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Donnerstag, Juni 24, 2010

香港 – Hong Kong

18.06.2010, Freitag
Unsere Reise beginnt schon mal mit einer halben Stunde Verspätung. Prächtig. Macht aber nichts, denn Peter fliegt ja auch erst eine Stunde später mit einer anderen Gesellschaft. Guy und ich müssen also in Hong Kong dann nicht so lange warten. Von unserer Fluggesellschaft bin ich recht angetan, freundliche und hübsche Stewardessen, vernünftige Sitzabstände und das Essen mundet auch. Erster Vorgeschmack auf das Reiseziel: Das Bordpersonal spricht fließend Englisch und außer auf Hochchinesisch werden die Ansagen auch auf Kantonesisch gemacht. Kantonesisch finde ich ziemlich sexy, mag vielleicht auch mit meiner Vorliebe für den heiligen Stephen Chow zusammenhängen. Habe aber Schwierigkeiten, die Schriftzeichen zu lesen, denn hier ist alles mit Langzeichen beschriftet und die kann ich nicht. Außerdem ist es merkwürdig, von einem Land, dessen Sprache ich zumindestens ansatzweise beherrsche in ein Land überzuwechseln, dessen Sprache ich überhaupt nicht verstehe. Gut, geht einem ja öfter so, aber hier bewege ich mich innerhalb Chinas, sollte also nicht so fremd sein. Merkwürdiges Gefühl.
Peters Maschine hat dann auch Verspätung und wir stellen fest, dass es total Scheiße ist, dass unsere Mobilfone hier alle nicht funktionieren.
Bei meinem letzten Besuch hier bin ich noch auf Kai Tak gelandet, jetzt gibt es einen neuen Flughafen auf Lantau. Und der ist bombig über einen Expresszug angebunden. Bin beeindruckt, obwohl Kai Tak entschieden mehr Charme hatte.
Seit meinem letzten Besuch scheint sich nicht viel verändert zu haben. Klar, ein paar neue Wolkenkratzer und andere Baumaßnahmen, aber damals habe ich die Stadt anders wahrgenommen. Na gut, das ist jetzt auch fast 18 Jahre her.
Hong Kong vs. Shanghai #1: Noch lauter, noch schneller, noch dichter und noch schwül- wärmer als Shanghai. Stand: 0:1.
Wir beziehen unsere Herberge und mich trifft fast der Schlag, als ich die Tür zu meinem Einzelzimmer öffne. Eine Knastzelle ist bestimmt gemütlicher und komfortabler. Wenigstens gibt es eine Klimaanlage. Bin definitiv zu alt für so einen Scheiß, auch wenn ich während meiner Backpacker- Zeit schon in wesentlich schlimmeren Absteigen genächtigt habe. Aber im Laufe der Jahre wird man halt verwöhnt, nächstes Mal suche ich mir gleich ein anständiges Hotel.
Da heute unsere Nationalmannschaft endlich mal zu einer für uns günstigen Zeit spielt, müssen wir eine Kneipe suchen, die das Spiel überträgt. Angeblich kennt ein in Hong Kong lebender Kommilitone von Peter und Guy eine, allein gestaltet sich die Kommunikation ohne Mobiltelefon ziemlich schwierig. Immerhin hat Guy seinen Rechner dabei, so dass wir wenigstens per Chat einen Treffpunkt ausmachen können. Vincent, ein Franzose mit chinesisch- kambodschanischen Wurzeln ist jedoch dermaßen verpeilt, dass wir die erste Halbzeit komplett verpassen. Ich bin mittlerweile genervt und will nur noch bei einen alkoholischen Getränk unser Team spielen sehen, wir stolpern in eine Spielhölle und meine Laune steigt: Es gibt einen Automaten mit Maschinengewehren, das Ziel des Spieles scheint zu sein, möglichst viele Gegner abzuknallen. Deswegen steht auf dem Automaten auch reißerisch „Shoot like crazy!! Smash and destroy!!“. Geiles Konzept. Bräuchten wir definitiv zum Dampf ablassen im Büro. Der kleine Chinese, der sich gerade an dem Automaten austobt, schafft allerdings nur farblose 44 Kills per Minute. Das ist ganz sicher noch zu toppen.
Schließlich finden wir eine Kneipe und schauen unserem Team beim Verlieren zu. In der Beize sind fast nur Chinesen, ich weiß das Gekreische bei dem verschossenen Elfmeter nicht recht zu deuten. Sind die jetzt eher für oder gegen uns? Wahrscheinlich eher ambivalent.
Peter muss seine aus Deutschland kommende Schwester vom Flughafen abholen, derweil zerrt Vincent uns durch diverse Kneipen.
Hong Kong vs. Shanghai #2: Sauteuer! Und in den Gesprächen scheint es nur um eines zu gehen: Geld. Mann, gegen Shanghai verhält sich Hong Kong wie Mainz zu Shanghai. Fange jetzt schon an, Shanghai zu vermissen. Stand: 0:2.
Als Anne dann da ist, besorgen wir uns Getränke und suchen ein nettes Plätzchen am Ufer. Gar nicht so einfach, denn auf Hong Kong Island gibt es keine richtig gemütliche Uferpromenade. Hier ist der Baugrund wohl zu teuer, um ihn mit sinnlosen Prachtstraßen zu verschleudern. Wir finden dann doch was in der Nähe des Star Ferry Pier und unterhalten uns prächtig. Ich saufe mir meine Zelle schön und sinke in tiefen Schlummer.

19.06.2010, Samstag

Wir fahren mit der antiken Bahn auf den Peak und genießen das Panorama. Nahrhaftes Mittagessen im Burger King, wo wir über einen Sikh mit den wohl beeindruckensten Tränensäcken der Welt lästern. Außerdem über ein hässliches britisches Ehepaar, dessen dreiköpfige Brut noch rothaariger und noch hässlicher ist als ihre Erzeuger. Ich hätte diese grässlichen Blagen an der nächsten Autobahnraststätte ausgesetzt.
Hong Kong vs. Shanghai #3: Internationaler als Shanghai. Stand: 1:2.
Fahrlässigerweise beschließen wir, vom Peak in die Stadt zu laufen. Grandiose Idee mit einer gebrochenen Zehe und bei geschätzten 36° und 90% Luftfeuchte. Hatte voll vergessen, wie steil der Abstieg ist, aber man wird mit toller Natur und schönen Ausblicken beloht. Mir geht auf, dass ich dieses Programm damals auch mit Ali gefahren habe und vermisse ihn.
Die Rolltreppen vom oberen in den unteren Teil der Stadt gab es damals noch nicht und um diese Uhrzeit fahren die aufwärts. (Die Rolltreppen werden ab ca. 11.30 von abwärts zu aufwärts umgestellt). Klasse, Treppensteigen und noch mehr Klettern. Auf halber Strecke sind wir dermaßen verschwitzt und ermattet, das wir unbedingt einkehren müssen. Wir landen in einem Bio- Öko- Organischem Cafe. Der Eistee mag zwar organisch und Öko sein, die Plastik- Trinkhalme und die auf voller Dünung laufende Klimaanlage aber sind es definitiv nicht.
Hong Kong vs. Shanghai #4: : Die Temperaturdifferenz zwischen innen und außen beträgt hier grundsätzlich mindestens 20°. Nicht gut. Und Öko ist auch hier wahnsinnig angesagt. Unentschieden. Stand: 2:3.
Nach unserer kleinen Stärkung fahren wir mit der Star Ferry nach Kowloon und besuchen die „Avenue of Stars“, die dem „Walk of Fame“ in Hollywood nachempfunden ist, nur halt mit den Berühmtheiten des Hong Kong Kinos. Gab es bei meinem letzten Besuch auch noch nicht. Am Beginn dieser Promenade gleich mal wieder ganz viele Schilder mit Verboten: Nicht rauchen, nicht pinkeln, nicht fischen und so weiter. Mein Lieblingsverbot: Nicht mit Modellautos rumfahren. Überhaupt ist Hong Kong eine Stadt mit sehr vielen Ge- und Verboten, an die ständig erinnert wird. In der Metro zum Beispiel wird man ermahnt, sich auf der Rolltreppe immer am Handlauf festzuhalten und geeignetes Schuhwerk zu tragen. An neuralgischen Punkten steht auch immer ein Scherge, der die sich lemminghaft fügenden Volksmassen dirigiert. Man scheint die hiesige Bevölkerung für komplett unmündig zu halten, vielleicht ein Erbe der britischen Besatzungszeit? Oder vielleicht wurde das nach dem Abzug der Briten erst nötig? Bei uns auf dem Festland ist man der Meinung, dass Regeln grundsätzlich dazu da sind, ignoriert und gebrochen zu werden, wir brauchen keine Anleitungen, um klar zu kommen. Und wir rauchen, wo es uns passt, drängeln rücksichtslos und rotzen auf die Straße, auf der wir gerne im Pyjama flanieren.
Hong Kong vs. Shanghai #5: : Anscheinend total verpeilte Einwohner. Stand: 2:4.
Natürlich kenne ich viele der hiesigen Filmstars, lasse mich dabei fotografieren, wie ich meine Hände in die Handabdrücke von Andy Lau presse und suche unruhig nach dem Stern des Heiligen Stephen. Der befindet sich dann auch gleich neben dem Höhepunkt des Boulevards, der eher nicht beachtet und auf ihm rumgetrampelt wird. Hat mein Schutzheiliger echt nicht verdient,Bruce Lee Statue. Zwar eine recht große Ehre, aber auch eine recht schlechte Wahl, denn vor dieser Statue posieren natürlich Unmengen von Leuten, so dass der Stern aber ich dränge rüde die Poser beiseite, um den Stern angemessen fotografieren zu können. Da machen sich das halbe Jahr in Shanghai gepaart mit Kampfkunstkenntnissen deutlich bezahlt.
Da wir ja schon mal in Kowloon sind, bummeln wir in Richtung Nachtmarkt die Nathan Road entlang. Indische und pakistanische Schlepper versuchen, uns an maßgefertigten Klamotten oder Goldschmuck zu interessieren. Bei uns zu Hause auf der Nanjing Lu werden von den Schleppern entweder gefälschte Markenprodukte oder Nutten angeboten.
Hong Kong vs. Shanghai #6: Wesentlich hochklassigere Schlepper in Hong Kong. Stand: 3:4.
Der Nachtmarkt stinkt voll ab, habe selten derartig schrottige und geschmacklose Produkte gesehen. Jesus, Hitler, Mao und Che gemeinsam auf einem T- Shirt, das geht echt gar nicht. Auch der Rest der Angebote sind voll die Netzhautpeitschen, als wir mit dem Nachtmarkt durch sind, sind wir fast blind.
Hong Kong vs. Shanghai #7: Wir haben die cooleren Fakes. Stand: 3:5.
Wir haben mittlerweile Hunger und versuchen, von einer öffentlichen Telefonzelle aus ein Treffen mit Vincent dem Verpeilten auszumachen. Das wir das durch ausgerechnet Guy erledigen lassen, ist wenig klug. Wir gurken knapp eine Stunde mit der Metro hin und her und treffen Vincent den Verpeilten natürlich nicht, weil sein deutscher Gegenpart genauso dämlich ist. Dafür schauen wir uns dann von Kowloon aus die prahlerisch „Symphony of Lights“ genannte Wolkenkratzererleuchtung an. Im Klartext bedeutet dies, dass zu schlimmer sino- westlicher Musik die Hochhäuser auf Hong Kong Island grob im Takt blinken und ab und zu mal ein Laser in den Himmel schießt. Bin trotzdem beeindruckt, Hong Kong hat klar die bessere Skyline, sogar bei Tag schön anzusehen. Da stinken wir mit unserem Pudong voll ab.
Hong Kong vs. Shanghai #8: Geilere Skyline. Stand: 4:5, Hong Kong holt auf.
Vincent gabelt uns schließlich doch noch auf und wir gehen essen. Eigentlich wollten wir ja was typisch Kantonesisches, landen jedoch beim Thai. Wir begleiten Guy zwecks Fahrscheinerwerbes zum Macao- Fährenterminal, er will morgen da hin und zocken. Mittlerweile ist es schon recht spät, aber Vincent will uns noch unbedingt was Supercooles zeigen. Wir zwängen uns also in ein Taxi und landen schließlich an den Midlevel- Rolltreppen. Und zwar nicht etwa unten, sondern ganz oben. Da die Rolltreppen immer noch aufwärts fahren, bedeutet dies, dass wir die ganze Strecke wieder nach unten laufen müssen. Dabei hatten wir Vincent beim Essen in epischer Breite unser heutiges Tourismusprogramm geschildert. Anne und ich meutern, heute genug gelaufen! Wir fahren mit der Taxe in Richtung Hostel und trinken dort noch einen Absacker.

20.06.2010, Sonntag

Guy ist schon früh nach Macao aufgebrochen, Peter, Anne und ich frühstücken erstmal in Ruhe. Ich fliege heute Abend ja schon wieder und würde gerne was sehen, wo ich damals noch nicht war. Aber die beiden haben Lust auf den Buddha auf Lantau, auch gut. Wird dann halt die Damals- mit- Ali- in- Hong- Kong- Gedächtnis- Tour. Mein Gepäck kann ich schon in der Innenstadt aufgeben, sehr komfortabel. Auf dem Weg nach Lantau fällt mir mal wieder auf, wie viele Einheimische trotz unserer beschämenden Niederlage ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft tragen. Die Shanghaier sind da weniger von unserem Team überzeugt.
Hong Kong vs. Shanghai #9: Lässigere Fußballfans. Stand: 5:5.
Zu den Buddha kommt man mittlerweile mit der Metro und einer Seilbahn, Ali und ich haben damals noch eine Fähre und den öffentlichen Bus genommen. Die Seilbahn ist wirklich klasse, man hat einen phantastischen Ausblick auf den Flughafen und die startenden und landenden Flugzeuge. Wir teilen unsere Kabine mit einem älteren kantonesischen Ehepaar und einem Pärchen unklarer Beziehungsstruktur. Ein alter Knülch, dem die Hälfte seiner Zähne fehlt und ein blutjunges, billig zurechtgemachtes Ding. Der alte Lustmolch schraubt auf der Fahrt nach oben kräftig an der kleinen Schlampe rum und fotografiert sie ständig. Die beiden unterhalten sich auf Indonesisch, die Kantonesen lästern genau wie wir kräftig über dieses seltsame Gespann ab. Ich habe den Eindruck, dass sich Kantonesisch noch viel besser zum Hetzten eignet als Putong Hua.
Der Erleuchtete hüllt sich in dramatische Wolkenfetzen, was ihm etwas sehr Erhabenes und Mysteriöses verleiht. Am Fuße der Statue treffen wir den Shanghaier Büroleiter von AS & P nebst Gemahlin und Tochter, was ist die Welt doch klein! Der meint auch gleich, das vegetarische Restaurant des angrenzenden Klosters sei nicht zu empfehlen. Schade, damals war das Essen dort ziemlich lecker. Dann doch halt wieder Fastfood. Das Po Lin Kloster hatte ich auch größer und netter in Erinnerung. Man erweitert sich offensichtlich, hinter dem alten Tempel steht schon das Stahlgerüst für den Anbau, der durch die Spenden der Gläubigen finanziert wird. Damals haben fast nur die Verehrer Buddhas das Kloster aufgesucht, jetzt wird hier auf dem Berg kräftig am Tourismus verdient. An der Bergstation hat man ein kleines Dorf mit Restaurants und billigen Nippesläden errichtet. Wir rasten im Schatten und bestaunen auf einer Bank die Touristen, die sich in den albernsten Posen vor dem Tempel gegenseitig ablichten. Was können Chinesen da phantasievoll sein!
Eigentlich hatte ich ja gehofft, dem Tipp meines ebenfalls die Kampfkünste übenden Lesers Felix zu folgen und es noch in den Kowloon- Park zu schaffen. Dort treffen sich Sonntags um 14.00 die hiesigen Kampfkünstler und führen vor, ich bin zu spät dran. Nächstes Mal dann halt.
Direkt an der Talstation der Seilbahn befindet sich ein riesiges Einkaufszentrum mit Fresstempel, in dem wir18.06.2010, Freitag uns erstmal stärken. Anschließend klappern wir die Läden ab und ich erwerbe ein sehr hübsches Kapuzensweatshirt.
Da ich ja sowieso in der Nähe bin, fahre ich gar nicht erst mit Peter und Anne in die Stadt zurück sondern nehme gleich den Bus zum Flughafen. Vertriebe mir die Zeit mit Bummeln, Kaffeetrinken und Lesen, die restlichen Hong Kong Dollar werden in Kippen, Tigerbalsam und eine Wundersalbe gegen Verstauchungen investiert. Von dem Zeug kann man nie genug haben, als Kampfkünstler hat man ja ständig irgendwo blaue Flecken.
Sitze dann endlich am Gate, unser Flug hat fast zwei Stunden Verspätung. Mir gegenüber lässt sich eine Gruppe nieder, die sich auf Shanghainesisch unterhält. Obwohl ich das genau so wenig verstehe wie Kantonesisch und Shanghainesisch deutlich unsexier ist, freue ich mich: Vertraute Klänge!
Im Flieger sitzt neben mir eine Frau etwa meines Alters, wir lächeln uns an und sind uns gleich sympathisch. Der Kampf um die mittlere Armlehne wird wortlos dadurch gelöst, dass wir einfach typisch chinesisch kuscheln. Was für ein geiles Land!
Der letzte Flughafenbus ist natürlich schon weg, muss mit dem Taxi nach Hause fahren, auf dem Weg geht mir auf, wie gut ich es hier habe. Dieser Eindruck bestätigt sich, als ich nach zwei Nächten Knastzelle meine kleine Wohnung betrete und den Ausblick genieße. Na gut, meinen Gatten und meine Freunde vermisse ich natürlich. Und die Möbel könnten auch hübscher sein. Aber ich lebe in der geilsten Stadt der Welt, in Deutschland könnte ich bei einer Fußverletzung nicht jeden Tag mit der Taxe zur Arbeit fahren oder für nen Klicker und nen Knopp phantastisches Essen genießen. Und Meister vom Kaliber Wu Laoshis gibt es in Deutschland sowieso nicht.
Shanghai rockt.

Montag, Juli 17, 2006

Nachspielzeit

12.07.2006, Mittwoch

Um 11:30 werden in ganz Deutschland die Radios lauter gestellt. Klinsmann erklärt, er fühle sich ausgebrannt und habe Sehnsucht nach seiner Familie. Joachim Löw wird als sein Nachfolger benannt: Der König ist tot, es lebe der König! Das sein Assistent ihm nachfolgt, lässt mich für den deutschen Fußball hoffen.

Das Land reagiert seltsam unaufgeregt auf den Rücktritt, irgendwie haben wir ja doch alle damit gerechnet. Meiner Meinung nach ist es das beste, was Klinsmann tun konnte, denn so wird man sich seiner hier als kühnen Visionär erinnern, der Deutschland schönen Offensivfußball und vier Wochen Spaß und Freude bescherte.

Verlängerung

11.07.2006, Dienstag

Materazzi gibt zu, Zidane beleidigt zu haben, bestreitet aber rassistische Äußerungen. Sollte man ihm je letzteres nachweisen können, könnte nach neuestem FIFA- Regelement Italien der Titel wieder aberkannt werden, was uns alle natürlich tierisch freuen würde. Bis es soweit ist, gehen wir halt nicht mehr Pizza essen.

Um 22.54 läuft ein Live- Ticker über sämtliche deutsche Fernsehschirme: Klinsmann hört auf! Dass zur selben Stunde George W. Bush in Ostdeutschland landet, interessiert keinen. Der DFB kündigt für Mittwoch, 11:30 eine Pressekonferenz an.

Verlängerung

10.07.2006, Montag

Es gibt heftige Debatten, was Materazzi wohl zu Zidane gesagt haben könnte, das ihn so austicken ließ. Und die ersten lustigen Internet- Geschichten zu diesem Thema gibt es natürlich auch sofort, so z.B. dies hier: Natürlich von einem feigen Italiener programmiert.... Lippenleser wollen erkannt haben, das Zidanes Mutter und Schwestern in ehrverletzender Art und Weise verunglimpft wurden, was Zidane im Nachhinein von der internationalen Fangemeinde etliche Sympathiepunkte einbringt. Sogar HK- Megastar Andy Lau äußert sich zu diesem Thema und ergreift Partei für Zidane. (Gebe ich hier jetzt nicht wieder, ist aber saulustig. Vor allem, da Hongkong ja zu den Fußball- Weltmächten gehört.)

Gönnt (außer den Italienern) überhaupt jemand den Italienern den Titel?

Dass Klinsmann sich noch nicht zu seinem Verbleib im Amt geäußert hat, beunruhigt die Nation, noch immer flattern fröhlich Fähnchen an den Autos. In den Medien werden erste Namen möglicher Nachfolger genannt, unter anderem auch der des Mainzer Trainers Jürgen Klopp. Aber der hat ja noch mit Mainz 05 einen Vertrag bis 2008 und den soll er mal schön erfüllen!

Montag, Juli 10, 2006

25. Spieltag, Finale

09.07.2006, Samstag
Mittags präsentiert sich die Mannschaft auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor. Schon ab 8:00 strömen die Menschen dort hin, mittags sind schätzungsweise 500.0000 Menschen versammelt. Ich lasse für die Würdigung unseres Teams die letzte Folge von Star Trek: Enterprise sausen und erfreue mich an der rauschhaften Ausgelassenheit.

Abends das Finale: Ich muß schon sagen, dass der Stachel doch immer noch tief sitzt, als ich die Italiener und die Franzosen an dem Cup vorbei ins Stadion einmarschieren sehe. Schließlich hätten wir das sein können. Frankreich geht durch einen von Zidane verwandelten Foulelfmeter früh in Führung, in der 19. Minute erzielt Italien den Anschlusstreffer. In der zweiten Hälfte der Verlängerung sehen die Franzosen eindeutig besser aus, bis sich in der 110. Minute Zidane nach vorausgegangener Provokation dazu hinreißen lässt, Materazzi seinen Kopf an die Brust zu knallen und berechtigt Rot sieht. Was für ein trauriges Bild, wie dieser große Spieler am Cup vorbei, den er keines Blickes würdigt, mit gesenktem Haupt in die Kabine schleicht. Was hätte das für ein Abschied für ihn werden können, wären ihm nicht zehn Minuten vor Schluß die Nerven durchgegangen. Frankreich versiebt das Elfmeterschießen und Italien ist Weltmeister. Scheiße, jetzt kann man die nächsten vier Jahre keine Pizzeria oder Eisdiele mehr betreten, ohne von diesen Typen ständig ihren Triumph unter die Nase gerieben zu bekommen.

Der wahre Weltmeister ist für mich jedoch Deutschland, denn wir haben es geschafft, einen Monat lang mit Leuten aus allen Teilen der Welt eine riesige Party zu feiern. Die Stadien waren fast immer ausverkauft, wir haben auch Mannschaften aus Gastländern angefeuert, von denen die meisten von uns wahrscheinlich noch nicht mal wissen, wo genau die liegen. Wir haben es geschafft, die Effizienz, die man uns nachsagt, mit Lebensfreude zu paaren und unseren Gästen eine tolle Zeit zu bereiten. Eines der schönsten Bilder des Finales war für mich ein ernst dreinblickender korpulenter Typ, der ein schwarz- rot- goldenes Schild mit der Aufschrift „Danke Deutschland für die Gastfreundschaft“ hochhielt.

24. Spieltag, Spiel um Platz 3

08.07.2006, Samstag

Als die Klinsmänner Freitag abend in Stuttgart eintreffen, bricht der Verkehr komplett zusammen. Zehntausend Fans stehen vor dem Mannschaftshotel und skandieren zu der Melodie von „Yellow Submarine“ „Stuttgart ist viel schöner als Berlin“. Heute flaggen wir alle wieder ordnungsgemäß unsere Häuser und Autos und legen ein letztes Mal die Nationalfarben an. Eigentlich hatten wir fast keine Lust, uns dieses Spiel anzuschauen, hätten das aber als rückgratlos gegenüber unserer Mannschaft empfunden. Wir sehen ein schönes Freundschaftsspiel, unser Team wird angefeuert als stünde es im Finale und bis auf Timo Hildebrand (Torhüter) darf jeder Ersatzspieler auch auf das Feld. Oliver Kahn macht seine Sache hervorragend, Sebastian Schweinsteiger schießt in der zweiten Halbzeit zwei Tore und liefert die Vorlage für ein Eigentor der Portugiesen. Luis Figo, der für Portugal das letzte Länderspiel seiner Karriere bestreitet, wird kurz vor Schluß eingewechselt und legt für das Ehrentor der Portugiesen vor. Schlusspfiff, wir sind das drittbeste Team der Welt. Rührende Bilder, Oliver Kahn gibt seinen Rücktritt vom internationalen Fußball bekannt und läuft Arm in Arm mit Figo über den Platz. Bei der Siegerehrung küsst Angela Merkel Herrn Klinsmann auf beide Backen und schaut ihn von unten wie ein kleines Mädchen an, Feuerwerk und das Publikum tobt. Auf den Straßen feiern die Menschen. Für uns ist Deutschland Weltmeister der Herzen, die anderen heben den Cup nur vier Jahre für uns auf. Außerdem ist nach der WM vor der EM, da werden wir schon noch unsere Chance bekommen.

Freitag, Juli 07, 2006

Spielfrei

07.07.2006, Freitag

Glaubt man den Medien, stehen die Chancen für eine Vertragsverlängerung von Jürgen Klinsmann eher schlecht, mögliche Kandidaten werden genannt. Ich sehe den deutschen Fußball wieder in die Steinzeit zurückfallen und bin deprimiert. Auch Tim Borowski und Michael Ballack werden am Samstag verletzungsbedingt nicht spielen können, wir werden also mit einer B- Mannschaft auflaufen. Dafür aber wird Oliver Kahn im Tor stehen, ich finde, das ist eine wirklich nette Geste, denn er hat sich sehr fair verhalten und viel für die Mannschaft getan. Sonntag gibt es dann in Berlin auf der Fanmeile eine Party mit der Mannschaft, ich hoffe, das wird Herrn Klinsmann davon überzeugen, sein Amt weiter wahrzunehmen.

Spielfrei

06.07.2006, Donnerstag

Nach dem geplatzten Titeltraum macht sich im Lande eine „Jetzt- erst- recht“ Mentalität breit. Weiterhin sind die Autos und Häuser trotzig mit Fahnen geschmückt, weiterhin laufen Menschen mit Fanshirts oder schwarz- rot- goldener Kriegsbemalung herum. Was uns heute alle am meisten bewegt, ist die Frage, ob Jürgen Klinsmann als Bundestrainer weitermachen wird. Auch wenn wir Samstag nur um Platz drei spielen, wird vielen Deutschen erstmal klar, was wir ihm zu verdanken haben: Drei Wochen fröhliche Party und eine Mannschaft, auf die man endlich wieder stolz seien kann, ein neues Nationalbewusstsein und die Chance, das Bild der ernsten und steifen Deutschen im Ausland gründlich zu revidieren. Sogar meine von Fußball eher mäßig begeisterte Freundin Stefanie hat sich fingernagelkauend die Finalbegegnungen unseres Teams angeschaut und ist bei jedem Tor in Jubelgeschrei ausgebrochen. Der Server der Seite http://www.klinsmann-muss-bleiben.de/ bricht unter dem Ansturm der Fans zusammen, der Bundespräsident und die Kanzlerin gratulieren Herrn Klinsmann zu der bisherigen Leistung und drücken den Wunsch aus, dass er im Amt bleiben möge. Nach den anstrengenden Spielen des Viertel- und Halbfinales sind einige unserer Spieler verletzt und werden für das Spiel am Samstag wohl ausfallen.

23. Spieltag

05.07.2006, Mittwoch

Katerstimmung in Deutschland und auch ich bin nach dem verpassten Finaleinzug unserer Mannschaft deprimierter, als ich gedacht habe. Ich habe keine Lust, mir das Spiel Frankreich gegen Portugal anzuschauen, das schließlich 1:0 für die Franzosen endet. Bravo, Frankreich, hoffentlich schlagt ihr Sonntag die Italiener!

Dienstag, Juli 04, 2006

22. Spieltag

04.07.2006, Dienstag

Man lästert über die italienische Mannschaft und deren Trainingsmethoden. Der FIFA- Präsident gesteht Fehler beim Verfahren gegen Frings ein, aber das kommt ja jetzt wohl ein bisschen spät. Jürgen Klinsmann ist trotz der Sperre optimistisch und auch ich hoffe auf eine Trotzreaktion des deutschen Teams. Die Italiener trösten sich mit Statistiken: Noch nie hat eine deutsche Nationalmannschaft die „Azzuros“ in einem WM- Spiel geschlagen. Nun ja, wir werden sehen.

Das Spiel:

90 Minuten lang stehen sich zwei gleichwertige Mannschaften gegenüber, für mich eines der schönsten Spiele des Turniers. Nach einer bis dahin torlosen Begegnung sieht in der ersten Hälfte der Verlängerung unser Team auch noch ganz gut aus. In der zweiten Hälfte sind die Italiener einfach einen Tick raffinierter, als man sich schon auf das Elfmeterschießen einstellt, fällt in der 119. Spielminute das erste Tor, zwei Minuten später das nächste für Italien- Aus der Traum! Ich ziehe trotzdem meinen Hut vor der Leistung unserer Mannschaft und ihres Trainers und nach dem anfänglichen Schock wird auch auf den Straßen schon wieder gesungen. Na, dann werden wir halt im Spiel um Platz 3 siegen.

Spielfrei


03.07.2006, Montag

Ich freue mich immer noch über das Ausscheiden dieser selbstgefälligen brasilianischen Startruppe, bin mal gespannt, ob deren Staatspräsident jetzt immer noch gemeinsam mit unserer Kanzlerin das Finale anschauen will. Da wird ihm sicher besseres geboten werden als bei den Spielen seiner Mannschaft.

Deutschland zittert der FIFA- Entscheidung über Frings entgegen, die um 17:00 bekannt gegeben werden soll. Jürgen Klinsmann jedenfalls ist zuversichtlich, dass alles gut gehen wird.

17:00, Entsetzten! Torsten Frings für das Halbfinale gesperrt! Scheiß- Italiener! Ich erwäge, umgehend sämtliche Tiefkühlpizzas, Mozarellas, Nudeln und alle anderen italienischen Produkte aus der Wohnung zu entfernen und feierlich auf der Augustinerstraße vor Pizza- Pepe zusammen mit der italienischen Nationalflagge zu verbrennen. Der italienische Fußballverband weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Untersuchung nicht auf sein Bestreben hin angestrengt wurde und auch deren Nationalteam hält sich sehr bedeckt. Diese Mafiosi stecken doch sowieso alle unter einer Decke! Statt Frings wird Tim Borowski spielen, was mich dem Spiel morgen mit einem gewissen Optimismus entgegen sehen lässt. Das wird sicherlich außerordentlich spannend, denn wir wollen die schmachvolle 4:1 Niederlage gegen Italien des Testspieles im März nicht auf uns sitzen lassen, außerdem hoffe ich, dass unsere Jungs nach der Sperre von Frings in den „Jetzt- erst- recht“ Modus umschalten. Die Italiener wiederum sind nach den Ligaskandalen ebenfalls hoch motiviert. Ich hoffe einfach nur darauf, dass wir ins Finale kommen.

21. Spieltag

01.07.2006, Samstag

Die gesamte Nation rätselt immer noch über den Jens Lehmann von Andy Köpcke zugesteckten Zettel, den er vor jedem Strafstoß aus dem Stutzen zog und konsultierte. Comedy- Sendungen behaupten, darauf hätte es gehießen: “Lass zwei durch, alles andere wäre unhöflich“. Der Wahrheit näher kommt aber die Mutmaßung, dass da die bevorzugten Ecken der argentinischen Elfmeterschützen draufstanden, was mich die Effizienz des deutschen Trainerstabes bewundern lässt. Außerdem teilt die FIFA mit, dass wegen des gestrigen von den enttäuschten Argentiniern angezettelten Gerangels nach dem Spiel gegen die deutschen Spieler nicht ermittelt werde. Ich lasse also beruhigt das Spiel England gegen Portugal laufen und versuche, meinen Schönheitsschlaf zu machen. Als ich gerade einnicke, tritt Wayne Rooney einem Portugiesen in die Eier, während der Unparteiische gerade mal einen Meter entfernt steht und sieht völlig berechtigt rot. So aufgeschreckt schaue ich mir das Spiel weiter an, das schließlich auch auf ein Elfmeterschießen hinausläuft. Die Engländer versagen erwartungsgemäß, was mich mit einer gewissen Häme erfüllt, denn schon am nach unserem Sieg hatte die Times verzweifelt gefragt: "Was ist bloß das Geheimnis der Deutschen beim Elfmeterschießen? Vermutlich wissen sie es selbst nicht." Dabei hatten die Engländer doch angeblich das Elfmeterschießen bis zum Erbrechen trainiert. Mick Jagger auf der VIP- Tribüne sieht noch älter aus, als er eigentlich ist, die Beckhams brechen zusammen, heulende Engländer, jubelnde Portugiesen und in der Stadt das übliche Programm. (Autokorso) Jedenfalls werden wir jetzt keine fettbäuchigen englischen Gäste mehr hier haben, die sich bei jeder Gelegenheit das Hemd vom rot- weiß beschmierten Körper reißen, rumgrölen und uns das Bier wegsaufen.

Spätnachmittags der Schock: Ein italienischer Fernsehsender will Beweise dafür haben, dass Torsten Frings bei der Rangelei mit den Argentiniern fröhlich mitgemischt und angeblich Julio Cruz in die Fresse gehauen hat, was aber sowohl Cruz als auch Frings verneinen. Das sieht den feigen Italienern natürlich ähnlich: Die haben derartig viel Angst vor uns, dass sie mit solchen Mitteln versuchen, einen unserer besten Männer auszuschalten. (Nicht umsonst heißt es, dass das Buch „Italienische Heldentaten“ neben „Englische Schönheiten“ eines der dünnsten der Welt sei.) Die FIFA leitet eine Untersuchung ein, eventuell wird Frings für die nächsten beiden Spiele gesperrt. In Frankfurt begegnen sich Frankreich und Brasilien, deswegen die Verkehrshinweise auf französisch und portugiesisch. Die erste Halbzeit des Spieles Frankreich gegen Brasilien schenken wir uns und grillen lieber in dieser lauen Sommernacht auf dem Balkon, werden dann aber doch neugierig. Wir sehen einen lustlosen Haufen von Multimillionären in grässlichen gelben Trikots, der gegen eine munter aufspielende Altherrenriege kickt. Zinedine Zidane hat offensichtlich zu seiner alten Form gefunden und dominiert das Spiel. In der 57. Minute verwandelt Thierry Henry einen Freistoß von Zidane und nun herrscht auf den brasilianischen Rängen Blues statt Samba. Endstand 1:0, Brasilien ist verdient raus, willkommen zur Europameisterschaft!

Freitag, Juni 30, 2006

20. Spieltag

30.06.2006, Freitag

Leider bin ich immer noch angeschlagen, was mir allerdings die Gelegenheit zu ausgiebigem Fernsehen gibt. Die Stimmung in Deutschland kocht dem Höhepunkt entgegen, nur noch vier Stunden bis zum Anpfiff und langsam füllen sich die Fanmeilen. Sowohl die deutschen als auch die argentinischen Fans sind absolut siegessicher, jeder zweite Deutsche ist der Meinung, dass wir Weltmeister werden. Jedenfalls rechnen wir alle mit einem sehr, sehr heißen Spiel. Natürlich hoffe ich inständig auf einen Sieg unserer Mannschaft, schon allein um den fetten, blau-weiß gestreiften Gummiball namens Diego Maradonna nicht mehr wie verrückt auf der Tribüne herumhüpfen sehen zu müssen.

Nur noch eine knappe halbe Stunde bis zum Anpfiff: Die Straßen leeren sich, alle Leute suchen hektisch die Fanarenen oder Kneipen auf, um mit Gleichgesinnten das Spiel zu schauen. Die Fernbedienung unseres Verstärkers versagt, aber wenigstens funktioniert der Beamer. Es kann losgehen.

Das Spiel:

Zum ersten Mal im Verlauf dieses Turniers trifft Deutschland auf einen wirklich ebenbürtigen und absolut ernst zu nehmenden Gegner, was sich auch sehr schnell offenbart. Zum ersten Mal lassen sich unsere Gegner nicht einfach überrennen, sondern fangen unsere Pässe ab, stören den Spielverlauf, aber unsere Mannschaft kämpft. Wir hocken mit fünf Leuten vor der Leinwand und kauen auf den Fingernägeln. Bis zur Halbzeit eine torlose Begegnung, wir werfen den Grill an und machen Hamburger. Wir wundern uns, das der fette Maradonna bis jetzt noch nicht gezeigt wurde und erfahren, dass er das Stadion unter Protest verlassen hat, da er einen Kumpel nicht mitbringen durfte. Na, wenn das mal kein gutes Zeichen ist: Die Argentinier ihres Maskottchens beraubt, da können wir ja nur noch gewinnen. In der 49. Minute der Schock: Ayala bringt Argentinien in Führung! Da wir unter Berücksichtigung der hohen Temperaturen und unserer nichtrauchenden Freunde nicht in der Wohnung rauchen, muss ich erstmal auf den Balkon rennen, um mit einer Zigarette meine Nerven zu beruhigen. Mann, jetzt kann ich den mexikanischen Trainer La Volpe richtig gut verstehen. Dreißig weitere Minuten lang quälen wir uns und stöhnen bei jedem Ballbesitz der Argentinier und bei jeder Torchance der Deutschen. Ich sehe unsere Chancen auf den Titelgewinn schwinden und beginne, mich mit einem Ausscheiden aus dem Turnier anzufreunden. Trotzdem finde ich Klinsmann und unsere Mannschaft gut, schade nur, dass für uns die Party beendet zu seien scheint.

Nachmittags hatte im Radio eine Wahrsagerin prophezeit, Klose würde in der Verlängerung Deutschland zum Sieg schießen. In der 80. Minute erlöst er uns: Gleichstand! Kurz darauf wird er gegen Neuville ausgewechselt und wir fangen an, die Prophezeiung zu interpretieren: Vielleicht war er derjenige, der die entscheidende Verlängerung erzwang, die uns den Sieg bringen wird, das entscheidende Tor wird er ja wohl nicht mehr machen können? Die Argentinier bleiben weiterhin gefährlich, erzielen jedoch keinen Treffer. Also, Verlängerung. Noch mehr Zigaretten auf dem Balkon. In der ersten Hälfte der Verlängerung dominiert unser Team, in der zweiten die Argentinier, jedoch: Kein Tor. Also, Elfmeterschießen. Eigentlich ganz gut, dass mein Blutdruck vor diesem Spiel im Keller war, sonst hätte ich noch einen Herzinfarkt bekommen. Jedenfalls ist mein Adrenalinspiegel jetzt auf ungeahnten Höhen, ich bin in den vergangenen 120 Minuten bestimmt 10 Jahre gealtert. Morgen werde ich im Spiegel mal nach grauen Haaren Ausschau halten. Ruhe vor dem Sturm. Oliver Kahn geht zu Jens Lehmann und raunt ihm ein paar aufmunternde Worte ins Ohr, wir Mädels weinen fast vor Rührung. So lieben wir Fußball: Im Angesicht der Niederlage werden aus alten Feinden Freunde, alle stehen zusammen. Vielleicht sind das Urinstinkte, vielleicht haben sich damals während der Zeiten der Belagerung durch den Feind in alten Zeiten ähnliche Szenen abgespielt. Neuville tritt als erster an und verwandelt, ebenso Cruz für Argentinien. Ballack schießt das 3:2, Jubel. Alaya schießt, Lehmann hält- wir springen auf und schreien uns die Seele aus dem Leib. Podolski, Rodriguez, Borowski treffen: Jubel, Stöhnen, Jubel. Cambiasso schießt und Lehmann hält: Ganz Deutschland explodiert und wir springen wie die Bekloppten durch die Wohnung: Halbfinale!

Meine Freundin Stefanie und ich sind nach diesem Nervenzerfetzenden Spiel nicht mehr in der Lage, uns auch noch die Partie Italien gegen die Ukraine anzuschauen und widmen uns auf dem Balkon dem Beobachten der Geschehnisse auf der Straße. Und wir werden sofort belohnt, denn im Bildungszentrum gegenüber logiert offensichtlich eine chinesische Delegation, was uns die Gelegenheit zu ausgiebigen Feldstudien bietet. Eine üppig mit schwarz- rot- goldenen Blumenkränzchen behängte reifere chinesische Dame piepst den vorbeiziehenden siegestrunkenen deutschen Fans „Deutschland“ und „Berlin“ zu, was sofort mit entsprechenden Gesängen honoriert wird. Während Italien die Ukraine schließlich 3:0 besiegt, werden wir Zeugen ausgiebiger Verbrüderungsszenen und Photosessions zwischen Deutschen und Chinesen. Eine hübsche, dekorativ in eine Deutschlandfahne gehüllte Einheimische und ihr ebenso attraktiver Freund bereiten den Chinesen unvergessliche Momente und werden sicher das ein oder andere chinesische Photoalbum schmücken, da sie sich geduldig mit allen Mitgliedern der Delegation fotografieren lassen. Ich bin mir sicher, dass ich bei meinem nächsten Aufenthalt in China diese Aufnahmen zu sehen bekommen werde.

Der befürchtete italienische Autokorso fällt dann ins Wasser, vielleicht haben die jetzt schon solche Angst vor uns, dass die sich das nicht mehr trauen. Wir jedenfalls überlegen schon, bei welchem Italiener wir nach dem Spiel am Dienstag anrufen und die große Pizza „Ciao Italia“ bestellen werden.

Donnerstag, Juni 29, 2006

Spielfrei

29.06.2006, Donnerstag

Ich beschließe, wieder arbeiten zu gehen und trinke tapfer ordentlich Wasser. Meine Fußballexperten- Kollegen sehen der Begegnung mit Argentinien auch wenig optimistisch entgegen, aber wir sind der Meinung, dass wir Weltmeister werden, sollten wir die schlagen. Nach vier Stunden Arbeit tanzen auf meinem Bildschirm lustige Kreise und der ganze Raum dreht sich, weshalb Ali mich zügig abholen muss. Da war ich wohl doch etwas optimistisch. Jedenfalls gibt mir das die Gelegenheit, mal wieder die Pressekonferenz anzuschauen, in der sich Jens Lehmann und Michael Ballack äußern. Ballack ist der Meinung, unsere Chancen für einen Sieg stünden 60: 40 für uns, wenn der sich mal bloß nicht irrt.

Spielfrei

28.06.2006, Mittwoch

Da ich fast wieder umkippe, gehe ich zur Ärztin, die mir rät, mehr zu trinken und mein mittlerweile ordentlich geschwollenes Knie zu kühlen. Zusätzlich schickt sie mich noch zu einem Hals-/ Nasen-/ Ohrenarzt, um eine Störung des Gleichgewichtsorganes auszuschließen. Der wieder macht ein paar alberne Tests mit mir und drückt mir eine Überweisung an einen Neurologen in die Hand. Ich komme mir verarscht vor, trolle mich nach Hause auf das Sofa, pumpe 2 Liter Wasser in mich rein und schaue mir die tägliche DFB- Pressekonferenz an. Die Siegessicherheit unseres Teams ist schon beeindruckend, allerdings wird mir da fast mulmig bei. Oliver Kahn jammert über sein Dasein auf der Ersatzbank und kriegt von allen Fairness bescheinigt, Miroslav Klose spricht über die Stimmung in der Mannschaft. Manche Spieler sollte man einfach nicht ohne vorhergehenden Rethorikkurs vor die Kameras lassen.

19. Spieltag

27.06.2006, Dienstag

Nach dem Aufstehen kippe ich erstmal um und schlage mir auch noch das Knie auf. Also bleibe ich im Bett und penne fast den ganzen Tag, trauere mit Ghana, die Brasilien 3:0 unterliegen und ärgere mich darüber, dass die blöden Franzosen nach einem 3:1 über Spanien eine Runde weiter sind.

18. Spieltag

26.07.2006, Montag

Am heutigen Montag morgen sieht mein Gesicht aus, als hätte ich bis tief in die Nacht auf dem Johannisfest gesoffen. Komisch, daran kann ich mich gar nicht erinnern. Das Gewitter hat leider kaum die ersehnte Abkühlung gebracht und macht die Arbeit zur Qual. Die Medien melden, dass die USA angeblich an Jürgen Klinsmann als Nachfolger von Bruce Arena interessiert sind. Das könnte denen so passen, den Amis! Da mein Kreislauf verrückt spielt, beschließe ich, lieber doch nicht auf das Fest zu gehen und schaue mir an, wie die Australier von Italien buchstäblich in der letzten Sekunde nach Foulelfmeter 1:0 aus dem Turnier gekegelt werden. Das zweite Spiel dieses Tages der Schweiz gegen die Ukraine endet nach Elfmeterschießen 3:0 für die Ukraine, die Schweiz verwandelt keinen einzigen Elfmeter. Anschließend beschwert sich der Schweizer Kapitän in den Medien, das Gesinge der deutschen Fans (Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!) auf den Rängen habe ihn abgelenkt und nervös gemacht. Tja, Jungs, wenn ihr so was nicht aushaltet, habt ihr in einem solchen Turnier leider nichts verloren, trotzdem Hut ab vor eurer Leistung.

17. Spieltag

25.06.2006, Sonntag

Da wir heute im Seminar die verlorene Zeit von gestern wettmachen müssen, verpasse ich das Spiel England gegen Ecuador, dass mit einem englischen 1:0 Sieg endet. Nachmittags stehen wir bei ca. 32 Grad in der Halle, draußen ist es sogar noch heißer. Am Ende gehen wir fast alle auf dem Zahnfleisch und beschließen das Wochenende mit einem großen Eisbecher. Zuhause breche ich ermattet auf dem Sofa zusammen und kriege nur noch am Rande mit, wie in einen Regen von gelben und roten Karten die Holländer von den Portugiesen 1:0 besiegt werden. Der anschließende portugiesische Autokorso und die Hohngesänge (Ohne Holland fahr´n wir nach Berlin) wecken mich auf und ich krieche ins Bett. Endlich geht auch ein heftiges Gewitter nieder, das angenehmere Temperaturen verspricht.

16. Spieltag

24.06.2006, Samstag

Ich beschließe, an einem Seminar unseres Vereines teilzunehmen, dass eigentlich bis 18:00 gehen sollte, nachdem man mir ausdrücklich zugesichert hat, dass wir früher Schluss machen, damit keiner das Spiel verpasst. Wie sich herausstellt, sind der Seminarleiter und einige Teilnehmer ebenfalls große Fußball- Fans, so dass ich um 16:00 in der proppevollen Bahn heimwärts stehe. Schon in der vierten Minute fällt nach brillanter Vorarbeit von Klose das erste Tor für Deutschland durch Podolski, in der 12. Minute dann das nächste- unsere Jungs deklassieren die Elche! Aus der Kneipe gegenüber erschallen zu der Melodie von „Yellow Submarine“ Hohngesänge: „Ihr seid nur ein Möbellieferant, Möbellieferant, Möbellieferant!“ Vor lauter Torjubel und Gegröle hören wir das verzweifelte Klingeln unserer Freunde nicht, die seit 20 Minuten vor der Tür stehen und die Großtaten unserer Mannschaft nur erahnen können. Die fangen jetzt an, fast brasilianisch zu spielen und wir und unsere mittlerweile über ein Baugerüst in die Wohnung eingedrungene Freunde kriegen fast Angst vor dem Übermut. Ab der 34. Minute spielen die Schweden in Unterzahl und werden nur in der 54. Minute torgefährlich, als sie einen Elfmeter zugestanden kriegen, der aber weit über das Tor hinausgeht. Das Spiel endet dann auch 2:0, die Begegnung unserer potentiellen Viertelfinalgegner Argentinien und Mexiko kriegen wir nur am Rande mit, da wir lieber auf das Johannisfest feiern gehen. Argentinien setzt sich gegen Mexiko nach Verlängerung 2:1 durch und steht damit als unser nächster Gegner fest.

Samstag, Juni 24, 2006

15. Spieltag

23.06.2006, Freitag

Deutschland fiebert dem morgigen Achtelfinalspiel gegen Schweden entgegen und unsere Regierung nutzt diese Stimmung dazu, flott ein paar unliebsame Gesetze zu erlassen, wie etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Eigentlich eine ganz schlaue Taktik, denn momentan sind die Bürger dieses Landes damit beschäftigt, wilde Partys mit allen möglichen anderen Nationen zu feiern und scheren sich einen Dreck um Politik.

Die angereisten Fans saufen Deutschland trocken, die Bierbrauer reiben sich die Hände und legen Sonderschichten ein. Beschwerden über das in den Stadien ausgeschenkte miese Bier (Anhäuser- Busch) werden laut und wir schämen uns, dass wir als die (nach Tschechien) Nation mit dem meisten Bierkonsum pro Kopf nichts besseres bieten können. Eigentlich ein Armutszeugnis, aber unsere Gäste können sich ja vor und nach den Spielen außerhalb des Stadiums ein Bild von der deutschen Braukunst machen, was gerade die Engländer und die Skandinavier gerne und ausgiebig tun.

Die nicht enden wollende Debatte über den neuen deutschen Patriotismus in den Medien fängt an, mir langsam auf die Nerven zu gehen. Irgendwie kann ich nicht verstehen, dass nach dem monatelangen Tamtam um die WM alle das so verwundert zur Kenntnis nehmen, denn für mich hat sich das schon seit einigen Jahren abgezeichnet. Man sollte meinen, während der Eröffnungsfeier sei ein Schalter umgelegt worden und auf einmal trauten wir uns alle, zu unserem Land zu stehen.

Ich bin nur mal gespannt, wie diese nette Party in der KO- Runde aussehen wird, wenn nach und nach sich die Nationen aus dem Turnier verabschieden. Was passiert, wenn wir morgen gegen Schweden verlieren? Noch tanzen die Leute auf der Straße und dichten zu der Melodie von „Pippi Langstrumpf“ freche Lieder, aber was, wenn wir rausfliegen? Werden wir dann immer noch gute Gastgeber sein?

Die letzten Gruppenspiele finden statt, Spanien schlägt Saudi- Arabien 1:0 und sichert sich den Gruppensieg, auch die Ukraine ist nach einem 1:0 gegen Tunesien eine Runde weiter. Erwartungsgemäß schlägt Frankreich schwach Togo 1:0, die Schweiz lässt Koreas Träume von der Endrunde leider durch einen 2:0 Sieg platzen. Das bedauere ich wirklich, denn ich hatte Korea ein Weiterkommen herzlich gegönnt und die Franzosen gerne vorzeitig die Heimreise antreten sehen. Also nach dem Ausscheiden von Japan und Südkorea keine niedlichen Asiaten mehr im Turnier, schade. Allerdings sehe ich mir keines der Spiele an, da das Johannisfest eröffnet worden und das Wetter viel zu gut ist, um in der Bude zu hocken und sich mittelmäßige Vorrundenspiele anzuschauen. Beim Pfeilwerfen gewinnen wir einen Aschenbecher und eine mit Cannabisblättern bestickte Geldbörse (soviel zum Nichtraucherschutz). Außerdem schenkt mir Torsten, der einen Schmuckstand dort hat, eine imitierte Cartier- Sonnenbrille, die Victoria Beckham vor Neid erblassen lassen würde. Wir sitzen ewig am Rhein und genießen bei einem Glas Wein die laue Sommernacht, während wir erschütternde Beispiele der unheiligen Mischung aus Jugend und Alkohol beobachten. Das Mädel neben uns raucht nervös heimlich eine Zigarette, während ihre Verabredung auf den Klo ist, sie erzählt uns, dass das ihr erstes Date mit ihm ist. Kurz nach seiner Rückkehr knutschen beide wie wild, süß. Das Leben ist schön!