Stefanie:
kommt Anfang April, ein paar Tage, nachdem ich
arbeitslos bin. Oder wie man das elegant nennt: Ein Sabbatical mache. Bei den
einschlägigen deutschen Fernsehsendern würde man mich vielleicht auch nur als
„arbeitssuchend“ beschreiben, obwohl ich alles andere als das tue.
Wir touren drei Wochen durch Süd- China und die
Provinz Yunnan. Viel erlebt, könnte darüber fast ein eigenes blog schreiben.
Geile Zeit, von den Karstbergen in Guilin zu den schneebedeckten Bergwipfeln in
Shangri- La. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an die Fremdenverkehrszentralen der Provinzen Guangxi und Yunnan: Schöneres Wetter und blauere Himmel hättet ihr uns auf unserer Reise nicht zur Verfügung stellen können. Werde bei Gelegenheit kräftig Werbung für euch machen und noch geilere Fotos veröffentlichen.
Lilo:
Ist dann im Mai hier, allerdings nur für ein
paar Tage, die dann meistens auch noch total verregnet sind. Immerhin schaffen
wir es in das Museum für Chinesische Kampfkünste, wo wir dann auch prompt viel
Spaß haben. Schauen zusammen „Tatort“ und hängen ab. Finden bei mir um die Ecke
eine richtig gute Suppenküche, in der wir öfters speisen. Am letzten Tag ihres
Aufenthaltes lassen wir uns eine Fußmassage angedeihen. Fängt gut an, klasse
Schultermassage, während unsere vom Training unansehnlichen Mauken in
Ingweraufguss einweichen. Auf einmal fangen die Typen an, unsere Füße und
Fußnägel mit einem Stecheisen zu bearbeiten. Kreische, wage aber nicht, mich zu
bewegen. Möchte ja hier ohne größere Verluste an Gliedmaßen rauskommen. In
meinem Spa wird immer Tee gereicht, während kundige Hände meine Hufe sachte
bearbeiten, abhobeln und mit schickem Nagellack versehen. Lilo hatte sich ihre
erste Pediküre sicher auch anders vorgestellt. Jedenfalls schließe ich das
daraus, dass sie ebenfalls den Atem anhält und sich in die Polster des Sessels
krallt.
Henkersmahlzeit in der Suppenküche, so was muss
doch in Deutschland auch ankommen! Letzter Gang über meine palmenbestandene
Compound, Gescherze mit meinen Nachbarn im Aufzug. Lilo wird ungewohnt sentimental
und da geht auch mir auf, dass ich ja auch nicht mehr sooo lange hier bleiben
werde. Schluck.
Training:
Endlich Zeit, endlich kann ich das tun, was ich
am liebsten mache. Arbeite sehr hart an mir und freue mich, dass ich fast jeden
Tag in den Park gehen kann. Treffe jede Menge interessanter Leute und stelle
erneut fest, dass China echt voll von schrägen Typen ist. Intensiviere meine
Freundschaft mit meinem Tongbei- Bruder Zheng Rui (Richard, der Teeknülch)
durch intensive Chats und Xiao Lu taucht auch wieder auf. Immer noch nicht fit,
immer noch Metall im Arm, aber trotzdem stehen wir morgens bei 30° und 80%
Luftfeuchte im Park und üben zusammen. An einem Punkt sagt er: „Schau uns mal
an. Wir sind Deppen (傻瓜, Sha
Gua, wörtlich übersetzt: Alberne Melone). Deutscher Depp und Shanghaier Depp“.
Muss lachen, ab jetzt rede ich Xiao Lu nur noch mit „Shanghai Shagua“ an und
habe am nächsten Tag im Training eine Melone dabei. Bin jetzt natürlich die
„Deguo Shagua“.
Meisterschülerin:
Da unser Stil sogar in China von sehr wenigen
Leuten geübt wird, erwartet man von uns Ausländern, dass wir das in unseren
Heimatländern lehren. Fühle mich dazu noch nicht berufen und bin mir über meine
Leistung nicht sicher. Sein eigenes Niveau aufrecht zu erhalten ist ja schon
schwer, aber das auch noch weitergeben? Nicht umsonst gibt es dazu etliche
Chinesische Weisheiten. Treffe Birte und ihren Kumpel Jo auf ihrem Rückweg von
Wudang in Shanghai, leider haben die beiden absolutes Pech mit dem Wetter,
scheinen sich aber trotzdem zu amüsieren. Interessante Gespräche, die beiden
sind auch Meisterschüler und doch so viel besser als ich. Auf jeden Fall
bessere Lehrer. Bin in einem Dilemma.
Zheng Rui macht mir Feuer unter dem Arsch und
ich vertraue ihm meinen geheimsten Wunsch an: Ich möchte als Meisterschülerin
anerkannt werden. Zheng Rui zögert nicht lange und ruft den Meister an. OK,
komm morgen ins Training.
Bin dann so nervös, dass ich mich kaum bewegen
kann. Überraschend viele Schüler im Sonntagstraining. Anschließend gemeinsames
Essen. Kriege keinen Bissen runter. Ernste Ansprache von Meister Wu, er steht
nicht so auf Rituale, also kein Kotau vor dem Ahnenaltar. Aber: Ich schwöre auf
moralische Integrität, die Wahrung der Tradition und noch vieles mehr. Nach
intensiver Prüfung und Einweisung erklärt mich Meister Wu vor versammelter
Mannschaft zu seiner Meisterschülerin. Kann kaum glauben, was ich da höre. Die
erste Frau und dann noch Ausländerin in unserem System.