Showtime
Morgens um 8.00 werden wir mit maximaler Geräuschkulisse und Hektik in die Busse getrieben. Die Bediensteten klettern noch in jeden einzelnen Bus, um von uns Abschied zu nehmen. Tränen fließen, wahrscheinlich haben wir deren ansonsten farblosen Alltag hier oben wirklich bereichert. Anschließend ordentliches Abbrennen von Feuerwerkskörpern, während die heftig weinenden Bediensteten winkend Spalier stehen, setzen wir uns in Bewegung.
Wir fahren erstmal nach Shangrao, wo wir übernachten, da die Strecke nach Shanghai zu weit wäre. Außerdem sollen wir abends alle irgendwie unsere erlernten Fähigkeiten vorführen. Ich bin darüber nicht besonders glücklich, denn ich habe mir eine wirklich fette Erkältung eingefangen und zu allem Unglück hat sich Xiao Lu auch noch irgendwas gezerrt, als er uns gestern Abend die Form mal mit richtig Schmackes vorgeturnt hat. (Was muß der auch so angeben!). Meister Wu verliert uns gegenüber kein Wort über die Vorführung, was für erhebliche Verunsicherung sorgt.
Mittags gibt es endlich wieder anständiges Essen und dann auch sehr hübsche Hotelzimmer. Im Handumdrehen schaffen es die Hotelschergen, anständige Weihnachtsdekoration im Foyer anzubringen.
Mir geht es wirklich schlecht und deswegen kuschele ich mich vor der Glotze ein, in der passenderweise ein Stephen Chow Film läuft (Love on delivery). Vor lauter Dankbarkeit fange ich fast an, zu heulen: Jedesmal, wenn ich in China wirklich Scheiße drauf bin, kommt Stephen und rettet meinen Tag. Ich beschließe, Stephen Chow zu meinem persönlichen chinesischen Schutzheiligen zu machen.
Nach dem Abendessen trotten wir dann alle lemminghaft in ein Theater, wo einige Gruppen tatsächlich ihre Kenntnisse demonstrieren. Wir müssen nicht ran, nur der Meister klettert auf die Bühne und läuft nachlässig ein paar Linien. (Später kriege ich raus, dass er keinen Bock hatte, dem Pekinger Tong Bi Typen zu viel zu zeigen). Nach und nach tröpfeln denn auch Chinesen ein, die offensichtlich nichts mit dem Camp zu tun haben. Uns dämmert, dass das hier ein ganz regulärer Theaterabend ist und wir das Gebäude für unsere Vorführungen benutzen durften. Und natürlich muß dann auch der gute alte Jim Lauderdale wieder ran, der sich wieder in Lobeshymnen ergeht und ein paar seiner Lieder zum Besten gibt. (Eines ist sogar gar nicht übel). Aus den Augenwinkeln nehme ich erstaunt war, dass Xiao Lu diese Darbietung zu genießen scheint und –für chinesische Verhältnisse- abgeht wie ein Zäpfchen.
Und dann folgt die Show. Freunde, in meinem ganzen Leben habe ich selten etwas Bizarreres gesehen. Eigentlich dachte ich ja, meine Wahrnehmung wäre durch die Erkältung getrübt, aber Stefanie empfindet das gleiche. Mit etwas Wohlwollen könnte man das Ganze als „Variete“ bezeichnen, aber die Chinesen schaffen es immer wieder, uns zu überraschen. Mein absoluter Lieblingseinsatz: Ein Typ kommt auf die Bühne, quatscht irgendwas, ext unter dem donnernden Applaus des chinesischen Publikums zwei Flaschen Bier und geht dann wieder. Mann, wenn man mir für so was Geld geben würde, ich wäre reich! Den Westlern reicht es bald, aber wir schauen uns die Darbietungen bis zum Ende an. Auf dem Rückweg zum Hotel versuche ich, Xiao Lu ein paar höfliche Fragen zu seinem Befinden und seinem Eindruck von den Darbietungen zu stellen, aber leider versagt meine Stimme komplett.
In der Hotellobby quatschen wir noch ein wenig mit Wuji, als plötzlich dessen Handy klingelt. Kurzes Gebell auf chinesisch, dann grinst er uns an und sagt, das wäre eben Wu Mao Gui gewesen, der in der Kneipe um die Ecke zum Saufen und Essen auf ihn warten würde. Ob wir Bock hätten, mitzugehen? Klar haben wir. Diese Aktion kriegen auch ein paar männliche Campteilnehmer mit, die natürlich auch gerne mitgehen würden. Da reist man schon so weit, und jetzt bietet sich die Chance, mit ECHTEN chinesischen MEISTERN einen draufzumachen- wie aufregend! Und was macht Wuji? Schüttelt den Typen die Hand, sagt ihnen, er sei erfreut, sie kennen gelernt zu haben, wünscht denen eine gute Nacht und zieht mit uns beiden Schnallen ab. Für Stefanie und mich kickt Wuji in der Coole- Sau- Liga jetzt gleich neben George Clooney und Julian McMahon.
In der Beize hocken Wu Mao Gui und noch zwei andere Typen, die erstmal dumm gucken, aber ziemlich schnell ziemlich locker werden, als sie sehen, dass Stefanie und ich beim Saufen locker mithalten können und ich großzügig Kippen verteile. In der Mitte des Tisches brodelt fröhlich ein Feuertopf, dem nach und nach leckere Dinge wie Pansen, Hühnerfüße oder auch Krustentiere hinzugefügt werden. Zum Glück gibt es auch die guten alten Tigerpenisse und Kürbiskerne, so dass auch ich auf meine Kosten komme. Wir hören uns lustige Geschichten über die Abendteuer dieses fidelen Quartetts an, lauschen dem höflichen Wettstreit, wessen Stil wohl besser zum Kampfe tauge und als Meister Wu Krebsschalen aus dem Gesicht fallen, er seine Kippen im Essen ausdrückt und er seine Plauze streichelt und er uns sowohl auf chinesisch als auch auf englisch wissen lässt, dass er sich wohlfühle wissen wir, dass wir irgendwie dazugehören.