Samstag, September 29, 2012

事势第八 – Stand der Dinge #8

Stefanie:
  kommt Anfang April, ein paar Tage, nachdem ich arbeitslos bin. Oder wie man das elegant nennt: Ein Sabbatical mache. Bei den einschlägigen deutschen Fernsehsendern würde man mich vielleicht auch nur als „arbeitssuchend“ beschreiben, obwohl ich alles andere als das tue.
Wir touren drei Wochen durch Süd- China und die Provinz Yunnan. Viel erlebt, könnte darüber fast ein eigenes blog schreiben. Geile Zeit, von den Karstbergen in Guilin zu den schneebedeckten Bergwipfeln in Shangri- La. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an die Fremdenverkehrszentralen der Provinzen Guangxi und Yunnan: Schöneres Wetter und blauere Himmel hättet ihr uns auf unserer Reise nicht zur Verfügung stellen können. Werde bei Gelegenheit kräftig Werbung für euch machen und noch geilere Fotos veröffentlichen.

Lilo:
Ist dann im Mai hier, allerdings nur für ein paar Tage, die dann meistens auch noch total verregnet sind. Immerhin schaffen wir es in das Museum für Chinesische Kampfkünste, wo wir dann auch prompt viel Spaß haben. Schauen zusammen „Tatort“ und hängen ab. Finden bei mir um die Ecke eine richtig gute Suppenküche, in der wir öfters speisen. Am letzten Tag ihres Aufenthaltes lassen wir uns eine Fußmassage angedeihen. Fängt gut an, klasse Schultermassage, während unsere vom Training unansehnlichen Mauken in Ingweraufguss einweichen. Auf einmal fangen die Typen an, unsere Füße und Fußnägel mit einem Stecheisen zu bearbeiten. Kreische, wage aber nicht, mich zu bewegen. Möchte ja hier ohne größere Verluste an Gliedmaßen rauskommen. In meinem Spa wird immer Tee gereicht, während kundige Hände meine Hufe sachte bearbeiten, abhobeln und mit schickem Nagellack versehen. Lilo hatte sich ihre erste Pediküre sicher auch anders vorgestellt. Jedenfalls schließe ich das daraus, dass sie ebenfalls den Atem anhält und sich in die Polster des Sessels krallt.
Henkersmahlzeit in der Suppenküche, so was muss doch in Deutschland auch ankommen! Letzter Gang über meine palmenbestandene Compound, Gescherze mit meinen Nachbarn im Aufzug. Lilo wird ungewohnt sentimental und da geht auch mir auf, dass ich ja auch nicht mehr sooo lange hier bleiben werde. Schluck.

Training:
Endlich Zeit, endlich kann ich das tun, was ich am liebsten mache. Arbeite sehr hart an mir und freue mich, dass ich fast jeden Tag in den Park gehen kann. Treffe jede Menge interessanter Leute und stelle erneut fest, dass China echt voll von schrägen Typen ist. Intensiviere meine Freundschaft mit meinem Tongbei- Bruder Zheng Rui (Richard, der Teeknülch) durch intensive Chats und Xiao Lu taucht auch wieder auf. Immer noch nicht fit, immer noch Metall im Arm, aber trotzdem stehen wir morgens bei 30° und 80% Luftfeuchte im Park und üben zusammen. An einem Punkt sagt er: „Schau uns mal an. Wir sind Deppen (傻瓜, Sha Gua, wörtlich übersetzt: Alberne Melone). Deutscher Depp und Shanghaier Depp“. Muss lachen, ab jetzt rede ich Xiao Lu nur noch mit „Shanghai Shagua“ an und habe am nächsten Tag im Training eine Melone dabei. Bin jetzt natürlich die „Deguo Shagua“.

Meisterschülerin:
Da unser Stil sogar in China von sehr wenigen Leuten geübt wird, erwartet man von uns Ausländern, dass wir das in unseren Heimatländern lehren. Fühle mich dazu noch nicht berufen und bin mir über meine Leistung nicht sicher. Sein eigenes Niveau aufrecht zu erhalten ist ja schon schwer, aber das auch noch weitergeben? Nicht umsonst gibt es dazu etliche Chinesische Weisheiten. Treffe Birte und ihren Kumpel Jo auf ihrem Rückweg von Wudang in Shanghai, leider haben die beiden absolutes Pech mit dem Wetter, scheinen sich aber trotzdem zu amüsieren. Interessante Gespräche, die beiden sind auch Meisterschüler und doch so viel besser als ich. Auf jeden Fall bessere Lehrer. Bin in einem Dilemma.
Zheng Rui macht mir Feuer unter dem Arsch und ich vertraue ihm meinen geheimsten Wunsch an: Ich möchte als Meisterschülerin anerkannt werden. Zheng Rui zögert nicht lange und ruft den Meister an. OK, komm morgen ins Training.
Bin dann so nervös, dass ich mich kaum bewegen kann. Überraschend viele Schüler im Sonntagstraining. Anschließend gemeinsames Essen. Kriege keinen Bissen runter. Ernste Ansprache von Meister Wu, er steht nicht so auf Rituale, also kein Kotau vor dem Ahnenaltar. Aber: Ich schwöre auf moralische Integrität, die Wahrung der Tradition und noch vieles mehr. Nach intensiver Prüfung und Einweisung erklärt mich Meister Wu vor versammelter Mannschaft zu seiner Meisterschülerin. Kann kaum glauben, was ich da höre. Die erste Frau und dann noch Ausländerin in unserem System.