Samstag, Oktober 24, 2009

Scheiß- Tag #2

24.10.2009, Samstag

Vormittags:

Habe mich schon die ganze Woche auf Training bei Sonnenschein im Park gefreut.
Aber im Zimmer nebenan sind wieder chinesische Gäste, die die ganze Nacht lautstark gefeiert haben, weswegen ich nicht schlafen konnte. Auf dem Gang stehen zwar zweisprachige Schilder, auf denen zur Ruhe gemahnt wird, die wohl aber eher dekorative Zwecke erfüllen. Na ja, ist halt ein lustiges Volk, Chinesen das Krachmachen verbieten zu wollen ist so, als wolle man Vögeln das Singen verbieten.
Vom Sportplatz der SISU dröhnt schon um 6:30 laute Discomusik, war mal wieder nichts mit länger schlafen. Auf dem Sportplatz stehen Pavillons und lustige Ballons mit Fähnchen zappeln in der milden Brise, anscheinend irgendein Sportfest oder so. Xiao Lu hatte angekündigt, heute Vormittag im Park zu sein, aber das weiß man ja bei dem nie so genau, also dämmere ich noch eine halbe Stunde vor mich hin und mache mich gemütlich fertig.
Tatsächlich ist Xiao Lu im Park, der Meister kommt auch ziemlich früh und erzählt was von einem Unfall, den er mal wieder bei Bau- und/ oder Umräumarbeiten hatte. Auf seinen mächtigen Fingerknöcheln kleben Pflaster, die er erst mal abreißt und erneuert. Manchmal beschleicht mich der Verdacht, an den ständigen Unfällen des Meisters könnte auch seine Zuneigung zu harten alkoholischen Getränken nicht ganz unschuldig sein.
Xiao Xu kommt etwas später, diesmal ohne Entourage und Getränke und wird erst mal anständig eingekleidet. Sein Fummel ist nicht so hübsch geschnitten (der Saum ist länger als die Ärmel) und wegen seiner etwas dicklichen Figur sieht er darin aus wie ein übergroßer Pandabär und bewegt sich auch so. Das behalte ich aber lieber mal für mich. Xiao Xu wird ausgiebig in den Einzelbewegungen unterwiesen und erhält vom Meister eine Theoriestunde auf Shanghainese, während ich mit Xiao Lu das Fortgeschrittenenprogramm absolviere und coole Schrittfolgen lerne. Da der Meister gerade abgelenkt ist, frage ich ein wenig nach den wüsten Geschichten, Xiao Lu lacht und winkt ab, alles halb so wild. Na ja, einiges ist wohl schon dran, der Sache mit den Weibergeschichten und dem Training muss ich irgendwann doch noch mal auf den Grund gehen.
Xiao Lu überrascht mich mit einer unangenehmen Ankündigung für das Nachmittagstraining: Eine potentielle Schülerin wird zuschauen. Der Meister darf das nicht wissen, geheim! Waaas? Zuschauer? Ich bin nicht sonderlich begeistert. Wenn hier die üblichen Verdächtigen rumlungern oder irgendwelche Passanten zuschauen, macht mir das ja nichts aus, aber vor einer Interessentin vorgeführt zu werden, ist schon eine andere Sache. Vor allem, da ich Mian Zhang seit letzter Woche nicht mehr geübt habe, weil ich keine Gelegenheit dazu hatte. Aus meinem Unmut mache ich auch keinen Hehl und sage das Xiao Lu, ist doch nicht schlimm, meint der. Das Mädel sei doch erst zwanzig und habe keine Ahnung von Kampfkünsten, ich solle mal nicht so unlocker sein. Bin mal gespannt, ich kenne mich ja und weiß, dass ich in Situationen, die mir nicht passen, eine erstaunliche Zickigkeit an den Tag legen kann. Letztes Jahr hat er mir noch gesagt, Frauen würde er nicht unterrichten, das entspräche nicht der Tradition und jetzt kommt eine Schnalle? Das wird er mir erklären müssen.
Bei den Schrittfolgen bin ich dann auch sehr wackelig, zum Glück ist Xiao Xu ja noch schlechter als ich. Schon merkwürdig, wie sich die Stimmung auf die Trainingsleistung auswirken kann.
Zum Mittagssnack der lecker Luxusfladen, dann wird der eingesaute Fummel gewaschen und die übliche SISU- Deko (frisch gewaschene Klamotten) am Fenster angebracht. So langsam muss ich hier mal eine Wäscherei auftun, immer das Zeug im Handwaschbecken notdürftig auszuspülen bringt mittlerweile auch nicht mehr viel.
Vom Sportplatz her dröhnt „We will rock you", aber um was für eine Veranstaltung es sich handelt, ist immer noch nicht zu erkennen.

Nachmittags:

Anscheinend wird ein Fußballturnier ausgetragen, sieht mir aber nicht sonderlich ernst aus. Ich beschließe, heute Mittag die kernige Kampftussi zu geben, lege ein schwarzes T- Shirt mit einem Teddy- Roboter mit abgerissenem Kopf, aus dessen Hals ein Blutstropfen quillt, an und setze die Sonnenbrille auf. So.
In Kampfesstimmung bringe ich mich mit der richtigen Musik am Ohr und fahre schon etwas früher in den Park, damit ich cool auf dem Stein rumlungern kann, wenn Xiao Lu mit dem Mädel aufschlägt. Als ich mich dem Trainingsgelände nähere, ahne ich allerdings, dass das mal wieder kein guter Nachmittag werden wird. Wenn ich dachte, dass Saxophone schlimm klingen, wenn sie falsch bedient werden, werde ich eines Besseren belehrt: Auf dem Gelände sitzt ein Typ mit einer Zugposaune, die er ganz offensichtlich überhaupt nicht beherrscht. Vielleicht sollte ich morgen mal meine Flöte mitbringen, aber gegen Blechblasinstrumente kann ich damit sowieso nicht anstinken und außerdem spiele ich selbst eine chinesische Bambusquerflöte besser als diese Dilettanten westliches Saxophon oder Posaune.
Zum Glück kann ich diese akustische Beleidigung mittels des iPod einigermaßen ausblenden, das Mädel kommt, wird von mir ignoriert und fängt schon mal an, sich zu dehnen. Ich hasse mich für meine Zickerei.
Xiao Lu hat sich auch für eine Sonnenbrille entschieden, was er wohl witzig findet. Allerdings vergeht ihm das Lachen ziemlich schnell, als er mein Gesicht sieht. Wir machen uns warm, das Mädel wird auf den oberen Teil des Geländes geschickt und hampelt ein bisschen mit. Erscheint mir unhöflich, ich sage Xiao Lu, dass er dem Mädel doch auch was beibringen solle. Nein, heute nur zugucken. Na gut.
Ob ich mir die Schrittfolgen von heute morgen gemerkt hätte? Nö. Xiao Lu gibt Starthilfe, dann geht es, klar habe ich mir das gemerkt. Irgendwann lacht er mal, als er mir zuschaut und wird von mir angefaucht, er solle mich nicht auslachen. Oh, da ist aber jemand gar nicht gut drauf. Dann tritt natürlich der schlimmste Fall ein, Mian Zhang vorturnen und das verkacke ich erwartungsgemäß total. Das heißt, die Reihenfolge kriege ich hin, aber ich weiß genau, wo die Schwachstellen sind. Natürlich schaut das Mädel aufmerksam zu, was mir unsäglich peinlich ist.
Mit einem Teil der Form, den Xiao Lu anders ausführt, war Meister Wu nicht einverstanden, deswegen muss ich den unter den schrägen Klängen des Triumphmarsches aus der Posaune neu lernen. Das Mädel versucht, es nachzumachen und ich komme mir saublöd vor. Dann gehen wir die Form Stück für Stück mit intensiven Korrekturen durch, wobei ich mir natürlich nichts schenke. Xiao Lu befiehlt mir zwar mehrmals, eine Pause einzulegen, was von mir aber geflissentlich ignoriert wird. Werde doch hier nicht vor irgendwelchen Zuschauern abstinken. Geht dann irgendwann mal, aber ich bin mit mir mächtig unzufrieden. Zwischendurch bleiben immer mal Leute stehen und versuchen, die Bewegungen mitzumachen, ich fühle mich verarscht und werde immer unglücklicher. Xiao Lu beendet den Unterricht früher und ich versuche, ihm zu erklären, was mich so bekümmert, aber ich breche fast in Tränen aus. Nein, die Leute würden mich nicht auslachen, die fänden es cool, dass eine ausländische Schnalle chinesische Kampfkünste lernt. Glaube ich, würde mich beim Anblick von chinesischen Schuhplattlern auch prächtig amüsieren und das mächtig cool finden. Das Mädel übersetzt hilfreich und meint, die würden das bewundern. Die Arme, ist ja ganz süß und hat heute von mir so eine miese Show geboten bekommen. Vielleicht hat die ja jetzt keinen Bock mehr auf Tongbei, wäre schade, chinesische Frauen sind in diesem System deutlich unterrepräsentiert.
Auf dem Weg zum Ausgang versucht Xiao Lu mich zu trösten, ich solle nicht traurig sein, sonst wäre er auch traurig und dann wäre er böse. Will ihn nicht mit den Dingen belästigen, die mich sonst noch so peinigen und erzähle ihm dann einfach, dass ich mich ohne Stefanie und Lilo einsam fühlte und deswegen schlecht drauf sei. Bräuchte ich nicht, ich hätte doch noch einen Freund in Shanghai, nämlich ihn. Dann sagt er noch was, was mich sehr berührt: Der Meister hat mit ihm geschimpft, weil er Stefanie Dong Bao Quan nicht anständig beigebracht hat. (Er hat eine entscheidende Drehung vergessen, der Schussel). Und außerdem war der Meister teilweise mit Stefanies Haltung nicht zufrieden, warum er das nicht korrigiert habe? Hätte bei mir doch auch geklappt? Daraufhin hat Xiao Lu gesagt: „Wu Laoshi, Bettina shi women de, Stefanie shi Lanshou de." (Meister Wu, Bettina ist eine von uns, Stefanie ist eine von den Lanshou Übenden). Ganz anderes System, warum hätte er ihr das austreiben sollen? Hat Meister Wu dann wohl auch eingesehen.
Die betrachten mich als eine der ihren? Nicht als irgendeine Tussi, die hier einmal im Jahr antanzt und ein bisschen was lernt und Spaß hat? Bin jetzt erst recht voll durch den Wind.
Dass der Wechsel zwischen zwei unterschiedlichen Stilen wie Tongbei und Lanshou nicht einfach ist, hat Stefanie schon selber gemerkt. Deswegen übe ich ja auch außer zwei Yangstil Waffenformen nichts anderes, ich finde, im Yangstil kann man ganz gut an den Grundlagen arbeiten. Aber deswegen ist es ja auch so frustrierend, in Deutschland keinen anständigen Tongbei Lehrer zu haben, ja nicht einmal jemanden, der mit einem üben kann. Na ja, Stefanie hat ja jetzt hier ordentlich was gelernt, dann wird das zu Hause hoffentlich nicht mehr ganz so schlimm und frustrierend sein. Und ich kann ihr ja dann die korrekte Ausführung der Dong Bao Quan inklusive Drehung beibringen.
Noch eine kleine Anekdote am Rande: Um Stefanie eine Freude zu machen, wollte sich Xiao Lu nach ihrer letzten Trainingseinheit auf englisch verabschieden und „Please come again!" sagen. Das hat sie nicht verstanden und auch ich brauche mehrere Anläufe und die chinesische Ansage. Darüber war er wohl etwas unglücklich, da er Stefanie gerne unterrichtet hat. Aber nach einigen Korrekturen kriegt er den Satz dann auch fehlerfrei hin. Also Stefanie, jetzt weißt du, dass du bitte wiederkommen sollst. Und du bist eine sehr fleißige und sorgfältige Schülerin. Jedenfalls Xiao Lus Meinung nach.

Abends:

Irgendwie habe ich wahnsinnige Lust auf Weißwein, aber keine Lust, auszugehen. Im Carrefour entdecke ich zu meiner Freude in der Backwarenabteilung einen etwas dunkleren brotartigen Gegenstand, auf dem was von Weizenvollkorn steht. Zusammen mit einer Flasche australischen Chardonnays wandert der in den Einkaufskorb, wird mir an der Kasse aber wieder entrissen, da kein Strichcode draufklebt und er deswegen nicht abkassiert werden kann. Mist, na dann halt Crepe mit ordentlich Gewürz und Knoblauch bei meiner Lieblingsnahrungszubereiterin, die auch ganz glücklich ist, mich zu sehen.
Chatte mit Lilo, die gut angekommen ist und im trüben Deutschland den angenehmen Temperaturen Shanghais und der Warmherzigkeit der Chinesen im Allgemeinen nachtrauert. Die Bude wird aufgeräumt, während nebenan die Chinesen langsam auf Betriebstemperatur kommen.
Dazu muss man sagen, dass chinesische Reisegruppen immer grundsätzlich die Türen und Fenster ihrer Zimmer weit aufzureißen pflegen, es könnte einem ja was entgehen. Die Glotze wird dann auf Maximalbeschallung gestellt und man besucht sich gegenseitig. Dabei wird dann geraucht und gerne auch gesoffen und sich lautstark unterhalten, die Glotze muss ja übertönt werden. Oder man bestellt sich eine Fußmassage. Oder alles zusammen. Die Herren tragen dann grundsätzlich keine Oberbekleidung und rollen ihre Hosenbeine hoch. Für das ganze gibt es auch einen Begriff: 热闹, rènào. Dass mir dazu keine angemessene deutsche Übersetzung einfällt, wirft wirklich ein beschämendes Licht auf unser Land. Aber wenigstens die Mainzer dürften damit was anfangen können.
Die Weißweinflasche wird entkorkt und angemessen genossen. Während ich auf Skype auf Stefanie warte, schwätze ich mit einem netten Knaben aus München, der großes Interesse an China hat. Eine chinesische Schnalle ruft auf meinem Mobilfon an und brüllt irgendwas von einem Freund, den sie sucht. Als ich ihr erkläre, dass sie sich offensichtlich verwählt hat und auflege, schickt sie mir gleich eine erklärende SMS. Ich tippe also noch mal im Klartext, ich wisse nichts von einem Freund, sie habe sich verwählt und wer sie denn sei. Die Dame entschuldigt sich, sie sei halt sehr besorgt um den Freund, dumm gelaufen. Mei Guanxi, keine Ursache. China ist verrückt.

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