04.05.2008, Sonntag
Stefanie und ich verbringen den Vormittag damit, über die London Bridge in das Geschäftsviertel zu schlendern und uns ein wenig Architektur anzuschauen. Das Lloyds Building von Richard Rogers gab es zu meiner Zeit noch nicht und ich finde es interessant, diese mittlerweile leicht angegammelte Ikone moderner Architektur aus der Nähe zu betrachten. Gleich daneben steht die Salatgurke (The Gherkin, für die weniger architektonisch versierten das Swiss Re Building) von Sir Norman Foster, ein die Silhouette des Geschäftsviertels dominierendes, glitzendes, phallisches Gebäude. Meine erste Begegnung mit einem Bauwerk von Sir Norman hatte ich 1993 in Hongkong, als Ali und ich die Bank of Hongkong and Shanghai besichtigten. Geiles Teil. Nachdem wir von den nach Fengshui- Prinzipien in Form des Schriftzeichens für Acht (glückbringend) angeordneten Rolltreppen wie in den Bauch eines Mutterschiffs in die Schalterhalle der Bank gesaugt worden waren, gelang es uns auch noch irgendwie, in die oberen Etagen dieses Gebäudes vorzudringen. Doch bevor ich den Hubschrauberlandeplatz besichtigen konnte, wurden wir von einem chinesichen Wachmann gestoppt, der sofort seine Hand an den Gummiknüppel legte, als ich ihn mit einem Schwall von Worten , wir seien deutsche Architekturstudenten etc. überschüttete und dann auch noch Ali sich unheilverkündend hinter mir aufbaute. Naja, in die Gurke kommen wir dann auch nicht ein, überhaupt ist das Bankenviertel Samstags nicht gerade der Bringer. Außer uns sind da nur Penner, Drogensüchtige und verirrte Architekten unterwegs. Und Boots hat natürlich auch nicht offen. Wenigstens schnappen wir geile Sandwiches als Tagesverpflegung und fahren diesmal ordnungsgemäß mit der Bahn nach North Dulwich. Rose hat von dem restlichen Geld des gestrigen Abends Kekse und Kuchen besorgt, der Meister besteht darauf, uns diesmal ordnungsgemäß mit kochendem Wasser zubereiteten Tee zu kredenzen, den wir alle sehr loben. Nach dem wirklich kostbaren Tee gibt es dann noch ziemlich guten grünen Tee, dessen Zubereitung der Meister Rose überlässt. In einer Zigartettenpause erwähne ich beiläufig, dass ich die Formen immer noch üben würde. Und die muß ich dann natürlich auch sofort vorturnen und es gibt zügig Gebrüll. Naja, aber ich glaube auch nicht, dass der Erfinder des Tongbei daran gedacht hat, seine Jünger könnten das mit ner Kippe in der einen und ner Schachtel Zigraretten in der anderen Hand ausüben, also schleudere ich diese Assecoirs von mir und der Meister ist wohl ganz zufrieden. Und so kündige ich mich grob für Oktober an und deute zart an, dass ich für nachmittägliche Nachhilfe durch Xiao Lu nicht undankbar wäre. Der Meister nickt und sagt „Keyi“. (Geht in Ordnung) Als wir uns umziehen und ich im Rucksack nach frischen Klamotten wühle, knufft Meister Wu mich in die Seite, sagt „Hey, hey“ und in meinen Rucksack fliegen erstmal zwei Schachteln der grauenhaften (aber teuren) chinesischen Kippen, gefolgt von einer Ladung Portionsbeuteln des echt guten chinesischen Tees. Da ich weiß, dass der Meister den ursprünglich zu seinem persönlichen Konsum mitgebracht hatte, damit er in der Fremde was vertrautes hat und mir nun einen großen Teil davon gibt, bin ich gerührt und versuche erst gar nicht das alte Spiel mit der Zurückweisung, sondern bedanke mich herzlich. Daraufhin fliegt noch eine Handvoll in meinen Rucksack. (Um noch mal hervorzuheben, wie wertvoll diese Geschenke waren: Auf den Päckchen steht nicht etwa so was wie „Dies ist Grüner oder Woolong Tee, bitte bereiten sie ihn auf folgende Weise zu… sondern einfach nur z.B. Drei himmlische Weise Tee. Teekenner wissen dann Bescheid.) Zeit des Abschieds, ich erzähle dem Meister noch, was für Artikel ich über ihn im chinesischen Netz gelesen habe, Rose wird nervös, Abschiedsfoto und das war es dann. Komisch, in Shanghai ist er immer ganz cool, wenn es ans Verabschieden geht, als ob wir uns am nächsten Tag wiedersähen. Hier ist er sichtlich traurig. Ungewöhnlich.