Anmerkung: Habe diesen Post bereits letzes Jahr kurz vor Weihnachten verfasst, ihn aber aufgrund Problemen mit der Great Firewall und weil er mir etwas zu ausschweifend erschien, nicht veröffentlicht. Mittlerweile ist schon wieder viel passiert.
Sieder:
Als ich meine Wohnung aufschließe, habe ich
schon einen Kloß im Hals. Keine Katze, die mich begrüßen und sich vor mich
zwecks Beschmusung auf den Boden werfen wird. Außerdem ist da ja noch das ganze
Spielzeug, das mich an ihn erinnert. Zwar weiß ich, dass Sieder in Deutschland
in besten Händen ist und es bestimmt besser hat als hier, aber trotzdem
vermisse ich ihn fürchterlich.
Hatte nicht mit dem Feingefühl meiner Ayi
gerechnet. Alle Katzensachen sind diskret beiseite geräumt und dem ersten Blick
entzogen. So ist die katzenlose Wohnung nicht ganz so schrecklich. Könnte die
Frau küssen! Brauche aber Wochen, bis ich im Supermarkt an dem Regal mit
Tiernahrung vorbei gehen kann, ohne dass ich traurig werde. Spiele mit dem Gedanken,
im Park eine Katze zu fangen oder eine Pflegekatze aufzunehmen, verwerfe ihn
aber wieder. Dieses Tier und ich, das war Schicksal. Widerstehe tapfer
jeglicher Versuchung, während Sieder unter Alis liebevoller Obhut tatsächlich
nochmal an Größe zulegt. Muss ich unbedingt dem Meister und Xiao Lu erzählen,
anscheinend sorgt die gute deutsche Luft dafür, dass Katzen bei uns größer
werden als hier.
Montag nach meiner Rückkehr besucht mich Lilo auf
ihrem Rückweg von Wudang für drei Tage. Ich habe noch vier Tage frei und es
sind Nationalferien. Freue mich natürlich über Besuch aus der Heimat und
erwartungsgemäß gestaltet sich der Aufenthalt als nicht enden wollender
Shopping- Rausch. Bin immer wieder fasziniert, wie Lilo es schafft, über den
hier feilgebotenen Tand in kindliches Entzücken zu geraten und dann auch mit
sicherer Hand das wirklich kitschigste Zeugs zu finden. Interessant finde ich,
wie Lilo laut zu jedem Gegenstand fast entschuldigend Überlegungen hinsichtlich
seiner Nützlichkeit anstellt, um ihn dann anschließend doch zu kaufen.
Unwiederstehlich |
Ich kenne das ja alles und bin langsam gegen
blitzende Sachen mit aufgedruckten Kätzchen oder Glöckchen dran fast immun.
Aber auch nur fast, denn natürlich schnappt auch bei mir die „mai dongxi“
(Zeugs kaufen) Falle zu. Da findet sich
dann doch noch ein schicker Schal, die Kühlschrankmagneten sind unverzichtbar
und irgendwie süß und warme Hauspuschen kann man gerade im Shanghaier Winter
auch immer gut gebrauchen. Während Stefanie und ich bei ihrem Aufenthalt im Mai
unsere Mauken für den Sommer haben bearbeiten lassen, denken Lilo und ich an
die herannahende kalte Jahreszeit und erwerben ganz entzückende flauschige
Kätzchensocken. Und die mit Leopardenmuster müssen auch unbedingt gekauft
werden. Abendliche Begutachtung der Beute und lange Gespräche in meiner Küche
bei alkoholischen Getränken, Besuch von Freundinnen ist einfach geil.
Meister Wu und Xiao Lu werden zum
obligatorischen Essen eingeladen, ein lustiger Abend. Xiao Lu sieht schon
erheblich besser aus, auch wenn das mit der Hand immer noch nicht gut ist.
Meister Wu hat zwar das Rauchen, nicht aber das Saufen aufgegeben, zum Essen
hat er gleich mal eine Literflasche Schnaps mitgebracht, die wir dann auch
zügig leeren. Noch während wir tafeln, ruft ihn Wujie an und kündigt sich für
den nächsten Abend zum Essen an. Der Meister ist entzückt, da müssen Lilo und
ich selbstverständlich mit dabei sein. Ob wir schon was vorhätten? Natürlich
nicht, so eine Gelegenheit lassen wir uns doch nicht entgehen. Prima, Schnaps wäre
auch ordentlich am Start, der Abend ist gebongt.
Solides Schuhwerk. |
Am nächsten Tag besuchen wir Zhoujiazhou, ein
Wasserdorf in der Nähe. Klasse Idee, denn während der Feiertage hat natürlich
halb Shanghai denselben Plan. Erwischen auf der Rückfahrt voll denn Bummelbus,
weswegen wir völlig abgehetzt und verspätet bei Meister Wu eintreffen. Egal, es
wird ordentlich gesoffen und gespiesen, Lilo und ich kündigen uns vollmundig
für den nächsten Tag zum Training an.
An Donnerstag schleppen wir uns leicht
verkatert, aber tapfer in den Park und werden von Meister Wu hübsch auf Trab
gebracht. Wir sind die beiden einzigen im Training, es wird eine nette Stunde.
Frage den Meister, ob er morgen denn auch im Park sei? Ja? Oh fein! Mein
letzter Urlaubstag, aber eine Einzelstunde mit Meister Wu lasse ich mir
natürlich nicht entgehen. Letzter Raubzug durch die Stadt, abschließende
Massage und dann muss Lilo auch schon langsam aufbrechen. Begleite sie an den
Flughafenbus und winke ihr nach.
Meister:
Kriege meine Einzelstunde und bin glücklich.
Gegen Ende der Übungseinheit tauchen auf einmal vier ältere Herren auf, die vom
Meister enthusiastisch begrüßt werden. Alte Kampfgefährten, jetzt selber
Meister. Muss unsere Form vorturnen und bin entsprechend nervös, hier schauen
schließlich Experten zu, kriege die Form aber fehlerfrei hin. Anscheinend auch
gar nicht so schlecht, oder die Herren sind einfach nur höflich. Der Meister
jedenfalls scheint zufrieden mit meiner Leistung. Die Herren führen nun
ihrerseits ihre Stile vor und ich bin beeindruckt. Hätte ich nach denen
auftreten müssen, hätte ich vor Respekt kein Glied rühren können. Nach diesen
Vorführungen verkündet Meister Wu fröhlich, jetzt würden wir aber alle nett
Mittagessen gehen und ruft Xiao Lu und seinen Sohn an, auf dass sie uns Gesellschaft
leisten. Ich bin etwas vorsichtig, denn ich muss morgen meine neue Stelle
antreten und hätte mich nach den anstrengenden Tagen mit Lilo gerne für den
Rest des Tages aufs Ohr gelegt. Und Essen mit so alten Kampftigern kann schon
mal sehr feuchtfröhlich werden. Kann mich ja immer noch entschuldigen, denke
ich.
Was dann folgt, wird eine ausgiebige Fress- und
Sauforgie quer durch Shanghai. Hätte ich mir fast denken können, als schon zum
Mittagessen Schnaps gereicht wurde. Meine Rückzugsversuche werden durch heftige
Proteste der alten Tiger verhindert. Kenne das Programm ja eigentlich, aber
diesmal meinen die das tatsächlich auch so. Na gut, was willste machen.
Alte Geschichten werden erzählt, sehr lustig.
Finde es interessant, dass Meister Wu mit seinem Vornamen angeredet wird, höre
das zum ersten Mal. Einer der Tiger hat keine Probleme damit, sich am Tisch
seiner Trainingskleidung zu entledigen und in einen seriösen Anzug zu
schlüpfen. Pensionierter Chef der Staatssicherheit, wie mir Xiao Lu ins Ohr raunt.
Wir finden uns schließlich in einem uigurischen Restaurant irgendwo in Pudong
wieder, dass einem Schüler eines der Tiger gehört. Feuertopf wird aufgetischt, großzügig
Zigaretten gereicht und der Schnaps fließt in Strömen. Mann, mit diesem
uigurischen Schüler und vor allem seinem Bruder wollte ich mich aber auch nicht
anlegen wollen! Ein Kerl wie ein Schrank, Tatzen wie ein Bär und cool wie ein
Eisblock. Die Herren wollen alles Mögliche von mir wissen, zum Beispiel, was
ich denn so als wichtig an einem Mann erachten würde? Herr im Himmel, die
stellen Fragen! Und dann noch in einem so komplizierten Chinesisch! Langsam
werde ich nervös, keine Ahnung, wo wir sind und ich muss doch morgen arbeiten!
Einer der Typen versucht, mich abzufüllen, was ich aber mädchenhaft kichernd
mit dem Hinweis, ich als Frau vertrüge keinen Alkohol verhindern kann. Absolutes
worst- case scenario: Vollgesoffen mit sechs alten Kerlen, zwei Uiguren und
Xiao Lu an einem unbekannten Ort und totaler Verlust sowohl der Mutter- als
auch der Landessprache, neue Arbeitsstelle am nächsten Tag. Nee, danke. Meine
Äußerung wiederum veranlasst Meister Wu zu brüllendem Gelächter und bringt mir
einen kernigen Hieb auf den Rücken ein, so dass ich fast mit dem Gesicht im
Feuertopf lande. Bei ihm waren die Abfüllversuche durchaus erfolgreich. Schließlich
bugsieren wir den mächtig angezählten Meister in ein Taxi. Kriege mit, dass uns
dieses lediglich bis zur nächsten Metrostation befördern soll und greife ein.
Nix da, wir fahren jetzt nach Hause. Und ich zahle. Heftige Proteste, aber Wu
Junior und Xiao Lu sehen schließlich ein, dass Meister Wu in seinem Zustand
besser so schnell wie möglich nach Hause kommt. Der blöde Taxischerge verfährt
sich natürlich, während Meister Wu ständig darauf besteht, dies sei doch jetzt
die Quyang Road und irgendwann mal dem Schergen diskret für seine Unfähigkeit
Konsequenzen androht. Das Taxameter wird hastig ausgeschaltet. Endlich am Ziel
drücke Xiao Lu 100 RMB in seine verletzte und wehrlose Hand und sinke zu Hause
zitternd in meinen Sessel.
Merke: Wenn du dich mit chinesischen
Kampfkunst- Meistern in den Ring begibst, solltest du echt hart im Nehmen sein.
Und zwar in jederlei Hinsicht.
Job:
Trotz der gestrigen Orgie erscheine ich
einigermaßen frisch auf meiner neuen Stelle. Außer mir noch ein dröger Schotte,
der Rest Chinesen, die meisten mit eher rudimentären bis nicht vorhandenen
Englischkenntnissen. Kriege schnell mit, dass diese Typen ihr Handwerk echt
verstehen. Und die mich eingestellt haben, weil die von mir denselben Eindruck
hatten. James ist wohl eher der Vorzeige- Ausländer, ich hingegen finde mich in
der Position eines Projekt- Mangers wieder und muss an den Teamleadersitzungen
teilnehmen und wöchentlich Zeitpläne vorlegen. Auf Chinesisch.
Team |
Erster Job: 60.000 m2 Commercial. Kein
Raumprogramm, in zwei Wochen erste Präsentation. Man teilt mir James und einen
jungen Chinesen, der in Sheffield seinen Master gemacht hat zu. Archie entpuppt
sich als echter Glücksgriff. Nicht nur ist er ausgeschlafen, sondern auch lernfähig
und fleißig. Und ein netter Kerl, der aufgrund seiner eigenen Erfahrung weiß,
wie Scheiße man sich manchmal als Ausländer fühlt. Wir knechten wie die
Bekloppten und unser Team wird langsam richtig gut. Zahllose Konzepte für unser
Planungsgebiet, schließlich nickt unsere Chefin einen meiner Entwürfe ab. James
taut langsam auf und Archie und ich werden Freunde. Wir beide gehen sogar
zusammen vorzeigbare Klamotten für die nächste Präsentation für ihn kaufen, was
ihn echt glücklich macht. Eine in seinen Augen sexy Ausländerin begleitet ihn,
wow, was für ein Gewinn an Gesicht! Ich hingegen habe sowieso nichts Besseres
vor und komme mir so vor, als ginge ich mit meinem Sohn shoppen. Tatsächlich
ist seine Mamma nur drei Jahre älter als ich, aber in typisch asiatischer
Fehleinschätzung hält Archie mich für knackige 33. Ich lasse ihn in dem Glauben
und fühle mich geschmeichelt.
Meinen Geburtstag verbringe ich im Büro, wieder
mal eine Präsentation vorbereiten. Mega- Stress, obwohl ich es zu schätzen
weiss, dass ich endlich mal einen Kuchen bekomme und diesen zur Verfütterung an
die restlichen dreißig zweisprachig
„Happy Birthday“ grölenden Kollegen zerhacken muss.
Der Bauherr fährt voll auf unseren Entwurf ab,
wir freuen uns, aber noch mehr Stress. Mein soziales Leben kommt komplett zum
Erliegen, von Trainieren ganz zu schweigen. Schaffe es aber trotzdem, mit Ali
und Sieder, Stefanie und Lilo zu skypen oder zu chatten.
Liege nach dem ganzen Stress zwei Tage voll auf
der Schnauze, die mir prompt vom Gehalt abgezogen werden, da ich kein
ärztliches Attest habe. Scheißegal, Arztbesuch in der Ausländerabteilung hätte
Kohle und noch mehr Stress bedeutet. Archie fällt die Kinnlade runter, als ich
diese Tatsache huldvoll meiner Sekretärin erläutere. Für chinesische Verhältnisse
verdiene ich ohnehin fürstlich, für einen Berufsanfänger wie ihn
schwindelerregende Summen. Dass ich weiterhin mit der Metro und nicht im
Porsche zur Arbeit fahre und in einer nicht so schicken Compound wohne, ist für
ihn unverständlich.
Drücke Urlaub zu Weihnachten durch und buche
meinen Flug. Schaffe es immerhin, am ersten Advent mit ein paar Freunden essen
zu gehen, ansonsten Arbeit und Schlafen. Shanghai legt einen Tacken drauf und
schmückt sich für Weihnachten. Obwohl ich täglich daran vorbeilaufe, halte ich
eines Abends den Jing´An Tempel irrtümlich für eine überdimensionierte und
schick beleuchtete Krippe.
Unser Keine- Ahnung-was-genau–aber–jedenfalls-superwichtigwichtig-Management-
Typ kommt ständig mit neuen Regelungen und Bestrafungen, die ihn zum
beliebtesten Mann des Büros werden lassen. Da diese Regelungen so kompliziert
sind, dass es eine Weile braucht, sie zu kapieren und zu übersetzen, fühle ich
mich nicht an sie gebunden. Wie ich mich überhaupt weigere, Ankündigungen, die
in Chinesisch an die Büroschergen ergehen, zu befolgen. Bestehe darauf, dass in
den Teamleader- Sitzungen Archie für mich übersetzt. Win- win Situation, er
kann was lernen, die Sekretärin hat den Rücken frei und ich habe einen
Fachübersetzer. Passt dem Supertypen nicht so, denn in der ersten Sitzung, in
der Archie für mich übersetzt, geht es um diese Regelungen. Klimpere mit meinen
blauen Augen, spiele mit meinem blonden Haar und schenke dem kleinen Fettsack
ein strahlendes Lächeln. Sajiao. Archie ist ab jetzt mein designierter
Übersetzer.
Montag mal wieder Präsentation, aber Donnerstag
nacht endlich Heimflug. Glaube, ich werde nur schlafen und essen. Hoffentlich
erkennt mich meine Katze noch, mein Mann wird mich wahrscheinlich mal wieder
beschimpfen, weil ich noch dünner geworden bin und übel huste. Aber das wird
schon. Freue mich auf Weihnachten und
Mann und Katz.
1 Kommentar:
And about bloody time, too....
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