Sonntag, Oktober 25, 2009

Mega- Scheiß- Tag

25.10.2009, Sonntag


Vormittags:

Diesiges Wetter, bin müde, trabe aber trotzdem schon früher in den Park, Xiao Lu könnte ja vielleicht da sein. Ist er natürlich nicht, also beobachte ich auf einer Bank das muntere Treiben. Der Meister scheint heute zum Üben mäßig motiviert, wahrscheinlich gestern wieder mal gesoffen. Ich frage nach der Sache mit den Fingerknöcheln: In der Spielhölle von Xiao Lus Gattin beim Majang mit dem Tisch umgekippt. Aha. Wilder Kerl.
Locke verteilt erst mal Frühstückszigaretten, wir üben Einzelbewegungen und Schrittfolgen, klappt ganz gut. Wieder viel Publikum da, mit dem der Meister ausgiebig plaudert. Ein junger Mann im Trainingsanzug wird Meister Wu vorgestellt und führt seine Shaolin- Form vor. Anscheinend ist er gekommen, um sich Anweisungen für das richtige Üben zu holen, da ist der Meister natürlich voll in seinem Element. Klar, viel zu steif und unlocker, irgendwann dreschen die beiden mit dem Unterarmen aufeinander ein, dass die Fetzen fliegen. Der junge Mann mit voller Kraft, der Meister pariert das locker. Besser als Kino, mir fällt die Kinnlade runter. Das lockt natürlich noch mehr Zuschauer an, ich zähle knapp 18 Leute. Nicht umsonst gilt Meister Wu als einer der besten Kämpfer Shanghais. Ich stehe die meiste Zeit eigentlich nur rum und rauche eine Kippe nach der anderen, die mir die Zuschauer zustecken, ist aber trotzdem interessant. Mian Zhang wird dann aber auch noch sehr intensiv korrigiert, natürlich unter den kritischen Blicken des Jünglings. Mann, das ist aber auch echt eine sehr schwere Form, die ich mir da ausgesucht habe. Ist zwar kurz und sieht nach nicht viel aus, aber die Bewegungen müssen außerordentlich präzise ausgeführt werden, sonst ist das nichts. Und das erfordert sehr viel Koordination. Na ja, jeden Tag ein kleines Stück, wird hoffentlich noch. Auf dem Weg zum Ausgang erzählt der Meister mir ganz viel zu dem jungen Mann, von dem ich aber nicht viel kapiere. Ob ich mich gut amüsiert hätte? Na, logo!
Zu Hause mache ich mir eine Nudelsuppe und lege mich erst mal aufs Ohr. Die Hektik der letzten paar Tage und die ständige Schlaflosigkeit fordern halt irgendwann mal ihren Tribut.

Nachmittags/ Abends:

Bin wieder einigermaßen fit und freue mich auf das Training mit Xiao Lu, tolles Wetter und keine lästigen Musikanten auf dem Übungsgelände. Bin wild entschlossen, heute alles zu geben und habe nach dem Vormittagstraining viele Fragen. Als erstes entschuldige ich mich natürlich für meine gestrige Zickigkeit, neinneinnein, schon OK, er hätte das Mädel nicht einladen sollen. Nicht doch! Höfliches Geplänkel, ich erkläre noch mal eindringlich, dass es mir sehr leid täte. Ob er das Mädel denn jetzt unterrichten würde? Nein, natürlich nicht, er unterrichtet doch keine Frauen. Jedenfalls keine Chinesinnen. Das soll mal einer verstehen.
Wir haben uns gerade mit Einzelbewegungen warm gemacht, da klingelt mein Mobilfon. Ali ist dran und teilt mir mit, dass meine Mutter gestern gestorben ist. Scheiße! Fange an zu zittern wie verrückt, mir fällt fast das Fon aus der Hand.
Xiao Lu sieht, dass da gerade wohl keine guten Nachrichten übermittelt werden und schaut sehr besorgt. Nach dem Telefonat lässt er mich erst mal hinsetzen, hockt sich vor mich und streichelt tröstend meine zitternden Hände. 8.600 Km von zu Hause entfernt, vollkommen hilflos und trotzdem habe ich hier einen Freund, der an meiner Seite ist. Voll unter Schock, kann noch nicht mal heulen, bin echt froh, dass ich jetzt nicht alleine bin. Er zerrt mich dann anschließend in ein Teehaus, damit ich mich beruhigen kann. Seine Mama ist auch gestorben, als er gerade in Korea war und er konnte nichts machen. Also versteht er meine Situation sehr gut. Wir trinken Tee und führen ein außerordentlich intensives Gespräch über diverse Dinge, wäre mein Chinesisch doch nur besser!
Nachdem ich mich wieder einigermaßen im Griff habe, fahre ich zum Hotel zurück. Viele Telefonate und Chats, der arme Ali trägt jetzt die Hauptlast. Könnte ich doch nur etwas machen! Lilo und Stefanie sichern mir ihre Hilfe zu, schönes Gefühl, gute Freunde zu haben. Ob das jetzt in Deutschland ist oder in China.
Muss morgen den Flug schon wieder umbuchen. Keine Ahnung, wie schnell ich nach Hause komme, alles offen. Was für ein Mist!

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