Donnerstag, November 25, 2010

漫无目的小姑娘第二 – Zappelmaid #2

14.11.2010, Sonntag

Vormittag:

Rose fragt mich diskret, ob denn da neulich im Training irgendwas mit dem Mädel losgewesen wäre? Sie etwa geweint habe? Nee, sage ich, wieso? Naja, der Meister habe da so was gesagt und sich bei Rose erkundigt, ob sie wisse, was da vorgefallen sei. Da fällt es mir wieder ein, dachte die ganze Sache sei ausgestanden. Erkläre Rose die Sache und erwähne, die kleine Zappelmaid sei keineswegs heulend von dannen gezogen, sondern habe sich vielmehr recht schnippisch betragen.
Rose hört sich das in Ruhe an und meint dann, sie habe sich schon gedacht, dass es mit dieser Göre noch Ärger geben würde. Jetzt bin ich aber neugierig. Wieso das denn? Als Englischdozentin an der Uni hat Rose natürlich einen ganz guten Einblick in das Seelenleben chinesischer Jugendlicher. Dadurch, dass die meisten von denen Einzelkinder seien, seien sie gewohnt, zu bekommen, was sie wollen. Auch wenn man ihnen klipp und klar sage, dass sie etwas nicht bekämen oder dürften, würden sie es versuchen. Außerdem haben viele einfach keine Ahnung von Etikette, da sie von Kindesbeinen an verwöhnt seien. Diesen Eindruck hatte ich bis jetzt nicht, vielmehr erschienen mir chinesische junge Menschen bis jetzt eher höflicher und wohlerzogener als die deutschen zum Beispiel. Ja, sagt Rose, oberflächlich sei das auch so. Aber hinter der Fassade sieht es wohl ganz anders aus. Interessant. Und in dem Ring, in den sich die kleine Maid jetzt begeben hat, herrschen natürlich auch noch ganz andere, traditionelle Sitten. Eigentlich schuldet sie mir und ihr als „Große Lehrschwestern“ Gehorsam und Respekt, Xiao Lu natürlich erst recht. Und dem Meister sowieso.
Wie sich herausstellt, hat die Maid wohl unmittelbar, nachdem sie von uns nach Hause geschickt worden war, völlig aufgelöst Meister Wu angerufen und heftig geheult. Ich sei gemein und unhöflich zu ihr gewesen, wie gemein und unhöflich genau, konnte oder wollte sie ihm in ihrer Aufgewühltheit wohl nicht schildern. Deswegen hatte er sich ja auch besorgt bei Rose erkundigt. Dieses kleine Miststück!
Bin jetzt doch leicht beunruhigt. Immerhin steht hier die Aussage einer Einheimischen gegen die einer Ausländerin mit miesen Sprachkenntnissen. Nee, sagt Rose, ich solle mir mal keine Gedanken machen. Da vor allem Xiao Lu der Zappelmaid schon mehrere Male gesagt habe, sie könne nicht mit uns trainieren und der Meister schon wisse, dass die Maid eher schlichten Gemütes sei, ginge das schon klar. Sie führt als Beispiel genau die Sache mit dem uneingeladenen Auftauchen auf einer Party auf, die ich der Maid schon um die Ohren gehauen hatte. Bin trotzdem noch besorgt, auf keinen Fall will ich, dass Meister Wu eine schlechte Meinung von mir hat. Rose steckt mir dann auch noch ganz diskret, dass mein Nachmittagstraining mit Xiao Lu sowieso quasi unerhört sei. Eine Schülerin lernt vom Meister UND von seinem Meisterschüler, dass Meister Wu sowas zulässt, ist schon eine ganz große Sache und wird anscheinend in Shanghaier Kampfkunstkreisen heiß diskutiert. Versuche Rose zu erklären, dass unser Nachmittagstraining eher so eine gemeinsame Toberei zwischen uns beiden und kein richtiger Unterricht ist und sich das über die Jahre irgendwie mal so ergeben hat. Rose versteht das schon, aber mach das mal den anderen klar. Verstehe allmählich, was für hohe Privilegien ich hier genieße und was das andersherum für mich heißt.
Wir sind gerade mit unserem Gespräch fertig, als die Maid wie immer verspätet anzappelt. Kann nur schwer widerstehen, ihr die Augen auszukratzen. Heute gibt es einen Teil der bestellten Klamotten, die Maid hastet gleich aufs Klo, um sich umzuziehen. Man kann ihr richtig ansehen, wie glücklich sie ist, jetzt gehört sie zumindestens optisch voll dazu. Bei den Einzelbewegungen hofft sie, auch endlich ihre Ärmel flappen zu lassen. Klappt natürlich nicht, im Gegenteil. Jetzt sieht man erst mal richtig, wie schlecht sie sich bewegt.

Nachmittag:

Erzähle Xiao Lu völlig empört von der Aktion der Zappelmaid, der darüber nur den Kopf schütteln kann. Was sind Frauen kompliziert! Nee, ich doch nicht, nur die chinesischen. Meine Bedenken, der Meister könne schlecht von mir denken, zerstreut er. War schon in Ordnung, der Maid den Marsch zu blasen, auch wenn das vielleicht nicht gerade die feine chinesische Art war.
Rocky gesellt sich zu uns und versucht mit zu üben, allerdings erkläre ich ihm mit einem entwaffnenden Lächeln, dass dies Xiao Lus und meine private Trainingszeit sei. Da merkt man doch gleich den Unterschied: Er zieht sich sofort zurück und packt allerlei interessante Waffen aus seinem Rucksack. Unter anderem stählerne Armreifen, muss gleich an den Film „Gong Fu“ mit dem Heiligen Stephen denken. Aus irgendwelchen Gründen kann Xiao Lu Rocky nicht leiden. Trotzdem ist er nett zu ihm, sehr chinesisch. Ich weiß schon, dass es durchaus Unterschiede zwischen Nett und richtig ehrlichem Nett gibt, kann die aber noch nicht unterscheiden. Schwierig, mysteriöses China.
Der Meister hat Rocky auch gesagt, dass er ihn nicht unterrichten wird, liegt wohl daran, dass er schon zu sehr auf die harten Stile eingenordet ist und sich nicht entspannt bewegen kann. Mir tut er ja irgendwie leid, denn ich finde ihn freundlich und höflich, wenn auch manchmal etwas anstrengend, da er sehr leise redet.
Wir plaudern ein wenig und dann übt Rocky seinen Kram und wir unseren. Nach etwa eineinhalb Stunden verabschiedet er sich kernig und zieht von dannen. Jetzt darf ich den Säbel auspacken.
Die Säbelform habe ich zu Hause geübt, soweit das ohne Schäden am Mobiliar möglich war. (Sieder war davon auch entzückt und stelle sich mit angriffslustig erhobenen Vorderpfoten auf die Hinterbeine. Er sah dabei exakt so aus wie der Gestiefele Kater aus Shrek. Musste so lachen, dass mir fast mein Übungsgerät aus der Hand gefallen wäre).
Xiao Lu ist einigermaßen zufrieden und biegt in jeder Stellung meine Hand um Millimeter in die richtige Stellung. Und damit ich auch ja kapiere, was ich da mache, werden natürlich auch Anwendungen geübt.
Eine dicke schwarze Katze hat einen kleinen Vogel gefangen. Da muss man ja mal nach dem Rech
ten sehen, Xiao Lu verfolgt die Katze und kommt mit dem Vögelchen in seiner großen Pranke wieder. Das Tier wird eingehend untersucht, ob das Rote auf seiner Brust wohl Blut ist? Nee, nur Federn. Äußerlich hat der Vogel keinen größeren Schaden genommen, die Flügel sind von der Katze aber schon arg zerzaust. Der kleine Patient wird in Xiao Lu´s Jackentasche geborgen, er stellt sicher, dass das Tier auch ordentlich atmen kann. Danach wird in regelmäßigen Abständen nach dem Vogel geschaut, ich wundere mich, dass er den Nachmittag überhaupt übersteht.
Diese Aktion finde ich jedoch sehr rührend, ich sage Xiao Lu, er sei ein guter Mensch und käme bestimmt in den Himmel. Da muss er lachen.

Samstag, November 20, 2010

生日- Geburtstag

31.10.2010, Sonntag

Vormittag:

Lasse Abendbrot für ein paar Brötchen und ein Marzipan- Mandelhörnchen als Geburtstagskuchenersatz antanzen. Kann mich vor dem Training also an guten deutschen Backwaren laben, Käse hatte ich schon zu horrenden Preisen im Cityshop erstanden.
Xiao Lu versetzt mich zum Aufwärm- Training, aber das Wetter ist so klasse, dass heute absolut nichts mir die Stimmung verderben kann. Sonne mich und schaue dem munteren Treiben im Park zu, schließlich betrete ich unsere Arena und dehne mich schon mal, bis der Meister kommt. Rose, Jud und der Teeknülch kommen heute, von der Zappelmaid bleiben wir verschont. Dafür lässt sich Locke mal wieder blicken, der auch gleich Kippen verteilt. Gott ist Shanghaier.
Dass ich Geburtstag habe, verschweige ich den anderen gegenüber lieber diskret. So oder so würde das sonst in einem üppigen Essen mit ordentlich Alkohol enden, das möchte ich am hellen Tag nicht so. Lieber abends. Nicht, dass ich zu geizig wäre, meine Trainingskameraden einzuladen, aber auf Saufen habe ich jetzt keinen Bock. Und Xiao Lu ist ja auch nicht dabei.

Nachmittag:

Von Ali eine süße Karte mit einem Zitat von Victor Hugo: "Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat". Das lese ich erst mal vorwurfsvoll Mike Sieder vor, der daraufhin leise jault. Meine Schwiegermutter hat einen Brief geschrieben, den Ali eingescannt und mir gesendet hat. Bin total gerührt.

Warte wie üblich auf meiner Bank auf Xiao Lu. Sonnenschein, wie schön ist doch der Teich im Heping Park! Das Licht ist magisch und ich fühle mich einig mit dem Universum.
Als Xiao Lu um fast Viertel nach drei noch nicht da ist, werde ich dann doch langsam etwas unentspannt: Sollte der mich tatsächlich vergessen haben? OK, fast schon mit gerechnet, aber ich habe ja noch Plan B.
Und da biegt auch schon Xiao Lu lässig um die Ecke, in der einen Hand einen Strauß voller Lilien, in der anderen einen Säbel. Wow, zum Geburtstag Blumen und eine Waffe! Andere Weiber freuen sich da über Schmuck und Parfüm oder so und ich reiße an meinem 44. Geburtstag in einem Park irgendwo in Shanghai, China einen Übungssäbel aus seiner Scheide. Ich glaube, es gibt weltweit nicht sehr viele Frauen, die meine Begeisterung nachvollziehen können. Xiao Lu wiegelt ab: Ach was, der Säbel ist ein altes Ding, nicht wirklich klasse und wegen seiner leicht flexiblen Klinge eher eine Übungswaffe für Kinder. Das Kind möchte ich sehen, dass dieses Teil locker durch die Gegend schwingt! Ich finde diesen hier schon ganz schön schwer, jedenfalls schwerer als jedes meiner Schwerter. Und bei Säbel ist viel lockere Arbeit aus dem Handgelenk angesagt. Möchte nicht wissen, was so ein richtig anständiger Kampfsäbel auf die Waage bringt, wahrscheinlich würde ich so ein Ding gar nicht anheben können. Bin jedenfalls überglücklich, dass ich jetzt endlich mal einen richtigen Eindruck von der Handhabung kriege, allerdings merke ich, dass ich von Schwert und Fächer ganz schön beeinflusst bin. Bei diesen Formen werden Daumen, Zeige- und Mittelfinger nach vorne gestreckt, blocken oder liegen am Puls. Beim Säbel macht man das mit der flachen Hand, ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich die Schwertfinger mache. Xiao Lu leider auch, wenn knurren nicht hilft, gibt es was mit dem Stock. Aber eine richtig geile Form und trotz des im Vergleich zu Schwert eher grob anmutenden Übungsgerätes dennoch sehr elegant und vor allem sehr schnell.
Xiao Lu lädt mich noch in ein sehr gutes Restaurant zum Essen ein, wir plaudern sehr fröhlich und teilen uns zwei Flaschen Bier. Ich steige beglückt mit meinen Lilien und dem Säbel in den Bus, ein schöner Abend!
Skype mit Ali und mit Stefanie, chatte mit Lilo und mittlerweile trudeln auch einige Glückwünsche ein. Danke allen, die an mich gedacht haben, hatte einen schönen Tag hier, obwohl ich natürlich meine Freunde vermisst habe.

Mittwoch, November 17, 2010

家常第四 – Alltag #4

  • Einer unserer Bauherren wünscht eine Feng- Shui Beratung, dass finden wir natürlich irre spannend. Bei der Besprechung mit dem Meister auf dem Bauplatz in einem Vorort Shanghais ist dann auch unser gesamtes Projektteam dabei, ob der wohl unseren ganzen Entwurf über den Haufen schmeißt? Der Meister kommt in Begleitung seines Aktentasche tragenden Assistenten, der Ähnlichkeit nach sein Sohn. Marc und ich sind fast enttäuscht, wir hatten da so einen Opiumpfeife schmauchenden alten Zausel mit langem Fadenbart in traditionellen Gewändern erwartet, statt dessen kommt ein eher farbloser, kleiner, dicklicher älterer Herr. Der sieht sich zunächst den Entwurf an, spannend wird es erst auf dem Baugelände, als der Assistent die lederne Aktenmappe öffnet und den Feng- Shui Kompass zückt. Der Meister hantiert eine Weile damit rum und macht sich Notizen, während wir ihm gespannt über die Schulter schauen. Dann will er noch den Geburtstag des CEO wissen und das war es dann. Später erfahren wir, dass der Meister einen Stundensatz von 10.000,- RMB hat. Mein Kollege Xianqi fragt den Meister mal so nebenher, vor seinem Appartement sei so ein Garagenblock, der in einem so blöden Winkel darauf zeige, ob das schlecht sei? Er macht schnell eine Skizze, der Meister ist der Meinung, das könne schlecht für die Gesundheit sein, aber genaues könne man natürlich erst nach eingehender Begutachtung sagen. Nach drei Tagen ist das Gutachten da, zwei Seiten. Ist schon alles OK, aber den Eingang sollten wir nach Osten verlegen. Für diese Erhellung hat der Bauherr 30.000,- RMB geblecht. Und Xianqi ist zwei Tage lang krank. Geil. Will auch Feng- Shui Meisterin werden.
  • Die Expo nähert sich endlich ihrem Ende und wir werden zur Abschiedsparty des deutsch- chinesischen Hauses eingeladen. Lustiger Abend, die Protokollchefin des deutschen Pavillons ermöglicht mir und meinen chinesischen Kollegen noch VIP- Zugang zu unserem Expo- Beitrag. Die Chinesen sind begeistert über dieses Privileg, ich wäre da auch so mit meinem deutschen Pass reingekommen. Bin überrascht, wie cool sich Deutschland präsentiert und verstehe, warum das einer der beliebtesten Pavillons war. Aber die Kugel in der „Energiezentrale“ finde ich etwas peinlich. Am Ende betrinken wir uns in Chile, werden nach Angola nicht rein gelassen und rocken in Dänemark bis in die Morgenstunden. So, Expo und ihre legendären Partys auch abgefrühstückt, zum Glück ist das hier bald vorbei und in Shanghai ist wieder Ruhe.
  • Herbst in Shanghai, die Temperaturen sind frühlingshaft, manchmal kriegen wir aber auch Kaltfronten und Sandstürme aus dem Norden. In der Helongjiang Provinz wüten schon die ersten Eisstürme, der Flughafen in Harbin ist tagelang gesperrt. Für mich merkwürdig: Das Laub der Bäume verfärbt sich hier nicht so schön wie bei uns, sondern wird einfach nur gelb und fällt glanzlos auf den Boden. Als ich das Xiao Lu gegenüber erwähne, kriegt sein Gesicht einen träumerischen Ausdruck. Ja, in einigen Provinzen hier sei das auch so, aber mit eigenen Augen gesehen habe er das noch nicht. Bestimmt feichang piaoliang… Ich schwöre mir innerlich, meinem großen Bruder eines Tages die Schönheit des deutschen Herbstes zu zeigen, vielleicht klappt das ja mit einem Seminar nächsten Oktober.
  • Meine Chinesisch- Lehrerin heiratet und lädt mich zu ihrer Feier im November ein. Habe ja den leisen Verdacht, dass die ausländischen Schüler nur deswegen eingeladen werden, weil sie voraussichtlich mehr Kohle spenden, fühle mich aber trotzdem geschmeichelt. Die Feier wird im Shanghaier Zoo steigen, was mich sehr freut. Habe meine Diplomarbeit über den Frankfurter Zoo geschrieben und liebe Tiergärten, im hiesigen war ich noch nicht. Mache mich schon mal schlau, wo dort die Tiger wohnen. Allerdings stürzt mich diese Einladung auch in tiefe Konflikte: Wie viel Geld ist angemessen? Meine chinesischen Kollegen sind sich da auch nicht so ganz einig, aber alles unter 500,- RMB wäre unverschämt. Und das ist eine blöde Zahl, 600 ist schon besser. Richtig gut ist irgendwas mit 8. Also so 800 oder 888. Ganz schön viel Flocken für hiesige Verhältnisse, aber da ich von Anfang an in alle Probleme der Hochzeitsplanung eingeweiht war (Thema des Unterrichts, natürlich alles auf Chinesisch) weiss ich, dass alleine das Essen pro Gast fast 500,- RMB kostet. Da will man natürlich nicht abstinken. Kaufe jedenfalls schon mal den kitschigsten Hongbao (roten Umschlag), den ich finden kann und fange an, kleinere Geldnoten zu sammeln, damit ich auf die Glückszahl komme.
  • Schon seit Wochen droht man uns mit der Volkszählung. Die Chinesen sind überhaupt nicht begeistert darüber, weil sie quasi die Hosen runterlassen müssen und so kleine Ungesetzmäßigkeiten wie zusätzliche Kinder, nicht versteuerte Wohnungen und dergleichen dadurch ans Licht kommen. Wir Ausländer werden zum ersten Mal mit erfasst und werden durch die Medien beruhigt: Nein, nur ein paar Fragen und die Volkszähler haben auch einen Ausweis dabei, alles ganz locker. Die Volkszählung beginnt am Montag, dem 1. November und soll in zehn Tagen über die Bühne gehen. Anhand der geschätzten Zahl von 1,3 Milliarden Chinesen erscheint mir das ganz schön optimistisch. Meine Kollegen wurden schon sanft vorbereitet, bei mir zeigt sich keiner. Sonntags abends um halb neun ist es denn endlich so weit. Unterbreche mein Telefonat mit Ali, zeige meinen Pass und meine Arbeitserlaubnis (wegen meines chinesischen Namens), gebe Hochschulabschluss und Zweck und Dauer meines Aufenthaltes an. Das war es. Bin Teil einer Statistik. Cool. Dass es eigentlich zur Motivation an der widerstandslosen Teilnahme Geschenke geben sollte, erfahre ich erst hinterher. Habe keines bekommen, Mist!

男朋友 - Boyfriend

Da ich abends und am Wochenende in meiner Wohnung und der Kater im Büro so einsam sind, nehme ich den kleinen Kerl dann doch wieder bei mir auf.
Sieder lebt fortan wie ein Prinz und wird mit erlesenen Happen zum Frühstück verwöhnt. Seinem Namensvetter, einem Professor für Statik an der TU München macht er bald alle Ehre, indem er herausfindet, wie man eine geschlossene Tür öffnet. Bin zwar sehr stolz auf die Schlauheit meines kleinen rothaarigen Freundes, aber da wir beide durchaus unterschiedliche Auffassungen von Aufsteh- , Spiel- und Fütterungszeiten haben, kann das auch schon mal zu wechselseitigen Unmutsbezeugungen führen. Jedenfalls werde ich gerne um halb sechs morgens durch sanfte Pfotenhiebe und herausforderndes Kreischen geweckt und finde mich in gelbe riesige Katzenaugen starrend wieder. Das geht so lange, bis ich mich fluchend erhebe. Damit das Tier nicht etwa denkt, ich würde nur seinetwegen aufstehen, mache ich dann erstmal mir Frühstück, bevor ich ihm sein leckeres Nassfutter in den Napf kippe. (Nein, ich dekoriere es nicht mit Petersilie). Aber so erlebe ich viele grandiose Sonnenaufgänge und bin früh im Büro.
Mike erweist sich auch als begeisterter Fußballer, er steht in der Regel im Tor und ich kicke Elfmeter mit einem kleinen Schaumstoffball. Muss sagen, dass er echt gut hält, vielleicht sollte ich ihn den Mainzern als Teammaskottchen anbieten. Ertappe mich dabei, dass ich mit dem Kater rede wie mit einem Menschen, werde ich langsam wunderlich? Egal, wir sind eine gute Wohngemeinschaft. Bin mal gespannt, wie Ali und er sich vertragen werden.

Montag, November 15, 2010

漫无目的小姑娘 – Zappelmaid

16.10.2010, Samstag

Schlafe erst mal schön aus und schwinge entspannt zum Nachmittagstraining mit Xiao Lu in den Park. Am Eingang werde ich Zeugin eines wüsten Gerangels, auch zwei Damen mischen kräftig mit beziehungsweise versuchen, die Streithähne auseinander zu halten. Ja, die Shanghaier, ein lustiges Völkchen. Das gefällt mir hier so. Habe mal gehört, dass die Koreaner allerdings wesentlich schneller die Fäuste fliegen lassen und Wirtshausschlägereien dort an der Tagesordnung sind.
Warte wie üblich lesend auf meiner Bank in der Sonne auf Xiao Lu, wir haben uns jetzt über eine Woche nicht gesehen und ich freue mich darauf, mit ihm zu üben und zu plaudern. Wir begrüßen uns fröhlich und schlendern zum Übungsgelände, mich trifft der Schlag: Da steht die kleine Zappelmaid und dehnt sich. Auch Xiao Lu ist offensichtlich überrascht, ich bin so dermaßen außer mir vor Wut, dass ich mich umdrehe und zum Parkausgang stürme.
Xiao Lu brüllt hinter mir her, ich solle zurückkommen, aber ich sehe rot. Als ich schon fast draußen bin, halte ich inne: Soll ich diesem kleinen Luder einfach kampflos das Feld überlassen? Nein, sicher nicht, wird Zeit, dass die mal in ihre Schranken gewiesen wird. Also Umkehr und dann wird Xiao Lu, der unsere Arena fegt, Zeuge eines Gekeifes auf Englisch, das sich gewaschen hat. (Als Shanghaier dürfte er das von Weibern allerdings gewohnt sein).
Die Zappelmaid eröffnet trotzig das Gefecht. Sie wolle doch nur zusehen, dies sei schließlich ein öffentlicher Park und sie wolle ja auch nur Xiao Lu, nicht mich beobachten. Aha, und warum habe sie dann Trainingsklamotten an? Und habe sich warm gemacht? Ja, äh….also… Ich mache ihr klar, dass dies kein offizielles Training sei, sondern eine private Verabredung zwischen mir und Xiao Lu. Wie sie es denn finden würde, wenn sie zum Beispiel eine Party gäbe und jemand tauche uneingeladen auf? (Was mich besonders ärgert: Sie hatte ihn schon mehrere Male diskret bei Xiao Lu angefragt, ob sie mittags mitmachen dürfe und jedes Mal eine abschlägige Antwort erhalten. Jetzt versucht sie es mit Dreistigkeit, für mich hört da der Spaß auf).
Worte fliegen hin und her und gelegentlich versucht Xiao Lu erfolglos einzulenken, wenn er eine Schlüsselphrase aufschnappt. Schließlich fleht mich die Maid fast an, sie wolle doch nur kurz mit Xiao Lu reden, er sei doch ihr Freund und ich sei doch auch ihre Freundin.(Als ob ich über Xiao Lu gebieten würde!)
Für mich hat das mittlerweile den Charakter einer schlechten Seifenoper und ich habe keine Lust, noch weiter mitzuspielen.
Jetzt bin ich an der Reihe und es folgt eine typisch chinesische Szene. Ich entschuldige mich wort-reich für mein Ausflippen, wenn die Maid und Xiao Lu plaudern wollten, wolle ich nicht im Wege sein. Hänge mir meine Tasche um und mache lächelnd Anstalten, zu gehen. Xiao Lu ist alarmiert.
Neinnein, sagt die Zappelmaid, sie wolle doch nur kurz mit Xiao Lu quatschen, dann ginge sie. Dieses Pingpong geht eine Weile, dann hänge ich die Tasche wieder an den Baum, zerre mein Buch raus, setze mich auf einen Stein und tue so, als ob ich läse, während die Maid sich mit Xiao Lu unterhält.
Da ich außer mit Xiao Lu nie viel rede, werden meine Chinesisch- Kenntnisse oft unterschätzt und jetzt bin ich dankbar dafür. Denn die Maid fragt ihn, ob sie denn jetzt mitmachen oder wenigstens zuschauen dürfe und wird voll abgebügelt.
Erstens müsse sie deswegen den Meister fragen, zweitens aber dann auch gefälligst endlich mal Unterrichtsgebühr bezahlen. Da der Meister diese von ihr bis jetzt abgelehnt habe, sei sie sowieso keine vollwertige Schülerin. Und selbst wenn Meister Wu zustimme, könne sie Samstag und Sonntag keinesfalls mitmachen. Drittens solle sie zusehen, dass sie die Grundlagen draufbekomme, bevor sie hier mit Fortgeschrittenen üben wolle. Höfliches Geplänkel zwischen den beiden, die Maid trollt sich kleinlaut.
Entspanntes Training mit Xiao Lu, der mir versichert, dass er erstens keine andere Frau außer mir in die tiefen Geheimnisse des Heyi Tongbei einweisen würde und zweitens die Zappelmaid nur unterrichten würde, wenn Meister Wu das ausdrücklich befähle. Dann aber auch nur die Grundlagen. Und ich solle mich nicht aufregen, das sei sehr schlecht für den Blutdruck.
Ich entschuldige mich, ich sei sehr unhöflich gewesen, was will man machen, deutsches Tempera-ment, bu hao. Aber mir sei durchaus bewusst, dass ich in diesem Land nur zu Gast sei und ich mich den Sitten anzupassen habe, ich erwähne, dass ich mich bei der Maid bereits entschuldigt habe und das gerne morgen nochmal täte. Nee, sagt Xiao Lu, die Maid habe da schon Scheiße gebaut, wisse jetzt Bescheid und die Sache sei vom Tisch. Na denn.

17.10.2010, Sonntag

Xiao Lu und ich treffen uns wie immer eine Stunde vor Trainingsbeginn zum Warmüben. Bin mal gespannt auf die Begegnung mit der Maid.
Die kommt denn auch pünktlich und hält sich bescheiden im Hintergrund. Kein Wort über den gest-rigen Konflikt. Meister und Teeknülch erscheinen gemeinsam, auch ein junger Knabe, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Sein Vater hält wohl große Stücke auf Meister Wu und möchte, dass sein lascher Sohn sich anhand der traditionellen Kampfkünste körperlich ertüchtigt. Der Knabe hat ganz klar keine Lust, was ich verstehen kann. Fand Balletunterricht auch blöd als Kind und war froh, dass ich irgendwann mal so groß war, dass das keinen Sinn mehr machte. Dennoch bemüht sich der junge Mann, leider wenig erfolgreich. Auch Jeremy läuft irgendwann mal auf. Schlimmer Finger, hat jetzt schon vier Weiber geschwängert und seine aktuelle Gattin liebäugelt mit einem anderen Kerl. Soweit ich verstehe, hat sie Jeremy gefragt, ob da nicht eine kleine Menage a trois ginge. Ob sowas im Westen üblich sei, will Meister Wu wissen. Nee, so verdorben sind selbst wir nicht. Die Maid ist ungewöhnlich still.
Meister Wu ist blendender Laune und lädt uns zum Essen ein. Ich sehe meine Chancen auf ein inti-mes Nachmittagstraining schwinden, da Alkohol im Spiel sein wird, den Xiao Lu nicht verträgt.
Am Parkeingang werden saisongerecht bemalte Flaschenkürbisse und deren Samen feilgeboten. Ob wir die in Deutschland hätten, will Xiao Lu wissen. Naja, Kürbisse schon, aber nicht diese, höchstens als Dekorationsobjekte. Was? Dann müsse man das schleunigst ändern. Diese Kürbisse seien sehr schmackhaft und man könne sehr nahrhafte Suppen daraus machen. Er ersteht für ein paar Fen Kürbissamen, die mir mit der eindringlichen Mahnung, diese in Deutschland auszusähen übergeben werden. Ich verstaue die Samen mit großer Sorgfalt, werde ich dann Ali mitgeben. Meine Schwiegermama kriegt die Teile sicherlich zum keimen. Und von diesen roten getrockneten Beeren wird auch noch ein Beutel gekauft und mir geschenkt. Gut für die Augen und den Magen. Die Zappelmaid betrachtet uns mit schmalen Augen.
Leckerer Schmaus und prächtige Unterhaltung. Ich schaffe es, mächtigen Alkoholkonsum vorzutäu-schen und dabei nur ein kleines Glas Bier zu trinken, der neben mir sitzende Xiao Lu muss jedoch eine ganze Flasche leeren. Das war es denn mit dem Nachmittagstraining, aber dafür habe ich lecker gegessen und mich wunderbar unterhalten.