde ein Typ Ende fünfzig in Zivilklamotten an, der in die Grundlagen unseres Stils eingewiesen wird und sich als sehr begeisterungsfähiger Schüler erweist. Meister Wu hat jemanden zum Quatschen und ich profitiere auch. Grundlagen sind ja nie verkehrt und der Typ ist ganz witzig. Mich bezeichnet er fröhlich als seine „shijie“, ältere Lehrschwester, wir lachen beide. Wenigstens weiß der Typ, was sich in Kampfkunstkreisen gehört.
Sonntags voller Auflauf, Jud hat noch zwei Interessenten mitgeschleppt. Auch meine Intimfeindin ist am Start. Einzig Xiao Lu bleibt verschollen. Mache mir langsam Sorgen um ihn. Stelle fest, dass Sonntag echt der uninteressanteste Trainingstag ist, aber was will man machen.
Meister Wu willigt ein, auch Montag in den Park zu kommen, sehr schön. Eiseskälte, obwohl die Sonne kräftig scheint. Ich nutze die Gunst der Stunde, um ihn ausgiebig zu einer bestimmten Einzelbewegung zu befragen, die ich noch nicht so richtig begriffen habe. Der Meister ist erfreut und erklärt mir die Anwendungen dieser Bewegung sehr ausführlich. Und er bringt mir ein paar Kombinationen bei, die er sonst nur in den eigenen vier Wänden übt. Soll ja keiner sehen, was wir so drauf haben. Bin sehr beglückt, aber es wird noch besser. Rose kommt mit zwei Säbeln. Jetzt ist Meister Wu natürlich nicht mehr zu halten. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit lehrt er uns Theorie und Praxis und erzählt unterhaltsame Geschichten, die sogar ich begreife. Die Säbelform üben wir dann auch, wobei hauptsächlich Rose korrigiert wird. Ich bin etwas nervös, denn schließlich habe ich diese Form ausschließlich von Xiao Lu gelernt und führe sie nun zum ersten Mal dem Meister vor. Stelle mich dann anscheinend nicht so blöd wie befürchtet an, Mittwoch wird vertieft. Leider schneit es am Mittwoch dann, was ich sehr betrüblich finde.

Erledige Dinge, zu denen ich wegen Arbeitsüberlastung bis jetzt nicht gekommen bin, stelle mich bei diversen Büros vor und lerne Chinesisch. Kaufe bei Ikea Hasenjahr- Fuppes, das hatten sich die Zimmers gewünscht. Nun, Christine, habe Topflappen und Puschen. Und Platzdeckchen, die finde ich allerdings selber sehr geschmackvoll. Entdecke auf dem Gelände der Tongji- Universität das Institut für Materialprüfung und bin begeistert: Etliche Wolkenkratzer im Maßstab 1/20 oder kleiner in ihrer Struktur nachgebaut und getestet. Die Modelle stehen vor dem Institut oder den umgebenden Parkanlagen, in denen ich mich auch gleich noch mit den Universitätskatzen anfreunde. Fotografiere wie verrückt.

Treffe unsere Frankfurter Freundin Weiwei, die Neujahr bei ihren Eltern in Südchina verbracht hat und jetzt in Shanghai ihren Sohn besucht. Ich freue mich sehr, sie wiederzusehen, wir lachen und haben Spaß. Weiwei ist überwältigt von den rapiden Veränderungen in Shanghai und entsetzt über die Probleme, mit denen sich die jungen Leute hier heutzutage herumschlagen müssen. So hat die Freundin ihres Sohnes neulich auf Geheiß ihrer Eltern mit ihm Schluß gemacht, weil er keine eigene Wohnung aufweisen kann. Finden wir beide empörend. Aber wie soll sich denn ein junger Mann im heiratsfähigen Alter von ca. 5.000 RMB Monatsgehalt in einer Stadt wie Shanghai eine Wohnung kaufen können? Mir tun die jungen Leute hier echt leid, Neujahr hatten sich Rose und ich schon mit des Meisters Sohn sehr ausgiebig darüber unterhalten.
Lotse Weiwei durch die Shanghaier Metro und freue mich, dass ich mich hier als Ausländerin besser auskenne als sie. Naja, Weiwei lebt hier ja auch schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr.

Die Elektrik in meiner Bude gibt langsam den Geist auf, traue mich kaum noch, irgendein Gerät in Betrieb zu nehmen oder das Licht einzuschalten. Die Klimaanlage im Schlafzimmer lässt regelmäßig die Sicherung durchbrennen, also kein warmes Schlafzimmer. Bin mal gespannt, ob mein Vermieter die tatsächlich reparieren lässt, nachdem ich die Mieterhöhung verweigert habe. Egal, meine letzte Stromrechnung war sowieso exorbitant. Die Notfallnummer der Elektrizitätswerke ist auf einmal ungültig, zum Glück kann mir mein netter Pförtner helfen. Der OK- Man wird mein allerbester Freund, wir rauchen oft gemeinsam eine, während er die Hauptsicherung meiner Bude repariert.
Trotz des Endes der staatlichen Ferien wurde immer des Nachts noch fröhlich gefeuert, der heutige Tag (Donnerstag, 17.02.2011) markiert jedoch das endgültige Ende der Neujahrsfeierlichkeiten. Heute ist der fünfzehnte Tag, Vollmond und somit 元宵节,Laternenfest. Habe schon einige Kinder mit Laternen auf der Straße gesehen und fühlte mich seltsam an Sankt Martin erinnert. Momentan mal wieder heftiges Feuerwerk, genieße die funkelnden Lichter. Sozusagen das große Finale. Morgen werden wohl dann die hübschen Laternen, die in den vergangenen Wochen zahllose Gebäude schmückten, entfernt werden, schade. Hadere mit mir, ob ich die von mir an meinem Erkerfenster angebrachte auch abnehmen soll. Ach nee, das Ding ist zu hübsch, und wenn die Chinesen das ganze Jahr über Weihnachtsdeko hängen lassen, werde ich als unwissende Ausländerin doch wohl meine Laterne solange nicht abnehmen, bis sie auseinanderfällt und von der Sonne unansehnlich geworden ist.

Dienstag, Februar 01, 2011

事势第四 – Stand der Dinge #4

Job:
Mache mit meinem letzten Projekt eine Punktlandung, feuchter Händedruck und das war es fast. Würde mich dann doch interessieren, wie mein Entwurf beim Kunden angekommen ist, vielleicht bekomme ich ja Rückmeldung. Sonntag (vor dem Neujahrsfest ein Arbeitstag) muss ich mir noch meine Allowance abholen. Auf das Neujahrsessen mit meinem Büro habe ich natürlich keinen Bock. Frage mich, was ich aus dem vergangenen Jahr so mitnehme. OK, Einblick darin, wie Dinge hier so laufen, aber mein größter Gewinn hat vier Beine und rotes Fell. Ist ja auch was.
Erfahre, dass andere Kollegen freiwillig gekündigt haben, aha. Schade eigentlich, dass die Dinge so auseinanderfallen, hätte echt gut laufen können. Egal, abhaken, weitermachen.
Treffe auf einer Party einen Boss, bei dem ich mich beworben hatte. Der will sofort ein Interview mit mir. Bin zwar etwas zögerlich, da ich gerade meinen dritten Long Island Ice Tea am Hals habe, aber was soll es. Läuft gut, aber vor Neujahr geht hier sowieso nichts. Mal sehen.

Guanxi:
Zu beschreiben, was hier zu dieser Zeit abgeht, ist echt schwierig. Chinesisches Neujahr wirft schon mindestens drei Wochen vor den eigentlichen Festlichkeiten seinen Schatten. Seit zwei Wochen verlassen täglich eine Millionen Menschen Shanghai in Richtung Heimat, was sich in der Metro deutlich bemerkbar macht. Restaurants sind immer ausgebucht, da man Essen geht. In den Supermärkten ist jeden Tag die Hölle los, nahtloser Übergang von Weihnachten zu dem richtigen Fest. Man sollte sich mal unser Weihnachten vorstellen und das mit 10 potentzieren. Und das trifft es nicht annähernd.
Zheng Rui (Teeknülch) organisiert ein Essen mit Meister Wus Schülern. Sitze zwischen Rose und der Zappelmaid und blicke auf das vergangene Jahr zurück. Ein Jahr in Shanghai, keinen Job, keine Freunde und meine Trainingsleistung auch nicht verbessert. Während alle um mich herum fröhlich sind, kullern mir Tränen aus den Augen. Schäme mich, Rose redet auf mich ein wie auf ein krankes Pferd.
Die Zappelmaid flirtet mit ihren westlichen Tongbei- Brüdern, würde dem Luder am liebsten den Hals umdrehen. Ihr westlicher Name ist „Phoebe“. Alberner könnte es kaum sein, Rose und ich verdrehen unsere Augen. Aber wir weiblichen Schülerinnen prosten unserem Meister zu, auch wenn ich dem Miststück am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt hätte. China halt. Sie weiss, dass ich sie hasse, ich weiss, dass sie gegen mich kämpfen wird wo sie nur kann, trotzdem sitzen wir hier und umarmen uns. China kann manchmal ganz schön kompliziert sein.
Die Wus und ich fahren mit derselben Metro heim, Wu Junior fragt mich beiläufig, ob ich denn zum Frühlingsfest hier sei? Klar, das verbringen ich und meine kleine Katze gemeinsam. Nee, nee, die Wus laden mich ein. Und das zum Jahreswechsel. Letztes Jahr war ich quasi am ersten Weihnachtsfeiertag eingeladen. Dieses Jahr Heiligabend. Mit Rose zusammen, das ist eine wirklich sehr große Ehre und ich bin sehr bewegt.
Einen Tag später klingelt nachts mein Telefon, der Teeknülch oder vielmehr Zheng Rui oder Richard. Hey, mein ehemaliger Mitschüler hat ne Baufirma und sucht Architekten. Schick dem doch mal deine Mappe, hast du während der Feiertage Zeit? Bin total gerührt. Könnte spannend werden, für ein Local Design Institute zu arbeiten.
Finde es jedenfalls total nett von Zheng Rui, dass er sich für mich so ins Zeug legt. Ein paar Tage später erfahre ich von Xiao Lu, dass der Meister für mich alle Beziehungen, die er hat, ausgespielt hat. Und allen anderen den Befehl erteilt hat, mich aufzuheitern, da ich doch neulich offensichtlich so traurig war. Und eine billigere Wohnung sollte ich auch haben, die werden sie suchen.
China ist sowas von geil.

Dienstag, Dezember 14, 2010

事势第二 – Stand der Dinge #2

Training:
Xiao Lu wundert sich, dass der Meister ihn so gar nicht nach meinen Trainingsfortschritten fragt oder was wir denn überhaupt so üben. Ob er mich denn danach gefragt habe? Nee, auch nicht. Mich wundert das auch ein wenig, entweder vertraut der Meister uns und sieht Erfolge, so dass er nicht fragt oder er hat mich abgeschrieben. Muss mich mal vorsichtig bei Rose erkundigen, wenn sie das nächste Mal kommt. Als ich Xiao Lu erzähle, der Meister fände, dass Rose die Säbelform „feichang piaoliang“ (außerordentlich schön) ausführe, ist er in seiner Ehre gekitzelt. „Rose ist fett“ sagt Xiao Lu und piaoliang sei ihre Form auch nicht wirklich, das habe er gesehen. Naja, fett ist Rose jetzt nicht gerade, wie ich finde. Gut, Damen in unserem fortgeschrittenen Alter neigen manchmal zu ein wenig mehr Üppigkeit um die Hüften und am Bauch. Aber fett? Bestimmt nicht.
Dafür werde ich jetzt gnadenlos korrigiert, das werde ich doch bestimmt hübscher hinkriegen als Rose. Versuche, mein Bestes zu geben. Und bei den Einzelbewegungen ist er auch sehr streng. Als ich einmal wegen diverser Dinge ziemlich mutlos und verzweifelt ins Training komme und mir bei seinem Gemecker irgendwann mal die Tränen in die Augen treten, denkt er, das sei seinetwegen. Ziemlich ernst erklärt er mir, ich sei jetzt über die Stufe des „xuexi“ (lernen) hinaus, das hier sei jetzt „lianxi“ (üben). Und das sei viel härter, denn am Ende stehe „gongfu“ (Können). Versichere ihm hastig, dass ich sein Vertrauen außerordentlich zu schätzen wisse und erkläre, was mich so bedrückt. Er hört verständnisvoll zu und tröstet mich. Bester Freund.
Wir freunden uns mit einer kleinen Parkkatze an, der ich öfters mal Futter mitbringe. Der arme kleine Kerl hat was am Auge und freut sich jedes Mal, wenn er uns sieht. Würde ihn am liebsten einfangen und zu einem Tierarzt bringen, aber wenn ich anfange, mich hier um jede Parkkatze zu kümmern, werde ich meines Lebens nicht mehr froh.
Kriege auch raus, was da neulich mit seinem Bruder los war. (Xiao Lu hatte mir das Training abgesagt, da sein Bruder beim Streit mit Nachbarn ein paar aufs Maul bekommen hatte und er ihn ins Krankenhaus und zu den Bullen begleiten musste).
Nachbarn haben geheiratet, wenn der Bräutigam die Braut bei ihren Eltern abholt, versuchen Freunde und Verwandte, dies spielerisch zu verhindern. Um sie umzustimmen, muss der Bräutigam dann ganz ganz viele rote Umschläge mit Geld verteilen, bevor er endlich die Braut mitnehmen darf. (Bei Yings Hochzeit war das ein Punkt des Missmutes ihrer Eltern. Ihr Gemahl hat anscheinend nicht genug Knete locker gemacht, jedenfalls der Auffassung ihrer Eltern nach).
Xiao Lus Bruder ging schauen, bekam keinen roten Umschlag und wurde dar ob sehr ungehalten. Ein Wort gab das andere, schließlich flogen Fäuste und des Bruders Nasenbein brach. 2000,- RMB, um es zu richten, ganz schön viel Geld für hiesige Verhältnisse. Und Schmerzensgeld musste auch noch gezahlt werden, ich glaube, so 5000,- RMB. Oder drei Jahre Knast. (Wer an wen kapiere ich allerdings nicht so ganz, obwohl ich die Geschichte sowohl von Xiao Lu als aucch von Meister Wu höre. Natürlich jeweils anders ausgeschmückt). Xiao Lu meint, sein Bruder sei sowieso nicht ganz richtig im Kopf. Bei der Gelegenheit erfahre ich auch, dass alle Lus unter einem Dach wohnen. Das Haus hat drei Stockwerke mit vier Parteien pro Stock. Zehn davon gehören zur Familie Lu. Krass.

Wetter:
Der November ist unglaublich schön und jetzt im Dezember verfärben sich tatsächlich auch endlich die Blätter der Bäume. Und es riecht wie bei uns im Herbst. Ziemlich viele Bäume in Park sind immergrün und es gibt auch viele Palmen, aber an unserem Trainingsgelände wächst ein Zierahorn, der sich in prächtigen Rottönen präsentiert. Viel Laub rieselt auf unser Trainingsgelände, das von Xiao Lu sorgfältig aufgefegt wird. Dabei darf ich ihm nicht helfen, fegen ist Männerarbeit. Versuche, ihm zu erklären, dass in Deutschland auch Frauen die Gasse fegen und wie wichtig es gerade in ländlichen Gegenden sei, dass Sonntags alles hübsch sauber ist. Die Deutschen sind ein merkwürdiges Volk.
Ein Typ sägt von einem der Bäume einen ziemlich dicken Ast ab. Ob das denn in Ordnung sei? Ach, kümmert doch sowieso keinen. Xiao Lu erklärt mir, dass dieser Baum sehr hartes Holz habe, aus dem man prima Siegel schnitzen könne. Und dann kann der Typ einfach so im Park einen Baum ansägen? Die Chinesen sind ein merkwürdiges Volk.
Nach chinesischer Auffassung ist Winter, deswegen trägt Meister Wu jetzt lange Unterhosen. Bis zum 11.12. ist das Wetter auch noch bombig. Heute am dritten Advent jedoch regnet es in Strömen und es geht ein unangenehmer Wind. Also ziehe auch ich lange Unterwäsche an und nehme zum Training heißen Tee mit ordentlich Ingwer, Zitrone und den mir von Xiao Lu geschenkten roten Beeren mit. Obwohl es angeblich knapp 10° über Null sind, frieren mir fast die Hände und Füße ab. Da das mit dem Fajing bei mir heute so gar nicht klappen will, halte ich Meister Wu meine Griffel unter die Nase. Die ersten beiden Glieder meines Zeige- und Mittelfingers sind weiß, die Nägel blau. Oha. Herz und Durchblutung nicht in Ordnung. Ob ich Medizin nähme? Nee, natürlich nicht. Warum und welche denn auch. Der Meister denkt kurz nach. Naja, dann aber wenigstens vor dem Schlafengehen Hände und Füße ordentlich in heißem Wasser baden. Ja, werde ich machen.
Und es soll noch kälter werden. Ab Mittwoch soll es nachts sogar frieren und vielleicht auch etwas schneien. Zum Glück habe ich bei Marks & Spencer einen flotten Daunenmantel ohne Glitzer und ordentliche Stiefel ohne Absätze gefunden. Was in China im Allgemeinen und erst recht bei meiner Größe schon ziemlich schwierig ist.

Weihnachten:
Schon seit dem ersten Advent haben die Kassiererinnen beim E- Mart, seit dem ersten Dezember auch die bei Carrefour Nikolausmützen auf und aus den Lautsprechern säuselt Weihnachtsmusik. Mein Favorit: Christmas in New York von den Pogues, gesungen von einem Kinderchor. Geil, wie engelsgleiche Stimmen die ganzen Beschimpfungen intonieren. Angesichts des (anfänglich) milden Wetters bin ich noch gar nicht in Weihnachtslaune, versuche jedoch, mich durch das Abbrennen von Kerzen besinnlich zu stimmen. Da jedoch Sieder großes Interesse an den Kerzen zeigt, sehe ich davon zügig ab. Habe keine Lust, mit einer verletzten Katze durch halb Shanghai zu jagen.
Ich lausche den Roten Rosen und schwelge in lieben Erinnerungen an vergangene Tage und an das Tote Hosen Konzert letztes Jahr.
Zur Eröffnung eines Einkaufszentrums nahe unseren Büros ist an meiner Metrostation ein buntes Riesenrad aufgebaut worden. An der Station werden sowieso Nieren gegrillt, sieht aus und riecht also fast wie Weihnachtsmarkt. Deutschland ist eingeschneit, Frankfurter Flughafen dicht. Stehe in der Metro, schaue Nachrichten und kann kaum glauben, was ich sehe. Hoffentlich kommt Ali nächsten Mittwoch da überhaupt raus.
Bei Carrefour gibt es sogar einigermaßen annehmbaren Weihnachtsschmuck. Sehe vom ursprünglich avisierten Erwerb eines Plastikbaumes ab, da Sieder den sowieso als eigens für ihn angeschafftes Spielzeug betrachten und sofort zerlegen würde. Aber eine Girlande und ein paar mattgoldene Plastikglocken als Innenschmuck gehen dann doch. Sieht sogar recht geschmackvoll aus. Jedenfalls für hiesige Verhältnisse. Da die Glocken auch bimmeln, üben sie natürlich magische Anziehungskraft auf meinen vierbeinigen Freund aus, aber er kommt nicht dran, was ihn frustriert jaulen lässt.
Da die Chinesen zu ihrem Neujahr, was in Bezug auf Familienzusammenkünfte die gleiche Bedeutung wie Weihnachten für uns hat, ihre Buden prächtig zu schmücken pflegen, muss natürlich auch Dekor für die Außenseite der Tür her. Als einzige ausländische Bewohnerin dieses Hauses muss ich schließlich Zeichen setzten. Kaufe also den kitschigsten Türschmuck, den ich bei Carrefour finden kann, einen Weihnachtsmann mit teilweise erhabenen Schriftzügen, der von pinkfarbenen, ebenfalls erhabenen Herzen umrahmt ist. Geschmacks- Overkill. So. Weihnachten und der Herr Gemahl können kommen. Mittlerweile wird auch lokal immer heftiger dekoriert, vor dem Jing’an Tempel und in Xintiandi dürfte es richtig krass sein. Mein Kollege Jingfeng erklärt mir, dass Weihnachten für junge Chinesen vor allem eine willkommene Gelegenheit zum Partymachen ist. Na denn, mögen die Spiele beginnen!

Freitag, Dezember 10, 2010

举行婚礼 – Hochzeit

20.11.2010, Samstag

Vormittag:

Habe zwei Tage auf der Schnauze gelegen und verspüre Bewegungsdrang. Da mein Pelzwecker mich sowieso aus dem Bett wirft und das Wetter auch recht angenehm ist, fahre ich in den Park. Habe gehört, dass der Meister seit neuestem Samstags einen Schüler in Tuishou unterweist, da bin ich doch mal neugierig. Außerdem kann ich da gegen die Zappelmaid Flagge zeigen.
Der Schüler entpuppt sich überraschenderweise als der Jadering- Perückenmann, der uns gleich mal mit Frühstückszigaretten beglückt. Außer mir kommt dann auch keiner mehr und ich kriege eine unbezahlbare Lektion in Tuishou. Weil ich mich dabei besser anstelle als der Jadering- Perückenmann, werde ich intensiver bespielt, ich muss mich Samstag einfach häufiger aus dem Bett quälen.
Hat Meister Wu nicht morgen Geburtstag? Ja, schon, aber er feiert diesmal nicht. Ob wir in Deutschland das denn täten? Nee, auch nicht, nur die runden Geburtstage oder wenn wir Bock hätten. Besorge auf dem Heimweg aber eine gute Flasche Rotwein und eine Stange Kippen, die ich in eine geschmackvolle Tragetasche stecke. Der Meister ist ein feiner Kerl und herzensgut, möchte ihm wenigstens mit einer kleinen Geste meinen Respekt erweisen.

Nachmittag:

Meine erste Frage an Xiao Lu ist, ob der neulich gerettete kleine Vogel denn noch lebe. Klar, den habe er zu einem Kumpel gebracht, der ganz viele Vögel halte, dem Tierchen ginge es gut. Mag das kaum glauben, freue mich aber. Dass ich so fröhlich bin, macht auch Xiao Lu glücklich. Wer weiss, vielleicht hat ja der Vogel die Heimfahrt nicht überlebt und den Kumpel gibt es gar nicht oder Xiao Lus Katzen haben ihn erwischt. Aber das ist typisch China: Damit jemand, mit dem man in irgendeiner engeren Beziehung steht nicht traurig wird, erzählt man dem halt, was er hören will. Eigentlich ein sehr sympathischer Zug, aber im Geschäftsleben kann einen das manchmal in den Wahnsinn treiben.
Entspanntes Üben, ich erzähle vom Vormittagstraining. Ob die Zappelmaid dagewesen sei? Nee, vielleicht krank oder der Meister hat ihr den Kopf zurechtgerückt. Morgen Nachmittag dann kein Training, bin ja auf Yings Hochzeit eingeladen und schon ganz gespannt. Dann morgen früh? Ja, geht klar.

21.11.2010, Sonntag

Vormittag:

Natürlich um halb neun kein Xiao Lu da, was ich ganz schön farblos finde, wo doch Meister Wu heute Geburtstag hat. Aber gut, in China haben Geburtstage eigentlich keine große Bedeutung.
Wieder keine Zappelmaid im Training, dafür aber der Teeknülch und später auch Jeremy und der junge Knabe. Händige mein Geschenk aus, das der Meister leicht überrascht entgegennimmt. Nette Trainingsstunde, der junge Knabe haut schon früher ab und der Teeknülch lädt nach dem Unterricht noch zum Essen ein. Kann ja nicht, die Gründe erkläre ich nochmal umschweifig. Nicht dass die denken, ich hätte keine Lust, an einem Essen zu Ehren meines Meisters teilzunehmen! Meine Entschuldigung wird anscheinend akzeptiert.

Nachmittag:

Hübsche mich für die Hochzeit auf. Yings größte Sorge war meine Garderobe, bitte fröhliche Farben! Meine etwas eleganteren Fummel sind jedoch alle Schwarz oder in gedeckten Farben, aber der schicke beim Einkaufsbummel mit Lilo und Tori erworbene Kaschmirschal sorgt dann doch für einen Farbtupfer.
Fahre mit dem Taxi zum Zoo, wo die Hochzeit in einem Restaurant stattfindet. Ich muss vom Eingang noch ein ganzes Stück laufen. Sehr schöner Park, wenig Leute unterwegs. Das Wetter ist herbstlich und ein wenig nebelig, aber immer noch angenehm.
Wir Ausländer sind an zwei Tischen ganz hinten im Saal platziert, an meinem Tisch sitzen unter anderem noch ein sehr nettes Architektenpaar und zwei fidele ältere Hamburger Knaben namens Klaus und Horst. Horst macht in Hebebühnen und Offshore- Schlauchbooten und ist geschäftlich hier, während Klaus irgendwann mal seinen Beruf an den Nagel gehängt und einen Campingplatz in Kroatien aufgemacht hat. Cool. Er und Horst sind dicke Kumpels aus alten Tagen und haben schon Shanghai kräftig aufgerollt, was ihnen anscheinend großen Spaß gemacht hat. Überhaupt scheinen sie für jeden Blödsinn zu haben zu sein, was ich sympathisch finde.
Die dick geschminkte Ying in ihrem rauschenden westlichen Brautkleid ist schon ganz nervös, aber hübsch sieht sie aus! Wir werden zur feierlichen Zeremonie auf die Dachterrasse des Restaurants gebeten, die festlich dekoriert ist. Bin überrascht, meine sehr geschmackvoll zurechtgemachte Ayi in der vordersten Reihe sitzen zu sehen. Wie sich herausstellt, Yings Mutter. Aha. Jetzt weiss ich auch, wo Ying ihre Methodik her hat.
Am Arm ihres Vaters schreitet Ying unter einen blumengeschmückten Pavillon, der Bräutigam nähert sich vom anderen Ende. Er kniet vor ihr nieder, als Zeichen ihrer Gunst steckt Ying ihm eine weiße Rose an den Anzug. Nach eindringlichen Ermahnungen des Vaters an den Schwiegersohn wird die Hand der Braut übergeben und das Paar schreitet zu den Klängen des Triumphmarsches aus Aida der Bühne entgegen. Dort folgt ein ausgiebiges von einem geschwätzigen Fettsack moderiertes Programm, das wir Ausländer aber nicht verstehen und dem wir aus der Ferne wegen der eifrig filmenden und fotografierenden Hochzeitsschergen sowieso nicht folgen können.
Was ich aber faszinierend finde: Einige der chinesischen Hochzeitsgäste tragen –ähem- sehr legere Alltagskleidung. (Wusste schon vorher, dass das hier Usus ist, bin aber trotzdem über diese Diskrepanz erstaunt). Zwei Typen neben mir in Jogginganzügen rauchen und saufen Bier, während vorne das Brautpaar Champagner über eine Gläserpyramide rieseln lässt. Krass.
Nach der Zeremonie gibt es erst mal eine zweistündige Pause, die wir zum Erkunden des Zoos nutzen. Es wird langsam etwas nebelig und wir haben den Zoo fast für uns alleine. Ich lotse unsere kleine Truppe an den traurigen Pandas vorbei zu den Tigern. Die Sibirischen schlafen zusammengekuschelt in ihrem Freigehege. Im Wassergraben schwimmt offensichtlich von Zoobesuchern zur Tigeranimation hineingeschmissener Müll.
Ätzend.
Der einsame südchinesische Tiger hingegen läuft unruhig auf und ab und gibt Klagelaute von sich. Ob er weiss, dass seine Art so gut wie ausgestorben ist und es nur noch so ca. 30- 40 Kollegen gibt?
Traurig.
Vor dem Festmahl stehen Ying und ihr Gemahl in traditionellen chinesischen Kostümen zu Fototermin bereit, wir nehmen an unserem Katzentisch Platz und die ersten Speisen werden aufgetischt. Das Brautpaar muss derweil vorne auf der Bühne allerlei derbe Späße über sich ergehen lassen. Schließlich nimmt Jun seine Gattin Huckepack und eilt mit ihr aus dem Saal.
Ich amüsiere mich prächtig und unterhalte mich nett. Horst ist ganz begeistert von Shanghai und denkt auch darüber nach, für 2- 3 Jahre hierher zu ziehen. Da er ebenfalls verheiratet ist, ist der Umgang des Ehegatten mit der Fernbeziehung natürlich ein Thema.
Ein Gericht nach dem anderen wird aufgetragen, auch an uns Vegetarier wird gedacht. Ying trägt mittlerweile ein elegantes türkisfarbenes Abendkleid. Weitere Spiele und Bespaßung, schließlich wechselt Ying in einen umwerfenden roten Qipao und das Brautpaar macht die Runde, um an jedem Tisch einzeln mit den Gästen anzustoßen. Ihrem Gatten wird von einem schalkhaften chinesischen Hochzeitsgast ein Glas mit einer Mischung aus Soja- und Chilisauce mit ordentlich Salz und Zucker aufgenötigt, dass dieser nichtsahnend trinkt. Wir Westler wundern uns nur, dass der Gatte kurz vor Erreichen unseres Tisches grün im Gesicht wird und zur Toilette eilt, so dass Ying alleine mit uns anstößt. Ob der sich vor Laoweis ekellt?
Bei dieser Gelegenheit werden dann auch die roten Umschläge übergeben, die von der rosa gekleideten Brautjungfer in eine riesige Handtasche eingesackt werden. Und das war es dann auch schon, die Hochzeitsgesellschaft zerstreut sich schnell. Da gucken einige der Westler ganz schön dumm aus der Wäsche, sind sie es doch gewohnt, dass es bei deutschen Hochzeiten nach dem Essen erst so richtig los geht.
Ying lädt einen kleinen Kreis ihrer Schüler dann noch für einen Umtrunk zu sich nach Hause ein, klar sind wir neugierig, wie sie wohnt und fühlen uns wegen dieser Einladung sehr geehrt. Ihre Wohnung ist mit unendlich vielen Hochzeitsfotos dekoriert, das Schlafgemach festlich geschmückt. An jeder Ecke des Bettes thronen üppige chinesische Kuchen mit Glückssymbolen, was für nächtliche Riten damit verbunden sind, wage ich nicht zu fragen. Da wir alle am nächsten Tag wieder arbeiten müssen und auch dem Brautpaar endlich Ruhe gönnen wollen, verabschieden wir uns bald.
Teile mir mit Horst und Klaus ein Taxi, die in dem Hotel, in dem wir 2005 unsere Vereinsrundreise gestartet hatten wohnen. Da die Fahrt sehr lange ist, hat Horst viel Zeit, von mir Erkundungen über Shanghaier Mietpreise und dergleichen einzuholen, während Klaus mit nahezu kindlicher Begeisterung auf dem Vordersitz das nächtliche Stadtbild bewundert. Kriege einen Eindruck von der Strecke, die Ying zum Unterricht bei mir zurücklegen muss und habe Respekt.

Donnerstag, November 25, 2010

漫无目的小姑娘第二 – Zappelmaid #2

14.11.2010, Sonntag

Vormittag:

Rose fragt mich diskret, ob denn da neulich im Training irgendwas mit dem Mädel losgewesen wäre? Sie etwa geweint habe? Nee, sage ich, wieso? Naja, der Meister habe da so was gesagt und sich bei Rose erkundigt, ob sie wisse, was da vorgefallen sei. Da fällt es mir wieder ein, dachte die ganze Sache sei ausgestanden. Erkläre Rose die Sache und erwähne, die kleine Zappelmaid sei keineswegs heulend von dannen gezogen, sondern habe sich vielmehr recht schnippisch betragen.
Rose hört sich das in Ruhe an und meint dann, sie habe sich schon gedacht, dass es mit dieser Göre noch Ärger geben würde. Jetzt bin ich aber neugierig. Wieso das denn? Als Englischdozentin an der Uni hat Rose natürlich einen ganz guten Einblick in das Seelenleben chinesischer Jugendlicher. Dadurch, dass die meisten von denen Einzelkinder seien, seien sie gewohnt, zu bekommen, was sie wollen. Auch wenn man ihnen klipp und klar sage, dass sie etwas nicht bekämen oder dürften, würden sie es versuchen. Außerdem haben viele einfach keine Ahnung von Etikette, da sie von Kindesbeinen an verwöhnt seien. Diesen Eindruck hatte ich bis jetzt nicht, vielmehr erschienen mir chinesische junge Menschen bis jetzt eher höflicher und wohlerzogener als die deutschen zum Beispiel. Ja, sagt Rose, oberflächlich sei das auch so. Aber hinter der Fassade sieht es wohl ganz anders aus. Interessant. Und in dem Ring, in den sich die kleine Maid jetzt begeben hat, herrschen natürlich auch noch ganz andere, traditionelle Sitten. Eigentlich schuldet sie mir und ihr als „Große Lehrschwestern“ Gehorsam und Respekt, Xiao Lu natürlich erst recht. Und dem Meister sowieso.
Wie sich herausstellt, hat die Maid wohl unmittelbar, nachdem sie von uns nach Hause geschickt worden war, völlig aufgelöst Meister Wu angerufen und heftig geheult. Ich sei gemein und unhöflich zu ihr gewesen, wie gemein und unhöflich genau, konnte oder wollte sie ihm in ihrer Aufgewühltheit wohl nicht schildern. Deswegen hatte er sich ja auch besorgt bei Rose erkundigt. Dieses kleine Miststück!
Bin jetzt doch leicht beunruhigt. Immerhin steht hier die Aussage einer Einheimischen gegen die einer Ausländerin mit miesen Sprachkenntnissen. Nee, sagt Rose, ich solle mir mal keine Gedanken machen. Da vor allem Xiao Lu der Zappelmaid schon mehrere Male gesagt habe, sie könne nicht mit uns trainieren und der Meister schon wisse, dass die Maid eher schlichten Gemütes sei, ginge das schon klar. Sie führt als Beispiel genau die Sache mit dem uneingeladenen Auftauchen auf einer Party auf, die ich der Maid schon um die Ohren gehauen hatte. Bin trotzdem noch besorgt, auf keinen Fall will ich, dass Meister Wu eine schlechte Meinung von mir hat. Rose steckt mir dann auch noch ganz diskret, dass mein Nachmittagstraining mit Xiao Lu sowieso quasi unerhört sei. Eine Schülerin lernt vom Meister UND von seinem Meisterschüler, dass Meister Wu sowas zulässt, ist schon eine ganz große Sache und wird anscheinend in Shanghaier Kampfkunstkreisen heiß diskutiert. Versuche Rose zu erklären, dass unser Nachmittagstraining eher so eine gemeinsame Toberei zwischen uns beiden und kein richtiger Unterricht ist und sich das über die Jahre irgendwie mal so ergeben hat. Rose versteht das schon, aber mach das mal den anderen klar. Verstehe allmählich, was für hohe Privilegien ich hier genieße und was das andersherum für mich heißt.
Wir sind gerade mit unserem Gespräch fertig, als die Maid wie immer verspätet anzappelt. Kann nur schwer widerstehen, ihr die Augen auszukratzen. Heute gibt es einen Teil der bestellten Klamotten, die Maid hastet gleich aufs Klo, um sich umzuziehen. Man kann ihr richtig ansehen, wie glücklich sie ist, jetzt gehört sie zumindestens optisch voll dazu. Bei den Einzelbewegungen hofft sie, auch endlich ihre Ärmel flappen zu lassen. Klappt natürlich nicht, im Gegenteil. Jetzt sieht man erst mal richtig, wie schlecht sie sich bewegt.

Nachmittag:

Erzähle Xiao Lu völlig empört von der Aktion der Zappelmaid, der darüber nur den Kopf schütteln kann. Was sind Frauen kompliziert! Nee, ich doch nicht, nur die chinesischen. Meine Bedenken, der Meister könne schlecht von mir denken, zerstreut er. War schon in Ordnung, der Maid den Marsch zu blasen, auch wenn das vielleicht nicht gerade die feine chinesische Art war.
Rocky gesellt sich zu uns und versucht mit zu üben, allerdings erkläre ich ihm mit einem entwaffnenden Lächeln, dass dies Xiao Lus und meine private Trainingszeit sei. Da merkt man doch gleich den Unterschied: Er zieht sich sofort zurück und packt allerlei interessante Waffen aus seinem Rucksack. Unter anderem stählerne Armreifen, muss gleich an den Film „Gong Fu“ mit dem Heiligen Stephen denken. Aus irgendwelchen Gründen kann Xiao Lu Rocky nicht leiden. Trotzdem ist er nett zu ihm, sehr chinesisch. Ich weiß schon, dass es durchaus Unterschiede zwischen Nett und richtig ehrlichem Nett gibt, kann die aber noch nicht unterscheiden. Schwierig, mysteriöses China.
Der Meister hat Rocky auch gesagt, dass er ihn nicht unterrichten wird, liegt wohl daran, dass er schon zu sehr auf die harten Stile eingenordet ist und sich nicht entspannt bewegen kann. Mir tut er ja irgendwie leid, denn ich finde ihn freundlich und höflich, wenn auch manchmal etwas anstrengend, da er sehr leise redet.
Wir plaudern ein wenig und dann übt Rocky seinen Kram und wir unseren. Nach etwa eineinhalb Stunden verabschiedet er sich kernig und zieht von dannen. Jetzt darf ich den Säbel auspacken.
Die Säbelform habe ich zu Hause geübt, soweit das ohne Schäden am Mobiliar möglich war. (Sieder war davon auch entzückt und stelle sich mit angriffslustig erhobenen Vorderpfoten auf die Hinterbeine. Er sah dabei exakt so aus wie der Gestiefele Kater aus Shrek. Musste so lachen, dass mir fast mein Übungsgerät aus der Hand gefallen wäre).
Xiao Lu ist einigermaßen zufrieden und biegt in jeder Stellung meine Hand um Millimeter in die richtige Stellung. Und damit ich auch ja kapiere, was ich da mache, werden natürlich auch Anwendungen geübt.
Eine dicke schwarze Katze hat einen kleinen Vogel gefangen. Da muss man ja mal nach dem Rech
ten sehen, Xiao Lu verfolgt die Katze und kommt mit dem Vögelchen in seiner großen Pranke wieder. Das Tier wird eingehend untersucht, ob das Rote auf seiner Brust wohl Blut ist? Nee, nur Federn. Äußerlich hat der Vogel keinen größeren Schaden genommen, die Flügel sind von der Katze aber schon arg zerzaust. Der kleine Patient wird in Xiao Lu´s Jackentasche geborgen, er stellt sicher, dass das Tier auch ordentlich atmen kann. Danach wird in regelmäßigen Abständen nach dem Vogel geschaut, ich wundere mich, dass er den Nachmittag überhaupt übersteht.
Diese Aktion finde ich jedoch sehr rührend, ich sage Xiao Lu, er sei ein guter Mensch und käme bestimmt in den Himmel. Da muss er lachen.

Samstag, November 20, 2010

生日- Geburtstag

31.10.2010, Sonntag

Vormittag:

Lasse Abendbrot für ein paar Brötchen und ein Marzipan- Mandelhörnchen als Geburtstagskuchenersatz antanzen. Kann mich vor dem Training also an guten deutschen Backwaren laben, Käse hatte ich schon zu horrenden Preisen im Cityshop erstanden.
Xiao Lu versetzt mich zum Aufwärm- Training, aber das Wetter ist so klasse, dass heute absolut nichts mir die Stimmung verderben kann. Sonne mich und schaue dem munteren Treiben im Park zu, schließlich betrete ich unsere Arena und dehne mich schon mal, bis der Meister kommt. Rose, Jud und der Teeknülch kommen heute, von der Zappelmaid bleiben wir verschont. Dafür lässt sich Locke mal wieder blicken, der auch gleich Kippen verteilt. Gott ist Shanghaier.
Dass ich Geburtstag habe, verschweige ich den anderen gegenüber lieber diskret. So oder so würde das sonst in einem üppigen Essen mit ordentlich Alkohol enden, das möchte ich am hellen Tag nicht so. Lieber abends. Nicht, dass ich zu geizig wäre, meine Trainingskameraden einzuladen, aber auf Saufen habe ich jetzt keinen Bock. Und Xiao Lu ist ja auch nicht dabei.

Nachmittag:

Von Ali eine süße Karte mit einem Zitat von Victor Hugo: "Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat". Das lese ich erst mal vorwurfsvoll Mike Sieder vor, der daraufhin leise jault. Meine Schwiegermutter hat einen Brief geschrieben, den Ali eingescannt und mir gesendet hat. Bin total gerührt.

Warte wie üblich auf meiner Bank auf Xiao Lu. Sonnenschein, wie schön ist doch der Teich im Heping Park! Das Licht ist magisch und ich fühle mich einig mit dem Universum.
Als Xiao Lu um fast Viertel nach drei noch nicht da ist, werde ich dann doch langsam etwas unentspannt: Sollte der mich tatsächlich vergessen haben? OK, fast schon mit gerechnet, aber ich habe ja noch Plan B.
Und da biegt auch schon Xiao Lu lässig um die Ecke, in der einen Hand einen Strauß voller Lilien, in der anderen einen Säbel. Wow, zum Geburtstag Blumen und eine Waffe! Andere Weiber freuen sich da über Schmuck und Parfüm oder so und ich reiße an meinem 44. Geburtstag in einem Park irgendwo in Shanghai, China einen Übungssäbel aus seiner Scheide. Ich glaube, es gibt weltweit nicht sehr viele Frauen, die meine Begeisterung nachvollziehen können. Xiao Lu wiegelt ab: Ach was, der Säbel ist ein altes Ding, nicht wirklich klasse und wegen seiner leicht flexiblen Klinge eher eine Übungswaffe für Kinder. Das Kind möchte ich sehen, dass dieses Teil locker durch die Gegend schwingt! Ich finde diesen hier schon ganz schön schwer, jedenfalls schwerer als jedes meiner Schwerter. Und bei Säbel ist viel lockere Arbeit aus dem Handgelenk angesagt. Möchte nicht wissen, was so ein richtig anständiger Kampfsäbel auf die Waage bringt, wahrscheinlich würde ich so ein Ding gar nicht anheben können. Bin jedenfalls überglücklich, dass ich jetzt endlich mal einen richtigen Eindruck von der Handhabung kriege, allerdings merke ich, dass ich von Schwert und Fächer ganz schön beeinflusst bin. Bei diesen Formen werden Daumen, Zeige- und Mittelfinger nach vorne gestreckt, blocken oder liegen am Puls. Beim Säbel macht man das mit der flachen Hand, ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich die Schwertfinger mache. Xiao Lu leider auch, wenn knurren nicht hilft, gibt es was mit dem Stock. Aber eine richtig geile Form und trotz des im Vergleich zu Schwert eher grob anmutenden Übungsgerätes dennoch sehr elegant und vor allem sehr schnell.
Xiao Lu lädt mich noch in ein sehr gutes Restaurant zum Essen ein, wir plaudern sehr fröhlich und teilen uns zwei Flaschen Bier. Ich steige beglückt mit meinen Lilien und dem Säbel in den Bus, ein schöner Abend!
Skype mit Ali und mit Stefanie, chatte mit Lilo und mittlerweile trudeln auch einige Glückwünsche ein. Danke allen, die an mich gedacht haben, hatte einen schönen Tag hier, obwohl ich natürlich meine Freunde vermisst habe.

Montag, November 15, 2010

漫无目的小姑娘 – Zappelmaid

16.10.2010, Samstag

Schlafe erst mal schön aus und schwinge entspannt zum Nachmittagstraining mit Xiao Lu in den Park. Am Eingang werde ich Zeugin eines wüsten Gerangels, auch zwei Damen mischen kräftig mit beziehungsweise versuchen, die Streithähne auseinander zu halten. Ja, die Shanghaier, ein lustiges Völkchen. Das gefällt mir hier so. Habe mal gehört, dass die Koreaner allerdings wesentlich schneller die Fäuste fliegen lassen und Wirtshausschlägereien dort an der Tagesordnung sind.
Warte wie üblich lesend auf meiner Bank in der Sonne auf Xiao Lu, wir haben uns jetzt über eine Woche nicht gesehen und ich freue mich darauf, mit ihm zu üben und zu plaudern. Wir begrüßen uns fröhlich und schlendern zum Übungsgelände, mich trifft der Schlag: Da steht die kleine Zappelmaid und dehnt sich. Auch Xiao Lu ist offensichtlich überrascht, ich bin so dermaßen außer mir vor Wut, dass ich mich umdrehe und zum Parkausgang stürme.
Xiao Lu brüllt hinter mir her, ich solle zurückkommen, aber ich sehe rot. Als ich schon fast draußen bin, halte ich inne: Soll ich diesem kleinen Luder einfach kampflos das Feld überlassen? Nein, sicher nicht, wird Zeit, dass die mal in ihre Schranken gewiesen wird. Also Umkehr und dann wird Xiao Lu, der unsere Arena fegt, Zeuge eines Gekeifes auf Englisch, das sich gewaschen hat. (Als Shanghaier dürfte er das von Weibern allerdings gewohnt sein).
Die Zappelmaid eröffnet trotzig das Gefecht. Sie wolle doch nur zusehen, dies sei schließlich ein öffentlicher Park und sie wolle ja auch nur Xiao Lu, nicht mich beobachten. Aha, und warum habe sie dann Trainingsklamotten an? Und habe sich warm gemacht? Ja, äh….also… Ich mache ihr klar, dass dies kein offizielles Training sei, sondern eine private Verabredung zwischen mir und Xiao Lu. Wie sie es denn finden würde, wenn sie zum Beispiel eine Party gäbe und jemand tauche uneingeladen auf? (Was mich besonders ärgert: Sie hatte ihn schon mehrere Male diskret bei Xiao Lu angefragt, ob sie mittags mitmachen dürfe und jedes Mal eine abschlägige Antwort erhalten. Jetzt versucht sie es mit Dreistigkeit, für mich hört da der Spaß auf).
Worte fliegen hin und her und gelegentlich versucht Xiao Lu erfolglos einzulenken, wenn er eine Schlüsselphrase aufschnappt. Schließlich fleht mich die Maid fast an, sie wolle doch nur kurz mit Xiao Lu reden, er sei doch ihr Freund und ich sei doch auch ihre Freundin.(Als ob ich über Xiao Lu gebieten würde!)
Für mich hat das mittlerweile den Charakter einer schlechten Seifenoper und ich habe keine Lust, noch weiter mitzuspielen.
Jetzt bin ich an der Reihe und es folgt eine typisch chinesische Szene. Ich entschuldige mich wort-reich für mein Ausflippen, wenn die Maid und Xiao Lu plaudern wollten, wolle ich nicht im Wege sein. Hänge mir meine Tasche um und mache lächelnd Anstalten, zu gehen. Xiao Lu ist alarmiert.
Neinnein, sagt die Zappelmaid, sie wolle doch nur kurz mit Xiao Lu quatschen, dann ginge sie. Dieses Pingpong geht eine Weile, dann hänge ich die Tasche wieder an den Baum, zerre mein Buch raus, setze mich auf einen Stein und tue so, als ob ich läse, während die Maid sich mit Xiao Lu unterhält.
Da ich außer mit Xiao Lu nie viel rede, werden meine Chinesisch- Kenntnisse oft unterschätzt und jetzt bin ich dankbar dafür. Denn die Maid fragt ihn, ob sie denn jetzt mitmachen oder wenigstens zuschauen dürfe und wird voll abgebügelt.
Erstens müsse sie deswegen den Meister fragen, zweitens aber dann auch gefälligst endlich mal Unterrichtsgebühr bezahlen. Da der Meister diese von ihr bis jetzt abgelehnt habe, sei sie sowieso keine vollwertige Schülerin. Und selbst wenn Meister Wu zustimme, könne sie Samstag und Sonntag keinesfalls mitmachen. Drittens solle sie zusehen, dass sie die Grundlagen draufbekomme, bevor sie hier mit Fortgeschrittenen üben wolle. Höfliches Geplänkel zwischen den beiden, die Maid trollt sich kleinlaut.
Entspanntes Training mit Xiao Lu, der mir versichert, dass er erstens keine andere Frau außer mir in die tiefen Geheimnisse des Heyi Tongbei einweisen würde und zweitens die Zappelmaid nur unterrichten würde, wenn Meister Wu das ausdrücklich befähle. Dann aber auch nur die Grundlagen. Und ich solle mich nicht aufregen, das sei sehr schlecht für den Blutdruck.
Ich entschuldige mich, ich sei sehr unhöflich gewesen, was will man machen, deutsches Tempera-ment, bu hao. Aber mir sei durchaus bewusst, dass ich in diesem Land nur zu Gast sei und ich mich den Sitten anzupassen habe, ich erwähne, dass ich mich bei der Maid bereits entschuldigt habe und das gerne morgen nochmal täte. Nee, sagt Xiao Lu, die Maid habe da schon Scheiße gebaut, wisse jetzt Bescheid und die Sache sei vom Tisch. Na denn.

17.10.2010, Sonntag

Xiao Lu und ich treffen uns wie immer eine Stunde vor Trainingsbeginn zum Warmüben. Bin mal gespannt auf die Begegnung mit der Maid.
Die kommt denn auch pünktlich und hält sich bescheiden im Hintergrund. Kein Wort über den gest-rigen Konflikt. Meister und Teeknülch erscheinen gemeinsam, auch ein junger Knabe, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Sein Vater hält wohl große Stücke auf Meister Wu und möchte, dass sein lascher Sohn sich anhand der traditionellen Kampfkünste körperlich ertüchtigt. Der Knabe hat ganz klar keine Lust, was ich verstehen kann. Fand Balletunterricht auch blöd als Kind und war froh, dass ich irgendwann mal so groß war, dass das keinen Sinn mehr machte. Dennoch bemüht sich der junge Mann, leider wenig erfolgreich. Auch Jeremy läuft irgendwann mal auf. Schlimmer Finger, hat jetzt schon vier Weiber geschwängert und seine aktuelle Gattin liebäugelt mit einem anderen Kerl. Soweit ich verstehe, hat sie Jeremy gefragt, ob da nicht eine kleine Menage a trois ginge. Ob sowas im Westen üblich sei, will Meister Wu wissen. Nee, so verdorben sind selbst wir nicht. Die Maid ist ungewöhnlich still.
Meister Wu ist blendender Laune und lädt uns zum Essen ein. Ich sehe meine Chancen auf ein inti-mes Nachmittagstraining schwinden, da Alkohol im Spiel sein wird, den Xiao Lu nicht verträgt.
Am Parkeingang werden saisongerecht bemalte Flaschenkürbisse und deren Samen feilgeboten. Ob wir die in Deutschland hätten, will Xiao Lu wissen. Naja, Kürbisse schon, aber nicht diese, höchstens als Dekorationsobjekte. Was? Dann müsse man das schleunigst ändern. Diese Kürbisse seien sehr schmackhaft und man könne sehr nahrhafte Suppen daraus machen. Er ersteht für ein paar Fen Kürbissamen, die mir mit der eindringlichen Mahnung, diese in Deutschland auszusähen übergeben werden. Ich verstaue die Samen mit großer Sorgfalt, werde ich dann Ali mitgeben. Meine Schwiegermama kriegt die Teile sicherlich zum keimen. Und von diesen roten getrockneten Beeren wird auch noch ein Beutel gekauft und mir geschenkt. Gut für die Augen und den Magen. Die Zappelmaid betrachtet uns mit schmalen Augen.
Leckerer Schmaus und prächtige Unterhaltung. Ich schaffe es, mächtigen Alkoholkonsum vorzutäu-schen und dabei nur ein kleines Glas Bier zu trinken, der neben mir sitzende Xiao Lu muss jedoch eine ganze Flasche leeren. Das war es denn mit dem Nachmittagstraining, aber dafür habe ich lecker gegessen und mich wunderbar unterhalten.

Donnerstag, Oktober 21, 2010

放假第四次 – Ferien #4

30.09.2010, Donnerstag

Morgen ist der erste freier Tag unserer Ferienwoche, eigentlich wollte ich ausschlafen und habe deswegen extra die Ayi abbestellt. Bin davon ausgegangen, dass am Nationalfeiertag sowieso niemand Lust auf Training hat. Chat mit Xiao Lu, er ist ab halb neun im Park. Na gut, dann doch Training.
Der Zustand meiner Hand hat sich nur unwesentlich verbessert, bin deswegen ziemlich unglücklich. Der nette Arzt in der Ausländerabteilung des Huashan- Krankenhauses (empfehlenswert) erklärt mir, dass ich mir da wohl den Radialis- Nerv ziemlich übel gequetscht habe. Auch bekannt als Fallhand oder „Parkbank- Syndrom“. Kann dauern, nichts zu machen. Mist.
Da wir eine Woche frei haben, kann Mike Sieder, unsere Bürokatze natürlich nicht so lange alleine im Büro bleiben. Erkläre mich bereit, den kleinen Kerl bei mir aufzunehmen. Nach der Arbeit wird Mike in die von mir eigens besorgte Transporttasche gelockt und mitsamt Klo, Futter und Spielzeug in ein Taxi verfrachtet. Der erste Taxifahrer schmeißt uns auch prompt aus seinem Fahrzeug, er mag wohl keine Tiere. Wüste Beschimpfungen, der zweite Taxifahrer ist ein Netter und nimmt regen Anteil an Sieders Gejaule, der über seine Gefangenschaft in der zwar schicken aber doch einengenden Tasche natürlich nicht sehr begeistert ist. Konversationen mit chinesischen Taxifahrern können den Sprachkenntnissen echt dienlich sein, wie ich schon mehrfach festgestellt habe.
Sieder erkundet vorsichtig meine Wohnung, zum Glück rafft er ziemlich schnell, wo er seine Geschäfte zu verrichten hat. Dass er mir beim Pinkeln zuschaut, mag dabei geholfen haben. Er erweist sich als sehr höflicher und angenehmer Gast.

01.10.2010, Freitag- 08.10.2010, Freitag

Vormittags, Meister Wu:

 Prächtiges Wetter und herrlich entspannte Trainingstage, die Zappelmaid ist wohl auf Hei-maturlaub. Stattdessen üben Rose und Jud öfter mit, so wird Fortgeschrittenenprogramm gefahren. Und mit der Säbelform wird auch endlich angefangen. Keine sehr kluge Idee mit einer immer noch widerspenstigen Hand, aber wir üben ersatzweise mit Stöcken, die nicht sonderlich schwer sind. Auch wieder doof, denn so weiß ich nicht, ob ich diese Waffe auch richtig handhabe. Säbel haben ja im Unterschied zu Schwertern nur eine scharfe Seite und die sollte dann schon effektiv eingesetzt werden. Macht nichts, Hauptsache, ich kriege den Bewegungsablauf drauf und der hat nichts mit dem zu tun, den ich von meiner Schwertform kenne. Klar, andere Waffe.
 Jud bringt seine Profi- Kameraausrüstung mit und nimmt Xiao Lu´s Mian Zhang aus mehreren Perspektiven auf. Helle Aufregung im Park, da wird gefilmt! Massenauflauf. Anschließend filmt der Meister unter Xiao Lu´s und meinen kritischen Blicken Jud bei der Tai Zu Form. Jud möchte das jeden Monat aufnehmen, um sich korrigieren zu können, keine schlechte Idee, wie ich finde. Ich verzichte auf das Vorturnen vor Kamera, nach Sichtung des Materials sind wir der Meinung, dass Xiao Lu eine Karriere als Wujia- Filmdarsteller einschlagen sollte. Der lacht und winkt ab, versuche, ihn mir in historischem Fummel und mit langen Haaren vorzustellen. Schwierig.
 Spontane „Früher war alles besser“ Diskussion. Habe Meister Wu selten dermaßen erregt gesehen, lautstark äußert er sich über die Ungerechtigkeit des Systems und die Tatsache, dass für die einfachen Bürger die Lebenshaltenskosten und die Kosten für medizinische Versorgung ins Unermessliche schießen, während korrupte Beamte alles in die eigene Tasche stecken und die Reichen immer reicher werden. Und auch mein großer Bruder hat dazu was zu sagen: Warum stützt China den Euro und insbesondere Griechenland, wo doch so viele Chinesen gerade auf dem Lande im Armut leben? Und erntet dafür nur Undank, die westlichen Länder fordern eine Abwertung des Yuan! Soll sich China doch erst mal um seine eigenen Leute kümmern! Aber leider dürfe man gegen sowas ja nicht demonstrieren, sonst käme man in den Knast. Habe von Volkswirtschaft ja nur eine eher diffuse Ahnung, die ich auf Chinesisch schon gar nicht formulieren kann. Außerdem fühle ich mich als Ausländerin nicht berechtigt, zum Thema Regierung und dergleichen irgendwelche Kommentare zu äußern. Schaue mich aber vorsichtshalber nach eventuell in den Büschen lauernden Schergen der Staatssicherheit um und krame verzweifelt nach Phrasen wie „Ich will meinen Konsul sprechen“ und „Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun“ in meinem Wortschatz. Zum Glück kann Rose die ganze Situation etwas beruhigen.
 Der nette Baji- Typ schaut auch öfters mal vorbei und erkundigt sich vorsichtig nach meinem Namen. Er selber nennt sich „Rocky“. Aha. Muss sehr an mich halten, um mich nicht vor Lachen schreiend auf dem Boden zu wälzen.
 Hasenzahn hat seit Neuestem einen Schüler, dem er die hohe Kunst des Xingyi beibringt. Sehr knackiger Knabe Ende Zwanzig, im Sommer habe ich ihn schon beobachtet, wie er in knappen Hosen und mit nacktem Oberkörper einen jungen Baum attackierte. Augenweide. Witzigerweise sieht er von den Gesichtszügen her meinem Lieblingscousin ziemlich ähnlich, überhaupt entdecke ich häufiger Chinesen, die mich an irgendwelche Leute in Deutschland erinnern. Hasenzahns Trainingsmethoden finden wir aber alle nicht so toll, der leckere Knabe übt unter voller Anspannung. Was soll es, weide mich heimlich an seinem makellosen Körper, richtig hübsche und gut gebaute Männer kriegt man ja hier nicht so oft zu sehen.


Nachmittags, Xiao Lu:

 Training mit Xiao Lu, es wird langsam Herbst und in der Luft hängt der süße Duft des Osmanthus. Ich liebe diese Jahreszeit am meisten, vor allem das Licht am Spätnachmittag, das dem Park eine verwunschene Atmosphäre verleiht. Wenig Leute unterwegs, wir üben sehr gewissenhaft alle 24 Einzelbewegungen unseres Stiles unter verschiedenen Aspekten. Ich lerne viele Dinge, die regulären Schülern so nicht unbedingt beigebracht werden und muss versprechen, dieses Wissen auch nicht weiter zu geben. Warum Xiao Lu ausgerechnet mich zu sowas auserkoren hat, werde ich nie verstehen. Vielleicht hatten wir ja in einem früheren Leben eine innige Beziehung, Waffenbrüder oder so was. Ich glaube zwar nicht an Reinkarnation, aber wenn man in Asien lebt, beginnt man doch einige westliche Sichtweisen in Frage zu stellen.
Was die Säbelform angeht, hat Xiao Lu auch einen besonderen Ehrgeiz entwickelt: Ich muss jetzt ganz schnell den Vorsprung der anderen Ausländer aufholen. Und gerade bei dieser Waffe zeigt sich für mich, was für ein toller Lehrer er ist. Xiao Lu kennt echt jede Finte und reagiert blitzschnell. Schwert habe ich erst richtig gut von Ramona gelernt, die zwar theoretisch weiß, wie die Anwendungen sind, aber nie mit dem Schwert kämpfen könnte. Xiao Lu hingegen kann mit dem Säbel auch wirklich umgehen. Ich muss ihn mit meinem Zweig angreifen und noch bevor ich ihm die Halsschlagader aufschlitzen kann, hat er die Sehnen meiner waffenführenden Hand durchtrennt, bevor er mir mit einem eleganten Schlenker den Bauch aufschlitzt, die Eingeweide durchbohrt und die Füße schlimm verwundet. Ich lerne, dass auf den Brustkorb oder vielmehr das Herz des Gegners zu zielen nichts bringt. Zu viele Knochen, die Klinge könnte brechen. Obwohl chinesische Säbel ihrer Form nach sehr nach brutalem Hacken aussehen, wird in der Anwendung doch eher geschnitten oder gestochen. Das macht man eher mit japanischen Samurai- Schwertern, die auch anders geschliffen sind. Beim Hacken könnte die Waffe ja im Knochen stecken bleiben, zu viel Zeit geht beim Versuch, sie los zu rütteln verloren. (Wie so oft muss ein unschuldiger Baum in Heping Park für diese Demonstration herhalten). Bin von den Klötzen.
 Dienstag besucht Xiao Lu mich, um Sieder zu bewundern, der sich jedoch scheu versteckt. Ich werde getadelt, meine Katze gehorche mir nicht, aber ist das nicht typisch? Ob seine Katzen denn auf ihn hören würden? (Mittlerweile hat der Meister ihm auch noch Aomi, seine Burmakatze aufgenötigt). Kleinlaut muss er zugeben, dass die auch eher ihrem eigenen Willen folgen. Wir gehen gemeinsam meine aufzeichnungen zu Tongbei durrch und er hilft mir, da ich des Meisters Klaue nicht immer entziffern kann.
 Donnerstag- und Freitagmittag hat Xiao Lu leider keine Zeit für mich, wie schade. Dafür spiele und schmuse ich mit meinem vierbeinigen Mitbewohner und gammele ein wenig. Freitag erkunde ich auf der Flucht vor der Ayi das Gelände der Tongji- Universität. In der Chifeng Lu entdecke ich ein nettes kleines Restaurant, dass sehr annehmbare Pizza feilbietet. Gut zu wissen. Der Quyang Park bei mir um die Ecke wird auch noch auskundschaftet, nicht so schön wie der Heping Park. Sitze in der Sonne, lese und mache die Bekanntschaft einer kleinen Tigerkatze. So eine Fellzeichnung habe ich noch nie gesehen: Das Tier ist schwarz und hat helle beige- graue Streifen. Aber mein kleiner Freund ist niedlicher.

09.10.2010, Samstag

Wir fangen wieder an, zu arbeiten und das bedeutet auch das Ende von Mikes und meiner harmoni-schen Wohngemeinschaft. Der kleine Kater lässt sich ohne Murren in die Tasche verfrachten, erst als wir meine Wohnung verlassen, fängt er an zu protestieren. Taxi ins Büro, der Kater heult und ich heule auch. Hatte mich gerade daran gewöhnt, dass zu Hause jemand auf mich wartet, jetzt bin ich wieder alleine.
Während der Arbeit schläft mein kleines Tier auf meinem Schoß zusammengerollt, schwerer Ab-schied. Meine Wohnung kommt mir leer vor, muss wieder heulen. Wenigstens kommt Donnerstag Lilo auf ihrem Rückweg nach Deutschland hier vorbei, immerhin ein gewaltiger Lichtblick.