Mittwoch, November 17, 2010

家常第四 – Alltag #4

  • Einer unserer Bauherren wünscht eine Feng- Shui Beratung, dass finden wir natürlich irre spannend. Bei der Besprechung mit dem Meister auf dem Bauplatz in einem Vorort Shanghais ist dann auch unser gesamtes Projektteam dabei, ob der wohl unseren ganzen Entwurf über den Haufen schmeißt? Der Meister kommt in Begleitung seines Aktentasche tragenden Assistenten, der Ähnlichkeit nach sein Sohn. Marc und ich sind fast enttäuscht, wir hatten da so einen Opiumpfeife schmauchenden alten Zausel mit langem Fadenbart in traditionellen Gewändern erwartet, statt dessen kommt ein eher farbloser, kleiner, dicklicher älterer Herr. Der sieht sich zunächst den Entwurf an, spannend wird es erst auf dem Baugelände, als der Assistent die lederne Aktenmappe öffnet und den Feng- Shui Kompass zückt. Der Meister hantiert eine Weile damit rum und macht sich Notizen, während wir ihm gespannt über die Schulter schauen. Dann will er noch den Geburtstag des CEO wissen und das war es dann. Später erfahren wir, dass der Meister einen Stundensatz von 10.000,- RMB hat. Mein Kollege Xianqi fragt den Meister mal so nebenher, vor seinem Appartement sei so ein Garagenblock, der in einem so blöden Winkel darauf zeige, ob das schlecht sei? Er macht schnell eine Skizze, der Meister ist der Meinung, das könne schlecht für die Gesundheit sein, aber genaues könne man natürlich erst nach eingehender Begutachtung sagen. Nach drei Tagen ist das Gutachten da, zwei Seiten. Ist schon alles OK, aber den Eingang sollten wir nach Osten verlegen. Für diese Erhellung hat der Bauherr 30.000,- RMB geblecht. Und Xianqi ist zwei Tage lang krank. Geil. Will auch Feng- Shui Meisterin werden.
  • Die Expo nähert sich endlich ihrem Ende und wir werden zur Abschiedsparty des deutsch- chinesischen Hauses eingeladen. Lustiger Abend, die Protokollchefin des deutschen Pavillons ermöglicht mir und meinen chinesischen Kollegen noch VIP- Zugang zu unserem Expo- Beitrag. Die Chinesen sind begeistert über dieses Privileg, ich wäre da auch so mit meinem deutschen Pass reingekommen. Bin überrascht, wie cool sich Deutschland präsentiert und verstehe, warum das einer der beliebtesten Pavillons war. Aber die Kugel in der „Energiezentrale“ finde ich etwas peinlich. Am Ende betrinken wir uns in Chile, werden nach Angola nicht rein gelassen und rocken in Dänemark bis in die Morgenstunden. So, Expo und ihre legendären Partys auch abgefrühstückt, zum Glück ist das hier bald vorbei und in Shanghai ist wieder Ruhe.
  • Herbst in Shanghai, die Temperaturen sind frühlingshaft, manchmal kriegen wir aber auch Kaltfronten und Sandstürme aus dem Norden. In der Helongjiang Provinz wüten schon die ersten Eisstürme, der Flughafen in Harbin ist tagelang gesperrt. Für mich merkwürdig: Das Laub der Bäume verfärbt sich hier nicht so schön wie bei uns, sondern wird einfach nur gelb und fällt glanzlos auf den Boden. Als ich das Xiao Lu gegenüber erwähne, kriegt sein Gesicht einen träumerischen Ausdruck. Ja, in einigen Provinzen hier sei das auch so, aber mit eigenen Augen gesehen habe er das noch nicht. Bestimmt feichang piaoliang… Ich schwöre mir innerlich, meinem großen Bruder eines Tages die Schönheit des deutschen Herbstes zu zeigen, vielleicht klappt das ja mit einem Seminar nächsten Oktober.
  • Meine Chinesisch- Lehrerin heiratet und lädt mich zu ihrer Feier im November ein. Habe ja den leisen Verdacht, dass die ausländischen Schüler nur deswegen eingeladen werden, weil sie voraussichtlich mehr Kohle spenden, fühle mich aber trotzdem geschmeichelt. Die Feier wird im Shanghaier Zoo steigen, was mich sehr freut. Habe meine Diplomarbeit über den Frankfurter Zoo geschrieben und liebe Tiergärten, im hiesigen war ich noch nicht. Mache mich schon mal schlau, wo dort die Tiger wohnen. Allerdings stürzt mich diese Einladung auch in tiefe Konflikte: Wie viel Geld ist angemessen? Meine chinesischen Kollegen sind sich da auch nicht so ganz einig, aber alles unter 500,- RMB wäre unverschämt. Und das ist eine blöde Zahl, 600 ist schon besser. Richtig gut ist irgendwas mit 8. Also so 800 oder 888. Ganz schön viel Flocken für hiesige Verhältnisse, aber da ich von Anfang an in alle Probleme der Hochzeitsplanung eingeweiht war (Thema des Unterrichts, natürlich alles auf Chinesisch) weiss ich, dass alleine das Essen pro Gast fast 500,- RMB kostet. Da will man natürlich nicht abstinken. Kaufe jedenfalls schon mal den kitschigsten Hongbao (roten Umschlag), den ich finden kann und fange an, kleinere Geldnoten zu sammeln, damit ich auf die Glückszahl komme.
  • Schon seit Wochen droht man uns mit der Volkszählung. Die Chinesen sind überhaupt nicht begeistert darüber, weil sie quasi die Hosen runterlassen müssen und so kleine Ungesetzmäßigkeiten wie zusätzliche Kinder, nicht versteuerte Wohnungen und dergleichen dadurch ans Licht kommen. Wir Ausländer werden zum ersten Mal mit erfasst und werden durch die Medien beruhigt: Nein, nur ein paar Fragen und die Volkszähler haben auch einen Ausweis dabei, alles ganz locker. Die Volkszählung beginnt am Montag, dem 1. November und soll in zehn Tagen über die Bühne gehen. Anhand der geschätzten Zahl von 1,3 Milliarden Chinesen erscheint mir das ganz schön optimistisch. Meine Kollegen wurden schon sanft vorbereitet, bei mir zeigt sich keiner. Sonntags abends um halb neun ist es denn endlich so weit. Unterbreche mein Telefonat mit Ali, zeige meinen Pass und meine Arbeitserlaubnis (wegen meines chinesischen Namens), gebe Hochschulabschluss und Zweck und Dauer meines Aufenthaltes an. Das war es. Bin Teil einer Statistik. Cool. Dass es eigentlich zur Motivation an der widerstandslosen Teilnahme Geschenke geben sollte, erfahre ich erst hinterher. Habe keines bekommen, Mist!

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