Donnerstag, Oktober 01, 2009

Regentag

30.09.2009, Mittwoch

Vormittags:

Bin früh wach, draußen regnet es in Strömen. Also sinke ich wieder in die Kissen zurück, im Park wird dann jedenfalls nicht trainiert werden. Der Meister hatte mal was von „bei Regen am Fußballstadion" gesagt, der wird sich schon noch melden. Stehe dann doch auf, leiere den Rechner hoch und brühe mir einen Tee auf. Prompt geht eine SMS auf meinem Fon ein: „ To day practise?" Ich smse auf chinesisch zurück, es regne, wo trainiert würde? (Mittwochs kommen ja auch Oskar und David, deswegen gehe ich davon aus, dass irgendwas stattfindet). Der Meister schreibt zurück, er würde heute gerne seinen Meister besuchen, ob das OK wäre? Na klar, will den armen Mann ja nicht über Gebühr strapazieren. Außerdem bin ich für eine kleine Auszeit nicht undankbar. Also Freitag dann? Ja, bei Regen am Stadion. Alles klar.

(Letztes Jahr noch hätte mich das völlig verzweifeln lassen. Waaas? Regen? Kein Training? Aber ich bin doch nur vier Wochen hier!)

Das Auge sieht ganz gut, wenn auch etwas verwegen aus, kann mich also wieder unter Menschen wagen. Der Regentag schreit nach Museum und Buchläden, ich mache mich fertig und bin schon sehr früh auf dem Weg in die Stadt. Vorher tue ich an der Rezeption aber erst mal das, was wir Deutschen am besten können: Ich beschwere mich. Ich weiß ja, dass die hier Satellitenfernsehen haben, bei mir kommen aber nur vier Sender und die auch noch verschneit. Nicht, dass das chinesische Fernsehen so klasse wäre, aber Deutsche Welle oder wenigstens CCTV 9 (englischsprachiger Kanal des chinesischen Staatsfernsehens) hätte ich wegen der Nachrichten doch schon gerne. In der Stadt haben viele Geschäfte noch nicht auf, die City of Books zum Glück aber schon. Herrlich, so shoppe ich mich erst mal durch sieben Etagen mit Büchern. Da es ein ganz normaler Werktag und außerdem noch ziemlich früh ist, ist hier auch wenig los. Mittlerweile bin ich ziemlich begeistert über den Nationalfeiertag und die Aussicht, einen Tag den Kopf frei zu haben. Ich erstehe zwei DVDs mit Frühwerken des heiligen Stephen Chow, anschließend bummele ich weiter zum Foreign Languages Bookstore. Da fällt mir gleich im Erdgeschoss das neueste Buch des von mir sehr geschätzten Autors Qiu Xiaolong in die Hände, ich kenne es noch nicht. Der ist gebürtiger Shanghaier und nach denn Vorfällen in Beijing 1989 in den USA im Exil geblieben. Ich habe bis jetzt alle seine Krimis um Genosse Oberinspektor Chen, die hier in Shanghai spielen, verschlungen, allerdings auf Deutsch und in Deutschland. Dabei habe ich immer voller Wehmut an diese Stadt gedacht und beim Lesen hatte ich immer die ganzen Orte vor Augen, die in den Büchern erwähnt wurden, ebenso die typischen Bewohner Shanghais. Jetzt bin ich völlig elektrisiert bei dem Gedanken, dieses Buch nicht nur im englischen Original lesen zu können, sondern auch noch am Originalschauplatz. In der Kunstabteilung stöbere ich ein wenig in den Architekturbüchern, ich suche ein bestimmtes, werde aber nicht fündig. Ein Ausländer labert mich an, er suche chinesische Comics, könne das aber den Bediensteten nicht klarmachen. Wie sich herausstellt, ist er Deutscher und wird von mir gleich in die City of Books geschickt. Ich bummele durch den menschenleeren Volkspark zum Museum of Contemporary Art, das ich mir aus professionellem Interesse anzuschauen gedenke. Unterwegs quatschen mich zwei Mädels an und behaupten, sie seien selber Touristinnen aus Wuxi . Höfliches Geplauder, die eine kann auch ein paar Brocken Deutsch. Was ich denn vorhätte? Ob ich nicht Bock habe, mit ihnen eine kleine Teeprobe zu machen, das sei ganz toll, wir drei Mädels? Ja, klar, anschließend sitze ich mit einem Kilo völlig überteuerten Tee da und ihr sackt eine Provision ein, bin doch nicht auf den Kopf gefallen! Ich entschuldige mich, ich müsse leider in 20 Minuten meinen Freund treffen, vielleicht ein anderes Mal.

Im MOCA gibt es nur Videoinstallationen, nicht so mein Ding, aber egal, bei 20,- RMB Eintritt kann man nicht meckern. Ich versorge mich noch mit Vanillepuddingküchlein, dann fahre ich nach Hause.


Nachmittags/ Abends:


Mein Zimmer ist noch nicht gemacht und die Aufräumkolonne noch in weiter Ferne, also labe ich mich an Kaffee und Küchlein. Die Glotze zeigt beim Einschalten ein anderes Bild und nach ein wenig Rumgedrücke auf beiden Fernbedienungen und der Eingabe einer mächtig geheimen Geheimnummer (0000) steht mir die volle Vielfalt des Satellitenfernsehens zur Verfügung. Internationale Sender wie Deutsche Welle oder BBC wie im letzten Jahr gibt es zwar nicht (wohl geblockt), aber wenigstens CCTV 9. Na bitte, geht doch!

Ich stelle leichte Erkältungssymptome an mir fest, kein Wunder bei den Temperaturen und den gekühlten Transportmitteln. Aber nichts, was eine Aspirin nicht richten könnte.

Da mir der Sinn nach ein wenig Abwechselung von Haferkeksen und Nudelsuppen steht, beschließe ich, den Carrefour zu suchen, der hier in der Quyang Lu um die Ecke sein soll. Tatsächlich finde ich den auch zügig, allerdings ist die Wegeführung innerhalb des Ladens ziemlich kompliziert. So muss man erst durch die Haushaltsabteilung im ersten Stock, bevor man in die Lebensmittelabteilung gelangt. Hier erwebe ich einen brotartigen Gegenstand, Erdbeer- Yoghurtgetränk, Butter und Scheibenkäse, dessen Bezeichnung als solcher eine Beleidigung für alle Kühe ist. Außer mir irren noch zwei andere Ausländer durch den Laden, Schweden, wie sich herausstellt, auf der Suche nach Mehl. Dieser Carrefour ist eher auf die Bedürfnisse der Chinesen ausgerichtet, in dem, den ich 2006 mal besucht habe, gab es die ganze Palette westlicher Segnungen wie echtem Käse und dergleichen. Naja, besser als nichts. Den Rückweg nutze ich zu einer näheren Exploration der Gegend, auch die Fressgasse wird aufgerollt: Das Lokal mit der Hausmannskost gibt es zum Glück noch. Mittlerweile ist auch das Zimmer gemacht, ich beschwere mich freundlich bei den Zimmerfeen darüber, dass ich jetzt schon den dritten Tag hintereinander kein Wasser bekommen habe- wird flugs geliefert. Jetzt kann der Feiertag kommen, Wasser, Klopapier und Lebensmittel gebunkert, DVD, Bücher und Glotze am Start: Morgen wird erst mal ausgepennt!

Mit Xiao Lu hatte ich verabredet, dass wir uns auf jeden Fall im Park treffen. Draußen regnet es aber weiterhin in Strömen, da macht Training wohl eher wenig Sinn. Ich ziehe mir frische Klamotten an und begebe mich zur Bushalltestelle, wo ich eine geschlagene halbe Stunde auf den Bus warte. Merke: In Shanghai bei Regen besser die Metro benutzen, Taxis und Busse sind eher unzuverlässig. Mittlerweile koche ich vor Wut: Warum hat der Kerl auch kein Mobilfon? Dann hätte ich ihn wenigstens warnen können! Hoffentlich denkt der jetzt nicht, ich hätte ihn versetzt. Komme 20 Minuten zu spät und sehe Xiao Lu nicht auf dem Trainingsgelände, sein Moped allerdings steht vor dem Eingang. Wie von Furien gehetzt renne ich in den Park und da steht er unter einem Baum. Was ein Glück. Ich entschuldige mich atemlos für mein zu spät kommen und erkläre meine Zivilkleidung mit dem Mistwetter. Macht nichts. Ob ich mir den Teil von gestern denn gemerkt hätte? Ja, na ja, denke schon, war gestern aber mies drauf und das Auge und so... Heute bin ich mal mit dem Lachen über Kleidungsstücke dran: Auf Xiao Lus geringeltem Shirt steht: „New York 1976 Punk Rock." Ob er denn wisse, was Punk Rock sei? Nein, was denn? Da ich das schlecht erklären kann, spiele ich Luftgitarre, zeige den Mittelfinger, kreische und headbange ein bisschen, anschließend erkläre ich, wie Punker aussehen. Aha. Ja, das hat er schon mal gesehen. Na gut, Zentrum des Punk ist auch Beijing, Shanghai ist eher für Jazz und Indie bekannt. Ich setzte noch einen drauf und erkläre, dass ich mit 16 auch Punker war und alles andere als brav. Oh.

Nach dieser kleinen Erheiterung gibt es ein paar Vorübungen und Zack- darf ich vorturnen! Klasse, warum musste ich auch meine engste und am tiefsten geschnittene Hose anziehen. Die rutscht mir jetzt fast über den Hintern. Haargummi habe ich auch nicht dabei, sehe wahrscheinlich erbärmlich aus. Egal, wird trotzdem schön weitergelernt. Als der Regen heftiger wird, versuche ich Xiao Lu zum Teetrinken einzuladen. Nee, er hat Husten, da trinkt er keinen Tee. Erstaunlich, diese unterschiedlichen Ansätze westlicher und östlicher Medizin. Also quatschen wir unter meinem Regenschirm über alles mögliche, auch über den Feiertag morgen. Er ist schon ganz aufgeregt und freut sich darauf, die Paraden in Beijing im Fernsehen anzuschauen. Na gut, bei uns gibt es auch Leute, die Fastnachtsumzüge klasse finden, warum also nicht auch Militärparaden. Werde mir das dann auch anschauen. Außerdem deutet er an, der Meister würde uns vielleicht zum Mittherbstfest zu sich ins neue Heim einladen. Oh, welche Ehre! Bin mal gespannt.

Nach dem Busdrama am Nachmittag entscheide ich mich für die Metro und schaue im Architekturbuchladen neben der Metrostation vorbei. Dort finde ich zwar nicht das Buch, das ich suche, aber ein ziemlich gutes Buch über die städtebauliche Konzeption der Expo und eine ziemlich dicke Schwarte mit allen zeitgenössischen chinesischen Architekten. Der Preis von 360,- RMB schreckt mich eigentlich weniger ab, vielmehr die Tatsache, dass ich das Ding ja auch noch nach Hause schleppen muss. Während ich noch gedankenversunken darin blättere, macht mich die Verkäuferin höflich darauf aufmerksam, dass der Laden jetzt schlösse. Kurzentschlossen erwerbe ich die Bücher, wird schon irgendwie gehen. Habe bis jetzt noch alles irgendwie heimgekriegt.

Ich schleife meine Einkäufe ins Zimmer, föhne mir die Haare trocken und stopfe das Buch von Qiu Xiaolong in die Tasche. An der Rezeption entrichte ich die Kaution für die kommende Woche, so gibt das morgen keinen Stress. Dann tigere ich zu Pizza- Hut und kriege einen wunderschönen Tisch am Fenster zugewiesen. Eine große Gemüsepizza und ein Bier werden geordert, die Bedienmaus macht mich darauf aufmerksam, dass die Pizza 30cm oder so Durchmesser habe. Na und? Sehe ich etwa so aus, als würde ich das nicht schaffen? Als das Bier kommt, schlage ich das Buch auf und beginne zu lesen. Absolutes Glücksgefühl. Die Pizza assimiliere ich bei einem zweiten Bier, lese, schaue aus dem Fenster und erfreue mich des Anblicks der draußen vorbeilaufenden Menschen und dieser Wahnsinnsstadt. Was kann das Leben schön sein.

Während ich im Hotelzimmer mit Freunden chatte, gehen die ersten Feuerwerke los. Ich bin für morgen gewappnet, hänge das „Do not disturb" Zeichen an die Tür und freue mich aufs Ausschlafen- Mögen die Spiele beginnen!

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