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Freitag, Oktober 14, 2011

麦克四大第二 – Mike Sieder #2

Zwei Tage vor Abflug hole ich in der Tierklinik die Transportpapiere ab. Alles in Ordnung, das Vieh darf das Land verlassen. Zum Glück muss ich nicht noch einmal mit der Katze vorstellig werden, das hätten meine Nerven nicht mitgemacht. Von der Tierklinik mit Papieren zu China Eastern, wo ich denn endlich auch die letzten Formulare bekomme und jetzt auch wirklich ganz sicher ist, dass Sieder befördert wird.

Überraschungsbesuch von Xiao Lu, der sich von mir verabschieden will. Erklärung für seine lange Abwesenheit: Vor ein paar Wochen hat er sich mit seinem Elektroroller auf die Fresse gelegt und sich dabei den rechten Unterarm und einige Knochen seiner Hand gebrochen. Außerdem noch Stress in der weitläufigen Familie. Unterarm gedrahtet und dick geschwollen, der arme Kerl bietet ein Bild des Jammers. Sieht fast so aus, als ob er geschrumpft wäre, abgenommen hat er auf jeden Fall. Und Training ist jetzt auch erst mal längere Zeit nicht, von Parktraining mal ganz abgesehen. Er ist sehr frustriert, versuche, ihn mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen aufzuheitern, so gut ich kann. Sieder und ich jedenfalls werden mit einem Küsschen verabschiedet und mit den besten Wünschen auf die lange Reise geschickt, Xiao Lu würde uns wohl gerne begleiten. Eine Spritze in den Hintern und einen Mikrochip zwischen die Schultern würde er dafür wohl auch gerne in Kauf nehmen, aber für menschliche Chinesen ist das mit dem Visum leider nicht so einfach.

Am Tag meines Abflugs verfolgt der Kater aufmerksam, wie ich den Koffer packe, wie spannend! Und warum verpacke ich auch seinen Mainz 05 Fressnapf und seine Lieblingsspielzeuge? Aufregend. Ganz zum Schluss mache ich mich an seiner Box zu schaffen und lege sie mit dem Handtuch und saugfähigem Papier aus, was ihn natürlich neugierig werden lässt. Muss sofort untersucht werden, ich schließe schnell die Tür der Box. Als Sieder dämmert, dass diese Tür sich so schnell nicht mehr öffnen wird, wird er ungehalten. Packe beherzt Koffer und Box, schultere den Rucksack, verlasse meine Wohnung und schließe die Wohnungstür ab. Habe meinen Freund noch nie derartig wütend und markerschütternd kreischen hören, aber da muss er jetzt durch, auch wenn mir fast das Herz bricht.

Erwische auch sofort ein Taxi, dessen Fahrscherge allerdings nicht ganz so der große Tierfreund ist. Er macht sich Sorgen, mein Kater könne sein vergammeltes Taxi verunreinigen. Nein, ganz sicher nicht, die Box ist doch wasserdicht und das Tier kann auch bestimmt nicht entkommen. Nach einigem Hin und Her fährt er uns endlich zum Flughafen, meinen Koffer muss ich aber hübsch selber in den Kofferraum wuchten. Blödmann.

Der Check- In verläuft dann auch ziemlich reibungslos. Die Papiere werden studiert, die Box mit Nylonbändern gesichert (10,- RMB), der Kater samt Box gewogen und ich zur Zahlung von 2.600,- RMB aufgefordert. Sieder wimmert leise vor sich hin, nur ab und an erhebt er seine Stimme. Ein ausländischer Vater mit seinem quengelingen Mischlingskind ist für diese unerwartete Ablenkung sehr dankbar, denn der Bengel ist von meinem Tier total hingerissen. Schließlich schlendert ein junger Mann in Arbeitsbekleidung mit einem Rollwägelchen herbei, auf das er sachte aber emotionslos die Box mit meinem Liebling stellt. Verabschiede mich hastig, dann karrt der junge Mann gemütlich und fröhlich pfeifend Herrn Sieder in die dunklen Eingeweide des Pudong International Airport. Hoffentlich zur richtigen Maschine.

Nachdem ich die Sicherheitskontrollen passiert habe, bleibt gerade noch Zeit für eine Dose Bier und eine hastig genossene Zigarette, dann boarden wir auch schon. Stürme als erstes gleich mal auf den für meinen Abschnitt zuständigen Steward zu und verlange zu wissen, ob meine Katze an Bord sei. Der Knabe versteht leider nur mäßig Englisch, deswegen wiederhole ich mein Ansinnen auf Chinesisch. Katze im Cargo? Keine Ahnung. Ja, ob er bitte nachfragen könne? Der Steward verschwindet trotz seiner sich wie immer völlig undiszipliniert verhaltenden Landsleute. Als endlich alle Reiskocher, Plastiktaschen und -tüten und dergleichen sicher verstaut sind, kommt er wieder und strahlt über das ganze Gesicht. Daumen nach oben, Cat in Cargo. Da er mir ein netter Mensch zu sein scheint, glaube ich ihm, dass er sich tatsächlich erkundigt hat und sich nicht nur durch meine Anfrage der Bändigung der Volksgenossen in willkommener Weise entzogen hat. Könnte jedenfalls den Flug entspannt genießen, wenn die Klimaanlage nicht auf Kühlhaustemperaturen heruntergeschraubt wäre.

Landung frühmorgens in Frankfurt, nachdem ich meinen Koffer vom Band gezerrt habe, erkundige ich mich, wo ich denn jetzt mein Tier abholen könne? Oh, da hinten beim Sperrgepäck. Wie? Nicht in der „Animal Lounge“ irgendwo in „Cargo City“ wie auf der offiziellen Website des Frankfurter Flughafens angegeben? Und muss nicht ein Veterinär meinen Freund begutachten und freigeben? Das mit dem Veterinär weiss der freundliche Herr jetzt auch nicht so genau, aber er ist ganz sicher, dass Sieder beim Sperrgepäck abzuholen ist und gibt mir eine genaue Beschreibung dieses Bereiches. Warte unruhig eine Ewigkeit, ein netter Polizist beruhigt mich. Sperrgepäck wird als Letztes ausgeladen. Freue mich, statt Shanghainese mal wieder Hessisch zu hören. Endlich sehe ich, wie das Frankfurter Gegenstück zu dem Shanghaier Flughafenmitarbeiter eine Rosa- Weiße Box sachte vor dem Lastenaufzug niedersetzt und renne überglücklich auf ihn zu. Trinkbehälter fehlt und zusätzlich zu den Nylonstrippen sind noch ein paar Schnüre um die Box geschlungen und ungeschickt verknotet. Mein Tier muss wohl randaliert haben. Tigerherz, ganz wie sein Menschenweibchen. Bin stolz auf ihn. Sieder kauert jedenfalls maulend in seiner Box, der nette Cargotyp weiß von nichts, meint aber, der Zoll werde sich schon um alles kümmern. Keine Sau mehr am Zoll, renne einfach durch und Ali in die Arme. Sieder ist deutscher Staatsbürger, ich bin bei meinem Gatten und alles ist gut.

Dienstag, September 06, 2011

麦克四大第一 – Mike Sieder #1

01.09.2011


Fange früh am Morgen das sich heftig sträubende Tier ein und verfrachte es nach langem und zähem Ringen in seine Transporttasche. Bin nach diesem Kampf schon völlig fertig, am liebsten würde ich schon wieder duschen. Natürlich fängt der Kater nach Verlassen der Wohnung an, aus Leibeskräften zu kreischen, was auch nicht gerade zur Beruhigung meiner flatternden Nerven beigeträgt. Voll die Rush- Hour, außerdem hat heute die Schule wieder angefangen, weswegen der Verkehr noch chaotischer als sonst ist. Kriege zum Glück ziemlich schnell ein Taxi, während die zahlreichen zur Arbeit oder sonst wohin eilenden Volksgenossen viel Spaß mit der tigergleich heulenden Katze haben.Kann ihn dann auf der Fahrt ein wenig beruhigen, aber protestiert wird er immer noch, wenn auch mit etwas verminderter Lautstärke. Nach dem Betreten der Tierklinik ist denn erst mal Ruhe im Karton, wohl weil da auch schon ein Typ mit einem Monster- Labrador sitzt.
Im Untersuchungsraum will der feine Herr nicht aus der Tasche, zerre ihn schließlich gemeinsam mit dem ständig gewaltige Rülpser ausstoßenden Assistenten daraus hervor. Natürlich will der Kater gleich flüchten und sich verstecken, aber das Tier wird von der Tierärztin und dem Rülpsmann sanft niedergerungen und ihm Blut abgenommen, während sein Menschenweibchen fast in Ohnmacht fällt. Anschließend heißt es warten, während der Rülps- Assi alle möglichen Formulare ausfüllt und mit wichtigen Stempeln versieht. Sieder kauert währenddessen in seiner Tasche und miaut ab und zu leise. In vier Tagen kriege ich die Dokumente, dann muss ich damit zu China Eastern, um den Katzentransport endgültig klar zu machen.
Nach dieser Prozedur ist dann der Kauf einer stabilen Transportbox in dem Klinikshop angesagt. Die einzig passende gibt es leider nur mit dunkelrosa Unterteil, was willste machen. Dafür hat die Trinkflasche dunkelblaue Elemente. Top. Optischer Super- GAU. Eigentlich sagen die Tiertransportvorschriften, dass so eine Box mit einem von außen befüllbaren Wasser- und Futterspendern versehen sein muss, aber die englisch sprechende der Klinikschergen erklärt mir, das Tier solle auf dem Flug nichts fressen (Chinesisch für: Wir haben gerade keine Futterspender). Wenigstens sind die Bediensteten so nett, mir saugfähige Tücher zu schenken, falls der Kater während des Fluges mal muss, auch wenn ich das mir hartnäckig angepriesene Beruhigungsmittel dankend ablehne. Wenn die sowas für Zweibeiner gehabt hätten, hätte ich wahrscheinlich eine Großpackung gekauft.
Ewig kein Taxi zu bekommen und der Kater fängt wieder langsam an, zu protestieren. Der Taxi- Knülch, den ich dann erwische ist aber anscheinend ein großer Tierliebhaber, der es sich nicht nehmen lässt, bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit (Ampel, Stau, Bullenfahrzeug direkt hinter uns) sich umzudrehen und mit dem mittlerweile wieder aus Leibeskräften kreischenden Tier Faxen zu machen. Chinesen unter sich halt.
Zu Hause muss ich dann zur Beruhigung erst mal hektisch eine rauchen und meine vor Stress völlig durchgeschwitzten Klamotten wechseln. Am liebsten würde ich nach dieser Aktion einen kernigen Schnaps kippen. Oder auch zwei. Oder mehr. Geht leider nicht, muss ja noch arbeiten.
Nach der Arbeit Besuch bei Carrefour, finde kein wirklich passendes Futterbehältnis, aber dafür ein schickes Handtuch mit rosa, weißen und orangenen Streifen zur Auspolsterung der Transportbox. Passt zur Box und zum Fell des Katers. Das Handtuch lege ich im Wohnzimmer aus und Herr Sieder fährt sofort darauf ab. Heftiges Gewälze und Gekralle auf dem Teil, werde wohl auch noch mal ein oder zwei Nächte darauf schlafen, damit es nach seinem Menschen riecht und er im Flieger vertraute Gerüche in der Nase hat. Die Box ist natürlich auch irre interessant. Jetzt steht sie hier im Wohnzimmer und wird ausgiebig untersucht und beschubbert. Kleine Experimente mit geschlossener Box und das darin Herumgetragen werden machen wir auch, klappt gut. Denke aber, dass das nächste Woche anders aussehen wird.

Sonntag, Februar 13, 2011

兔年快乐 – Fröhliches Hasenjahr!

01.02.2011, Dienstag

Will in meiner Freizeit wenigstens ordentlich trainieren, deswegen schleppe ich mich in den Volkspark. War da schon ewig nicht mehr zum Üben, weil ich ja arbeiten musste. Warte eine Viertelstunde, kommt keiner. Versuche, dem Meister eine SMS zu schicken. Klappt aus irgendwelchen Gründen nicht, beschließe daher, wenigstens etwas für die Gesundheit zu tun und im Vegetarian Lifestyle zu dinieren. Werde wie immer gefragt, ob ich eine Mitgliedskarte hätte. Nee, aber diese Pappkarte mit den Stempeln drauf, habe vier, die Mitgliedskarte gibt es ab zehn. Die Bedienstete geht weg und kommt mit einem Formular auf Chinesisch wieder, das sie mir zu erklären versucht. Kein Problem, kann doch lesen. Fülle das Formular aus, einige Fragen der Bediensteten und zehn Minuten später überreicht mir die Oberkellnerin meine Mitgliedskarte. WOW! Vegetarian Lifestyle ist mit diesen Karten sehr eigen und die sind fast unmöglich zu bekommen. Jetzt habe ich eine. Ritterschlag! (Später kriege ich raus, dass die im Januar 6- jähriges Jubiläum hatten und es im Rahmen einer Sonderaktion die Mitgliedskarten schon ab vier Stempeln gab). Das neue Jahr fängt ja gut an.

02.02.2011, Mittwoch - Silvester

Nachmittags Chinesisch- Unterricht, abends sind Rose und ich beim Meister eingeladen. Oskar hat eine schlimme Erkältung und kann nicht kommen. Wenn Jud wüsste, dass wir drei beim Meister eingeladen sind, würde er sicher vor Neid platzen, klar, dass wir dem das nicht unbedingt unter die Nase reiben.
Gemütliches Abendessen bei den Wus, nur die Familie, Rose und ich. Es wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen, des Meisters Gattin weist mich in das korrekte Knabbern von Kürbiskernen ein. Ich werde gleich für den nächsten Tag zum Mittagessen wieder eingeladen, wie nett! Xiao Lu soll da dann auch kommen, Rose hat schon was anderes vor.
Der Meister hat eine neue Katze, so einen riesigen Brocken habe ich selten gesehen. Da braucht er aber wirklich nicht mehr auf Lilos tigergleichen Kater neidisch sein.
Danke mit Roses Unterstützung als Übersetzerin ungelenk der Familie Wu und versuche, meinen Dank für diese überaus wichtige Einladung zu übermitteln, auch im Namen meines Gatten, der mich in der Ferne in guten Händen wisse. Die Wus winken ab, wir hätten uns ja auch um den Meister gekümmert, als er in Deutschland war. Des Meisters Gattin nimmt mich in den Arm und knuddelt mich.
Leute, auch wenn ich hier manchmal fast verzweifeln möchte: Mein Meister und seine Familie gehören zu den warmherzigsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Und das lässt mich alle Schwierigkeiten vergessen.
Entspannter Abend, wir futtern, bis die Schwarte kracht und schauen Fernsehen. Die Neujahrsshow auf CCTV hat den Charme der 80ger Jahre, grauenhaft. Aber auf Star TV läuft die „Mr. Zhou Live Show“. Herr Zhou ist hier enorm populär, hat ein freches Maul und zieht aktuelle Themen durch den Dreck. Vor dreißig Jahren hätte er für solche Äußerungen noch in einem Arbeitslager in der Inneren Mongolei Latrinen ausheben dürfen, heute kann er ganz frei im Fernsehen ablästern. Und das am Neujahrsabend. Ich verstehe zwar den Wortwitz von Herrn Zhou nicht so ganz, da er auch teilweise Shanghainese redet, aber die Wus und Rose wälzen sich vor Lachen auf dem Boden.
Rose und ich empfehlen uns dann so um 22.00, Shanghai liegt mittlerweile unter schwerem Beschuss. Hetze hakenschlagend den Detonationen ausweichend zum Family Mart und erstehe eine Flasche Weisswein. Vor dem Eingang meines Hauses entzündet ein Nachbar gerade eine 1m3 Feuerwerksbatterie. Chinesen geben sich nicht mit so läppischen Raketen zufrieden wie wir, nein, ein einigermaßen würdiger Feuerwerkskörper muss schon mindestens die Dimensionen einer Flakkanone haben. Recht so, kerniges Volk! Und das Feuerwerk haben sie ja sowieso erfunden.
Genieße bei einem Glas Wein gemeinsam mit dem Kater von meinem Wohnzimmerfenster aus das um uns herum explodierende Shanghai. Bin heiter und entspannt, kann jetzt nur noch aufwärts gehen.

03.02.2011, Donnerstag

Klemme mir Xiao Lus Geschenk unter den Arm und schwinge mich ins Taxi. (Finde später heraus, dass es auch einen direkten Bus von mir zu des Meisters Behausung gibt- Nächstes Mal halt).
Fühle mich dann doch etwas blöd, dass ich zwar für Xiao Lu was dabei habe, nicht aber für die Familie Wu, die mich ja schließlich schon wieder bewirtet. Gut, die hatte ich gestern schon ordentlich mit Geschenken bedacht, aber ich komme mir trotzdem doof vor. Kaufe daher schnell noch einen üppigen Obstkorb für 88,- RMB, das einzige Vernünftige, was auf die Schnelle zu kriegen ist. Mama Wu beschimpft mich daraufhin natürlich prompt. Viel zu höflich, das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen! Mir egal, wenigstens ist mein Gewissen beruhigt. Ein anderer Knülch ist schon anwesend, schick in einem für hiesige Verhältnisse sogar recht flotten Anzug gekleidet. Er wird mir zwar nicht namentlich vorgestellt, aber ich gehe davon aus, dass er wohl einer meiner Tongbei- Brüder ist. Ja, wir sind alle eine große Familie. Das ist ja das Schöne, wenn man Kampfkünste übt.
Xiao Lu lässt auf sich warten, schließlich greift der Meister zum Telefon und ruft bei ihm an. Er hofft, dass nicht Xiao Lus Gattin abheben möge, die fürchtet er nämlich. Interessant, der Sache muss ich mal auf den Grund gehen. Früher hatten die beiden wohl mal ein ganz gutes Verhältnis zueinander und der Meister pflegte regelmäßig mit ihr Mahjang zu spielen, da muss irgendwas passiert sein.
Xiao Lu kann dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht kommen, wie ärgerlich. Habe ich sein Geschenk für nix und wieder nix mitgeschleppt.
Wie immer superleckeres Essen, Anzug ist sehr nett, bietet mir zackig und formvollendet Kippen an und hat ganz schnell raus, wie ich heiße. Seinen Namen bekomme ich jedoch trotz intensivem Zuhören nicht mit.

Bemerke ein über der Eingangstür zur Wohnung prangendes Schild mit Schriftzeichen, die ich nicht kenne, aber darunter steht in lateinischen Buchstaben "Om mani padme hum". Aha. Interessant. Wer ist wohl der Buddhist in des Meisters Familie? Er wohl sicher nicht, da hatte scheinbar Mama Wu ihre Hände im Spiel. Jedenfalls gab es dieses Schild bei meinem letzten Besuch noch nicht.

Entspannte Stimmung, schaue mit Mama Wu Fernsehen. Es läuft ein Beitrag, in dem die Körpergrößen westlicher und chinesischer Filmstars verglichen werden, der Heilige Steven ist auch dabei. Kreische entzückt und erkläre Mama Wu, dass ich den besonders Klasse fände. Ja, der sei wirklich sehr lustig. Punkte, indem ich ganz viele chinesische Stars beim Namen zu nennen weiß.

Nach sehr ausgiebigem Essen und Teetrinken verabschiede ich mich gegen 17.30. Mama Wu rafft etliche Süßigkeiten, Nüsse, Kürbis- und Sonnenblumenkerne in eine Tüte, die superleckeren dicken Bohnen und eingelegten Tofu packt sie auch noch hübsch eingedost dazu. Und als Nachtisch die geilen mit schwarzem Sesam gefüllten Klebreisbällchen, für deren Zubereitung mir noch etliche Anweisungen gegeben werden. Werde über die Neujahrsferien bestimmt nicht verhungern. Bin mir mittlerweile fast sicher, dass Mama Wu und meine Schwiegermutter auf unheimliche Art Zwillinge sind.
Breche völlig ermattet auf dem Sofa zusammen und schaue mit Sieder DVDs. Draußen wird weiter wie verrückt geballert.

04.02.2011, Freitag

Tue heute das, worauf ich mich schon seit langem gefreut habe: Nämlich gar nichts. Gut, mein Fellwecker weckt mich zwar schon ziemlich früh, da er gefüttert werden will und spielen möchte. Als Zeichen seiner Liebe zu mir legt er mir das Rattenmausi aufs Kopfkissen. Bloß gut, dass er hier keine chten Mäuse fangen kann. Seinem Begehren verleiht er mit ein paar sachten Pfotenhieben Nachdruck. Aber den Rest des Tages verbringen wir dösend vor der Glotze. Schön.

05.02.2011, Samstag

Zheng Rui hat ein Treffen mit seinem Baulöwen- Kumpel klargemacht, schmeiße mich also in Schale und fahre in die Stadt. Herr Zhou ist auch ganz nett, aber Bauunternehmer und kein Architekt. Er hat eine Architektin aufgetrieben, die übersetzt. Herr Zhou will natürlich seinem alten Kumpel Zheng Rui einen Gefallen tun und schaut sich dann halt mal diese ausländische Architektin an, die bis jetzt (für seine Verhältnisse) nur Klickerprojekte gemacht hat. Er baut dann eher so Bürotürme oder Einkaufszentren ab 50.000 m2 aufwärts. Aber von meinen Softwarekenntnissen ist er dann doch beeindruckt. Da Herrn Zhous Firmensitz in Ordos in der Inneren Mongolei ist, fühlt sich Zheng Rui verpflichtet, zügig an meiner Stelle zu erklären, dass ich wegen unseres Meisters Shanghai nicht verlassen würde. Dafür bin ich ihm auch sehr dankbar, denn ich wollte die Innere Mongolei zwar schon immer mal besuchen, aber keinesfalls dort leben. Aber vielleicht geht ja was mit freier Mitarbeit? Mir ist von Anfang an klar, dass ich keine Lust habe, diese Art von Arbeit zu machen. Auf Abruf schnell im Tudorstil einen Wolkenkratzer hinrotzen? Habe da denn doch noch Ideale. Versuchen, uns gegenseitig aus der Affäre zu ziehen, ohne dass jemand Gesicht verliert. Klappt jedenfalls von meiner Seite aus ganz gut, denn meine Arbeitserlaubnis und damit auch mein Aufenthaltstitel sind an eine Anstellung gebunden. Als Freiberufliche dürfte ich hier nur arbeiten, wenn ich eine Firma gründen würde. (Was allerdings auch nicht allzu kompliziert ist). Wir verbleiben, dass wir uns beide mal so unsere Gedanken machen. Zheng Rui ist happy und schreibt mir am folgenden Tag eine lange, das Gespräch zusammenfassende mail. Da die aber in ziemlich komplexem Chinesisch ist, beantworte ich sie zunächst nicht. Lieber auf Hilfestellung von Ying warten.

06.02.2011, Sonntag

Da Xiao Lu versprochen hatte, heute im Park zu sein, schäle ich mich früh aus dem Bett und springe voll bewaffnet und mit Geschenk in den Bus. Geiles Wetter, aber wegen des ständigen Geballers hängt eine Dunstwolke über der Stadt.
Warte am Parkeingang, natürlich kommt der feine Herr Lu nicht. Aber der chinesische Xingyi- Stil übende Steve Buscemi erspäht mich und schießt freudestrahlend und wild grüßend auf mich zu. Hahaha, frohes neues Jahr, warte hier gerade auf meinen Shixiong, der mich mal wieder versetzt. Blödmann. Geschenk schon wieder nicht losgeworden. Egal.
Sieder und ich hängen auf dem Sofa rum und arbeiten DVDs ab. Der Schacht des DVD- Gerätes übt auf den Kater eine unheimliche Anziehungskraft aus und auch die sich plötzlich auf dem Fernseher bewegenden Bilder findet er faszinierend. Macht seinem Ingenieur- Namensgeber alle Ehre.
Der Wohlstandsgott kehrt heute auf die Erde zurück, deswegen wieder schweres Bombardement. Kenne ich schon vom letzten Jahr und bin vorbereitet. Habe allerdings den Eindruck, dass dieses Jahr etwas weniger gefeuert wird. Naja, einen sachten Hasen begrüßt man halt verhaltener als einen wilden Tiger.

07.02.2011, Montag

Vielleicht kommt Shen Ayi heute, etwas unklar. Schließlich sind immer noch Ferien. Flüchte jedenfalls vorsorglich und schaue mir einen buddhistischen Tempel in einer Vorstadt an.
In der Metro sitzt neben mir eine Familie mit einem unglaublich dicken Kind. Die Familie führt zwei sehr große Tüten mit langsam auftauendem Fleisch mit sich. Wohl auf dem Weg zu einem Festschmaus. Lecker.
Die Straße von der Metro zum Tempel säumt ein sehr großer Fischmarkt, interessant, das feilgebotene Viehzeug und die Volksgenossen bei der kritischen Auswahl desselben zu beobachten. Muss ständig aufpassen, nicht in irgendwelche Fischabfälle zu latschen.
Der Tempel ist sehr hübsch und idyllisch an einem Wasserlauf gelegen. Außerdem gibt es eine ganz reizende Pagode, die ich natürlich bis ganz nach oben ersteigen muss. Klasse Idee bei Höhenangst. Meine letzte Tat in meinem alten Büro war der Entwurf eines kleinen Parks, in dem unbedingt historisierend eine Pagode und ein buddhistischer Tempel eingebunden werden mussten. Deswegen schien mir dieser heutige Ausflug auch ganz angemessen. Stelle fest, dass mein Entwurf anscheinend ganz OK war, auch wenn ich mit den Planungsansätzen nicht einverstanden war.
Fahre zum Blumenmarkt, auf dem wegen der Ferien allerdings nichts los ist. Schade, hätte gerne eine hübsche Orchidee gehabt.
Da das Cloud 9 Einkaufszentrum sowieso auf dem Heimweg liegt, beschließe ich, ein wenig zu bummeln. Huldige im dortigen Carrefour, der im Gegensatz zu meinem auch viele westliche Produkte feilbietet, dem Wohlstandsgott und kaufe Unmengen von Käse, ein wenig Wein, Kekse und Weißbrot. Auf dem Weg von der Metrostation noch ein schneller Besuch im DVD- Laden, wo ich unter anderem den Film „Four Lions“ schieße.
Shen Ayi hat die Bude auf Hochglanz gebracht, schlage mir den Magen mit Weißbrot und Blauschimmel- und Gruyerekäse voll, während ich mit dem Kater die gerade erworbenen DVDs anschaue. „Four Lions“ ist zum Brüllen komisch, einer der besten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Soll im April in Deutschland anlaufen, unbedingt reingehen!
Von dem übermäßigen Käsegenuss kriege ich prompt Pansenrattern. Egal, hat sich gelohnt.

08.02.2011, Dienstag

Letzter Ferientag, bin ganz froh, es endlich mal wieder zum Training in den Volkspark zu schaffen. Außer Jud und Rose sehe ich meine anderen Brüder und Schwestern ja sonst kaum. Frühlingshafte Temperaturen, da ist man doch gleich viel entspannter.
Im Volkspark wird dann auch ein ganz anderes Tempo vorgelegt als Sonntags im Heping- Park. Klar, die hier Trainierenden haben ja auch ein ziemlich hohes Niveau. Für mich interessant, wie meine Mitschüler so drauf sind und ich bin erleichtert, dass auch die nicht immer alles perfekt hinkriegen.
Wang Ming Bo, ein alter Kumpel von Rose und eigentlich Yang Stil Meister übt seit Neuestem wohl auch Tongbei. Interessant. Muss ich Stefanie unbedingt erzählen, wir beide haben 2006 ziemlich viel mit ihm geübt, Stefanie auch schon vorher. Bin glücklich, jetzt mehr Zeit zum Üben zu haben.

Sonntag, März 28, 2010

周末 – Wochenende #3

27.03.2010, Samstag

Nach einer harten Arbeitswoche schlafe ich heute endlich mal aus und schenke mir das Vormittagstraining. Schließlich treffe ich mich ja nachmittags mit Xiao Lu. Mein Gesicht und besonders meine Augen sind mal wieder total geschwollen, sehe aus, als habe mich jemand verdroschen. Geht dann im Laufe des Vormittags nach einer Dusche und ordentlich Flüssigkeitsaufnahme wieder, aber richtig schön ist das Nachmittags immer noch nicht. Möchte echt mal wissen, woher das kommt. Zu Hause habe ich so was nie, liegt hier wahrscheinlich an der Nahrung oder der Luftverschmutzung.
Xiao Lu sehe ich dann auch schon im Park, allerdings in Zivilklamotten. Oh, was ist denn los? Schlimme Erkältung, der arme Kerl ist tierisch heiser. Ob wir dann lieber nicht trainieren sollten? Kein Problem für mich, vielleicht solle er sich mal zu Hause hinlegen und auskurieren? Nein, wird schon gehen. Harter Junge. Versuche, ihm eines meiner Getränke aufzunötigen, aber das will er nicht. Ich erkläre ihm, dass man westlicher Auffassung nach bei Erkältungen viel Flüssigkeit zu sich nehmen sollte, aber anscheinend ist man da in der traditionellen chinesischen Medizin anderer Ansicht.
Er hat ein interessantes Bündel mitgebracht, natürlich bin ich neugierig. Was das denn sei? Xiao Lu grinst geheimnisvoll. „Tongbei Weiba“. Allerdings macht er keine Anstalten, die Dinger zu enthüllen, erstmal üben wir Einzelbewegungen und Kombinationen. Nach diesen Aufwärm- Übungen packt er feierlich das Bündel aus. Zum Vorschein kommen zwei aus sehr schönem polierten roten Holz gemachte Knüppel, von denen mir einer auch gleich in die Hand gedrückt wird. Meine Güte, ist das Ding schwer! Mit diesen Knüppeln übt man die Beweglichkeit der Handgelenke und ich darf gleich mal Xiao Lus Bewegungen mitmachen. Bei ihm sieht das alles sehr locker aus, aber mir fällt fast der Arm ab. Gehandhabt werden die Dinger ähnlich Säbeln. Xiao Lu hat diese Knüppel selbst gemacht, er streichelt das schöne Holz liebevoll und ich bewundere pflichtschuldig die fachmännische Machart. Meister Wu hat wohl nur einen dieser Art und der ist längst nicht so schön. Geübt wird damit grundsätzlich nur drinnen. Eines der Geheimnisse unserer Kampfkunst. Sollen andere nicht sehen. Überhaupt bin ich der erste Ausländer, der diese Dinger zu Gesicht bekommt. Und dann noch in der Handhabung unterwiesen wird. Welche Ehre! Ich muss die Knüppel auch noch fotografieren, damit ich mir auch solche zum Üben machen kann. (Bitte um Verständnis dafür, dass ich das hier nicht veröffentliche).
Das finde ich aber jetzt echt total süß von Xiao Lu! Einerseits zickt er rum, wenn er chinesische Mädels unterrichten soll, andererseits verrät er einer westlichen Schnalle hier voll die Geheimnisse unserer Kampfkunst. Vor zwei Wochen hat er mich mal wieder besucht und wir haben den Nachmittag damit verbracht, uns im Netz Tongbei- Videos und Artikel anzuschauen. Einige Unterlagen hatte er mir auch noch mitgebracht, die ich mir auch kopiert habe und demnächst mal übersetzen werde. Unter anderem den Ablauf unserer Form, nur kann ich seine Handschrift nicht gut lesen. Hoffentlich kann er mir da noch mal beim Tippen helfen.
Ying Quan wird intensiv bis zu der Stelle, zu der ich mit dem Meister gekommen bin, geübt. Sehr schwere Form, aber sehr schön! Hoffentlich kann ich mir das merken, aber komischerweise habe ich da bei Xiao Lu nicht so Schwierigkeiten. Muss das eben noch ein paar Mal zu Hause wiederholen.
Heute morgen war Xiao Lu auch nicht im Training, aber er sagt, morgen früh käme er. Bin da skeptisch, er solle sich doch lieber schonen. Ach, wird schon gehen, er redet dann halt einfach nicht.
Wir plaudern noch ein wenig, nächste Woche ist hier Qing Ming Jie, was in etwa unserem Allerheiligen entspricht. Ob er und seine Geschwister denn in die „Alte Heimat“ zum Gräberputzen führen? Ja, klar, er weiß nur noch nicht so genau, wann. Quetsche ihn ein bisschen über diesen Brauch aus, hört sich ja einerseits nach Spaß an, andererseits weiß ich, dass er dann auch schon mal schwermütig werden kann. Was ich durchaus verstehe.
Wir berauschen uns an den schönen erblühten Sträuchern im Park. Xiao Lu meint, am liebsten hätte er den Park ganz für sich alleine. Dann könnten wir beide da sitzen, Tee trinken, plaudern und üben. Ohne die ganzen Leute wäre das noch schöner und friedlicher. Er sagt, manchmal träume er Nachts davon. Xiao Lu ist echt einer der untypischsten Chinesen, die ich kenne. Vom „rinao“ (Laut und heiß, Hauptsache, Lärm) seiner Landsleute hält er nichts, er mag es ruhig und friedlich und ist gerne allein. Deswegen halten ihn die Chinesen wohl auch für etwas merkwürdig. Vielleicht verstehen wir uns deswegen so gut, die meisten Deutschen (und nicht nur die) finden mich auch merkwürdig.

Wollte ja eigentlich mit den Kollegen weggehen und lege mich kurz für ein Schönheitsschläfchen vor die Glotze. Als ich aufwache, ist es kurz vor Mitternacht. Mann! Torkele ins Bad, pule die Kontaktlinsen aus den wieder anschwellenden Augen und putze mir mit der gestern erworbenen elektrischen Zahnbürste die Zähne. Fühlt sich gut an!

28.03.2010, Sonntag

Wache früh auf, ein Blick auf mein Fon zeigt den Eingang einer SMS. Wahrscheinlich meine Kollegen gestern Abend. Nein, 03:40, Meister Wu. Shenti bu shufu, (fühlt sich nicht wohl), kommt heute nicht in den Park. Sehen uns dann nächste Woche. Übersetzt heißt das wohl: Falle gerade mächtig angeblitzt aus einer Mahjang- Spielhölle und morgen brummt mir dann bestimmt der Brägen. Also besser nicht üben.
Überlege kurz, ob ich auch noch weiter pennen soll, aber Xiao Lu könnte ja im Park sein. Außerdem ist das Wetter prächtig und ich habe einiges vor, der Tag will genutzt sein.
Schmeiße mich also in Übungsklamotten und schicke eine SMS an den Meister, in der ich ihm gute Besserung wünsche und Stefanie und mich für Freitag im Volkspark ankündige. Im Park ist natürlich niemand, der arme Xiao Lu ist wohl zu krank. Soll der Gute sich mal ordentlich auskurieren! Aber immerhin kann ich im Postamt an der Dalian Lu meine Kabelfernsehrechnung begleichen, in den Minimärkten geht das nämlich nicht.
Zu Hause wird dann in die Hände gespuckt und die Bude auf Hochglanz gebracht. Das ist auch bitter nötig. Letzte Woche haben auch wir unseren Teil der Sandstürme aus Beijing abbekommen. Teilweise hat sich das Zeug in der Wohnung verteilt, teilweise mit dem Regen auf den Fenstern abgesetzt. (Tröstlicherweise wurden durch den Staub und den Regen jede Menge Schadstoffe gebunden, wie uns die Presse weismachen will. Mein Gesicht spricht da eine andere Sprache). Zum Fensterputzen habe ich mir daher extra bei Carrefour ein nützliches Tool geholt, das jetzt entpackt und zum Einsatz gebracht wird. Dass ich das ganze im 17. Stock mache, versuche ich zu ignorieren. Fensterputzen ist nicht gerade meine Paradedisziplin, aber nach kunstvollen Verrenkungen und wagemutigen Einsätzen mit Schwamm und Rakel auf einem wackeligen Hocker sieht das Ganze nicht schlecht aus. Denke einfach, das ist ein Urinstinkt der deutschen Hausfrau. Bald Ostern + Frühling = Heftig Putzen. War bestimmt schon so, seit die ersten Höhlenmenschen sich sesshaft gemacht haben. Außerdem kommt ja Mittwoch Stefanie, und die soll sich hier doch wohl fühlen. Zu diesem Zweck habe ich letzte Woche schon bei Ikea noch einige Deko- Gegenstände erworben, sieht jetzt in meiner Bude nicht ungemütlich aus. Zur Feier des Tages ziehe ich das Rollo zum Gemeinschaftsflur hoch und biete meinen staunenden Nachbarn die „Die merkwürdige Ausländerin putzt ihre Wohnung“- Show. Nach fünf Stunden blitzt und blinkt die Hütte, und als hätte sie es geahnt, geht Stefanie online und wir chatten ein wenig. Werde sie Mittwoch vom Flughafen abholen, wir machen letzte Details aus. Gott, was freue ich mich! Kann das fast noch gar nicht glauben!
Da der Tag so schön ist, fahre ich in die Stadt. Habe einen Trödelladen auf meinem Radar, muss am Jing ´An Tempel aussteigen. Lande ausgerechnet vor der Filiale von „New York Style Pizza“ und mir fällt auf, dass ich bis auf ein halbes Brot den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Egal, wer weiß, wann der Trödelladen zu macht, Pizza kann ich immer noch essen. Die Aktion entpuppt sich mal wieder als klassische „Auf dem Stadtplan sieht das ganz nahe aus“ Nummer, aber immerhin komme ich am Shanghai Exhibition Center vorbei, einem den Chinesen von ihren damaligen besten Freunden, den Sowjets geschenkten Gebäude im Stalin- Zuckerbäckerstil, dass ich bis jetzt nur von Ferne bewundern durfte.
Der Trödelladen ist auch ziemlich geil, verliebe mich gleich in einen wunderschönen Hocker, den ich mir aber verkneife. Getreu der Weisung meines Gemahls kaufe ich aber geschmackvollen Fuppes. Zwei Holzreliefs, die wohl ursprünglich mal ein Möbel oder ein Bauteil geziert haben. Haben natürlich was mit Kampfkunst zu tun: Das eine zeigt einen Typen, der auf einem Tiger reitend Keulen schwingt, das andere einen, der auf einem hundeartigen Tier sitzt und ein Schwert führt. Sehr liebevolle Details und die beiden Freunde kosten nur umgerechnet 8,- Euro, was mir sehr angemessen erscheint. Antik sind die natürlich nicht. (Ying, meine Chinesisch- Lehrerin erklärt mir später, dass die beiden Knaben Schutzgötter seien. Der mit den Keulen ist für Gewitter verantwortlich. Was läge näher.)
Bummele dann noch die Changle Lu runter, habe aber keine Lust, die Klamottenläden näher zu durchleuchten.
Zu Hause angekommen erforsche ich endlich mal den E- Mart. Durchaus eine Alternative zu Carrefour, ebenfalls riesig. Liegt zwar näher an meiner Wohnung, aber Carrefour ist halt auf dem Weg von und zu der Arbeit. Aber der E- Mart hat die klar bessere Tiefkühlabteilung, zum Beispiel gibt es hier tiefgefrorenes Nan- Brot, das auch gleich in den Einkaufskorb wandert. Und auch vegetarische Dim Sum, für die Zubereitung brauche ich allerdings noch einen Dämpf- Einsatz für meinen Wok. Bin heute allerdings zu faul und zu hungrig, danach zu suchen. Aber auf dem Weg zur Kasse fallen mir noch Schoko- Haselnusskekse in die Hände. Die Kassiererinnen in E- Mart sind pampig, na ja, was solls. Stelle fest, dass ich mich glücklich schätzen kann, was die Nahrungs- Infrastruktur angeht.
Mein Freund, der Elektromann hängt an der Pforte ab und freut sich mächtig, als er mich sieht. Hat vielleicht mit einer der Pförtnerinnen was am laufen. Ist ja auch für sein Alter ein schmucker Kerl. Daumen hoch und „OK-ah!“ gebrüllt. Die Köpfe meiner vor dem Aufzug wartenden Nachbarn schnellen herum. Häh, die komische Ausländerin und der Elektromann kennen sich? Und quatschen auch noch miteinander?
Erfreue mich an der frisch geputzten Bude, dem Vollmond und mache mir was zu essen. Haselnusskekse schmecken superlecker. Quatsche mit Ali, bald ist Stefanie da und ich habe ein paar Tage frei. Was freue ich mich!

Freitag, Februar 05, 2010

家常 - Alltag

Mittlerweile habe ich mich hier in meiner Bude ganz gut eingelebt. Ich nicke morgens im Aufzug meinen Nachbarn freundlich zu, quetsche mich mit den werktätigen Massen in die Metro, kenne im Carrefour jedes Sonderangebot und kann Taxifahrern mein Ziel ohne Zuhilfenahme von Zetteln beschreiben. Zu diesem Thema muss man mal eines sagen: In jedem Reiseführer steht, man solle immer eine chinesische Visitenkarte seines Hotels oder Zielortes mit sich führen, da die Taxifahrer kein Englisch können. Dies ist nur teilweise richtig. Man sollte zusätzlich auch alternativ einige Straßen oder Sehenswürdigkeiten in der Nähe parat haben, denn manchmal kennen die Taxifahrer gerade kleinere Straßen nicht. Und man sollte Chinesisch können, das ist kein Fehler.
China fiebert inzwischen dem neuen Jahr entgegen. Die Atmosphäre lässt sich ganz gut mit der bei uns kurz vor Weihnachten vergleichen. (Nur dass hier keine Lichterorgien in den Fenstern gefeiert werden). Man geht mit dem Büro Neujahrsessen, es gibt Gratifikationen und Gesprächsthema Nummer eins ist der anstehende Besuch bei der Familie in der Heimat und wie schwer es war, Zugtickets zu ergattern. Erstaunlich, fast alle Leute, mit denen ich beruflich zu tun habe, kommen aus irgendwelchen anderen Teilen Chinas. Wird hier in Shanghai wahrscheinlich ganz schön leer über die Feiertage. Und vor Neujahr muss natürlich noch ganz schnell irgendwas fertig gemacht werden, so dass ich zur Zeit wie verrückt arbeite. Dass wir alle eine ganze Arbeitswoche frei haben, hat natürlich auch einen Haken: Dafür dürfen wir dann den folgenden Samstag und Sonntag nacharbeiten. Also sind das im Grunde nur drei freie Tage, die wir genießen dürfen. Und wir müssen morgen und übermorgen auch schon ran, um das Expo- Team zu unterstützen. Die haben Dienstag Abgabe, was willste machen, man kann die Kollegen/ das Projekt ja nicht absaufen lassen.
Meine Arbeitserlaubnis ist da, ein rotes Heftchen mit goldenem Siegel. Und einen offiziellen chinesischen Namen habe ich jetzt auch: 沈贝亚。 Finde 贝蒂娜 zwar schicker, aber der Zug ist jetzt abgefahren. Na gut, im Zivilleben werde ich den halt weiter benutzen, steht ja auch auf meinen Visitenkarten.
Heute dann nach Pudong zur Ausländerbehörde, der letzte Schritt zur Legalisierung meines Status hier. Diese Behörde kenne ich ja schon, was hatte ich letztes Jahr bei meiner Visumsverlängerung diese wichtigtuerische deutsche Schnalle neben mir beneidet, die wegen ihrer Aufenthaltsgenehmigung dort wartete und ständig mächtig cool telefonierte! Jetzt mache ich mich selber mit einen Stapel wichtiger Dokumente auf den Weg.
Hatte fast vergessen, wie grässlich Pudong ist, hier würde ich niemals wohnen wollten! Außer vielleicht in einer Suite des Marriot Hotels im Jinmao Tower mit Blick auf den Bund.
Lange warten muss ich nicht, Papiere sind in Ordnung, Aufenthaltgenehmigung und der ganze Kram werden mir dann noch vor Neujahr per Post zugeschickt.
Zurück ins Büro gönne ich mir ein Taxi, der Fahrer hat natürlich keine Ahnung, wo die Guangfu Lu ist. Aber da wir sowieso im Stau stehen, lässt sich das unter Zuhilfenahme sämtlicher Stadtpläne, näherer Erläuterungen meinerseits und einiger Telefonate mit Kumpeln des Fahrers zügig klären.
Nach der Arbeit Einkauf im Carrefour, aus den Lautsprechern dudeln fröhliche Neujahrslieder. (Also tatsächlich ganz wie bei uns zu Weihnachten). Diesmal lasse ich mich von der ausgelassenen Stimmung anstecken und decke mich mit Deko ein. Wer weiss, wann ich wieder zum Einkaufen komme, am Ende ist nächste Woche alles ausverkauft. Meine Ausbeute: Eine „Glücksdose“ aus Plastik in Form eines Apfels in Pink und Grün. Geil! Passt zu den Vorhängen und man kann Schmuck und Geraffel drin aufbewahren. Ein kitschiger kleiner rosa Tiger- Aufhänger mit Gebamsel. (Das Zeichen auf der Stirn des Tigers bedeutet „Wang“, König. Das haben die Chinesen aus dem typischen Fellmuster von Tigern abgeleitet. Deswegen gilt hier auch der Tiger als der König der Tiere, nicht der Löwe. Der Tiger ist das ranghöchste irdische Tier, der Drache das höchste himmlische). Das Prunkstück meiner Sammlung jedoch ist ein fetter goldener Tiger mit ordentlich Geglitzer und ordentlich Gebamsel. Den hatte ich schon lange auf meinem Radar, der wird meine Küche rocken. Denn dies ist der einzige Ort, wo ich wenigstens mit Saugnapfhaken irgendwas an den Wänden befestigen kann, Nägel darf ich ja leider nicht in die Wände hauen. Auf die Glück bringenden Spruchbänder, die üblicherweise außen neben und über der Tür angekleistert werden, verzichte ich lieber. Nachher gehen die nicht mehr ab und ich darf den Flur neu streichen lassen. Aber ich kaufe alle Hongbaos mit Tigermotiven, die es gibt und noch zwei Packungen mit neutralen. „Hongbao“ (红包) bedeutet „Roter Umschlag“. Sie sind so formatiert, dass Geldscheine exakt reinpassen, üblicherweise werden an Neujahr vor allem Kinder damit beglückt. Mit prall gefüllten natürlich. Der Typ an der Kasse muss denken, ich hätte echt was gutzumachen. Und noch ein gewagtes Experiment: Durch das gechlorte Wasser und die Beföhnung aus dem Klimagerät ist meine Haut recht trocken. Körperlotion sollte es bei Carrefour ja wohl geben. Nur wo? Eigentlich sind die Abteilungen recht klar gegliedert und Zeugs fürs Gesicht finde ich auch, aber für den Rest? Schnappe mir schließlich von einem sorgfältig aufgetürmten Sonderangebotsstapel eine Packung mit zwei verschiedenen Plastikflaschen. Ich entziffere auf der einen das Zeichen für „trocken“, hoffentlich Haut. Auf beiden Flaschen steht auf englisch „Body“. Nehme das mal als gutes Zeichen, aber vielleicht habe ich gerade Einbalsamierungsflüssigkeit erworben.
Zu Hause wird das Zeug eingepflegt: Riecht zwar etwas intensiv, bringt aber den gewünschten Effekt. Und vielleicht werde ich ab jetzt konserviert.
Auf die Anbringung meines Neujahrs- Schmuckes verzichte ich zunächst, irgendwie machen meine Nachbarn auch noch keine Anstalten dazu. Vorher muss wohl auch die Bude rituell gereinigt werden, das ist sowieso dringend fällig.
SMS an den Meister: Morgen Training, falls es nicht regnet? Umgehende Antwort: OK. (Bemerkung dazu am Rande: Letzte Woche Sonntag warf ich nach dem Aufstehen einen Blick auf die Wunderwaffe. SMS von Meister Wu: „To day rain. No practise“. Tatsächlich zeigte ein Blick aus dem Fenster Regen. Allerdings war die SMS schon um halb vier nachts bei mir eingegangen. Der alte Fuchs. War wohl am Saufen und Zocken und hat auch wegen des Wetters gepokert. Und gewonnen. War mir auch recht, kurz danach Magenkrämpfe, intensiver Kontakt mit dem Klo und den Tag im Bett/ auf dem Sofa mit den verzweifelten Hausfrauen verbracht. Man sollte halt kein angegammeltes Brot fressen).
Ying Quan wird mit Videounterstützung wiederholt, morgen also Training und dann bis zum Abwinken schaffen. Wenn es regnet, gleich bis zum Abwinken schaffen. Fürchte ja, es wird die letztere Option, denn der Wetterbericht verheißt nichts gutes. Aber vorsichtshalber stopfe ich die Kohle für den Meister in einen der hübschen roten Umschläge. Selbstverständlich in den mit dem fettesten goldenen Tiger.

Sonntag, Januar 24, 2010

搬家- Umzug

24.01.2010, Sonntag

Was für ein Tag!
Zunächst tue ich heute morgen das, was schon längst fällig war: Ausschlafen!
Dann schmeiße ich mein Zeug in den Koffer, der sich natürlich nicht mehr schließen lässt. Egal, wird alles auf irgendwelche Tüten verteilt.
In der Wohnung rotiert schon die Familie Chen. Herr Ji, Frau Chens Gatte, schraubt gerade einen Ikea- Kleiderschrank zusammen, das Bett hat er schon gemeistert. Für ihn ist diese Tätigkeit sichtlich ungewohnt und im richtigen Leben ist er Medizinprofessor. Ob ich ihm besser helfen soll? Och, wird schon gehen. Die mittlerweile eingerichtete Wohnung wird mir vorgeführt: Rosa Satinvorhänge. Aha. Ist nicht gerade mein Farbschema. Die Waschmaschine ist uralt und hat kein warmes Wasser, dafür kann sie aber schleudern/ trocknen. Inakzeptabel. OK, es gibt eine neue mit warmem Wasser. Das Wohnzimmer ist mehr oder weniger mit Sperrmüll möbliert, aber es gibt einen schönen, großen Schreibtisch mit einem bequemen Stuhl. Außerdem noch einen uralten, den können die Chens gleich wieder mitnehmen. (Der alte Schreibtisch bleibt zunächst noch da, wird später abgeholt).
Mit der Linie 3, in der ich mir durch harte Bodychecks einen Sitzplatz erkämpfe, fahre ich quer durch die Stadt zu Ikea. Leute, Ikea Wallau am 1. November ist ein Dreck hiergegen! Für die Chinesen hat Ikea anscheinend auch hohen Unterhaltungswert, man fläzt sich auf den Möbeln und fotografiert sich dabei. Da ich ja nur eine gewisse Anzahl an Dingen schleppen kann, beschränke ich mich auf das Wesentliche wie Bettzeugs, Bettwäsche, Handtücher und die so genannte „Starter Box“ an Geschirr. Besteck, Teller, Wein- und Wassergläser für 6 Personen, das Ding allein bringt schon stolze 16,5 Kilo auf die Waage. Da wir ja dem Tiger- Jahr entgegensehen, gibt es lustigen Tiger- Fuppes. Kann der Versuchung nicht widerstehen, Platzdeckchen, Topflappen und –wichtig!- Schluffen in Rot mit gelben Tigerkopf zu erstehen. (Diese erweisen sich später als ungemein bequem, muss unbedingt für meine potentiellen Besucher noch welche erstehen. Denn es ist hier Usus, beim Betreten einer Wohnung sofort die Schuhe auszuziehen. Und als guter Gastgeber hat man Puschen bereitzuhalten).
Auch hier werden an der Kasse diese praktischen blauen Tragetaschen verkauft, nur sind die hier leider nur halb so groß wie bei uns. Versuche, unter der Mithilfe eines freundlichen Chinesen die Starter Box in eine der Taschen zu zwängen- Bu xing, klappt nicht. Egal, dann halt so schleppen. Schäle 3.400 RMB aus der Tasche und habe immerhin schon das Nötigste. Mit dem Taxi wird das Zeug in die Quyang Lu geschafft, wo Herr Ji mittlerweile den Kleiderschrank aufgebaut hat. Und eine nagelneue Waschmaschine steht auch schon bereit.
Die Matratze wuchten wir gemeinsam auf das Bett, Frau Chen meint, sie habe extra eine weiche gekauft und ich muss probeliegen. (Frau Schreiber wäre sicherlich anderer Meinung). „Hen schufu“, sehr bequem, befinde ich.
Weiter zu Carrefour, aber erst stärke ich mich bei MC Donald mit einer Portion Fritten und einer Cola, keine Zeit zu verlieren.
Nächstes Abenteuer, Erwerb eines Wasserkochers (zwei Frauen kreischen auf mich ein), einer Pfanne und eines Topfes. Außerdem noch Messer, Schneidebrett, Waschmittel, Korkenzieher und diverse Säuberungsutensilien. Mit Entzücken nehme ich zur Kenntnis, dass es eine eigene Abteilung für Chinesisch Neujahr gibt. Viel Kitsch, auch mit Tigern, aber das muss warten. Doch diese reizende Lampignon- Lichterkette wird das nächste Mal ganz bestimmt mein! Bin mittlerweile völlig überreizt, schaffe es aber gerade noch, in der Lebensmittelabteilung Kartoffeln (im 700 gr Gebinde), Brot, Eier, Butter und Käse an mich zu raffen. Auch eine 5 Liter Wasserflasche wandert in den Wagen, ein Entschluss, den ich noch bitter bereuen werde, denn das Plastik schneidet beim Tragen böse in die Hand. Gönne mir auch noch eine Flasche Chardonnay, jetzt habe ich ja Weingläser und einen anständigen Öffner.
Unter der Last der von mir erworbenen Waren breche ich fast zusammen und schleppe mich keuchend und schwitzend in mein neues Domizil. Die neue Waschmaschine ist angeschlossen und ich werde in den Gebrauch eingewiesen. Geil, das Ding dudelt muntere Weisen, wenn das Programm anfängt oder abgeschlossen ist. Chen (oder vielmehr Ji) Junior richtet das Netz für mich ein, erstaunlich, wie er sich durch das deutsche Menue meines Rechners hangelt.
Ich werde ermahnt, keine Nägel in die Wände zu hauen (Schade!) und beim Einsatz des Warmwasserboilers sämtliche Fenster zu öffnen. (Lebensgefahr?)
Familie Chen ist jetzt auch fix und fertig und rückt ab, ich beziehe erstmal mein Bett (Passend zu den Vorhängen in Lila, hat was von einem Puff), packe den Koffer aus und säubere das Geschirr. Der schicke Schreibtisch wird ans Fenster gerückt, der Sperrmüll an die Wand geschoben. Immerhin ist einer der Sessel auch als Schlafgelegenheit ausklappbar, also können hier auch mal Leute übernachten. Da wird morgen noch ein Ikea- Besuch fällig sein, um das Zeug mit Überwürfen ein wenig aufzuhübschen. Schade eigentlich, dass die Einrichtung so schrottig ist, das Zimmer hat durchaus Potential. Aber andererseits habe ich auch was gegen übermöblierte Wohnungen und so habe ich wenigstens ordentlich Platz zum Üben.
Die musikalische Waschmaschine wird beladen und mit dem Waschmittel von Carrefour befüllt, stinkt erbärmlich. Also nächstes Mal was anderes. Dafür riecht wenigstens das Geschirrspülmittel lecker.
Zur Wäschetrocknung hat mir Frau Chen einen wackeligen Kleiderständer zur Verfügung gestellt, auch sie meint, dass es nicht klug wäre, Zeug aus dem 17. Stock zu hängen. Sehe ich genauso, zumal es gerade anfängt, zu regnen. Schmeiße also meine nassen Klamotten über den Ständer und platziere diesen unter dem Klimagerät, das im Wohnzimmer ganz gut abföhnt. Das im Schlafzimmer kann ich nicht so leicht bändigen, aber nach hektischem Rumgedrücke auf der Fernbedienung produziert auch das einen warmen Hauch.
Bin jetzt soweit ganz zufrieden mit meinem neuen Heim, wird schon. Einzig der riesige leere Karton, in dem die Waschmaschine geliefert wurde, stört doch ein wenig. Frau Chen meint, wir sollten den mal bis zum Garantieablauf in einem Monat aufheben, falls an der Maschine was sein sollte. Na gut, wenn es sein muss. Wenigstens funktioniert das Netz, mein Koffer ist ausgeräumt und ich kann morgen anständig frühstücken- Was willste mehr! Chat mit Lilo, zum Glück funktioniert alles.
Und jetzt sitze ich mit einem Glas Wein in einem sehr bequemen Stuhl, lasse meinen Blick wohlgefällig von hoch oben über meine Nachbarschaft schweifen, während neben mir meine Wäsche trocknet. Nebenan wartet ein frisch bezogenes Bett, in das ich mich gleich kuscheln werde. Das Leben ist schön.

Mittwoch, Januar 20, 2010

办东西- Dinge erledigen

20.01.2010, Mittwoch

Vermieterin:

In Shanghai sind es frühlingshafte 18° (soll aber ab morgen wieder massiv kälter werden) und nach zähen Verhandlungen mit meiner Vermieterin hinsichtlich Preis, Ausstattung und Zahlungsmodalitäten für die Wohnung kann ich heute endlich den Vertrag unterschreiben. Besonders bei letzteren hat Matthew brilliant gezockt, denn ich muss nur eine Miete Kaution vorlegen und kann monatlich bezahlen. (Normal sind hier drei Monatsmieten im Voraus). Sonntag Mittag kann ich einziehen, da wird dann erstmal eine große Tour zu Ikea fällig, da ich mir ja den ganzen Hausstand neu zulegen muss. Stelle aus deren Online- Katalog schon mal die Dinge zusammen, die ich brauchen werde und kriege eine erste Vorstellung über die zu erwartenden Ausgaben.
Der Vertrag ist auch der anderen Partei zur Kenntnis zugegangen, da ruft Frau Chen an: Naja, also, mit der Erwähnung des Flachbildschirms im Vertrag sei ihr Gatte irgendwie nicht so einverstanden. Der meine, ein ordinärer Fernseher täte es auch. Sie selber aber habe nichts gegen Flachbildschirme, aber ob wir diese Klausel vielleicht einfach nur auf „Fernseher“ ändern könnten? Dann gäbe es da noch ein klitzekleines Problem, die Möbel würden erst Sonntag Vormittag geliefert, das Bett erst Mittwoch, ich könne also erst am nächsten Donnerstag einziehen. Und den Internetanschluss würde sie dann Sonntag beantragen.
Daraufhin wird Matthew ziemlich ungehalten. Ob er nach einer anderen Wohnung für mich suchen sollte? Nee, auf die paar Tage soll es dann auch nicht mehr ankommen, wenn ich schon vorher Zeug da reinschaffen kann. Wieder Anruf bei der Vermieterin und 20 Minuten lang erbittertes Gekreische. Matthew ereifert sich, das Hotel wäre sauteuer, ich müsse schnell da raus. Und das Internet müsse SOFORT beantragt werden, schließlich würde ich auch wegen der Zeitverschiebung zwischen Deutschland und China spät zu Hause noch arbeiten, Sonntag muss die Leitung stehen. Also gut, Einzug Sonntag Nachmittag. Für die Übergangszeit gibt es halt ein anderes Bett.
Matthew fragt mich augenzwinkernd, ob ich denn die chinesische Art des Schmeichelns beherrschte? So könne ich Frau Chen vielleicht dazu bringen, doch noch mit dem Flachbildschirm rüberzukommen. Ich mache es ihm vor, er lacht und meint, die Glotze habe ich sicher.
Fahre zur Wohnung, um mich mit Frau Chen zu treffen, mittlerweile wird die Bude gerade gesäubert. Die Fronten der Küche erstrahlen in mutig ausgewähltem quietschgrünem Lack, an der Decke des Wohn- und des Schlafzimmers hingegen sind Aufbauleuchten in eher traditionell chinesischem Design angebracht. Oha, bin mal auf die Möbel gespannt. Hoffentlich ist Frau Chen da einigermaßen geschmackssicher. Sie hat ihren Sohn als Übersetzungshilfe mitgebracht, ich leite sofort auf chinesisch das volle Schmeichelprogramm ein, strahle sie an und bedanke mich umfänglich für ihre Mühen. Ich sei ja soooo froh, schnell einziehen zu können!
Während sie und ihr Sohn aufmerksam den Mietvertrag studieren, erkunde ich mein neues Reich. Sieht so geputzt nicht schlecht aus. Erspähe einen Spielplatz, vielleicht kann man da üben. Oder im Hausflur, der ist auch groß genug. Meine neue Nachbarschaft wird noch Spaß an mir haben. Auch für die das Wäschetrocknungsproblem gibt es eine Lösung: Wird auf chinesische Art gemacht. Das heißt, an der Außenwand ist vor dem Wohnzimmerfenster ein Rohrrahmen mit ca. 2,00 m Auslegung abgespannt. An den beiden Enden des Rahmens sind fünf Ösen in regelmäßigen Abständen nebeneinander geschweisst. Die nasse Wäsche fädelt man dann auf Bambusstangen, die man durch diese Ösen auf den Rahmen auflegt. Oha, ich soll im 17. Stock meinen klatschnassen Fummel 2,50 m weit aus dem Fenster balancieren? Und an der miesen Luft hier trocknen und ungeschützt den Elementen aussetzen? Da wird mir was einfallen müssen.
Frau Chen unterschreibt den Vertrag, ohne zu murren. Das Bettproblem wird angesprochen. Ich will wissen, wie groß das sei? Nur für den Fall, dass mein Mann mich ab und an mal besuche. Frau Chen fragt, wie groß der denn sei und erbleicht, als ich ihr Alis Körpergröße nenne. Nein, nein, versichere ich schnell, 1,50 m Breite wäre völlig ausreichend. Der Herr Gemahl käme ja nur ein- bis zweimal im Jahr für ein paar Wochen, das passt schon so. Also dann, Sonntag 12:00 Schlüsselübergabe.
(Abends im Hotel angekommen muss ich feststellen, dass der tüchtige Matthew bei all dem Hickhack aus Versehen als Vertragslaufzeit doch den Donnerstag, 28.01.10 eingesetzt hat. Scheißegal, merkt hoffentlich niemand. Ich jedenfalls werde Sonntag mit meinem Geraffel auf der Matte stehen).

Bankkonto:

Nach dieser Transaktion begleitet mich Jiajia, die quirlige kleine Büroassistentin zur Bank, um die nächste Sache über die Bühne zu bringen. Sie hilft mir, ein Konto bei der Bank of China zu eröffnen. Für eine Architektin muss es natürlich diese Bank sein, wer sich im damals noch britisch besetztem Hongkong eine derartig abgefahrene Zentrale bauen lässt, muss ja was drauf haben.
Die Filiale ist sehr klein, Jiajia füllt die Formulare schön aus, ob ich auch Internet- Banking wolle? Klar will ich. Läuft auch alles ganz glatt, bis der Scherge meinen Pass etwas genauer studiert und hinsichtlich der Namen dann doch Zweifel aufkommen. Warum hinter „Bettina“ noch ein zweiter Name stünde? Und beim Familiennamen auch noch einer? Und was geb. zu bedeuten habe? Jiajia erklärt ihm, dass in Deutschland Frauen bei der Verehelichung oft den Namen ihres Gatten annähmen, der alte Name stünde dann hat noch im Pass. Der Scherge gibt sich zunächst mal damit zufrieden, dann tauchen seine Vorgesetzten auf und die ganze Debatte beginnt von neuem. Wieder minutenlanges Gekreische. Anscheinend geht das in China nicht anders. Ich wedele meine diversen deutschen Bankkarten mit meinem Vor- und Zunamen drauf vor den Nasen des Schergen und seiner Obermotze auf und ab, aber auch das beeindruckt die wenig.
Schließlich einigt man sich, dass als Kontoinhaberin zuerst mein Nach-, dann mein Vorname genannt werden. Wie man das hier in China halt so macht. Jede Menge Dokumente werden abgestempelt, unterzeichnet, gegengezeichnet und über den Tresen geschoben, die selbst gewählte Geheimnummer Dutzend Mal eingegeben. Schließlich bekomme ich ein Sparbuch mit sagenhaften 5 RMB Guthaben, darf ein Los ziehen (leider Niete) und kriege noch einen Taschenkalender sowie meine Bankkarte. Auf Kalender und Karte prangt ein niedlicher Tiger, klasse! Da soll sich die Mainzer Volksbank mal eine Scheibe von abschneiden. Außerdem erhalte ich einen merkwürdigen, etwa USB- Stick großen Gegenstand mit Befestigungsöse, auf dessen Digitalanzeige eine Zahlenfolge blinkt, die sich im Minutentakt ändert. Keine Ahnung, wozu das Ding gut ist, ein schicker Schlüsselanhänger der BoC für Neukunden vielleicht? Aber mit dem Teil zusammen wird mir auch ein Zettel mit ordentlich Stempeln gereicht, auf dem der Schalterscherge eine Ziffernfolge einkringelt und meint, das wäre fürs Internet- Banking.
Zu Hause will ich doch gleich mal sehen, wie so was hier so läuft und rufe die Webseite der BoC auf. Muss zunächst mal irgendwas runterladen, wahrscheinlich wissen die BoC und der Geheimdienst jetzt bestens über mich Bescheid.
Es wird nach dem Benutzernamen, dem PIN (beides achtstellig) und dem e- Token (sechsstellig) gefragt. Probiere zunächst mal alles mögliche aus und bin etwas ratlos. Zum Glück habe ich in meiner Jugend genug Abenteuerspiele am Rechner gezockt und daher eine hohe Frustrationstoleranz in diesen Dingen. Schließlich ahne ich große Zusammenhänge: Sollte das Blinkeding etwa der e- Token sein? Tippe also bei Benutzernamen die Nummer vom Zettel ein, Geheimnummer ist klar und schließlich dann die Nummer, die der heilige Token aktuell zeigt. Schwupps bin ich eingeloggt und muss erstmal Benutzernamen und PIN ändern, bevor ich auf meine Reichtümer zugreifen kann. Voller Erregung melde ich mich ab und mit den neuen Daten und der Nummer des magischen Token wieder an. Klappt. Wie abgefahren ist das denn! Bin ich denn so ein Landei, dass ich noch nie von so etwas gehört habe? Warum gibt es das nicht bei uns, aber in China? Ob das am chinesischen Hang zur Mystizität liegt? Bin jedenfalls schwer beeindruckt und mein Respekt vor der Bank of China steigt
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Morgen dann Medical Examination, das sollte allerdings nicht ganz so aufregend werden.

Freitag, Oktober 23, 2009

Wieder alleine

23.10.2009, Freitag

Habe eben Stefanie und Lilo in den Flughafenbus gesetzt, schon ein komisches Gefühl, denn ich hätte ja normalerweise auch auf diesem Flieger sein sollen. Die letzten zehn Tage waren ereignisreich, als der Bus mit den beiden dann auf meinem Rückweg ins SISU an mir vorbeifuhr, erwischte ich mich dabei, dass ich laut „Ach Mensch, Mädels!" sagte und mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Was hatten wir uns nicht alles ausgemalt, was wir machen wollten, jetzt musste ich arbeiten. Ist aber trotzdem genug passiert, jetzt mal hübsch der Reihe nach:
Letzte Woche Dienstag kam Stefanie hier an, der erste Abend wurde natürlich gleich mal traditionell mit einer feierlichen Maximalausnutzung der Happy Hour im Barbarossas begangen. War etwas unfit auf der Arbeit am nächsten Tag, aber egal. Da ich ja nun keine Zeit hatte, mit ihr um die Häuser zu ziehen, hat sich Stefanie dann entschlossen, auch ein etwas intensiveres Trainingsprogramm zu absolvieren. Netterweise hat Xiao Lu sie nachmittags unterrichtet. Freitags endlich hat sie mich von der Arbeit abgeholt und wir haben im Garten von Sashas einen geschmeidigen Abend verbracht und die beste Pizza Shanghais genossen. Chinesisches Essen ist ja echt lecker, aber ab und an was Westliches ist auch nicht schlecht.
Samstag wollten wir eigentlich gemeinsam üben, aber kurzfristig hatte Wujie Zeit für sie, was sie dann natürlich wahrgenommen hat. Also bin ich alleine in den Park getrabt, wo dann auch außer mir nur noch Xiao Xu zum Training erschien. Der hatte auch gleich zum Zuschauen seine Mutti und drei männliche Familienmitglieder unklarer Zuordnung mitgebracht. Geile Sache: Alle vier saßen kettenrauchend am Rand und kommentierten hämisch die unzureichende Trainingsleistung des Sprösslings, vor allem beim Formlaufen. Mutti hatte knallrote, spitz zugefeilte Zehnägel, ständig eine Kippe im Maul und war üppig mit Gold behangen, einer der Knaben benutzte die Zigarettenpausen ständig dazu, Xiao Xu von hinten in die Kniekehlen zu treten. Aber mir wurden sofort ein Getränk und ordentlich Kippen in die Hand gedrückt. Nettes Volk. Da Xiao Xus Pappi wohl ordentlich Kohle hat und den Meister gut bezahlt, legte der sich natürlich besonders ins Zeug. Alle durften mal hauen und wurden gehauen, großer Spaß bei allen Beteiligten. Das Bild, wie Meister Wu noch beim Umziehen mit einer Kippe in der einen und seinen Jeans in der anderen Hand in Unterhosen doziert, hat sich unauslöschlich in mein Gehirn eingebrannt.
Nach dem Training bin ich zur Ausländerbehörde nach Pudong gefahren, um den Pass abzuholen und kam auf dem Weg zur Metro durch eine Strasse, in der wohl mittags immer ein Markt stattfindet. Kannte die noch von früher, aber da war da weniger los. Richtig klasse, altes und ursprüngliches Shanghai. Kurioseste Marktbesucherin: Eine Dame mit hohen Hacken und feiner Kleidung, die rauchend einen Rehpinscher ausführte und die Haare in Lockenwickler gedreht hatte.
Nachmittags trafen Stefanie und ich uns im Volkspark zum traditionellen Kaffe bei Starbucks und anschließendem Essen im Vegetarian Lifestyle. Fußmassage war auch noch drin (Stefanie hat da einen nicht üblen Laden aufgetan). Derartig gestärkt konnten wir uns unserer neben dem Üben anderen Lieblingsbeschäftigung hingeben: Dem Shoppen. Auf der Suche nach einem Musikaliengeschäft stolperten wir durch eine Gasse mit Massage- und Nagelstudiobedarf, wo wir natürlich in die Falle gingen. Ein Laden hatte Nagellacke in allen Farben des Spektrums sowie alles, was man zur Verlängerung und Pflege von Klauen so braucht. Keine von uns beiden lackiert sich außer zu Fastnacht die Fingernägel, aber wir konnten einfach nicht wiederstehen. Wo findet man bei uns schon pinkfarbenen Glitzerlack mit Diamantsplittern! Sieht im Sommer auf den Fußnägeln bestimmt bombig aus. Den Musikalienladen haben wir dann auch noch gefunden und jede eine hübsche Bambusquerflöte erstanden. Der Erwerb völlig nutzloser und unvorhergesehener Dinge (Don't buy shit!) musste natürlich bei Barbarossas wieder ausgiebig gefeiert werden.
Nach der überraschend zügigen Abarbeitung unseres Shoppingprogramms haben wir uns dann Sonntag das volle Vor- und Nachmittagstrainingsprogramm gegönnt, sehr fein.
Diese Woche Dienstag kam dann auch Lilo mit leicht lädiertem Magen aus Wudang, was sie aber nicht davon abgehalten hat, bei Barbarossas ein paar Getränke zu sich zu nehmen. Wir schreiben fast Vereinsgeschichte: Erste Vorstandssitzung auf chinesischen Boden. Leider fehlt Stefan, aber auf den trinken wir einen.
Mittwoch hat Meister Wu zum Essen geladen, sollte erst bei ihm zu Hause stattfinden, wird dann aber überraschend verlegt, da wir dann doch zu viele Leute sind. Die Mädels dürfen seine neue Bude gebührend bewundern, ich hetze direkt in Richtung Hongkou (Stadtteil) und werde unterwegs instruiert, am Park zu warten.
Und das wird dann mal wieder richtig klasse: Außer uns sind noch Rose und etliche chinesische Schüler des Meisters da, insgesamt knapp 17 Personen. Als erstes wird eine Literflasche Johnnie Walker auf den Tisch geknallt, uns werden die Ehrenplätze zugewiesen. Dann wird eine Speise nach der anderen geliefert, ich glaube, alles, was das Restaurant zu bieten hat und auch der Alkohol fließt in Strömen. Das lustige Männlein ist auch da und läuft schon bald wieder zur Höchstform auf. Die vermeintliche Gemahlin des Männleins entpuppt sich als Meister Wus Exgattin, irgendwie haben die beiden sich wohl wieder zusammengerauft. Wie schön. Das Männlein singt ein Lied nach dem anderen und rennt ständig um den Tisch, um Lilo und mir Kippen zuzustecken, uns Speisen in die Essschalen vorzulegen und Bier nachzuschenken. Irgendwann werden wir dann auch aufgefordert, eine deutsche Weise zum besten zu geben und bekommen nach anfänglichen Panikattacken unter Stefanies Dirigat „Theo, spann den Wagen an" sogar als Kanon hin. Der Meister ist der Meinung, es sei jetzt zwar schon ordentlich gesoffen und gegessen worden, aber um den Abend perfekt zu machen, müsse noch mehr gesoffen und gegessen werden. Woraufhin weitere Speisen und Getränke aufgetragen werden. Das Männlein bringt einen Trinkspruch nach dem anderen und hat schon Ärmel und Hosenbeine hochgerollt, irgendwann schaffe ich es auch mal, „Women ai Zhongguo (Wir lieben China)" zu brüllen, was von der Tafelrunde beifällig quittiert wird. Die Stimmung erreicht den Siedepunkt, als die Herren ihre Tongbei- Fähigkeiten aneinander demonstrieren, wobei sich das Männlein besonders hervortut. Wir rechnen ständig damit, dass entweder die Innenausstattung, die Verglasung oder das Männlein zu Schaden kommen, aber wie durch ein Wunder passiert nichts dergleichen. Neben mir sitzt Jeremy (seinen chinesischen Namen weiß ich nicht), den ich noch von früher kenne und den ich diskret nach dem Namen des Männleins frage. Der weiß den auch nicht und brüllt in die Runde, das Männlein heißt Zhou (oder Zhu) Wan irgendwas und fragt nach einem englischen Namen für sich. Habe da was falsch verstanden (dachte, man fragt mich nach einer Übersetzung) und sage spontan „Monkey", ab jetzt nennt er sich nur noch so. Das Männlein und alle anderen sind begeistert. Hastig erkläre ich Jeremy, dass Männlein erinnere mich an Sun Wu Kong (für die Westler: Monkey King) aus der „Reise nach Westen" (chinesischer Klassiker), jetzt punkte ich auch noch mit meiner vermeintlichen Bildung. Irgendwann ist dann auch endlich mal genug gesoffen und gefressen worden, Gruppenfotos werden geschossen und das war es dann. Geiler Abend, Chinesen rocken.
Donnerstag bin ich immer noch so vollgefressen, dass ich nichts frühstücken kann und auch auf der Arbeit nicht ganz online. Schaffe es aber trotzdem, Details für eine Wandverkleidung aus gefalteten Cortenstahlblechen zu entwickeln, bin nicht unzufrieden. Abends besucht Lilo ihre Freundin Victoria und Stefanie du ich treffen uns mit Wujie und Meister Wu in der Stadt zum Essen. Wird ein lustiger Abend und eine Theoriestunde außerdem. Wujie meint, er habe mich 2007 im Chinacamp beobachtet, habe ja alles sehr hübsch ausgesehen, aber jetzt müsse ich mal mit meinen inneren Kräften arbeiten. Klar, versuche ich ja, wozu bin ich denn hier. Immerhin ist er zufrieden, dass ich das Prinzip anscheinend begriffen und das auch hinreichend auf Chinesisch darlegen kann, auch Meister Wu brummt zustimmend. Der Meister erzählt noch ein paar wüste Geschichten, unter anderem, wieso er keine Chinesinnen unterrichtet, aber das würde jetzt hier den Rahmen sprengen.
Heute erledigen die Mädels noch diverse Einkäufe, gönnen sich eine Trainingseinheit und ich fetze auf der Arbeit Details raus, dass es nur so kracht. Als sich um halb sieben der erste Kollege trollt, schließe ich mich gerührt an, hetzte nach Hause und erwische Lilo und Stefanie auf dem Weg zum Flughafenbus und das war es dann.
Seit zehn Tagen mal wieder der erste Abend, den ich zu Hause und alleine verbringe. In diesen Minuten dürfte der Flieger in Richtung Frankfurt starten, draußen blinken die Wolkenkratzer und ich bin noch hier.

Donnerstag, Oktober 01, 2009

Regentag

30.09.2009, Mittwoch

Vormittags:

Bin früh wach, draußen regnet es in Strömen. Also sinke ich wieder in die Kissen zurück, im Park wird dann jedenfalls nicht trainiert werden. Der Meister hatte mal was von „bei Regen am Fußballstadion" gesagt, der wird sich schon noch melden. Stehe dann doch auf, leiere den Rechner hoch und brühe mir einen Tee auf. Prompt geht eine SMS auf meinem Fon ein: „ To day practise?" Ich smse auf chinesisch zurück, es regne, wo trainiert würde? (Mittwochs kommen ja auch Oskar und David, deswegen gehe ich davon aus, dass irgendwas stattfindet). Der Meister schreibt zurück, er würde heute gerne seinen Meister besuchen, ob das OK wäre? Na klar, will den armen Mann ja nicht über Gebühr strapazieren. Außerdem bin ich für eine kleine Auszeit nicht undankbar. Also Freitag dann? Ja, bei Regen am Stadion. Alles klar.

(Letztes Jahr noch hätte mich das völlig verzweifeln lassen. Waaas? Regen? Kein Training? Aber ich bin doch nur vier Wochen hier!)

Das Auge sieht ganz gut, wenn auch etwas verwegen aus, kann mich also wieder unter Menschen wagen. Der Regentag schreit nach Museum und Buchläden, ich mache mich fertig und bin schon sehr früh auf dem Weg in die Stadt. Vorher tue ich an der Rezeption aber erst mal das, was wir Deutschen am besten können: Ich beschwere mich. Ich weiß ja, dass die hier Satellitenfernsehen haben, bei mir kommen aber nur vier Sender und die auch noch verschneit. Nicht, dass das chinesische Fernsehen so klasse wäre, aber Deutsche Welle oder wenigstens CCTV 9 (englischsprachiger Kanal des chinesischen Staatsfernsehens) hätte ich wegen der Nachrichten doch schon gerne. In der Stadt haben viele Geschäfte noch nicht auf, die City of Books zum Glück aber schon. Herrlich, so shoppe ich mich erst mal durch sieben Etagen mit Büchern. Da es ein ganz normaler Werktag und außerdem noch ziemlich früh ist, ist hier auch wenig los. Mittlerweile bin ich ziemlich begeistert über den Nationalfeiertag und die Aussicht, einen Tag den Kopf frei zu haben. Ich erstehe zwei DVDs mit Frühwerken des heiligen Stephen Chow, anschließend bummele ich weiter zum Foreign Languages Bookstore. Da fällt mir gleich im Erdgeschoss das neueste Buch des von mir sehr geschätzten Autors Qiu Xiaolong in die Hände, ich kenne es noch nicht. Der ist gebürtiger Shanghaier und nach denn Vorfällen in Beijing 1989 in den USA im Exil geblieben. Ich habe bis jetzt alle seine Krimis um Genosse Oberinspektor Chen, die hier in Shanghai spielen, verschlungen, allerdings auf Deutsch und in Deutschland. Dabei habe ich immer voller Wehmut an diese Stadt gedacht und beim Lesen hatte ich immer die ganzen Orte vor Augen, die in den Büchern erwähnt wurden, ebenso die typischen Bewohner Shanghais. Jetzt bin ich völlig elektrisiert bei dem Gedanken, dieses Buch nicht nur im englischen Original lesen zu können, sondern auch noch am Originalschauplatz. In der Kunstabteilung stöbere ich ein wenig in den Architekturbüchern, ich suche ein bestimmtes, werde aber nicht fündig. Ein Ausländer labert mich an, er suche chinesische Comics, könne das aber den Bediensteten nicht klarmachen. Wie sich herausstellt, ist er Deutscher und wird von mir gleich in die City of Books geschickt. Ich bummele durch den menschenleeren Volkspark zum Museum of Contemporary Art, das ich mir aus professionellem Interesse anzuschauen gedenke. Unterwegs quatschen mich zwei Mädels an und behaupten, sie seien selber Touristinnen aus Wuxi . Höfliches Geplauder, die eine kann auch ein paar Brocken Deutsch. Was ich denn vorhätte? Ob ich nicht Bock habe, mit ihnen eine kleine Teeprobe zu machen, das sei ganz toll, wir drei Mädels? Ja, klar, anschließend sitze ich mit einem Kilo völlig überteuerten Tee da und ihr sackt eine Provision ein, bin doch nicht auf den Kopf gefallen! Ich entschuldige mich, ich müsse leider in 20 Minuten meinen Freund treffen, vielleicht ein anderes Mal.

Im MOCA gibt es nur Videoinstallationen, nicht so mein Ding, aber egal, bei 20,- RMB Eintritt kann man nicht meckern. Ich versorge mich noch mit Vanillepuddingküchlein, dann fahre ich nach Hause.


Nachmittags/ Abends:


Mein Zimmer ist noch nicht gemacht und die Aufräumkolonne noch in weiter Ferne, also labe ich mich an Kaffee und Küchlein. Die Glotze zeigt beim Einschalten ein anderes Bild und nach ein wenig Rumgedrücke auf beiden Fernbedienungen und der Eingabe einer mächtig geheimen Geheimnummer (0000) steht mir die volle Vielfalt des Satellitenfernsehens zur Verfügung. Internationale Sender wie Deutsche Welle oder BBC wie im letzten Jahr gibt es zwar nicht (wohl geblockt), aber wenigstens CCTV 9. Na bitte, geht doch!

Ich stelle leichte Erkältungssymptome an mir fest, kein Wunder bei den Temperaturen und den gekühlten Transportmitteln. Aber nichts, was eine Aspirin nicht richten könnte.

Da mir der Sinn nach ein wenig Abwechselung von Haferkeksen und Nudelsuppen steht, beschließe ich, den Carrefour zu suchen, der hier in der Quyang Lu um die Ecke sein soll. Tatsächlich finde ich den auch zügig, allerdings ist die Wegeführung innerhalb des Ladens ziemlich kompliziert. So muss man erst durch die Haushaltsabteilung im ersten Stock, bevor man in die Lebensmittelabteilung gelangt. Hier erwebe ich einen brotartigen Gegenstand, Erdbeer- Yoghurtgetränk, Butter und Scheibenkäse, dessen Bezeichnung als solcher eine Beleidigung für alle Kühe ist. Außer mir irren noch zwei andere Ausländer durch den Laden, Schweden, wie sich herausstellt, auf der Suche nach Mehl. Dieser Carrefour ist eher auf die Bedürfnisse der Chinesen ausgerichtet, in dem, den ich 2006 mal besucht habe, gab es die ganze Palette westlicher Segnungen wie echtem Käse und dergleichen. Naja, besser als nichts. Den Rückweg nutze ich zu einer näheren Exploration der Gegend, auch die Fressgasse wird aufgerollt: Das Lokal mit der Hausmannskost gibt es zum Glück noch. Mittlerweile ist auch das Zimmer gemacht, ich beschwere mich freundlich bei den Zimmerfeen darüber, dass ich jetzt schon den dritten Tag hintereinander kein Wasser bekommen habe- wird flugs geliefert. Jetzt kann der Feiertag kommen, Wasser, Klopapier und Lebensmittel gebunkert, DVD, Bücher und Glotze am Start: Morgen wird erst mal ausgepennt!

Mit Xiao Lu hatte ich verabredet, dass wir uns auf jeden Fall im Park treffen. Draußen regnet es aber weiterhin in Strömen, da macht Training wohl eher wenig Sinn. Ich ziehe mir frische Klamotten an und begebe mich zur Bushalltestelle, wo ich eine geschlagene halbe Stunde auf den Bus warte. Merke: In Shanghai bei Regen besser die Metro benutzen, Taxis und Busse sind eher unzuverlässig. Mittlerweile koche ich vor Wut: Warum hat der Kerl auch kein Mobilfon? Dann hätte ich ihn wenigstens warnen können! Hoffentlich denkt der jetzt nicht, ich hätte ihn versetzt. Komme 20 Minuten zu spät und sehe Xiao Lu nicht auf dem Trainingsgelände, sein Moped allerdings steht vor dem Eingang. Wie von Furien gehetzt renne ich in den Park und da steht er unter einem Baum. Was ein Glück. Ich entschuldige mich atemlos für mein zu spät kommen und erkläre meine Zivilkleidung mit dem Mistwetter. Macht nichts. Ob ich mir den Teil von gestern denn gemerkt hätte? Ja, na ja, denke schon, war gestern aber mies drauf und das Auge und so... Heute bin ich mal mit dem Lachen über Kleidungsstücke dran: Auf Xiao Lus geringeltem Shirt steht: „New York 1976 Punk Rock." Ob er denn wisse, was Punk Rock sei? Nein, was denn? Da ich das schlecht erklären kann, spiele ich Luftgitarre, zeige den Mittelfinger, kreische und headbange ein bisschen, anschließend erkläre ich, wie Punker aussehen. Aha. Ja, das hat er schon mal gesehen. Na gut, Zentrum des Punk ist auch Beijing, Shanghai ist eher für Jazz und Indie bekannt. Ich setzte noch einen drauf und erkläre, dass ich mit 16 auch Punker war und alles andere als brav. Oh.

Nach dieser kleinen Erheiterung gibt es ein paar Vorübungen und Zack- darf ich vorturnen! Klasse, warum musste ich auch meine engste und am tiefsten geschnittene Hose anziehen. Die rutscht mir jetzt fast über den Hintern. Haargummi habe ich auch nicht dabei, sehe wahrscheinlich erbärmlich aus. Egal, wird trotzdem schön weitergelernt. Als der Regen heftiger wird, versuche ich Xiao Lu zum Teetrinken einzuladen. Nee, er hat Husten, da trinkt er keinen Tee. Erstaunlich, diese unterschiedlichen Ansätze westlicher und östlicher Medizin. Also quatschen wir unter meinem Regenschirm über alles mögliche, auch über den Feiertag morgen. Er ist schon ganz aufgeregt und freut sich darauf, die Paraden in Beijing im Fernsehen anzuschauen. Na gut, bei uns gibt es auch Leute, die Fastnachtsumzüge klasse finden, warum also nicht auch Militärparaden. Werde mir das dann auch anschauen. Außerdem deutet er an, der Meister würde uns vielleicht zum Mittherbstfest zu sich ins neue Heim einladen. Oh, welche Ehre! Bin mal gespannt.

Nach dem Busdrama am Nachmittag entscheide ich mich für die Metro und schaue im Architekturbuchladen neben der Metrostation vorbei. Dort finde ich zwar nicht das Buch, das ich suche, aber ein ziemlich gutes Buch über die städtebauliche Konzeption der Expo und eine ziemlich dicke Schwarte mit allen zeitgenössischen chinesischen Architekten. Der Preis von 360,- RMB schreckt mich eigentlich weniger ab, vielmehr die Tatsache, dass ich das Ding ja auch noch nach Hause schleppen muss. Während ich noch gedankenversunken darin blättere, macht mich die Verkäuferin höflich darauf aufmerksam, dass der Laden jetzt schlösse. Kurzentschlossen erwerbe ich die Bücher, wird schon irgendwie gehen. Habe bis jetzt noch alles irgendwie heimgekriegt.

Ich schleife meine Einkäufe ins Zimmer, föhne mir die Haare trocken und stopfe das Buch von Qiu Xiaolong in die Tasche. An der Rezeption entrichte ich die Kaution für die kommende Woche, so gibt das morgen keinen Stress. Dann tigere ich zu Pizza- Hut und kriege einen wunderschönen Tisch am Fenster zugewiesen. Eine große Gemüsepizza und ein Bier werden geordert, die Bedienmaus macht mich darauf aufmerksam, dass die Pizza 30cm oder so Durchmesser habe. Na und? Sehe ich etwa so aus, als würde ich das nicht schaffen? Als das Bier kommt, schlage ich das Buch auf und beginne zu lesen. Absolutes Glücksgefühl. Die Pizza assimiliere ich bei einem zweiten Bier, lese, schaue aus dem Fenster und erfreue mich des Anblicks der draußen vorbeilaufenden Menschen und dieser Wahnsinnsstadt. Was kann das Leben schön sein.

Während ich im Hotelzimmer mit Freunden chatte, gehen die ersten Feuerwerke los. Ich bin für morgen gewappnet, hänge das „Do not disturb" Zeichen an die Tür und freue mich aufs Ausschlafen- Mögen die Spiele beginnen!