Donnerstag, Oktober 21, 2010

放假第四次 – Ferien #4

30.09.2010, Donnerstag

Morgen ist der erste freier Tag unserer Ferienwoche, eigentlich wollte ich ausschlafen und habe deswegen extra die Ayi abbestellt. Bin davon ausgegangen, dass am Nationalfeiertag sowieso niemand Lust auf Training hat. Chat mit Xiao Lu, er ist ab halb neun im Park. Na gut, dann doch Training.
Der Zustand meiner Hand hat sich nur unwesentlich verbessert, bin deswegen ziemlich unglücklich. Der nette Arzt in der Ausländerabteilung des Huashan- Krankenhauses (empfehlenswert) erklärt mir, dass ich mir da wohl den Radialis- Nerv ziemlich übel gequetscht habe. Auch bekannt als Fallhand oder „Parkbank- Syndrom“. Kann dauern, nichts zu machen. Mist.
Da wir eine Woche frei haben, kann Mike Sieder, unsere Bürokatze natürlich nicht so lange alleine im Büro bleiben. Erkläre mich bereit, den kleinen Kerl bei mir aufzunehmen. Nach der Arbeit wird Mike in die von mir eigens besorgte Transporttasche gelockt und mitsamt Klo, Futter und Spielzeug in ein Taxi verfrachtet. Der erste Taxifahrer schmeißt uns auch prompt aus seinem Fahrzeug, er mag wohl keine Tiere. Wüste Beschimpfungen, der zweite Taxifahrer ist ein Netter und nimmt regen Anteil an Sieders Gejaule, der über seine Gefangenschaft in der zwar schicken aber doch einengenden Tasche natürlich nicht sehr begeistert ist. Konversationen mit chinesischen Taxifahrern können den Sprachkenntnissen echt dienlich sein, wie ich schon mehrfach festgestellt habe.
Sieder erkundet vorsichtig meine Wohnung, zum Glück rafft er ziemlich schnell, wo er seine Geschäfte zu verrichten hat. Dass er mir beim Pinkeln zuschaut, mag dabei geholfen haben. Er erweist sich als sehr höflicher und angenehmer Gast.

01.10.2010, Freitag- 08.10.2010, Freitag

Vormittags, Meister Wu:

 Prächtiges Wetter und herrlich entspannte Trainingstage, die Zappelmaid ist wohl auf Hei-maturlaub. Stattdessen üben Rose und Jud öfter mit, so wird Fortgeschrittenenprogramm gefahren. Und mit der Säbelform wird auch endlich angefangen. Keine sehr kluge Idee mit einer immer noch widerspenstigen Hand, aber wir üben ersatzweise mit Stöcken, die nicht sonderlich schwer sind. Auch wieder doof, denn so weiß ich nicht, ob ich diese Waffe auch richtig handhabe. Säbel haben ja im Unterschied zu Schwertern nur eine scharfe Seite und die sollte dann schon effektiv eingesetzt werden. Macht nichts, Hauptsache, ich kriege den Bewegungsablauf drauf und der hat nichts mit dem zu tun, den ich von meiner Schwertform kenne. Klar, andere Waffe.
 Jud bringt seine Profi- Kameraausrüstung mit und nimmt Xiao Lu´s Mian Zhang aus mehreren Perspektiven auf. Helle Aufregung im Park, da wird gefilmt! Massenauflauf. Anschließend filmt der Meister unter Xiao Lu´s und meinen kritischen Blicken Jud bei der Tai Zu Form. Jud möchte das jeden Monat aufnehmen, um sich korrigieren zu können, keine schlechte Idee, wie ich finde. Ich verzichte auf das Vorturnen vor Kamera, nach Sichtung des Materials sind wir der Meinung, dass Xiao Lu eine Karriere als Wujia- Filmdarsteller einschlagen sollte. Der lacht und winkt ab, versuche, ihn mir in historischem Fummel und mit langen Haaren vorzustellen. Schwierig.
 Spontane „Früher war alles besser“ Diskussion. Habe Meister Wu selten dermaßen erregt gesehen, lautstark äußert er sich über die Ungerechtigkeit des Systems und die Tatsache, dass für die einfachen Bürger die Lebenshaltenskosten und die Kosten für medizinische Versorgung ins Unermessliche schießen, während korrupte Beamte alles in die eigene Tasche stecken und die Reichen immer reicher werden. Und auch mein großer Bruder hat dazu was zu sagen: Warum stützt China den Euro und insbesondere Griechenland, wo doch so viele Chinesen gerade auf dem Lande im Armut leben? Und erntet dafür nur Undank, die westlichen Länder fordern eine Abwertung des Yuan! Soll sich China doch erst mal um seine eigenen Leute kümmern! Aber leider dürfe man gegen sowas ja nicht demonstrieren, sonst käme man in den Knast. Habe von Volkswirtschaft ja nur eine eher diffuse Ahnung, die ich auf Chinesisch schon gar nicht formulieren kann. Außerdem fühle ich mich als Ausländerin nicht berechtigt, zum Thema Regierung und dergleichen irgendwelche Kommentare zu äußern. Schaue mich aber vorsichtshalber nach eventuell in den Büschen lauernden Schergen der Staatssicherheit um und krame verzweifelt nach Phrasen wie „Ich will meinen Konsul sprechen“ und „Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun“ in meinem Wortschatz. Zum Glück kann Rose die ganze Situation etwas beruhigen.
 Der nette Baji- Typ schaut auch öfters mal vorbei und erkundigt sich vorsichtig nach meinem Namen. Er selber nennt sich „Rocky“. Aha. Muss sehr an mich halten, um mich nicht vor Lachen schreiend auf dem Boden zu wälzen.
 Hasenzahn hat seit Neuestem einen Schüler, dem er die hohe Kunst des Xingyi beibringt. Sehr knackiger Knabe Ende Zwanzig, im Sommer habe ich ihn schon beobachtet, wie er in knappen Hosen und mit nacktem Oberkörper einen jungen Baum attackierte. Augenweide. Witzigerweise sieht er von den Gesichtszügen her meinem Lieblingscousin ziemlich ähnlich, überhaupt entdecke ich häufiger Chinesen, die mich an irgendwelche Leute in Deutschland erinnern. Hasenzahns Trainingsmethoden finden wir aber alle nicht so toll, der leckere Knabe übt unter voller Anspannung. Was soll es, weide mich heimlich an seinem makellosen Körper, richtig hübsche und gut gebaute Männer kriegt man ja hier nicht so oft zu sehen.


Nachmittags, Xiao Lu:

 Training mit Xiao Lu, es wird langsam Herbst und in der Luft hängt der süße Duft des Osmanthus. Ich liebe diese Jahreszeit am meisten, vor allem das Licht am Spätnachmittag, das dem Park eine verwunschene Atmosphäre verleiht. Wenig Leute unterwegs, wir üben sehr gewissenhaft alle 24 Einzelbewegungen unseres Stiles unter verschiedenen Aspekten. Ich lerne viele Dinge, die regulären Schülern so nicht unbedingt beigebracht werden und muss versprechen, dieses Wissen auch nicht weiter zu geben. Warum Xiao Lu ausgerechnet mich zu sowas auserkoren hat, werde ich nie verstehen. Vielleicht hatten wir ja in einem früheren Leben eine innige Beziehung, Waffenbrüder oder so was. Ich glaube zwar nicht an Reinkarnation, aber wenn man in Asien lebt, beginnt man doch einige westliche Sichtweisen in Frage zu stellen.
Was die Säbelform angeht, hat Xiao Lu auch einen besonderen Ehrgeiz entwickelt: Ich muss jetzt ganz schnell den Vorsprung der anderen Ausländer aufholen. Und gerade bei dieser Waffe zeigt sich für mich, was für ein toller Lehrer er ist. Xiao Lu kennt echt jede Finte und reagiert blitzschnell. Schwert habe ich erst richtig gut von Ramona gelernt, die zwar theoretisch weiß, wie die Anwendungen sind, aber nie mit dem Schwert kämpfen könnte. Xiao Lu hingegen kann mit dem Säbel auch wirklich umgehen. Ich muss ihn mit meinem Zweig angreifen und noch bevor ich ihm die Halsschlagader aufschlitzen kann, hat er die Sehnen meiner waffenführenden Hand durchtrennt, bevor er mir mit einem eleganten Schlenker den Bauch aufschlitzt, die Eingeweide durchbohrt und die Füße schlimm verwundet. Ich lerne, dass auf den Brustkorb oder vielmehr das Herz des Gegners zu zielen nichts bringt. Zu viele Knochen, die Klinge könnte brechen. Obwohl chinesische Säbel ihrer Form nach sehr nach brutalem Hacken aussehen, wird in der Anwendung doch eher geschnitten oder gestochen. Das macht man eher mit japanischen Samurai- Schwertern, die auch anders geschliffen sind. Beim Hacken könnte die Waffe ja im Knochen stecken bleiben, zu viel Zeit geht beim Versuch, sie los zu rütteln verloren. (Wie so oft muss ein unschuldiger Baum in Heping Park für diese Demonstration herhalten). Bin von den Klötzen.
 Dienstag besucht Xiao Lu mich, um Sieder zu bewundern, der sich jedoch scheu versteckt. Ich werde getadelt, meine Katze gehorche mir nicht, aber ist das nicht typisch? Ob seine Katzen denn auf ihn hören würden? (Mittlerweile hat der Meister ihm auch noch Aomi, seine Burmakatze aufgenötigt). Kleinlaut muss er zugeben, dass die auch eher ihrem eigenen Willen folgen. Wir gehen gemeinsam meine aufzeichnungen zu Tongbei durrch und er hilft mir, da ich des Meisters Klaue nicht immer entziffern kann.
 Donnerstag- und Freitagmittag hat Xiao Lu leider keine Zeit für mich, wie schade. Dafür spiele und schmuse ich mit meinem vierbeinigen Mitbewohner und gammele ein wenig. Freitag erkunde ich auf der Flucht vor der Ayi das Gelände der Tongji- Universität. In der Chifeng Lu entdecke ich ein nettes kleines Restaurant, dass sehr annehmbare Pizza feilbietet. Gut zu wissen. Der Quyang Park bei mir um die Ecke wird auch noch auskundschaftet, nicht so schön wie der Heping Park. Sitze in der Sonne, lese und mache die Bekanntschaft einer kleinen Tigerkatze. So eine Fellzeichnung habe ich noch nie gesehen: Das Tier ist schwarz und hat helle beige- graue Streifen. Aber mein kleiner Freund ist niedlicher.

09.10.2010, Samstag

Wir fangen wieder an, zu arbeiten und das bedeutet auch das Ende von Mikes und meiner harmoni-schen Wohngemeinschaft. Der kleine Kater lässt sich ohne Murren in die Tasche verfrachten, erst als wir meine Wohnung verlassen, fängt er an zu protestieren. Taxi ins Büro, der Kater heult und ich heule auch. Hatte mich gerade daran gewöhnt, dass zu Hause jemand auf mich wartet, jetzt bin ich wieder alleine.
Während der Arbeit schläft mein kleines Tier auf meinem Schoß zusammengerollt, schwerer Ab-schied. Meine Wohnung kommt mir leer vor, muss wieder heulen. Wenigstens kommt Donnerstag Lilo auf ihrem Rückweg nach Deutschland hier vorbei, immerhin ein gewaltiger Lichtblick.

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