Sonntag, Oktober 04, 2009

Versetzt

04.10.2009, Sonntag


Vormittags:


Strahlender Sonnenschein, ich wache trotz des späten zu Bettgehens früh auf. Die mit meinem Blut vollgesogene Mücke wird im Bad gestellt und erlegt. So, jetzt ist Ruhe im Karton. Statt früh in den Park zu fahren, surfe ich ein wenig im Netz, das so früh am Morgen die interessanten Seiten wie Spiegel- online einigermaßen schnell lädt. Mit Freude stelle ich fest, das Mainz 05 Hoffenheim 3:1 besiegt hat, prächtig.

Xiao Lu ist nicht im Park, vielleicht hatte die Schwiegermutter da auch was gegen. Während ich auf einer Bank auf Meister Wu warte, schießt Locke auf mich zu und fragt mich, ob denn der Meister heute käme? Ja? Um neun? Alles klar. Bin wieder die einzige Schülerin, wir üben schön Einzelbewegungen, Locke schaut zu und macht ein paar Bewegungen mit. Nebenan ist wieder der andere Tongbei- Typ, der vom Meister sehr kritisch beäugt wird. Ich stehe mit dem Rücken zu dem Typen und kann ihn nicht sehen, gelegentlich faucht Meister Wu jedoch und macht mich auf Unzulänglichkeiten aufmerksam, die ich kritisch beobachte. Die Schrittfolgen laufen wir sehr langsam und vier Linien hintereinander, was unglaublich anstrengend ist, da ich sehr tief stehe. Der Meister sagt, solange dieser Typ anwesend sei, sollten wir mal schön die Bewegungen ohne „Fa Jin" (Freisetzen der Kraft) ausführen, der brauche ja nicht zu wissen, was wir so drauf haben. (In meinem Fall nicht viel). Schon interessant, dieses Konkurrenzdenken. Werde in den Formen korrigiert, wir pausieren viel, da des Meisters Hüfte und sein Bein nach dem Treppensturz immer noch leicht lädiert sind. Ich sage ihm, er solle sich schonen und auf seine Gesundheit achten, da muss er lachen. Einige alte Freunde gesellen sich dazu und es gibt lustige Geschichten aus der Zeit, als Meister Wu selber noch Schüler war. Wie immer werden meine Sprachkenntnisse hinterfragt und der Meister bemerkt, unser Lehrer habe mir beim Verfassen meiner chinesischen mails doch sicher geholfen. Mist, so leicht bin ich zu durchschauen!

Habe ja schon beschrieben, wie hier bei Sonnenschein und warmem Wetter die Damen mit Schirmen ihre Haut zu schützen suchen, bei den Herren ist ein anderes Verhalten zu beobachten. Die nämlich rollen dann ihre Hosenbeine hoch beziehungsweise ihre Hemden bis unter die Achselhöhlen, so dass der nackte Bauch zu sehen ist. So auch Locke, der mit uns zum Ausgang schlendert und mit dem Meister plaudert.

An der SISU will mir der blöde Wachmann im Gegensatz zu seinem Kollegen gestern das Haupttor nicht aufmachen, ich soll außen rumlaufen. Blödmann. Dafür ist der am Seiteneingang aber total freundlich, der kennt mich ja auch schon.

Mal schauen, ob Xiao Lu heute Nachmittag kommt, werde vorsichtshalber mal Mian Zhang sorgfältig wiederholen.

Stefan hat mir eine Offline- Nachricht hinterlassen, um 19:00 Treffen vor dem Starbucks am Volksplatz. Weiß zwar nicht so genau, wo da einer ist und kenne nur den im Volkspark, aber das wird sich ja wohl klären lassen. Freue mich schon, endlich mal wieder deutsch reden und über Fußball quatschen zu können. Dann werde ich auch meine letzten Geschenke los.


Nachmittags:


Auf unserem Trainingsgelände übt, von einer Hammondorgel begleitet, ein Chor. Setzte mich daher auf eine Bank nebendran und warte auf Xiao Lu. Auf der Bank neben mir sitzen zwei alte Typen mit Saxophonen und jammen, was das Zeug hält. Ja, wir sind hier in der Jazzhauptstadt Chinas. Hatte ganz vergessen, wie laut diese Instrumente sein können. Zu den Saxophonisten gesellt sich bald ein Kumpel mit Mundharmonika, der flott aufspielt.

Nach einer halben Stunde ist immer noch kein Xiao Lu da und ich schäume vor Wut. Ist ja kein Ding, wenn er mal keine Zeit oder Lust hat, aber dann soll er mich gefälligst anrufen und Bescheid sagen. Wenn der glaubt, dass meine Wut bis morgen verraucht ist, hat er sich aber mächtig getäuscht. Bin mal gespannt, ob sich der feine Herr morgen überhaupt traut, zum Vormittagstraining aufzulaufen. Meister Wu will ich mit so einem Mist jetzt nicht auch noch über Gebühr belästigen, denn der gute Mann tut sowieso außergewöhnlich viel für mich und hat außerdem seinen Bruder aus Taiwan zu Besuch. Um den Weg nicht umsonst gemacht zu haben, zahle ich 10,- RMB Eintritt und besichtige die Tiere. Die Großkatzen gibt es noch und die Gehege sind recht groß, wenn auch nicht schön oder artgerecht eingerichtet. Der Tiger liegt schlafend in der Sonne, eine Chinesin neben mir versucht zweisprachig auf englisch und chinesisch, ihn zu ein wenig Aktivität zu ermuntern, vergebens. Fahre wieder nach Hause, da ich keine Lust habe, mich mit dem Wachschergen am Haupteingang anzulegen, laufe ich gleich zum Nebeneingang. Auf dem Weg dahin kommt mir die üppigere der beiden Fladendamen entgegen, grüßt und strahlt mich an. Wow, war bis jetzt doch erst einmal dort und schon erkennt sie mich wieder! Werde da mal wieder öfters einkehren müssen. Beim Betreten des Zimmers erspähe ich eine Mücke, die sofort mit dem Handtuch ins Nirvana geschickt wird. Ich dürfte heute Nacht ruhig schlafen können.


Abends:


Nach ein wenig Rumgegammel fahre mit meinem Lieblingsbus in die Stadt, um Stefan zu treffen. Natürlich gibt es am Volksplatz jetzt zwei Starbucks, einen auf der Volksparkseite und einen auf der gegenüberliegenden. Mist. Na ja, wozu gibt es Mobiltelefone. Da ich früh dran bin, wollte ich mich eigentlich im Li Ning Laden auf der Nanjing Lu ein wenig durchshoppen, nehme aber zügig davon Abstand. Wie es scheint, ist die gesamte Shanghaier Bevölkerung auf diesen grandiosen Gedanken gekommen, an der Hauptunterführung ist der Besucherandrang sogar derartig groß, dass der Fußgängerstrom von Verkehrspolizisten geregelt wird, die mittels Megaphon die Menge dirigieren. Ist mir dann doch zu blöd, so drehe ich um und warte vor dem Starbucks am Volkspark. Ein schmächtiger junger Knabe labert mich auf englisch an und sagt, er sei sehr interessiert an Westlern. Ah ja? Ja, und ich sähe ja so typisch aus mit meinen blonden Haaren, den blauen Augen und der großen Nase. Falsche Ansage, allein dafür hätte er ein paar aufs Maul verdient. Dann lässt er eine Kaskade von Erklärungen zu seiner persönlichen Situation in einem absolut unverständlichen Englisch auf mich niederrauschen, der ich nur entnehme, seine Eltern seien arm, er arbeitslos da erst 15 Jahre alt und in China dürfe man erst ab 18 arbeiten (Blödsinn) und am Verhungern. Ja, und? Ja, ob ich denn bitte mit ihm essen gehen würde? Er würde mich auch bestimmt nicht bescheißen. Wird mir zu blöd und ich sage ihm, ich müsse jetzt gehen, drehe mich um und haue ab. Das Würstchen verfolgt mich winselnd, bis ich ihn vor den Augen der Bullen anbrülle, er solle machen, dass er Land gewinne. Was er dann auch zügig tut.

Stefan wartet dann natürlich auch mit seiner Freundin Candy vor dem Starbucks an Raffels City, aber wir finden uns doch noch. Ich werde in ein schickes Restaurant zum Essen eingeladen, wie nett. Stefan spricht ja wirklich bemerkenswert gut deutsch und ist ein ganz feiner Kerl und ich bin so froh, dass ich nach fast eineinhalb Wochen Chinesisch endlich mal wieder in meiner Muttersprache quatschen kann. Er hat jetzt einen ziemlich guten Job bei einer deutschen Firma, der ihm auch Spaß macht. Freut mich sehr für ihn. Witzigerweise stellt sich heraus, dass er ganz in der Nähe des Heping Parks und in der Nähe des Meisters wohnt. Ach, Shanghai ist ein Dorf!

Die arme Candy spricht leider weder deutsch noch besonders gut Englisch, so dass das für sie eine eher langweilige Veranstaltung ist. Ich entschuldige mich vielmals für diesen Umstand und komme mir sehr unhöflich vor, sie sagt, das wäre nicht so schlimm. Wenn Lilo und Stefanie dann da sind, werden wir noch mal zusammen weggehen und ich verspreche, dass wir uns dann auch bemühen werden, chinesisch zu reden. Die beiden müssen morgen sehr früh zu einer Hochzeit aufbrechen und deswegen früh ins Bett, das kommt mir nicht ungelegen, da ich nach der gestrigen Nacht selber Nachholbedarf an Schlaf habe. Wir verabschieden uns herzlich und verabreden, uns dann wiederzutreffen, wenn die beiden anderen Mädels da sind.

Nachricht von Lilo aus Wudang, ist gut angekommen und hatte schon gleich einen lustigen Abend, fein. Georg hat mir auch ihren Post gemailt, noch mal ganz herzlichen Dank für diesen Service!

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