07.10.2009, Mittwoch
Vormittags:
Endlich mal prima geschlafen, deswegen bin ich früh im Park, Xiao Lu leider nicht. Egal, ich beobachte ein Damenquintett bei der 24er Yang Stil Form. Alle tragen rosa Anzüge, an die sie Jasminblüten geheftet haben. Entzückend. Langsam kommt der Herbst nach Shanghai, Morgens und Abends kann es schon mal frisch werden, aber immer noch sehr angenehm.
Oskar und ich sind die einzigen Schüler, da der andere Tongbei- Typ nicht da ist, beschließt Meister Wu, diese Stunde dem „Fa Jing" zu widmen. Das müsse ich jetzt endlich mal anständig lernen. Und das heißt, dass wir natürlich ordentlich verdroschen werden beziehungsweise selber auf den Arm oder die Hand des Meisters dreschen müssen bis zum Abwinken. In der Theorie hört sich das ja alles gaaanz einfach an: Schön entspannt Faust oder Handfläche vorschnellen lassen, dabei die Hüfte drehen, kurz vor dem Auftreffen einen kurzen Impuls geben. Und natürlich muss der Geist durch das Ziel denken und beim Kontakt Energiepotential freigesetzt werden. Kommt alles von innen aus dem Körper, bloß keine Kraft benutzen. Und schön präzise immer exakt den selben Punkt treffen. Wenn man das richtig macht, knallen die Ärmel unserer Fummel. Meine flappen manchmal ein bisschen, außerdem ist das noch schwieriger, wenn man ein konkretes Ziel wie eine Hand dabei ins Auge fassen und treffen muss. Mein rechter Unterarm ist von den Schlägen bald grün und blau, der Meister findet es anscheinend ziemlich kernig, dass ich lache, wenn er mich haut. Seine chinesischen Studenten jammern da in der Regel.
Oskar wird zum Statisten degradiert, da er ja kein Chinesisch kann und die ausführlichen Erläuterungen des Meisters sowieso nicht versteht. Zum ersten Mal sehe ich auch die Schnallen von der Wu- Stil Gang wieder, die erkennen mich auch und dürfen gleich auch ein wenig hauen. Sie werden allerdings von ihrem Lehrer versetzt, deswegen schauen sie uns ein wenig bei den Schrittfolgen zu, die wir natürlich auch mit mächtig Fa Jing laufen und ziehen dann ab. Auch bei der Form alles mit Kraftfreisetzung, muss mich allerdings noch zu sehr auf die Reihenfolge konzentrieren, als dass ich hier irgendwas freisetzen könnte. Außerdem führt der Meister manche Teile völlig anders aus, als Xiao Lu mir das beigebracht hat, das verwirrt mich zusätzlich.
Beim Umziehen kommt der arme Meister kaum in seine Hosen, Akupunktur und Spritzen haben wohl wenig gebracht. Langsam mache ich mir echt Sorgen, hoffentlich hat der sich nichts angebrochen oder so. Auf dem Weg zum Ausgang frage ich ihn, ob er nicht mal zum Arzt will? Bringt nichts, Akupunktur wird es schon richten. Na dann.
Nachmittags/ Abends:
Hole mir den Luxusfladen und krache nach dessen Verzehr wie eine Tote aufs Bett. Nach einer Stunde Schlaf geht es, im Park ist auf unserem Trainingsgelände zum Glück niemand. Um unsere Ansprüche gegen etwaige lästige Eindringlinge mit Musikinstrumenten geltend zu machen, setzte ich mich auf einen Stein und schaue einem Typen mit Nunchakos zu, der gegenüber übt. Nicht mein Ding, würde mich damit wahrscheinlich selbst außer Gefecht setzen.
Xiao Lu war gestern beim Frisör und hatte heute morgen keinen Bock, da zu viele Leute im Park, aber er hat sich um meine Hosen gekümmert. Leider hatte der Schneider nur noch Stoff für ein Paar, egal. Bin sehr erfreut, die Hosen sind jetzt in der Mache.
Ich bitte ihn, mit mir die Schrittfolgen zu wiederholen und schreibe mir die Abfolge auf. Ist noch besser als Video, denn so ist man gezwungen, das für sich selbst klarzukriegen. Ich wiederhole die Schritte, bis es endlich sitzt, das mit dem Fa Jing lasse ich mal lieber.
Mir werden die letzten Bewegungen der Form beigebracht, eine Abfolge von Schlägen mit dem poetischen Namen „Fünf Blumen explodieren". Ich fürchte allerdings, bei mir explodiert da nichts, sieht wohl eher aus wie ein Kind, das schwächlich mit den Armen rudert. Die ersten drei Schläge sollten schön im Gesicht landen, die beiden letzten an der linken und der rechten Schulter. Diese Anwendung wird auch ausgiebig geübt. Ich spreche ihn auf die Unterschiede zwischen ihm und den Meister an. Er meint, entweder wäre des Meisters Ausführung bestimmter Teile nicht piaoliang oder nicht nützlich. Und jeder Schüler entwickele irgendwann mal seine eigene Interpretation einer Form. Der Meister betont halt mehr den kämpferischen Aspekt, er selber ist halt mehr der Ästhet. Ich beschließe, mich an Xiao Lus Interpretation der Form zu halten.
Wir schauen uns in meinem schlauen Buch meine Aufzeichnungen vom letzten Jahr an und wärmen liebe Erinnerungen auf. Zum Thema Fa Jing meint er, das sei doch ganz einfach, man müsse doch nur ganz entspannt usw. Ausländer würden das nicht kapieren, aber der Kampfkünste kundige Chinesen schon, deswegen würden sie ja auch in der Öffentlichkeit den Fuß vom Gas nehmen und ihre Fähigkeiten verbergen. Soso, Ausländer sind nicht in der Lage, das zu verstehen. Das wollen wir doch mal sehen.
Habe keinen Bock, noch groß auszugehen, fresse daher eine Tüte Chips und chatte ausgiebig mit Lilo in Wudang. Gleich werde ich noch mal das Architekturbuch studieren, dann früh ins Bett. Bin nach der Toberei heute hundemüde. Morgen dann volles Rohr Fa Jing.
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