03.10.2009, Samstagabend
Erfrischt springe ich aus dem Bett, dusche und hübsche mich auf. Kann der Versuchung nicht wiederstehen, einen Minirock anzulegen, die sollen hier doch mal sehen, dass ich auch andre Klamotten am Start habe als blaue Pumphosen.
Xiao Lu kann ich vom Bus aus cool auf seinem Elektroroller rumlungern sehen, während ich ihn beobachte, setzt er auch noch eine Sonnenbrille auf. Megacool.
Die von mir gekauften Mondkuchen sind anscheinend von sehr guter Qualität, er nickt anerkennend und zeigt mit dem Daumen nach oben. Ich quetsche mich auf den Rücksitz des Rollers und ab geht es zu des Meisters neuer Behausung. Rein äußerlich kann ich keinen großen Unterschied zwischen Alt- und Neubau ausmachen, aber Meister Wus Wohnung ist eine echte Überraschung. Er hat eine eigene Küche und ein Bad mit Dusche, durch die Küche gelangt man in das innenliegende Wohn- und Esszimmer, dessen Wand ein Flachbildschirm schmückt. Daran schließt sich das Zimmer von Wu Junior an, das sehr hübsch eingerichtet ist. Vom Wohnzimmer aus führt eine Treppe in die über eine Gaupe großzügig belichtete Dachstube, wo Meister Wu haust. Sehr nett. Einen großen neuen Kühlschrank hat er auch, ebenso neue Möbel. Wir bewundern die Wohnung gebührend, ich freue mich für den Meister, das hat der gute Mann auch verdient! Außer Xiao Lu und mir sind noch ein lustiges kleines Männlein, das mir bis zur Schulter reicht und seine Ehefrau geladen, die dem Meister beim Kochen hilft. Das Männlein ist ein langjähriger Schüler des Meisters und bereitet uns sogleich einen Tee. Wir sitzen noch keine zehn Minuten auf der Holzbank, da ruft Xiao Lus Gattin an, kurze Debatte, dann entschuldigt er sich, er müsse nach Hause. Oh. Hatte mich sowieso schon gewundert, dass er diesen nach Neujahr zweitwichtigsten Familientag (etwa vergleichbar mit dem amerikanischen Thanksgiving) nicht im Kreise seiner Lieben verbringt. Später erklärt mir der Meister, Xiao Lus Schwiegermutter sei über diese Tatsache außer sich vor Zorn gewesen, weswegen er schleunigst zurückbeordert wurde. Überhaupt scheint mir diese Dame sehr leicht reizbar zu sein: Erbost darüber, dass der feine Herr Schwiegersohn nichts täte außer üben und sich nicht an der Hausarbeit beteiligte, hat sie schon mal sein Zeug durch die Wohnung geschmissen. Arme Sau, ist doch auf der ganzen Welt das gleiche.
Mir zu Ehren hat der Meister fast ausschließlich vegetarisch gekocht, wie unglaublich rücksichtsvoll. Im Hintergrund plärrt aus der Glotze eine Musiksendung und das lustige Männlein singt inbrünstig mit. Zum Essen gibt es Schnaps und Rotwein, halte mich aber vornehm zurück, schließlich will ich hier nicht vollgesoffen vom Hocker kippen und chinesischer Schnaps hat es echt in sich. Die Konversation wird fast ausschließlich in Shanghainese geführt, ich amüsiere mich aber trotzdem prächtig und erteile ein wenig Sprachunterricht. (Das Wort „Schnaps" dürfte hier jetzt bekannt sein). Die deutschen Tugenden werden gelobt, ich revanchiere mich mit Komplimenten zu China und seiner Bevölkerung und erkläre inbrünstig, dass ich dieses Land sehr schätze. Im Fernsehen läuft eine Dokumentation zur jüngeren chinesischen Geschichte, der Meister lässt seinen Arm mit einer weit ausholenden Geste über Speisen und den bescheidenen Wohlstand seiner Wohnung kreisen und meint, jetzt ginge es den Chinesen gut. Früher sei das nicht so gewesen. Das Männlein und seine Gemahlin stimmen zu, diese Leute haben auch bestimmt in der Vergangenheit einiges mitgemacht.
Nach dem Essen rennen wir zum Fenster und bewundern den wunderschönen Mond, anschießend wird sehr ausgiebig Tee getrunken, wir gucken ein Video, in dem ein Knülch aus Suzhou (schlecht) die Form ausführt und quatschen. Das Männlein darf seine Fähigkeiten demonstrieren, wird vom Meister gehauen und ich bin ganz erleichtert, dass auch langjährige Schüler offensichtlich nicht ganz perfekt sind. Der Pu'er Tee wird mit dem Klappmesser, das Lilos Freund Mirko selbst gefertigt und Meister Wu geschenkt hatte, zerteilt, die Qualität des Messers wird allgemein bewundert. Die Größe von Lilos Katzen wird wieder thematisiert, während der Meister mit seiner Tigerkatze schmust. Langsam könnte man hier einen Lilo- Fanclub aufmachen. Wir haben Spaß und der Meister und das Männlein singen den Mond lobpreisende oder patriotische Lieder. (Das heißt, eigentlich singt das Männlein, der Meister fällt brummend ein, wenn das Männlein nicht mehr ganz textsicher ist). Chinesen sind ja so was von Klasse! Ich wünschte, mein Vater könnte mich sehen, der mich als kleines Kind an diese Kultur herangeführt und mir meine ersten chinesischen Worte beigebracht hat. Na ja, wer weiß, vielleicht schaut er ja vom Mond aus zu.
Es wird später und später, langsam sollte ich mal nach Hause. Weiß aber nicht, ob das unhöflich wäre, zumal das Männlein und seine Frau keine Anstalten machen, zu gehen. Schließlich erlöst mich der Meister, in dem er mich quasi rausschmeißt, er und das Männlein geleiten mich mit Taschenlampe zur Hauptstraße und rufen ein Taxi. Der Taxifahrer wird vom Meister instruiert, fährt dann aber falsch und wird von mir angekrischen. Oh, er dachte, er solle in den Jin´an Distrikt. Nee. Er fährt mich dann zum SISU Hotel, weiteres Gekreische und dann rafft er endlich, dass ich im SISU Guesthouse wohne. So weit bin ich schon, dass ich mit Shanghaier Taxifahrern über den richtigen Weg diskutieren kann, cool. Nebenan ist Ruhe, allerdings sirrt die böse Mücke wieder penetrant an meinem Ohr, obwohl ich mir das Kissen über den Kopf ziehe. Schließlich schlafe ich dann doch noch ein.
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