Donnerstag, Februar 17, 2011

无业 – Arbeitslos

Gehe meine Arbeitssuche erst mal gemütlich an und schicke am zweiten Arbeitstag nach den Ferien ein paar Bewerbungen raus. Zwei Stunden später habe ich drei Bewerbungsgespräche für diese und die nächste Woche klargemacht.
Freue mich, mit Meister Wu trainieren zu können, leider machen mir das Wetter oder des Meisters Vorliebe zu nächtlichen Sauf- und Zockgelagen öfters mal einen Strich durch die Rechnung. (Zu des Meisters Ehrenrettung muss man sagen, dass er nur zweimal wegen vorhergehenden Ausschweifungen das Training absagt).
Habe Glück und bin Samstag die einzige Schülerin. Meister Wu mag mich ja gerne, aber mit mir kann er nicht so viel labern wie mit seinen anderen Schülern, weswegen er am Einzeltraining mit mir wohl nicht so wahnsinnig viel Spaß hat. Später kommt dann noch für eine Stunde ein Typ Ende fünfzig in Zivilklamotten an, der in die Grundlagen unseres Stils eingewiesen wird und sich als sehr begeisterungsfähiger Schüler erweist. Meister Wu hat jemanden zum Quatschen und ich profitiere auch. Grundlagen sind ja nie verkehrt und der Typ ist ganz witzig. Mich bezeichnet er fröhlich als seine „shijie“, ältere Lehrschwester, wir lachen beide. Wenigstens weiß der Typ, was sich in Kampfkunstkreisen gehört.
Sonntags voller Auflauf, Jud hat noch zwei Interessenten mitgeschleppt. Auch meine Intimfeindin ist am Start. Einzig Xiao Lu bleibt verschollen. Mache mir langsam Sorgen um ihn. Stelle fest, dass Sonntag echt der uninteressanteste Trainingstag ist, aber was will man machen.
Meister Wu willigt ein, auch Montag in den Park zu kommen, sehr schön. Eiseskälte, obwohl die Sonne kräftig scheint. Ich nutze die Gunst der Stunde, um ihn ausgiebig zu einer bestimmten Einzelbewegung zu befragen, die ich noch nicht so richtig begriffen habe. Der Meister ist erfreut und erklärt mir die Anwendungen dieser Bewegung sehr ausführlich. Und er bringt mir ein paar Kombinationen bei, die er sonst nur in den eigenen vier Wänden übt. Soll ja keiner sehen, was wir so drauf haben. Bin sehr beglückt, aber es wird noch besser. Rose kommt mit zwei Säbeln. Jetzt ist Meister Wu natürlich nicht mehr zu halten. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit lehrt er uns Theorie und Praxis und erzählt unterhaltsame Geschichten, die sogar ich begreife. Die Säbelform üben wir dann auch, wobei hauptsächlich Rose korrigiert wird. Ich bin etwas nervös, denn schließlich habe ich diese Form ausschließlich von Xiao Lu gelernt und führe sie nun zum ersten Mal dem Meister vor. Stelle mich dann anscheinend nicht so blöd wie befürchtet an, Mittwoch wird vertieft. Leider schneit es am Mittwoch dann, was ich sehr betrüblich finde.

Erledige Dinge, zu denen ich wegen Arbeitsüberlastung bis jetzt nicht gekommen bin, stelle mich bei diversen Büros vor und lerne Chinesisch. Kaufe bei Ikea Hasenjahr- Fuppes, das hatten sich die Zimmers gewünscht. Nun, Christine, habe Topflappen und Puschen. Und Platzdeckchen, die finde ich allerdings selber sehr geschmackvoll. Entdecke auf dem Gelände der Tongji- Universität das Institut für Materialprüfung und bin begeistert: Etliche Wolkenkratzer im Maßstab 1/20 oder kleiner in ihrer Struktur nachgebaut und getestet. Die Modelle stehen vor dem Institut oder den umgebenden Parkanlagen, in denen ich mich auch gleich noch mit den Universitätskatzen anfreunde. Fotografiere wie verrückt.

Treffe unsere Frankfurter Freundin Weiwei, die Neujahr bei ihren Eltern in Südchina verbracht hat und jetzt in Shanghai ihren Sohn besucht. Ich freue mich sehr, sie wiederzusehen, wir lachen und haben Spaß. Weiwei ist überwältigt von den rapiden Veränderungen in Shanghai und entsetzt über die Probleme, mit denen sich die jungen Leute hier heutzutage herumschlagen müssen. So hat die Freundin ihres Sohnes neulich auf Geheiß ihrer Eltern mit ihm Schluß gemacht, weil er keine eigene Wohnung aufweisen kann. Finden wir beide empörend. Aber wie soll sich denn ein junger Mann im heiratsfähigen Alter von ca. 5.000 RMB Monatsgehalt in einer Stadt wie Shanghai eine Wohnung kaufen können? Mir tun die jungen Leute hier echt leid, Neujahr hatten sich Rose und ich schon mit des Meisters Sohn sehr ausgiebig darüber unterhalten.
Lotse Weiwei durch die Shanghaier Metro und freue mich, dass ich mich hier als Ausländerin besser auskenne als sie. Naja, Weiwei lebt hier ja auch schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr.

Die Elektrik in meiner Bude gibt langsam den Geist auf, traue mich kaum noch, irgendein Gerät in Betrieb zu nehmen oder das Licht einzuschalten. Die Klimaanlage im Schlafzimmer lässt regelmäßig die Sicherung durchbrennen, also kein warmes Schlafzimmer. Bin mal gespannt, ob mein Vermieter die tatsächlich reparieren lässt, nachdem ich die Mieterhöhung verweigert habe. Egal, meine letzte Stromrechnung war sowieso exorbitant. Die Notfallnummer der Elektrizitätswerke ist auf einmal ungültig, zum Glück kann mir mein netter Pförtner helfen. Der OK- Man wird mein allerbester Freund, wir rauchen oft gemeinsam eine, während er die Hauptsicherung meiner Bude repariert.
Trotz des Endes der staatlichen Ferien wurde immer des Nachts noch fröhlich gefeuert, der heutige Tag (Donnerstag, 17.02.2011) markiert jedoch das endgültige Ende der Neujahrsfeierlichkeiten. Heute ist der fünfzehnte Tag, Vollmond und somit 元宵节,Laternenfest. Habe schon einige Kinder mit Laternen auf der Straße gesehen und fühlte mich seltsam an Sankt Martin erinnert. Momentan mal wieder heftiges Feuerwerk, genieße die funkelnden Lichter. Sozusagen das große Finale. Morgen werden wohl dann die hübschen Laternen, die in den vergangenen Wochen zahllose Gebäude schmückten, entfernt werden, schade. Hadere mit mir, ob ich die von mir an meinem Erkerfenster angebrachte auch abnehmen soll. Ach nee, das Ding ist zu hübsch, und wenn die Chinesen das ganze Jahr über Weihnachtsdeko hängen lassen, werde ich als unwissende Ausländerin doch wohl meine Laterne solange nicht abnehmen, bis sie auseinanderfällt und von der Sonne unansehnlich geworden ist.

Sonntag, Februar 13, 2011

兔年快乐 – Fröhliches Hasenjahr!

01.02.2011, Dienstag

Will in meiner Freizeit wenigstens ordentlich trainieren, deswegen schleppe ich mich in den Volkspark. War da schon ewig nicht mehr zum Üben, weil ich ja arbeiten musste. Warte eine Viertelstunde, kommt keiner. Versuche, dem Meister eine SMS zu schicken. Klappt aus irgendwelchen Gründen nicht, beschließe daher, wenigstens etwas für die Gesundheit zu tun und im Vegetarian Lifestyle zu dinieren. Werde wie immer gefragt, ob ich eine Mitgliedskarte hätte. Nee, aber diese Pappkarte mit den Stempeln drauf, habe vier, die Mitgliedskarte gibt es ab zehn. Die Bedienstete geht weg und kommt mit einem Formular auf Chinesisch wieder, das sie mir zu erklären versucht. Kein Problem, kann doch lesen. Fülle das Formular aus, einige Fragen der Bediensteten und zehn Minuten später überreicht mir die Oberkellnerin meine Mitgliedskarte. WOW! Vegetarian Lifestyle ist mit diesen Karten sehr eigen und die sind fast unmöglich zu bekommen. Jetzt habe ich eine. Ritterschlag! (Später kriege ich raus, dass die im Januar 6- jähriges Jubiläum hatten und es im Rahmen einer Sonderaktion die Mitgliedskarten schon ab vier Stempeln gab). Das neue Jahr fängt ja gut an.

02.02.2011, Mittwoch - Silvester

Nachmittags Chinesisch- Unterricht, abends sind Rose und ich beim Meister eingeladen. Oskar hat eine schlimme Erkältung und kann nicht kommen. Wenn Jud wüsste, dass wir drei beim Meister eingeladen sind, würde er sicher vor Neid platzen, klar, dass wir dem das nicht unbedingt unter die Nase reiben.
Gemütliches Abendessen bei den Wus, nur die Familie, Rose und ich. Es wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen, des Meisters Gattin weist mich in das korrekte Knabbern von Kürbiskernen ein. Ich werde gleich für den nächsten Tag zum Mittagessen wieder eingeladen, wie nett! Xiao Lu soll da dann auch kommen, Rose hat schon was anderes vor.
Der Meister hat eine neue Katze, so einen riesigen Brocken habe ich selten gesehen. Da braucht er aber wirklich nicht mehr auf Lilos tigergleichen Kater neidisch sein.
Danke mit Roses Unterstützung als Übersetzerin ungelenk der Familie Wu und versuche, meinen Dank für diese überaus wichtige Einladung zu übermitteln, auch im Namen meines Gatten, der mich in der Ferne in guten Händen wisse. Die Wus winken ab, wir hätten uns ja auch um den Meister gekümmert, als er in Deutschland war. Des Meisters Gattin nimmt mich in den Arm und knuddelt mich.
Leute, auch wenn ich hier manchmal fast verzweifeln möchte: Mein Meister und seine Familie gehören zu den warmherzigsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Und das lässt mich alle Schwierigkeiten vergessen.
Entspannter Abend, wir futtern, bis die Schwarte kracht und schauen Fernsehen. Die Neujahrsshow auf CCTV hat den Charme der 80ger Jahre, grauenhaft. Aber auf Star TV läuft die „Mr. Zhou Live Show“. Herr Zhou ist hier enorm populär, hat ein freches Maul und zieht aktuelle Themen durch den Dreck. Vor dreißig Jahren hätte er für solche Äußerungen noch in einem Arbeitslager in der Inneren Mongolei Latrinen ausheben dürfen, heute kann er ganz frei im Fernsehen ablästern. Und das am Neujahrsabend. Ich verstehe zwar den Wortwitz von Herrn Zhou nicht so ganz, da er auch teilweise Shanghainese redet, aber die Wus und Rose wälzen sich vor Lachen auf dem Boden.
Rose und ich empfehlen uns dann so um 22.00, Shanghai liegt mittlerweile unter schwerem Beschuss. Hetze hakenschlagend den Detonationen ausweichend zum Family Mart und erstehe eine Flasche Weisswein. Vor dem Eingang meines Hauses entzündet ein Nachbar gerade eine 1m3 Feuerwerksbatterie. Chinesen geben sich nicht mit so läppischen Raketen zufrieden wie wir, nein, ein einigermaßen würdiger Feuerwerkskörper muss schon mindestens die Dimensionen einer Flakkanone haben. Recht so, kerniges Volk! Und das Feuerwerk haben sie ja sowieso erfunden.
Genieße bei einem Glas Wein gemeinsam mit dem Kater von meinem Wohnzimmerfenster aus das um uns herum explodierende Shanghai. Bin heiter und entspannt, kann jetzt nur noch aufwärts gehen.

03.02.2011, Donnerstag

Klemme mir Xiao Lus Geschenk unter den Arm und schwinge mich ins Taxi. (Finde später heraus, dass es auch einen direkten Bus von mir zu des Meisters Behausung gibt- Nächstes Mal halt).
Fühle mich dann doch etwas blöd, dass ich zwar für Xiao Lu was dabei habe, nicht aber für die Familie Wu, die mich ja schließlich schon wieder bewirtet. Gut, die hatte ich gestern schon ordentlich mit Geschenken bedacht, aber ich komme mir trotzdem doof vor. Kaufe daher schnell noch einen üppigen Obstkorb für 88,- RMB, das einzige Vernünftige, was auf die Schnelle zu kriegen ist. Mama Wu beschimpft mich daraufhin natürlich prompt. Viel zu höflich, das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen! Mir egal, wenigstens ist mein Gewissen beruhigt. Ein anderer Knülch ist schon anwesend, schick in einem für hiesige Verhältnisse sogar recht flotten Anzug gekleidet. Er wird mir zwar nicht namentlich vorgestellt, aber ich gehe davon aus, dass er wohl einer meiner Tongbei- Brüder ist. Ja, wir sind alle eine große Familie. Das ist ja das Schöne, wenn man Kampfkünste übt.
Xiao Lu lässt auf sich warten, schließlich greift der Meister zum Telefon und ruft bei ihm an. Er hofft, dass nicht Xiao Lus Gattin abheben möge, die fürchtet er nämlich. Interessant, der Sache muss ich mal auf den Grund gehen. Früher hatten die beiden wohl mal ein ganz gutes Verhältnis zueinander und der Meister pflegte regelmäßig mit ihr Mahjang zu spielen, da muss irgendwas passiert sein.
Xiao Lu kann dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht kommen, wie ärgerlich. Habe ich sein Geschenk für nix und wieder nix mitgeschleppt.
Wie immer superleckeres Essen, Anzug ist sehr nett, bietet mir zackig und formvollendet Kippen an und hat ganz schnell raus, wie ich heiße. Seinen Namen bekomme ich jedoch trotz intensivem Zuhören nicht mit.

Bemerke ein über der Eingangstür zur Wohnung prangendes Schild mit Schriftzeichen, die ich nicht kenne, aber darunter steht in lateinischen Buchstaben "Om mani padme hum". Aha. Interessant. Wer ist wohl der Buddhist in des Meisters Familie? Er wohl sicher nicht, da hatte scheinbar Mama Wu ihre Hände im Spiel. Jedenfalls gab es dieses Schild bei meinem letzten Besuch noch nicht.

Entspannte Stimmung, schaue mit Mama Wu Fernsehen. Es läuft ein Beitrag, in dem die Körpergrößen westlicher und chinesischer Filmstars verglichen werden, der Heilige Steven ist auch dabei. Kreische entzückt und erkläre Mama Wu, dass ich den besonders Klasse fände. Ja, der sei wirklich sehr lustig. Punkte, indem ich ganz viele chinesische Stars beim Namen zu nennen weiß.

Nach sehr ausgiebigem Essen und Teetrinken verabschiede ich mich gegen 17.30. Mama Wu rafft etliche Süßigkeiten, Nüsse, Kürbis- und Sonnenblumenkerne in eine Tüte, die superleckeren dicken Bohnen und eingelegten Tofu packt sie auch noch hübsch eingedost dazu. Und als Nachtisch die geilen mit schwarzem Sesam gefüllten Klebreisbällchen, für deren Zubereitung mir noch etliche Anweisungen gegeben werden. Werde über die Neujahrsferien bestimmt nicht verhungern. Bin mir mittlerweile fast sicher, dass Mama Wu und meine Schwiegermutter auf unheimliche Art Zwillinge sind.
Breche völlig ermattet auf dem Sofa zusammen und schaue mit Sieder DVDs. Draußen wird weiter wie verrückt geballert.

04.02.2011, Freitag

Tue heute das, worauf ich mich schon seit langem gefreut habe: Nämlich gar nichts. Gut, mein Fellwecker weckt mich zwar schon ziemlich früh, da er gefüttert werden will und spielen möchte. Als Zeichen seiner Liebe zu mir legt er mir das Rattenmausi aufs Kopfkissen. Bloß gut, dass er hier keine chten Mäuse fangen kann. Seinem Begehren verleiht er mit ein paar sachten Pfotenhieben Nachdruck. Aber den Rest des Tages verbringen wir dösend vor der Glotze. Schön.

05.02.2011, Samstag

Zheng Rui hat ein Treffen mit seinem Baulöwen- Kumpel klargemacht, schmeiße mich also in Schale und fahre in die Stadt. Herr Zhou ist auch ganz nett, aber Bauunternehmer und kein Architekt. Er hat eine Architektin aufgetrieben, die übersetzt. Herr Zhou will natürlich seinem alten Kumpel Zheng Rui einen Gefallen tun und schaut sich dann halt mal diese ausländische Architektin an, die bis jetzt (für seine Verhältnisse) nur Klickerprojekte gemacht hat. Er baut dann eher so Bürotürme oder Einkaufszentren ab 50.000 m2 aufwärts. Aber von meinen Softwarekenntnissen ist er dann doch beeindruckt. Da Herrn Zhous Firmensitz in Ordos in der Inneren Mongolei ist, fühlt sich Zheng Rui verpflichtet, zügig an meiner Stelle zu erklären, dass ich wegen unseres Meisters Shanghai nicht verlassen würde. Dafür bin ich ihm auch sehr dankbar, denn ich wollte die Innere Mongolei zwar schon immer mal besuchen, aber keinesfalls dort leben. Aber vielleicht geht ja was mit freier Mitarbeit? Mir ist von Anfang an klar, dass ich keine Lust habe, diese Art von Arbeit zu machen. Auf Abruf schnell im Tudorstil einen Wolkenkratzer hinrotzen? Habe da denn doch noch Ideale. Versuchen, uns gegenseitig aus der Affäre zu ziehen, ohne dass jemand Gesicht verliert. Klappt jedenfalls von meiner Seite aus ganz gut, denn meine Arbeitserlaubnis und damit auch mein Aufenthaltstitel sind an eine Anstellung gebunden. Als Freiberufliche dürfte ich hier nur arbeiten, wenn ich eine Firma gründen würde. (Was allerdings auch nicht allzu kompliziert ist). Wir verbleiben, dass wir uns beide mal so unsere Gedanken machen. Zheng Rui ist happy und schreibt mir am folgenden Tag eine lange, das Gespräch zusammenfassende mail. Da die aber in ziemlich komplexem Chinesisch ist, beantworte ich sie zunächst nicht. Lieber auf Hilfestellung von Ying warten.

06.02.2011, Sonntag

Da Xiao Lu versprochen hatte, heute im Park zu sein, schäle ich mich früh aus dem Bett und springe voll bewaffnet und mit Geschenk in den Bus. Geiles Wetter, aber wegen des ständigen Geballers hängt eine Dunstwolke über der Stadt.
Warte am Parkeingang, natürlich kommt der feine Herr Lu nicht. Aber der chinesische Xingyi- Stil übende Steve Buscemi erspäht mich und schießt freudestrahlend und wild grüßend auf mich zu. Hahaha, frohes neues Jahr, warte hier gerade auf meinen Shixiong, der mich mal wieder versetzt. Blödmann. Geschenk schon wieder nicht losgeworden. Egal.
Sieder und ich hängen auf dem Sofa rum und arbeiten DVDs ab. Der Schacht des DVD- Gerätes übt auf den Kater eine unheimliche Anziehungskraft aus und auch die sich plötzlich auf dem Fernseher bewegenden Bilder findet er faszinierend. Macht seinem Ingenieur- Namensgeber alle Ehre.
Der Wohlstandsgott kehrt heute auf die Erde zurück, deswegen wieder schweres Bombardement. Kenne ich schon vom letzten Jahr und bin vorbereitet. Habe allerdings den Eindruck, dass dieses Jahr etwas weniger gefeuert wird. Naja, einen sachten Hasen begrüßt man halt verhaltener als einen wilden Tiger.

07.02.2011, Montag

Vielleicht kommt Shen Ayi heute, etwas unklar. Schließlich sind immer noch Ferien. Flüchte jedenfalls vorsorglich und schaue mir einen buddhistischen Tempel in einer Vorstadt an.
In der Metro sitzt neben mir eine Familie mit einem unglaublich dicken Kind. Die Familie führt zwei sehr große Tüten mit langsam auftauendem Fleisch mit sich. Wohl auf dem Weg zu einem Festschmaus. Lecker.
Die Straße von der Metro zum Tempel säumt ein sehr großer Fischmarkt, interessant, das feilgebotene Viehzeug und die Volksgenossen bei der kritischen Auswahl desselben zu beobachten. Muss ständig aufpassen, nicht in irgendwelche Fischabfälle zu latschen.
Der Tempel ist sehr hübsch und idyllisch an einem Wasserlauf gelegen. Außerdem gibt es eine ganz reizende Pagode, die ich natürlich bis ganz nach oben ersteigen muss. Klasse Idee bei Höhenangst. Meine letzte Tat in meinem alten Büro war der Entwurf eines kleinen Parks, in dem unbedingt historisierend eine Pagode und ein buddhistischer Tempel eingebunden werden mussten. Deswegen schien mir dieser heutige Ausflug auch ganz angemessen. Stelle fest, dass mein Entwurf anscheinend ganz OK war, auch wenn ich mit den Planungsansätzen nicht einverstanden war.
Fahre zum Blumenmarkt, auf dem wegen der Ferien allerdings nichts los ist. Schade, hätte gerne eine hübsche Orchidee gehabt.
Da das Cloud 9 Einkaufszentrum sowieso auf dem Heimweg liegt, beschließe ich, ein wenig zu bummeln. Huldige im dortigen Carrefour, der im Gegensatz zu meinem auch viele westliche Produkte feilbietet, dem Wohlstandsgott und kaufe Unmengen von Käse, ein wenig Wein, Kekse und Weißbrot. Auf dem Weg von der Metrostation noch ein schneller Besuch im DVD- Laden, wo ich unter anderem den Film „Four Lions“ schieße.
Shen Ayi hat die Bude auf Hochglanz gebracht, schlage mir den Magen mit Weißbrot und Blauschimmel- und Gruyerekäse voll, während ich mit dem Kater die gerade erworbenen DVDs anschaue. „Four Lions“ ist zum Brüllen komisch, einer der besten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Soll im April in Deutschland anlaufen, unbedingt reingehen!
Von dem übermäßigen Käsegenuss kriege ich prompt Pansenrattern. Egal, hat sich gelohnt.

08.02.2011, Dienstag

Letzter Ferientag, bin ganz froh, es endlich mal wieder zum Training in den Volkspark zu schaffen. Außer Jud und Rose sehe ich meine anderen Brüder und Schwestern ja sonst kaum. Frühlingshafte Temperaturen, da ist man doch gleich viel entspannter.
Im Volkspark wird dann auch ein ganz anderes Tempo vorgelegt als Sonntags im Heping- Park. Klar, die hier Trainierenden haben ja auch ein ziemlich hohes Niveau. Für mich interessant, wie meine Mitschüler so drauf sind und ich bin erleichtert, dass auch die nicht immer alles perfekt hinkriegen.
Wang Ming Bo, ein alter Kumpel von Rose und eigentlich Yang Stil Meister übt seit Neuestem wohl auch Tongbei. Interessant. Muss ich Stefanie unbedingt erzählen, wir beide haben 2006 ziemlich viel mit ihm geübt, Stefanie auch schon vorher. Bin glücklich, jetzt mehr Zeit zum Üben zu haben.

Dienstag, Februar 01, 2011

春节 – Neujahr

Es ist merkwürdig hier. Weihnachten und Sylvester hatten hier kaum eine Bedeutung, aber das chinesische Neujahr hat hier echt was. Für mich ist das Gefühl des Übergangs wesentlich stärker als in Europa. Zu sehen, wie Shanghai binnen zwei Wochen regelrecht ausstirbt kann einem schon Schauer über den Rücken jagen.
Schon vor Wochen fing Xiao Lu an, rote Socken zu tragen. Er ist in Jahr des Hasen geboren, deswegen muss er jetzt das ganze Jahr was Rotes tragen. Morgen ist hier Sylvester und auch sein Geburtstag. Aber doch nicht sein richtiger. Xiao Lu feiert den Tag seiner Empfängnis. Und das war seiner Auffassung nach der 21.01. er ist zwar am 02.02. auf die Welt gekommen, aber war er nicht vorher fast ein Jahr im Bauch seiner Mutter?
Besorge trotzdem ein Geschenk für ihn, ein rotes Sweatshirt mit einem Hasen drauf und dem Zeichen für Glück. Vielleicht zu groß, aber ich kann das umtauschen. Hauptsache, mein großer Bruder geht beschützt durch das Jahr des Hasen.
Mache mir Sorgen um meine Katze, aber Sieder scheint das Geballer nicht zu stören. Seit einer Woche wird Feuerwerk verkauft, seit zwei Tagen wird gefeuert. Leute, und das hier ist nichts im Vergleich zum Westen. Wir ballern zum Jahreswechsel vielleicht eine Nacht für zwei Stunden. Hier geht das eine Woche lang. Und zwar ohne Unterbrechung. Meine Compound ist hübsch geschmückt und ich habe für die kommenden Tage Lebensmittel gebunkert. Und eine flotte Laterne aufgehängt. Und das Zeichen für Glück an meinen Kühlschrank gepappt. Was soll jetzt noch schiefgehen.
Frohes neues Jahr!

事势第四 – Stand der Dinge #4

Job:
Mache mit meinem letzten Projekt eine Punktlandung, feuchter Händedruck und das war es fast. Würde mich dann doch interessieren, wie mein Entwurf beim Kunden angekommen ist, vielleicht bekomme ich ja Rückmeldung. Sonntag (vor dem Neujahrsfest ein Arbeitstag) muss ich mir noch meine Allowance abholen. Auf das Neujahrsessen mit meinem Büro habe ich natürlich keinen Bock. Frage mich, was ich aus dem vergangenen Jahr so mitnehme. OK, Einblick darin, wie Dinge hier so laufen, aber mein größter Gewinn hat vier Beine und rotes Fell. Ist ja auch was.
Erfahre, dass andere Kollegen freiwillig gekündigt haben, aha. Schade eigentlich, dass die Dinge so auseinanderfallen, hätte echt gut laufen können. Egal, abhaken, weitermachen.
Treffe auf einer Party einen Boss, bei dem ich mich beworben hatte. Der will sofort ein Interview mit mir. Bin zwar etwas zögerlich, da ich gerade meinen dritten Long Island Ice Tea am Hals habe, aber was soll es. Läuft gut, aber vor Neujahr geht hier sowieso nichts. Mal sehen.

Guanxi:
Zu beschreiben, was hier zu dieser Zeit abgeht, ist echt schwierig. Chinesisches Neujahr wirft schon mindestens drei Wochen vor den eigentlichen Festlichkeiten seinen Schatten. Seit zwei Wochen verlassen täglich eine Millionen Menschen Shanghai in Richtung Heimat, was sich in der Metro deutlich bemerkbar macht. Restaurants sind immer ausgebucht, da man Essen geht. In den Supermärkten ist jeden Tag die Hölle los, nahtloser Übergang von Weihnachten zu dem richtigen Fest. Man sollte sich mal unser Weihnachten vorstellen und das mit 10 potentzieren. Und das trifft es nicht annähernd.
Zheng Rui (Teeknülch) organisiert ein Essen mit Meister Wus Schülern. Sitze zwischen Rose und der Zappelmaid und blicke auf das vergangene Jahr zurück. Ein Jahr in Shanghai, keinen Job, keine Freunde und meine Trainingsleistung auch nicht verbessert. Während alle um mich herum fröhlich sind, kullern mir Tränen aus den Augen. Schäme mich, Rose redet auf mich ein wie auf ein krankes Pferd.
Die Zappelmaid flirtet mit ihren westlichen Tongbei- Brüdern, würde dem Luder am liebsten den Hals umdrehen. Ihr westlicher Name ist „Phoebe“. Alberner könnte es kaum sein, Rose und ich verdrehen unsere Augen. Aber wir weiblichen Schülerinnen prosten unserem Meister zu, auch wenn ich dem Miststück am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt hätte. China halt. Sie weiss, dass ich sie hasse, ich weiss, dass sie gegen mich kämpfen wird wo sie nur kann, trotzdem sitzen wir hier und umarmen uns. China kann manchmal ganz schön kompliziert sein.
Die Wus und ich fahren mit derselben Metro heim, Wu Junior fragt mich beiläufig, ob ich denn zum Frühlingsfest hier sei? Klar, das verbringen ich und meine kleine Katze gemeinsam. Nee, nee, die Wus laden mich ein. Und das zum Jahreswechsel. Letztes Jahr war ich quasi am ersten Weihnachtsfeiertag eingeladen. Dieses Jahr Heiligabend. Mit Rose zusammen, das ist eine wirklich sehr große Ehre und ich bin sehr bewegt.
Einen Tag später klingelt nachts mein Telefon, der Teeknülch oder vielmehr Zheng Rui oder Richard. Hey, mein ehemaliger Mitschüler hat ne Baufirma und sucht Architekten. Schick dem doch mal deine Mappe, hast du während der Feiertage Zeit? Bin total gerührt. Könnte spannend werden, für ein Local Design Institute zu arbeiten.
Finde es jedenfalls total nett von Zheng Rui, dass er sich für mich so ins Zeug legt. Ein paar Tage später erfahre ich von Xiao Lu, dass der Meister für mich alle Beziehungen, die er hat, ausgespielt hat. Und allen anderen den Befehl erteilt hat, mich aufzuheitern, da ich doch neulich offensichtlich so traurig war. Und eine billigere Wohnung sollte ich auch haben, die werden sie suchen.
China ist sowas von geil.

事势第三 – Stand der Dinge #3

Job:

Einen Tag vor Alis Ankunft platzt unser Hauptprojekt und meinem Chef fällt auf, dass mein Vertrag ja im Januar ausläuft. Der wird dann also nicht verlängert. Toll, schönes Weihnachtsgeschenk. Was willste machen, ist nicht das erste Mal, dass mir betriebsbedingt gekündigt wird. Fairerweise hilft mir mein Büro aber, meine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu verlängern, da muss ich mir also keine Sorgen machen. Habe ja auch einiges auf die Seite gelegt, so dass ich entspannt suchen kann, ohne mir über Kohle Gedanken machen zu müssen. Blöd nur, dass es momentan in Shanghai schweinekalt ist, sonst hätte ich wenigstens wie verrückt trainieren können. Und das Frühlingsfest steht vor der Tür, da geht hier sowieso nichts. Naja, also Lebenslauf aktualisieren, raussschicken und abwarten. Aber die festliche Stimmung ist natürlich gedämpft.

Ali:

Hole Ali vom Flughafen ab und freue mich. In Shanghai hat es geschneit, ist also nicht besser als zu Hause. Meine Wohnung findet Ali überraschend gemütlich. Sieder flüchtet beim Anblick des anderen Mannes in meinem Leben erst mal ins Bad, wo er sich empört heulend auf das Waschbecken kauert. Nach ein wenig gutem Zureden siegt seine Neugier und er beschnüffelt das Gepäck und beginnt, sich mit Ali anzufreunden. Schon am nächsten Tag finde ich die beiden friedlich zusammengekuschelt im Bett wieder, als ich vom Einkaufen nach Hause komme. Bin gerührt. Meine beiden Männer! Schlaues Tier, so schnell hat er noch nie zu jemandem Vertrauen gefasst.
Mache Ali mit meinen Lieblingsorten bekannt, die Taikang Lu findet er natürlich auch Klasse. Meinen Geburtstag feiern wir bei Glühwein und Käsefondue nach. Meine Freunde haben ihm Geschenke mitgegeben, danke an alle! Stefanie hat Katzenspielzeug geschickt, auf das Sieder natürlich voll abfährt. Sein Liebling ist sofort eine fette rotzhässliche Naturfellmaus, die klingelt und quietscht und an einer langen Gummischnur hängt. (Von Ali und mir das „Rattenmausi“ genannt). Und von Ali kriegt er einen Mainz 05 Fressnapf. Bin happy, endlich kann mein Kater von anständigem Geschirr speisen und hat schönes Spielzeug.
Weihnachten verbringen wir auf Hainan in einem richtig geilen Resort. Wir beide sind total urlaubsreif, Entspannung pur. Heiligabend stellt man uns ein riesiges, von innen beleuchtetes Lebkuchenhaus in die Bude. Wir tauschen traditionell zu den Klängen des Weihnachtsoratoriums unsere Geschenke aus. Phantastisches Essen in sommerlicher Kleidung unter Palmen, während Bing Crosby diskret von einer Weissen Weihnacht träumt. Verrückt. War Weihnachten noch nie weg von zu Hause und ich wollte dieses Fest schon immer mal mit einen fetten Cocktail am Hals im Warmen feiern.
Muss wieder arbeiten und Ali erkundet die Stadt auf eigene Faust. Er hat Spaß, lässt sich die Haare scheren und schleppt jede Mange Nahrungsmittel an. War klar, dass mein Gemahl in der Lebensmittelabteilung von Carrefour Stunden verbringen kann. W- LAN richtet er mir auch noch ein und auch ein DVD- Spieler sowie ein Heizlüfter werden erworben. Leider lässt das Ding mehrere Male die Hauptsicherung meiner Wohnung rausfliegen, weswegen die netten Herren von den Elektrizitätswerken mittlerweile meine besten Freunde sind.
Sylvester verbringen wir in einem tollen Hotel in der Innenstadt. Wegen des Hochhausbrandes im November leider keine Feuerwerke, aber am Neujahrstag genießen wir ein hervorragendes Früh-stück mit grandioser Aussicht auf die Stadt, besuchen die Biennale im Kunstmuseum und gehen shoppen. Schade, dass Ali zum chinesischen Neujahr nicht hier sein kann.
Am ersten Sonntag des neuen Jahres gehe ich trainieren und Ali kommt später, um uns zuzuschauen. Fröhliches Wiedersehen mit dem Meister, die beiden haben sich jetzt knapp vier Jahre nicht getroffen. Das letzte Mal, als ich hier 2006 meinen Geburtstag gefeiert habe. Da muss man natürlich gemeinsam essen gehen. Keine Zappelmaid, aber der nette Teeknülch ist dabei. Xiao Lu wird auch noch schnell herbeitelefoniert. Leckeres Essen, Ali ist begeistert. Photos werden auch noch geschossen, ich freue mich.
Nach drei schönen Wochen muss mein Gatte dann leider wieder nach Hause. Setze ihn in ein Taxi und instruiere den Schergen, an welchem Terminal er ihn abzusetzen hat. Trabe zur Arbeit und bin traurig. Als ich abends nach Hause komme, erwartet mich Sieder an der Tür, kreischt vorwurfsvoll und wischt zwischen meinen Beinen durch nach draußen. Mir gefriert das Herz, das hat er noch nie gemacht. Vielleicht ist er enttäuscht, dass das nette große Menschenmännchen jetzt auf einmal weg ist und sucht es. Klare Sache: Das Vieh kommt mit nach Deutschland, egal was ich dafür tun muss.