Samstag, September 29, 2012

事势第八 – Stand der Dinge #8

Stefanie:
  kommt Anfang April, ein paar Tage, nachdem ich arbeitslos bin. Oder wie man das elegant nennt: Ein Sabbatical mache. Bei den einschlägigen deutschen Fernsehsendern würde man mich vielleicht auch nur als „arbeitssuchend“ beschreiben, obwohl ich alles andere als das tue.
Wir touren drei Wochen durch Süd- China und die Provinz Yunnan. Viel erlebt, könnte darüber fast ein eigenes blog schreiben. Geile Zeit, von den Karstbergen in Guilin zu den schneebedeckten Bergwipfeln in Shangri- La. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an die Fremdenverkehrszentralen der Provinzen Guangxi und Yunnan: Schöneres Wetter und blauere Himmel hättet ihr uns auf unserer Reise nicht zur Verfügung stellen können. Werde bei Gelegenheit kräftig Werbung für euch machen und noch geilere Fotos veröffentlichen.

Lilo:
Ist dann im Mai hier, allerdings nur für ein paar Tage, die dann meistens auch noch total verregnet sind. Immerhin schaffen wir es in das Museum für Chinesische Kampfkünste, wo wir dann auch prompt viel Spaß haben. Schauen zusammen „Tatort“ und hängen ab. Finden bei mir um die Ecke eine richtig gute Suppenküche, in der wir öfters speisen. Am letzten Tag ihres Aufenthaltes lassen wir uns eine Fußmassage angedeihen. Fängt gut an, klasse Schultermassage, während unsere vom Training unansehnlichen Mauken in Ingweraufguss einweichen. Auf einmal fangen die Typen an, unsere Füße und Fußnägel mit einem Stecheisen zu bearbeiten. Kreische, wage aber nicht, mich zu bewegen. Möchte ja hier ohne größere Verluste an Gliedmaßen rauskommen. In meinem Spa wird immer Tee gereicht, während kundige Hände meine Hufe sachte bearbeiten, abhobeln und mit schickem Nagellack versehen. Lilo hatte sich ihre erste Pediküre sicher auch anders vorgestellt. Jedenfalls schließe ich das daraus, dass sie ebenfalls den Atem anhält und sich in die Polster des Sessels krallt.
Henkersmahlzeit in der Suppenküche, so was muss doch in Deutschland auch ankommen! Letzter Gang über meine palmenbestandene Compound, Gescherze mit meinen Nachbarn im Aufzug. Lilo wird ungewohnt sentimental und da geht auch mir auf, dass ich ja auch nicht mehr sooo lange hier bleiben werde. Schluck.

Training:
Endlich Zeit, endlich kann ich das tun, was ich am liebsten mache. Arbeite sehr hart an mir und freue mich, dass ich fast jeden Tag in den Park gehen kann. Treffe jede Menge interessanter Leute und stelle erneut fest, dass China echt voll von schrägen Typen ist. Intensiviere meine Freundschaft mit meinem Tongbei- Bruder Zheng Rui (Richard, der Teeknülch) durch intensive Chats und Xiao Lu taucht auch wieder auf. Immer noch nicht fit, immer noch Metall im Arm, aber trotzdem stehen wir morgens bei 30° und 80% Luftfeuchte im Park und üben zusammen. An einem Punkt sagt er: „Schau uns mal an. Wir sind Deppen (傻瓜, Sha Gua, wörtlich übersetzt: Alberne Melone). Deutscher Depp und Shanghaier Depp“. Muss lachen, ab jetzt rede ich Xiao Lu nur noch mit „Shanghai Shagua“ an und habe am nächsten Tag im Training eine Melone dabei. Bin jetzt natürlich die „Deguo Shagua“.

Meisterschülerin:
Da unser Stil sogar in China von sehr wenigen Leuten geübt wird, erwartet man von uns Ausländern, dass wir das in unseren Heimatländern lehren. Fühle mich dazu noch nicht berufen und bin mir über meine Leistung nicht sicher. Sein eigenes Niveau aufrecht zu erhalten ist ja schon schwer, aber das auch noch weitergeben? Nicht umsonst gibt es dazu etliche Chinesische Weisheiten. Treffe Birte und ihren Kumpel Jo auf ihrem Rückweg von Wudang in Shanghai, leider haben die beiden absolutes Pech mit dem Wetter, scheinen sich aber trotzdem zu amüsieren. Interessante Gespräche, die beiden sind auch Meisterschüler und doch so viel besser als ich. Auf jeden Fall bessere Lehrer. Bin in einem Dilemma.
Zheng Rui macht mir Feuer unter dem Arsch und ich vertraue ihm meinen geheimsten Wunsch an: Ich möchte als Meisterschülerin anerkannt werden. Zheng Rui zögert nicht lange und ruft den Meister an. OK, komm morgen ins Training.
Bin dann so nervös, dass ich mich kaum bewegen kann. Überraschend viele Schüler im Sonntagstraining. Anschließend gemeinsames Essen. Kriege keinen Bissen runter. Ernste Ansprache von Meister Wu, er steht nicht so auf Rituale, also kein Kotau vor dem Ahnenaltar. Aber: Ich schwöre auf moralische Integrität, die Wahrung der Tradition und noch vieles mehr. Nach intensiver Prüfung und Einweisung erklärt mich Meister Wu vor versammelter Mannschaft zu seiner Meisterschülerin. Kann kaum glauben, was ich da höre. Die erste Frau und dann noch Ausländerin in unserem System.

Dienstag, Juli 10, 2012

事势第七 – Stand der Dinge #7



Anmerkung: Habe gehofft, die Entwicklungen bis jetzt in einem Post abfrühstücken zu können. Dank meines Hanges zur Geschwätzigkeit ist das jedoch eher schwierig, will meinen Leser ja nicht zu Tode langweilen. Vielleicht kriege ich den Rest noch hin, bevor ich bald wieder aus dem Goldischen Meenz hinter die GFoC verschwinde.


Job:

wird immer chaotischer, irgendwie kriegt es unser sogenanntes Projektmanagement nicht auf die Reihe. Streckenweise sitze ich völlig unterbeschäftigt dumm in Büro rum, während meine chinesischen Kollegen in Arbeit schier ertrinken. Mache einige Wettbewerbe, dann ist mal wieder Stress angesagt. Und auf Präsentationen darf ich natürlich auch gerne mitfahren, Vorzeige- Langnase. Geilste Präse überhaupt: Stelle in Suzhou ein Projekt bei einer Veranstaltung vor, die potentielle Käufer anlocken soll. Habe das Ding noch nie gesehen, Kurzeinweisung Freitagabend. Samstagmorgen, fast verpennt, Haare ungewaschen, aber wenigstens coole Klamotten. Am Veranstaltungsort Sponsoren wie Harley Davidson, Nobelschampus und dergleichen. Und die Presse, das Fernsehen und der Bürgermeister sind auch da. Schäme mich. Von der perfekt gestylten Moderatorin werde ich als „Bettina, DIE deutsche Architektin“ angekündigt. Als ich die Bühne betrete, explodieren Feuerwerke um das riesige Modell unseres Projektes und es erklingt rockige Musik. Spule meinen Text ab, donnernder Applaus. Fühle mich wie ein Rockstar. Hätte ich das gewusst, hätte ich darauf bestanden, mit einer der Harleys durch einen brennenden Reifen auf die Bühne zu springen


Fahre über die Ferien zum Chinesischen Neuen Jahr kurz entschlossen nach Hongkong, meinen kleinen Bruder Felix besuchen. (Dass Elli zur selben Zeit da ist, erfahre ich erst später. Mist. ) Kann mir die Generalprobe zu der traditionellen Festparade auf der Ehrentribüne ansehen, Felix´Kungfu Schule macht da mit. Wir treten in das Jahr des Wasserdrachen ein, das verheißt viele Veränderungen. Hergeflogen bin ich mit Dragon Air, auf den Flieger war ein hübscher Drache gemalt. Sozusagen auf dem Rücken eines Drachens geflogen. Und das mit den
schönsten Stewardessen, die ich je gesehen habe. Beobachte die Drachentänzer und den sich auf der Anzeigentafel munter windenden Drachen und komme zu dem Schluß, dass sich bei mir jetzt auch was bewegen muss. Gehe nach der Generalprobe mit Felix, seinen Gungfu- Brüdern und –Schwestern und seinem Meister lecker essen und feiere mit denen Neujahr. Supernette Leute, es gibt Whiskey- Soda aus Pitchern. Merkwürdig, völlig anders als auf dem Festland. Da explodiert jetzt alles und jeder feiert mit seiner Familie. Denke mir, dass das vielleicht für längere Zeit mein letztes CNY in Asien sein wird. Mein erstes habe ich mit meiner Gongfu- Familie verbracht, mein letztes jetzt mit der von Felix. Fühlt sich komisch an.
Fahre mit dem Bus kreuz und quer über die Insel, verbrate einen Teil meines üppigen Neujahrs- Bonus bei Armani (muss ja anständige Klamotten für die nächsten Präsentationen haben), harre bei strömendem Regen im Hafen von Kowloon dem prächtigen Feuerwerk und mache in den Bars und Garküchen um mein schickes Boutique- Hotel herum interessante und nette einheimische Bekanntschaften. Speise göttlich und löse mein Konto bei der HSBC auf. OK, kein Grund mehr, demnächst mal wieder nach Hongkong zu kommen. Und erster Schritt in Richtung Heimat.
In Shanghai komme ich dann pünktlich zur Rückkehr des guten, alten Küchengottes an. Schweres Bombardement, ich komme endlich auf meine Kosten. Wir Festländer mögen es zwar manchmal etwas an guten Manieren gebrechen lassrn, aber dafür können wir ordentlich feiern und haben Eier in der Hose.
Denke lange, lange darüber nach, was ich denn mittelfristig so mit meinem Leben abfangen will und schaue mir die Dinge im Büro noch eine Weile an. Anfang März kündige ich fristgerecht zum Monatsende. Zu meiner Überraschung ist Evil Ji (der Projektmanger) anscheinend ehrlich betroffen, ebenso die meisten meiner Kollegen und vor allem meine Sekretärin. 

Best team ever
Letzter Arbeitstag, Präsentation eines Projektes, an dem ich auch tatsächlich teilgenommen habe. Schmeiße mich voll in Schale und gebe alles. Ehre des Büros hochhalten bis zuletzt. Die waren ja nicht böse, nur nicht so gut für Ausländer. Dem Kollegen, der verantwortlich ist, fällt die Kinnlade runter. Auf der Rückfahrt kuschelt sich Jenny, meine Sekretärin an mich und meint, sie müsse jeden verbleibenden Augenblick mit mir genießen. Hält mich anscheinend für eine coole Schnalle, fühle mich zugleich geschmeichelt und irgendwie gerührt. Während man sonst an irgendeiner Metro- Station rausgeschmissen wurde, bringt unser Fahrer mich heute bis an die Haustür und schüttelt mir beim Abschied heftig die Hand. Auch ein ganz lieber und freundlicher Kerl, was war der immer nett zu mir. Und wir haben uns auch immer prächtig unterhalten, sofern das meine miesen Chinesisch- Kenntnisse zuließen. Bin jedenfalls voll durch den Wind, dass ich anscheinend doch derartig geschätzt wurde und wohl nicht nur die Alibi- Ausländerin war.
(Anmerkung: Einen Monat nach meinem Ausscheiden kündigen nach und nach alle meine Teammitglieder. Haben keinen Bock mehr ohne mich. Bin von den Klötzen.)

Dienstag, Juli 03, 2012

事势第六 – Stand der Dinge #6

Anmerkung: Habe diesen Post bereits letzes Jahr kurz vor Weihnachten verfasst, ihn aber aufgrund Problemen mit der Great Firewall und weil er mir etwas zu ausschweifend erschien, nicht veröffentlicht. Mittlerweile ist schon wieder viel passiert.

Sieder:
Als ich meine Wohnung aufschließe, habe ich schon einen Kloß im Hals. Keine Katze, die mich begrüßen und sich vor mich zwecks Beschmusung auf den Boden werfen wird. Außerdem ist da ja noch das ganze Spielzeug, das mich an ihn erinnert. Zwar weiß ich, dass Sieder in Deutschland in besten Händen ist und es bestimmt besser hat als hier, aber trotzdem vermisse ich ihn fürchterlich.
Hatte nicht mit dem Feingefühl meiner Ayi gerechnet. Alle Katzensachen sind diskret beiseite geräumt und dem ersten Blick entzogen. So ist die katzenlose Wohnung nicht ganz so schrecklich. Könnte die Frau küssen! Brauche aber Wochen, bis ich im Supermarkt an dem Regal mit Tiernahrung vorbei gehen kann, ohne dass ich traurig werde. Spiele mit dem Gedanken, im Park eine Katze zu fangen oder eine Pflegekatze aufzunehmen, verwerfe ihn aber wieder. Dieses Tier und ich, das war Schicksal. Widerstehe tapfer jeglicher Versuchung, während Sieder unter Alis liebevoller Obhut tatsächlich nochmal an Größe zulegt. Muss ich unbedingt dem Meister und Xiao Lu erzählen, anscheinend sorgt die gute deutsche Luft dafür, dass Katzen bei uns größer werden als hier.

Lilo:
Montag nach meiner Rückkehr besucht mich Lilo auf ihrem Rückweg von Wudang für drei Tage. Ich habe noch vier Tage frei und es sind Nationalferien. Freue mich natürlich über Besuch aus der Heimat und erwartungsgemäß gestaltet sich der Aufenthalt als nicht enden wollender Shopping- Rausch. Bin immer wieder fasziniert, wie Lilo es schafft, über den hier feilgebotenen Tand in kindliches Entzücken zu geraten und dann auch mit sicherer Hand das wirklich kitschigste Zeugs zu finden. Interessant finde ich, wie Lilo laut zu jedem Gegenstand fast entschuldigend Überlegungen hinsichtlich seiner Nützlichkeit anstellt, um ihn dann anschließend doch zu kaufen.
Unwiederstehlich
Ich kenne das ja alles und bin langsam gegen blitzende Sachen mit aufgedruckten Kätzchen oder Glöckchen dran fast immun. Aber auch nur fast, denn natürlich schnappt auch bei mir die „mai dongxi“ (Zeugs kaufen) Falle zu.  Da findet sich dann doch noch ein schicker Schal, die Kühlschrankmagneten sind unverzichtbar und irgendwie süß und warme Hauspuschen kann man gerade im Shanghaier Winter auch immer gut gebrauchen. Während Stefanie und ich bei ihrem Aufenthalt im Mai unsere Mauken für den Sommer haben bearbeiten lassen, denken Lilo und ich an die herannahende kalte Jahreszeit und erwerben ganz entzückende flauschige Kätzchensocken. Und die mit Leopardenmuster müssen auch unbedingt gekauft werden. Abendliche Begutachtung der Beute und lange Gespräche in meiner Küche bei alkoholischen Getränken, Besuch von Freundinnen ist einfach geil.
Meister Wu und Xiao Lu werden zum obligatorischen Essen eingeladen, ein lustiger Abend. Xiao Lu sieht schon erheblich besser aus, auch wenn das mit der Hand immer noch nicht gut ist. Meister Wu hat zwar das Rauchen, nicht aber das Saufen aufgegeben, zum Essen hat er gleich mal eine Literflasche Schnaps mitgebracht, die wir dann auch zügig leeren. Noch während wir tafeln, ruft ihn Wujie an und kündigt sich für den nächsten Abend zum Essen an. Der Meister ist entzückt, da müssen Lilo und ich selbstverständlich mit dabei sein. Ob wir schon was vorhätten? Natürlich nicht, so eine Gelegenheit lassen wir uns doch nicht entgehen. Prima, Schnaps wäre auch ordentlich am Start, der Abend ist gebongt.
Solides Schuhwerk.
Am nächsten Tag besuchen wir Zhoujiazhou, ein Wasserdorf in der Nähe. Klasse Idee, denn während der Feiertage hat natürlich halb Shanghai denselben Plan. Erwischen auf der Rückfahrt voll denn Bummelbus, weswegen wir völlig abgehetzt und verspätet bei Meister Wu eintreffen. Egal, es wird ordentlich gesoffen und gespiesen, Lilo und ich kündigen uns vollmundig für den nächsten Tag zum Training an.
An Donnerstag schleppen wir uns leicht verkatert, aber tapfer in den Park und werden von Meister Wu hübsch auf Trab gebracht. Wir sind die beiden einzigen im Training, es wird eine nette Stunde. Frage den Meister, ob er morgen denn auch im Park sei? Ja? Oh fein! Mein letzter Urlaubstag, aber eine Einzelstunde mit Meister Wu lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Letzter Raubzug durch die Stadt, abschließende Massage und dann muss Lilo auch schon langsam aufbrechen. Begleite sie an den Flughafenbus und winke ihr nach.

Meister:
Kriege meine Einzelstunde und bin glücklich. Gegen Ende der Übungseinheit tauchen auf einmal vier ältere Herren auf, die vom Meister enthusiastisch begrüßt werden. Alte Kampfgefährten, jetzt selber Meister. Muss unsere Form vorturnen und bin entsprechend nervös, hier schauen schließlich Experten zu, kriege die Form aber fehlerfrei hin. Anscheinend auch gar nicht so schlecht, oder die Herren sind einfach nur höflich. Der Meister jedenfalls scheint zufrieden mit meiner Leistung. Die Herren führen nun ihrerseits ihre Stile vor und ich bin beeindruckt. Hätte ich nach denen auftreten müssen, hätte ich vor Respekt kein Glied rühren können. Nach diesen Vorführungen verkündet Meister Wu fröhlich, jetzt würden wir aber alle nett Mittagessen gehen und ruft Xiao Lu und seinen Sohn an, auf dass sie uns Gesellschaft leisten. Ich bin etwas vorsichtig, denn ich muss morgen meine neue Stelle antreten und hätte mich nach den anstrengenden Tagen mit Lilo gerne für den Rest des Tages aufs Ohr gelegt. Und Essen mit so alten Kampftigern kann schon mal sehr feuchtfröhlich werden. Kann mich ja immer noch entschuldigen, denke ich.
Was dann folgt, wird eine ausgiebige Fress- und Sauforgie quer durch Shanghai. Hätte ich mir fast denken können, als schon zum Mittagessen Schnaps gereicht wurde. Meine Rückzugsversuche werden durch heftige Proteste der alten Tiger verhindert. Kenne das Programm ja eigentlich, aber diesmal meinen die das tatsächlich auch so. Na gut, was willste machen.
Alte Geschichten werden erzählt, sehr lustig. Finde es interessant, dass Meister Wu mit seinem Vornamen angeredet wird, höre das zum ersten Mal. Einer der Tiger hat keine Probleme damit, sich am Tisch seiner Trainingskleidung zu entledigen und in einen seriösen Anzug zu schlüpfen. Pensionierter Chef der Staatssicherheit, wie mir Xiao Lu ins Ohr raunt. Wir finden uns schließlich in einem uigurischen Restaurant irgendwo in Pudong wieder, dass einem Schüler eines der Tiger gehört. Feuertopf wird aufgetischt, großzügig Zigaretten gereicht und der Schnaps fließt in Strömen. Mann, mit diesem uigurischen Schüler und vor allem seinem Bruder wollte ich mich aber auch nicht anlegen wollen! Ein Kerl wie ein Schrank, Tatzen wie ein Bär und cool wie ein Eisblock. Die Herren wollen alles Mögliche von mir wissen, zum Beispiel, was ich denn so als wichtig an einem Mann erachten würde? Herr im Himmel, die stellen Fragen! Und dann noch in einem so komplizierten Chinesisch! Langsam werde ich nervös, keine Ahnung, wo wir sind und ich muss doch morgen arbeiten! Einer der Typen versucht, mich abzufüllen, was ich aber mädchenhaft kichernd mit dem Hinweis, ich als Frau vertrüge keinen Alkohol verhindern kann. Absolutes worst- case scenario: Vollgesoffen mit sechs alten Kerlen, zwei Uiguren und Xiao Lu an einem unbekannten Ort und totaler Verlust sowohl der Mutter- als auch der Landessprache, neue Arbeitsstelle am nächsten Tag. Nee, danke. Meine Äußerung wiederum veranlasst Meister Wu zu brüllendem Gelächter und bringt mir einen kernigen Hieb auf den Rücken ein, so dass ich fast mit dem Gesicht im Feuertopf lande. Bei ihm waren die Abfüllversuche durchaus erfolgreich. Schließlich bugsieren wir den mächtig angezählten Meister in ein Taxi. Kriege mit, dass uns dieses lediglich bis zur nächsten Metrostation befördern soll und greife ein. Nix da, wir fahren jetzt nach Hause. Und ich zahle. Heftige Proteste, aber Wu Junior und Xiao Lu sehen schließlich ein, dass Meister Wu in seinem Zustand besser so schnell wie möglich nach Hause kommt. Der blöde Taxischerge verfährt sich natürlich, während Meister Wu ständig darauf besteht, dies sei doch jetzt die Quyang Road und irgendwann mal dem Schergen diskret für seine Unfähigkeit Konsequenzen androht. Das Taxameter wird hastig ausgeschaltet. Endlich am Ziel drücke Xiao Lu 100 RMB in seine verletzte und wehrlose Hand und sinke zu Hause zitternd in meinen Sessel.
Merke: Wenn du dich mit chinesischen Kampfkunst- Meistern in den Ring begibst, solltest du echt hart im Nehmen sein. Und zwar in jederlei Hinsicht.

Job:
Trotz der gestrigen Orgie erscheine ich einigermaßen frisch auf meiner neuen Stelle. Außer mir noch ein dröger Schotte, der Rest Chinesen, die meisten mit eher rudimentären bis nicht vorhandenen Englischkenntnissen. Kriege schnell mit, dass diese Typen ihr Handwerk echt verstehen. Und die mich eingestellt haben, weil die von mir denselben Eindruck hatten. James ist wohl eher der Vorzeige- Ausländer, ich hingegen finde mich in der Position eines Projekt- Mangers wieder und muss an den Teamleadersitzungen teilnehmen und wöchentlich Zeitpläne vorlegen. Auf Chinesisch.
Team
Erster Job: 60.000 m2 Commercial. Kein Raumprogramm, in zwei Wochen erste Präsentation. Man teilt mir James und einen jungen Chinesen, der in Sheffield seinen Master gemacht hat zu. Archie entpuppt sich als echter Glücksgriff. Nicht nur ist er ausgeschlafen, sondern auch lernfähig und fleißig. Und ein netter Kerl, der aufgrund seiner eigenen Erfahrung weiß, wie Scheiße man sich manchmal als Ausländer fühlt. Wir knechten wie die Bekloppten und unser Team wird langsam richtig gut. Zahllose Konzepte für unser Planungsgebiet, schließlich nickt unsere Chefin einen meiner Entwürfe ab. James taut langsam auf und Archie und ich werden Freunde. Wir beide gehen sogar zusammen vorzeigbare Klamotten für die nächste Präsentation für ihn kaufen, was ihn echt glücklich macht. Eine in seinen Augen sexy Ausländerin begleitet ihn, wow, was für ein Gewinn an Gesicht! Ich hingegen habe sowieso nichts Besseres vor und komme mir so vor, als ginge ich mit meinem Sohn shoppen. Tatsächlich ist seine Mamma nur drei Jahre älter als ich, aber in typisch asiatischer Fehleinschätzung hält Archie mich für knackige 33. Ich lasse ihn in dem Glauben und fühle mich geschmeichelt.
Meinen Geburtstag verbringe ich im Büro, wieder mal eine Präsentation vorbereiten. Mega- Stress, obwohl ich es zu schätzen weiss, dass ich endlich mal einen Kuchen bekomme und diesen zur Verfütterung an die restlichen dreißig zweisprachig  „Happy Birthday“ grölenden Kollegen zerhacken muss.
Der Bauherr fährt voll auf unseren Entwurf ab, wir freuen uns, aber noch mehr Stress. Mein soziales Leben kommt komplett zum Erliegen, von Trainieren ganz zu schweigen. Schaffe es aber trotzdem, mit Ali und Sieder, Stefanie und Lilo zu skypen oder zu chatten.
Liege nach dem ganzen Stress zwei Tage voll auf der Schnauze, die mir prompt vom Gehalt abgezogen werden, da ich kein ärztliches Attest habe. Scheißegal, Arztbesuch in der Ausländerabteilung hätte Kohle und noch mehr Stress bedeutet. Archie fällt die Kinnlade runter, als ich diese Tatsache huldvoll meiner Sekretärin erläutere. Für chinesische Verhältnisse verdiene ich ohnehin fürstlich, für einen Berufsanfänger wie ihn schwindelerregende Summen. Dass ich weiterhin mit der Metro und nicht im Porsche zur Arbeit fahre und in einer nicht so schicken Compound wohne, ist für ihn unverständlich.
Drücke Urlaub zu Weihnachten durch und buche meinen Flug. Schaffe es immerhin, am ersten Advent mit ein paar Freunden essen zu gehen, ansonsten Arbeit und Schlafen. Shanghai legt einen Tacken drauf und schmückt sich für Weihnachten. Obwohl ich täglich daran vorbeilaufe, halte ich eines Abends den Jing´An Tempel irrtümlich für eine überdimensionierte und schick beleuchtete Krippe.
Unser Keine- Ahnung-was-genau–aber–jedenfalls-superwichtigwichtig-Management- Typ kommt ständig mit neuen Regelungen und Bestrafungen, die ihn zum beliebtesten Mann des Büros werden lassen. Da diese Regelungen so kompliziert sind, dass es eine Weile braucht, sie zu kapieren und zu übersetzen, fühle ich mich nicht an sie gebunden. Wie ich mich überhaupt weigere, Ankündigungen, die in Chinesisch an die Büroschergen ergehen, zu befolgen. Bestehe darauf, dass in den Teamleader- Sitzungen Archie für mich übersetzt. Win- win Situation, er kann was lernen, die Sekretärin hat den Rücken frei und ich habe einen Fachübersetzer. Passt dem Supertypen nicht so, denn in der ersten Sitzung, in der Archie für mich übersetzt, geht es um diese Regelungen. Klimpere mit meinen blauen Augen, spiele mit meinem blonden Haar und schenke dem kleinen Fettsack ein strahlendes Lächeln. Sajiao. Archie ist ab jetzt mein designierter Übersetzer.
Montag mal wieder Präsentation, aber Donnerstag nacht endlich Heimflug. Glaube, ich werde nur schlafen und essen. Hoffentlich erkennt mich meine Katze noch, mein Mann wird mich wahrscheinlich mal wieder beschimpfen, weil ich noch dünner geworden bin und übel huste. Aber das wird schon.  Freue mich auf Weihnachten und Mann und Katz.