Dienstag, Dezember 14, 2010

事势第二 – Stand der Dinge #2

Training:
Xiao Lu wundert sich, dass der Meister ihn so gar nicht nach meinen Trainingsfortschritten fragt oder was wir denn überhaupt so üben. Ob er mich denn danach gefragt habe? Nee, auch nicht. Mich wundert das auch ein wenig, entweder vertraut der Meister uns und sieht Erfolge, so dass er nicht fragt oder er hat mich abgeschrieben. Muss mich mal vorsichtig bei Rose erkundigen, wenn sie das nächste Mal kommt. Als ich Xiao Lu erzähle, der Meister fände, dass Rose die Säbelform „feichang piaoliang“ (außerordentlich schön) ausführe, ist er in seiner Ehre gekitzelt. „Rose ist fett“ sagt Xiao Lu und piaoliang sei ihre Form auch nicht wirklich, das habe er gesehen. Naja, fett ist Rose jetzt nicht gerade, wie ich finde. Gut, Damen in unserem fortgeschrittenen Alter neigen manchmal zu ein wenig mehr Üppigkeit um die Hüften und am Bauch. Aber fett? Bestimmt nicht.
Dafür werde ich jetzt gnadenlos korrigiert, das werde ich doch bestimmt hübscher hinkriegen als Rose. Versuche, mein Bestes zu geben. Und bei den Einzelbewegungen ist er auch sehr streng. Als ich einmal wegen diverser Dinge ziemlich mutlos und verzweifelt ins Training komme und mir bei seinem Gemecker irgendwann mal die Tränen in die Augen treten, denkt er, das sei seinetwegen. Ziemlich ernst erklärt er mir, ich sei jetzt über die Stufe des „xuexi“ (lernen) hinaus, das hier sei jetzt „lianxi“ (üben). Und das sei viel härter, denn am Ende stehe „gongfu“ (Können). Versichere ihm hastig, dass ich sein Vertrauen außerordentlich zu schätzen wisse und erkläre, was mich so bedrückt. Er hört verständnisvoll zu und tröstet mich. Bester Freund.
Wir freunden uns mit einer kleinen Parkkatze an, der ich öfters mal Futter mitbringe. Der arme kleine Kerl hat was am Auge und freut sich jedes Mal, wenn er uns sieht. Würde ihn am liebsten einfangen und zu einem Tierarzt bringen, aber wenn ich anfange, mich hier um jede Parkkatze zu kümmern, werde ich meines Lebens nicht mehr froh.
Kriege auch raus, was da neulich mit seinem Bruder los war. (Xiao Lu hatte mir das Training abgesagt, da sein Bruder beim Streit mit Nachbarn ein paar aufs Maul bekommen hatte und er ihn ins Krankenhaus und zu den Bullen begleiten musste).
Nachbarn haben geheiratet, wenn der Bräutigam die Braut bei ihren Eltern abholt, versuchen Freunde und Verwandte, dies spielerisch zu verhindern. Um sie umzustimmen, muss der Bräutigam dann ganz ganz viele rote Umschläge mit Geld verteilen, bevor er endlich die Braut mitnehmen darf. (Bei Yings Hochzeit war das ein Punkt des Missmutes ihrer Eltern. Ihr Gemahl hat anscheinend nicht genug Knete locker gemacht, jedenfalls der Auffassung ihrer Eltern nach).
Xiao Lus Bruder ging schauen, bekam keinen roten Umschlag und wurde dar ob sehr ungehalten. Ein Wort gab das andere, schließlich flogen Fäuste und des Bruders Nasenbein brach. 2000,- RMB, um es zu richten, ganz schön viel Geld für hiesige Verhältnisse. Und Schmerzensgeld musste auch noch gezahlt werden, ich glaube, so 5000,- RMB. Oder drei Jahre Knast. (Wer an wen kapiere ich allerdings nicht so ganz, obwohl ich die Geschichte sowohl von Xiao Lu als aucch von Meister Wu höre. Natürlich jeweils anders ausgeschmückt). Xiao Lu meint, sein Bruder sei sowieso nicht ganz richtig im Kopf. Bei der Gelegenheit erfahre ich auch, dass alle Lus unter einem Dach wohnen. Das Haus hat drei Stockwerke mit vier Parteien pro Stock. Zehn davon gehören zur Familie Lu. Krass.

Wetter:
Der November ist unglaublich schön und jetzt im Dezember verfärben sich tatsächlich auch endlich die Blätter der Bäume. Und es riecht wie bei uns im Herbst. Ziemlich viele Bäume in Park sind immergrün und es gibt auch viele Palmen, aber an unserem Trainingsgelände wächst ein Zierahorn, der sich in prächtigen Rottönen präsentiert. Viel Laub rieselt auf unser Trainingsgelände, das von Xiao Lu sorgfältig aufgefegt wird. Dabei darf ich ihm nicht helfen, fegen ist Männerarbeit. Versuche, ihm zu erklären, dass in Deutschland auch Frauen die Gasse fegen und wie wichtig es gerade in ländlichen Gegenden sei, dass Sonntags alles hübsch sauber ist. Die Deutschen sind ein merkwürdiges Volk.
Ein Typ sägt von einem der Bäume einen ziemlich dicken Ast ab. Ob das denn in Ordnung sei? Ach, kümmert doch sowieso keinen. Xiao Lu erklärt mir, dass dieser Baum sehr hartes Holz habe, aus dem man prima Siegel schnitzen könne. Und dann kann der Typ einfach so im Park einen Baum ansägen? Die Chinesen sind ein merkwürdiges Volk.
Nach chinesischer Auffassung ist Winter, deswegen trägt Meister Wu jetzt lange Unterhosen. Bis zum 11.12. ist das Wetter auch noch bombig. Heute am dritten Advent jedoch regnet es in Strömen und es geht ein unangenehmer Wind. Also ziehe auch ich lange Unterwäsche an und nehme zum Training heißen Tee mit ordentlich Ingwer, Zitrone und den mir von Xiao Lu geschenkten roten Beeren mit. Obwohl es angeblich knapp 10° über Null sind, frieren mir fast die Hände und Füße ab. Da das mit dem Fajing bei mir heute so gar nicht klappen will, halte ich Meister Wu meine Griffel unter die Nase. Die ersten beiden Glieder meines Zeige- und Mittelfingers sind weiß, die Nägel blau. Oha. Herz und Durchblutung nicht in Ordnung. Ob ich Medizin nähme? Nee, natürlich nicht. Warum und welche denn auch. Der Meister denkt kurz nach. Naja, dann aber wenigstens vor dem Schlafengehen Hände und Füße ordentlich in heißem Wasser baden. Ja, werde ich machen.
Und es soll noch kälter werden. Ab Mittwoch soll es nachts sogar frieren und vielleicht auch etwas schneien. Zum Glück habe ich bei Marks & Spencer einen flotten Daunenmantel ohne Glitzer und ordentliche Stiefel ohne Absätze gefunden. Was in China im Allgemeinen und erst recht bei meiner Größe schon ziemlich schwierig ist.

Weihnachten:
Schon seit dem ersten Advent haben die Kassiererinnen beim E- Mart, seit dem ersten Dezember auch die bei Carrefour Nikolausmützen auf und aus den Lautsprechern säuselt Weihnachtsmusik. Mein Favorit: Christmas in New York von den Pogues, gesungen von einem Kinderchor. Geil, wie engelsgleiche Stimmen die ganzen Beschimpfungen intonieren. Angesichts des (anfänglich) milden Wetters bin ich noch gar nicht in Weihnachtslaune, versuche jedoch, mich durch das Abbrennen von Kerzen besinnlich zu stimmen. Da jedoch Sieder großes Interesse an den Kerzen zeigt, sehe ich davon zügig ab. Habe keine Lust, mit einer verletzten Katze durch halb Shanghai zu jagen.
Ich lausche den Roten Rosen und schwelge in lieben Erinnerungen an vergangene Tage und an das Tote Hosen Konzert letztes Jahr.
Zur Eröffnung eines Einkaufszentrums nahe unseren Büros ist an meiner Metrostation ein buntes Riesenrad aufgebaut worden. An der Station werden sowieso Nieren gegrillt, sieht aus und riecht also fast wie Weihnachtsmarkt. Deutschland ist eingeschneit, Frankfurter Flughafen dicht. Stehe in der Metro, schaue Nachrichten und kann kaum glauben, was ich sehe. Hoffentlich kommt Ali nächsten Mittwoch da überhaupt raus.
Bei Carrefour gibt es sogar einigermaßen annehmbaren Weihnachtsschmuck. Sehe vom ursprünglich avisierten Erwerb eines Plastikbaumes ab, da Sieder den sowieso als eigens für ihn angeschafftes Spielzeug betrachten und sofort zerlegen würde. Aber eine Girlande und ein paar mattgoldene Plastikglocken als Innenschmuck gehen dann doch. Sieht sogar recht geschmackvoll aus. Jedenfalls für hiesige Verhältnisse. Da die Glocken auch bimmeln, üben sie natürlich magische Anziehungskraft auf meinen vierbeinigen Freund aus, aber er kommt nicht dran, was ihn frustriert jaulen lässt.
Da die Chinesen zu ihrem Neujahr, was in Bezug auf Familienzusammenkünfte die gleiche Bedeutung wie Weihnachten für uns hat, ihre Buden prächtig zu schmücken pflegen, muss natürlich auch Dekor für die Außenseite der Tür her. Als einzige ausländische Bewohnerin dieses Hauses muss ich schließlich Zeichen setzten. Kaufe also den kitschigsten Türschmuck, den ich bei Carrefour finden kann, einen Weihnachtsmann mit teilweise erhabenen Schriftzügen, der von pinkfarbenen, ebenfalls erhabenen Herzen umrahmt ist. Geschmacks- Overkill. So. Weihnachten und der Herr Gemahl können kommen. Mittlerweile wird auch lokal immer heftiger dekoriert, vor dem Jing’an Tempel und in Xintiandi dürfte es richtig krass sein. Mein Kollege Jingfeng erklärt mir, dass Weihnachten für junge Chinesen vor allem eine willkommene Gelegenheit zum Partymachen ist. Na denn, mögen die Spiele beginnen!

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