14.02.2010, Sonntag:
Abendessen beim Meister wird sehr spaßig. Xiao Lu wird überraschend als Abholer geschickt (bin ja zu blöd, mit dem Taxi zu fahren) und bringt mir einen monströsen Obstkorb mit geschätzten 4 Kilo Früchten mit. Um Gottes Willen, wer soll denn das alles essen? Na, ich. Weniger rauchen, weniger Kaffee, gesünder leben! Nach der Fingernagelinspektion neulich wollte er ja eigentlich auch irgendwelche Pillen der traditionellen chinesischen Medizin mitbringen, hat die aber so schnell nicht bekommen. Bin gerührt und verspreche, weniger zu rauchen und mehr Obst zu essen.
Bei den Wu`s hocken schon das lustige Männlein und ein anderer Schüler des Meisters und spielen Karten. Das Männlein freut sich, mich wieder zu sehen und sagt, ich sei seine kleine Tongbei- Schwester. Süß. Wir warten ewig auf Wujie, der ja vom ganz anderen Ende Shanghais anreist. Währenddessen wird schon mal die Festtagstafel unter viel Gekreische klargemacht, Wujie wird alle fünf Minuten angerufen, wo er denn gerade aktuell sei. Letztes Telefonat: Wujie steht vor der alten Hütte des Meisters und wundert sich, dass diese offensichtlich unbewohnt ist. Monkey Zhou (das Männlein) wird losgeschickt, um ihn einzusammeln. Schließlich trifft Wujie in Begleitung eines total kuriosen Typen ein: Der Typ hat auf dem Kopf einen schwarzen Lederhut, trägt einen Pulli mit grauenhaftem Muster und dazu eine schlecht gefälschte Louis Vuitton Krawatte. Sieht aus wie ein Gangster. Mann, genau wegen solcher schrägen Vögel muss man China einfach lieben! (Leider ergibt sich keine Gelegenheit zum Fotographieren). Es wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen, des Meisters frisch ondulierte Gattin kümmert sich rührend um mich. (Meister Wu natürlich auch). Erstmal für alle ein Wasserglas voll Schnaps, das ich schlecht ausschlagen kann. Eigentlich hätte ich ja lieber Cola. Dann wird geschmaust, Trinksprüche herausgebracht und natürlich gibt es auch wieder lustigen Sprachunterricht. „Cheers“ kennen die auf internationalem Parkett gewandten Herren natürlich, aber was hieße denn „Gan bei“ auf englisch? Das sei im Westen nicht so verbreitet, erkläre ich. Jedenfalls nicht bei den Engländern, deswegen gäbe es da keinen Begriff für.(Tatsächlich kenne ich keinen). Die Deutschen seien da nicht so warmgeduscht, wir täten das sehr wohl. Und bei uns hieße das „Auf Ex“! („Ex oder Arschloch“ oder „Hau weg die Scheiße“ schien mir dann doch etwas zu krass). Lederhut fragt, ob in Deutschland denn viele mit einer derartigen Kopfbedeckung herumliefen? Ähem, nein, eher nicht. Leider wird der meiste Teil der Konversation in Shanghainesisch geführt, so dass ich nichts verstehe. Trotzdem ein sehr lustiger Abend.
Bin noch total aufgekratzt und chatte mit Lilo und Stefanie, kann nicht schlafen und drapiere schließlich den Rechner neben meinem Bett. Schaue ein paar Serien und schlafe schließlich ein. Hilft doch immer.
15.02.2010, Montag:
Ich schlafe erstmal bis in die Puppen, putze meine Bude und wiederhole meine Formen, vor allem Ying Quan. Der Meister legt da beim Unterricht ein Höllen- Tempo vor, jedes Mal einen neuen Teil, wiederholt wird nichts. Zum Glück habe ich das Video. Fange an, den Obstkorb abzuarbeiten. Echt leckeres und exotisches Zeug da drin, hat bestimmt einiges gekostet.
Schreibe Abends eine vorsichtige SMS an Meister Wu, wann denn wieder trainiert würde? Zu beschäftigt mit feiern die nächsten Tage, ist doch Neujahr. Beschämt entschuldige ich mich und fange an, mein Programm für die Feiertage zu planen. Chatte mit Stefan, meinem chinesischen Fußball- Kumpel und frage nach der Super Brand Mall in Pudong, ob die was wäre? Klar, lauter tolle, ausländische Marken (wie der Name ja unschwer vermuten lässt) und das Beste: Im Basement ein Supermarkt, der ebenfalls ausländische Produkte führt. Auch Haribo. Mein Interesse ist geweckt.
16.02.2010, Dienstag:
Komme wieder spät aus den Federn, vielleicht ganz gut, dass nicht trainiert wird. Ich habe mir hier aber auch seit meiner Ankunft nichts geschenkt.
In Pudong brennt natürlich die Luft. Die Mall ist ja ganz nett, aber das ganze Zeug kenne ich ja schon von zu Hause, also nicht wirklich spannend. Außerdem eher auf den chinesischen Geschmack getrimmt. Als ich mir die Preisschilder im Esprit- Laden anschaue, schnappe ich nach Luft- Teurer als bei uns! Oha, da müssen unbedingt Alternativen her! Muss doch auch Läden mit schicken einheimischen Klamotten geben.
Im Tiefgeschoss der Mall stolpere ich erstmal über einen Laden der Marke Emoi mit sehr schicken und witzigen Öko- Produkten. Letztes Jahr hatte einer meiner Kollegen mir den Katalog dieser Marke gezeigt und da war ich schon ziemlich angetan. Damals allerdings wohnte ich hier ja noch nicht und hätte für die Dinge keine Verwendung gehabt. Kaufe eine Klappbox aus Stoff für mein Bad- Geraffel, hatte so was schon länger gesucht, geschmackvolle doppelwandige Trinkgläser und ein schönes schlichtes Notizbuch.
Der Supermarkt ist das Paradies schlechthin. Vor dem Kühlregal möchte ich am liebsten auf die Knie sinken und vor Dankbarkeit laut schluchzen. Käse! Es gibt Käse! Alle möglichen Sorten! Und ungesalzene Butter! Schaufele diverse Käseschätze in meinen Korb und finde in der nächsten Abteilung italienische Nudeln und Fertigsoßen. Auch davon wandert eine Auswahl in den Korb. Kurz vor der Kasse auch die ersehnten Haribo. Bin im Himmel. An der Kasse ledere ich dann ohne mit der Wimper zu zucken für diesen Spaß knapp 50,- Euro aus meiner Geldbörse. Und ich habe noch nicht mal Wein gekauft. Scheißegal, das ist es mir wert. Lebe ja hier sonst sehr bescheiden und gehe ja auch nicht weg abends. Meine Schätze werden liebevoll ausgebreitet und mit Tränen der Rührung in den Augen begutachtet. Jetzt brauche ich natürlich noch einen Topf, einen Dosenöffner und ein Sieb, um die Nudeln abgießen zu können. Gott sei Dank gibt es Carrefour. Auf dem Weg dorthin zerre ich ein Dokument aus meinem Briefkasten, dass ich achtlos in die Tasche stopfe. Ich entscheide mich für den Kauf eines Woks, schließlich kann man in dem auch Soßen zubereiten und chinesisch kochen wollte ich ja sowieso lernen. Dosenöffner von Fackelmann, heute ist Tag des ausländischen Produktes. Auf dem Weg zur Kasse bemerke ich ein Regal mit chinesischen Fertigsoßen. Auch sehr chililastigen. Sieht alles sehr viel versprechend aus, das wird demnächst näher studiert werden müssen. Bereite mir Spaghetti Napoli mit ordentlich Parmesan zu und setzte mich vor die Glotze. Köstlich! Die Reste werden eingedost, endlich ist mein Kühlschrank mal gut gefüllt. Ein schöner Anblick. Wenn ich jetzt nur noch gutes Brot hätte! Tatsächlich finde ich im Netz eine deutsche Bäckerei mit dem sinnigen Namen „Abendbrot“. Allerdings sind die ganz weit draußen in Puxi, in der Nähe der deutschen Schule. Aber die liefern auch. Wenn es sein muss, bis an die Haustür, bis spätestens 7.00 Uhr. Nach Hongkou immer Sonntags, man kann sich im Netz anmelden. Was ich sofort tue. (Als nach dem Namen der „Compound“ gefragt wird, muss ich grinsen). Mit zitternden Fingern ordere ich zwei Mohnbrötchen, zwei normale Brötchen und ein Mehrkornbrot. Die Bestellung wird bestätigt. Hoffentlich klappt das, bin völlig außer mir bei dem Gedanken, vor der Arbeit ein anständiges Käsebrötchen frühstücken zu können.
Siedend heiß fällt mir der Brief wieder ein. Eine Rechnung von China Telecom über 33,50 RMB, Internetgebühr von Januar. Leider kein Hinweis darauf, wie und wo die zu begleichen ist. Bei einer Filiale direkt? Aber wo ist die nächste? Kann ich ja am Samstag Matthew fragen. Aber von Zahlungszielen steht leider auch nichts drauf. Ich werde nervös: Was, wenn die mir hier das Netz abschalten, weil ich nicht rechtzeitig bezahle? Das wäre eine Katastrophe! Werde nervös. Recherchiere hektisch im Netz, gibt wohl einen Dienst der Shanghaier Stadtverwaltung, über den man so was per Internet- Banking machen kann. Melde mich an. Seiten teilweise nur in Chinesisch. Log- in bei der BOC über den Dienst klappt irgendwie nicht, fliege aus dem Netz. Werde immer panischer. Noch mehr Recherchen: Ist wohl so, dass man seine Strom-/ Gas-/ Wasser-/ etc. Rechnungen grundsätzlich bei der Post, bei seiner Bank oder in Convenience Stores begleichen kann. Was aber vielen Leuten zu umständlich ist, deswegen ja dieser Dienst. Convenience Stores? Häh? Etwa diese 24- Stunden Minimärkte wie Kedi, Lawsons, Family Mart und so? Unvorstellbar! Kann vor Nervosität kaum schlafen.
17.02.2010, Mittwoch:
Spät vormittags wache ich nach unruhigem Schlaf wie gerädert auf. Meine Augen sind verquollen, sehe aus wie eine Säuferin. Und das trotz Abstinenz und Obst- und Teekonsums die letzten Tage! Meine Bude ist mir noch entschieden zu lilalastig, deswegen möchte ich bei Ikea für das Sofa Kissen in gebrochenem Weiß erweben. (Habe die Produkte gestern vor dem Rechnungschaos schon recherchiert, sollte also schnell gehen). Sieht bestimmt schick aus und Kissen brauche ich sowieso, um mein müdes Haupt vor der Glotze zu betten, außerdem eine kuschelige Decke. Decken, die was aussehen, sind hier maximal 1,70 m x 1,30 m groß. China halt. Aber egal, meine Lieblingsdecke einfliegen zu lassen, wäre leicht übertrieben. Haste zum nächsten mir bekannten Mini- Markt auf dem Weg zu Metro 3 und präsentiere der Verkäuferin die Rechnung. Könne ich das hier bezahlen? Kurzer Blick auf das Dokument: Klar. Strichcode wird eingelesen, ich zahle, rote Stempel und ein Kassenzettel wird an die Fapiao (Quittung) getackert: Das war es. Und wegen so was kann ich die halbe Nacht nicht schlafen!
Mit der Metro 3 fahre ich sehr gerne, weil diese Linie überirdisch verläuft und man ständig wechselnde Perspektiven der Stadt hat. Obwohl die Fahrt zu Ikea fast 40 Minuten dauert, vergeht die Zeit wie im Flug. Ist halt was anderes, als mit der S8 von Mainz nach Frankfurt zu fahren. Bei Ikea ist natürlich der Teufel los. Seit Neuestem müssen die meisten privaten Taschen in einer soliden roten Tasche verstaut werden, die dann anschließen versiegelt wird. Das soll Ladendiebstähle verhindern, die wohl in letzter Zeit Überhand genommen haben. Und zwar nicht von Einzelpersonen, sondern von organisierten Banden. (Ein weiterer organisierter Berufszweig: Illegale Taxifahrer, die die schwer beladenen Konsumenten zu ködern versuchen). Was mir auffällt: Als westliche Ausländerin habe ich quasi Narrenfreiheit. Keiner hält mich auf, als ich entschlossen das Taschenversiegelungsteam ignoriere und die Rolltreppe hinaufstürme. Das sollte bei uns mal ein Asiate wagen!
Zickzacke mich an den Massen vorbei und schnappe mir die Kissen, die Bezüge und eine Vliesdecke. Wähle bei der Decke das billigere als zunächst anvisierte Produkt, dafür dann ein Kissen mehr. Denke, ein pinkfarbener Bezug könne meine „Couch“ rocken.
Eine Metrostation weiter, die an der von mir und Stefanie 2006 besuchten Sprachschule liegt, soll es angeblich einen Pflanzenladen geben. Seit meinem letzen Ikea- Besuch ist das einzige andere annähernd lebende Objekt in meiner Wohnung ein Efeu namens Wilson. (Nach Tom Hanks Basketball- Kameraden in „Castaway“). Möchte Wilson gerne zu angenehmer Gesellschaft verhelfen, als ich an der Hongqiuao Lu aussteige, werden alte Erinnerungen wach und ich muss fett grinsen. Ganz altes Territorium, fand die Gegend damals hier richtig Scheiße.
Biege von der Hongqiau Lu in die Huaihai Lu ein und stehe nach 200m zwar nicht vor dem ersehnten Pflanzencenter, aber in einem klasse Skulpturengarten. Mit jeder Menge Galerien und Cafes, die jetzt natürlich alle geschlossen sind. Trabe in der Abenddämmerung durch das Gelände und versuche, möglichst gute Fotos zu machen. Mann, warum haben Stefanie und ich das damals nicht entdeckt! Wo wir doch genau um die Ecke wohnten! Wie entspannt hätte man hier abhängen und lernen können! Muss ihr das unbedingt zeigen, wenn sie mich besucht. Und wenn alles aufhat, ist das bestimmt super hier.
Erwärme den Rest der Spaghetti und dekoriere: Die lila Puff- Bettwäsche wird gegen eine farbenfrohere ausgetauscht und gewaschen. Bin beglückt. Das pinkfarbene Kissen hingegen sieht richtig Scheiße aus! Da ich mich eigentlich für ziemlich geschmackssicher halte, bin ich erschüttert. Wie konnte ich mich derartig irren! Morgen will ich eigentlich in den Longhua Tempel, aber der liegt quasi auf der Strecke. Noch mal Ikea- Hölle an den Feiertagen? Egal, mal sehen.
Als ich mich um 23:00 schlafen lege, explodiert Shanghai mal wieder, diesmal aber richtig. Muss feststellen, dass Feuerwerke genau vor meinem Fenster explodieren, wenn sie unten im Hof entzündet werden. Ist ja hübsch anzusehen, aber nicht unbedingt toll, wenn man schlafen möchte. Die trägeren meiner Nachbarn entflammen die Böller in der Wohnung und schmeißen es aus dem Fenster. Was ist jetzt wieder? Ah, der Wohlstands- oder Küchengott kehrt zur Erde zurück. Sieben Tage vor Neujahr ist er gen Himmel aufgestiegen, um dem Jadekaiser zu berichten, was in den Familien auf Erden so abgegangen ist. Deswegen wurden ihm auch Süßigkeiten geopfert, damit er milde gestimmt bzw. sein Mund verklebt ist. Heute kommt er zurück. Und er steht nicht so auf schön, Hauptsache, laut. Schönen Dank. Tue in der Nacht kein Auge zu.
18.02.2010, Donnerstag:
Schäle mich um viertel nach sechs aus dem Bett und mache mich gemütlich fertig. Über Shanghai hängt Rauch und noch immer wird geballert. So muss sich Krieg anfühlen. Der Presse entnehme ich, dass wir Shanghaier in der Neujahrsnacht 1.000 Tonnen Feuerwerk abgefackelt haben. Das sind 200 Tonnen mehr als die Beijinger. Diese Luschen!
Mit der Metro fahre einmal fast rund um die Stadt zum Longhua Tempel. Von der Metrostation aus muss man noch eine Ecke laufen, habe Mühe, den Böllern auszuweichen. Shanghai steht noch immer unter schwerem Atilleriefeuer. Mittlerweile scheint die Sonne und es ist schön warm. Im Tempel ist natürlich die Hölle los (man möge mir diesen Ausdruck verzeihen), aber ein schöner Ort, um die Bevölkerung zu beobachten. Tatsächlich stellen sich die Chinesen ordentlich an, um den Göttern zu huldigen, ordentlich Räucherwerk wird verbrannt. Aber wenigstens nicht geballert. Zu meiner Freude stelle ich fest, dass es der Stadtverwaltung immer noch nicht gelungen ist, die Schilder mit den drolligen Übersetzungen völlig zu beseitigen. Eigentlich hat man Heerscharen von Stundenten auf die Suche nach diesen Schildern geschickt, um sich vor den ausländischen Expo- Gästen nicht mit schlechtem Englisch zu blamieren, aber zum Glück haben die wohl noch nicht alle gefunden.
Ikea erreiche ich, als der Laden gerade öffnet. Angenehm leer, kaufe die Kissenhülle und fahre in die Stadt. Ds mit den Klamotten lässt mir keine Ruhe, kann ja nicht zweimal im Jahr nach Deutschland fahren und mich neu einkleiden. In einem ansonsten scheiß- teuren Laden schieße ich das T- Shirtkleid, mit dem ich schon letztes Jahr geliebäugelt hatte, zum reduzierten Preis. Vor dem Laden werden Löwentänze aufgeführt und der Wohlstandsgott verteilt rote Umschläge. Finde auch noch ein Einkaufszentrum mit viel versprechendem Klamottenangebot, auch ein japanischer Laden mit sehr schönen und schlichten Haushaltsartikeln und auch Kleidung. Leider alles aus Leinen, das knittert so unhübsch. Ein Bügeleisen wollte ich mir eigentlich nicht zulegen. Eine Emoi- Filiale gibt es auch, kaufe eine Einkaufstasche, die sich sehr klein zusammenfalten lässt. Aus sehr stabilem Material. Meine letzte habe ich auch in China gekauft, die gibt jetzt langsam den Geist auf. Hat mir aber zwei Jahre lang treu gedient.
In der Fuzhou Lu besorge ich noch neue Stadtpläne in englisch und natürlich chinesisch, man muss ja auf dem Laufenden bleiben. Bemerke auf dem Weg dorthin, dass die Stadt mit zweifarbigem Blumenkohl dekoriert ist. Sehr hübsch. Hinweise auf das berühmte Shanghaier Blumenkohl- Festival Ende März. Was immer da gefeiert wird.
Die Couch wird dekoriert und jetzt bin ich mit dem Gesamtergebnis zufrieden. Meine Bude wird langsam richtig gemütlich.
SMS von Meister Wu: Morgen Training. Freue mich und schreibe zurück, ich sei hocherfreut. Zu Hause will ich eigentlich Ying Quan wiederholen, bin aber nach der schlaflosen Nacht zu platt. Surfe noch ein wenig im Netz und falle ins Bett.
19.02.2010, Freitag:
Vormittags:
Herrlicher Sonnenschein, treffe mich mit dem Meister im Park. Der schmeißt mir erstmal eine Tüte mit Süßigkeiten und Knabbereien in die Tasche, wie nett! Schönes und entspanntes Üben, wir wiederholen Mian Zhang (unschön), machen mit Ying Quan weiter (superschöne Form!), zum Schluss Taizu Quan. Meister Wu lobt mich und sagt, diese Form würde schon ziemlich gut bei mir aussehen. Wiegele bescheiden ab, aber innerlich bin ich doch sehr stolz. Die Säbelform wird noch mal thematisiert, der Meister gibt mir mit einem Stock schon mal einen Vorgeschmack. Cool. Rose und Oskar lernen die wohl auch gerade, Meister Wu sagt, bei Rose sehe das sehr schön aus, bei Oskar fürchterlich, weil er Kraft benutze und nicht entspannt sei. Glaube ich gerne. Hatte eigentlich nicht damit gerechnet, schon eine Waffenform zu lernen, ohne die Handformen perfekt drauf zu haben. Aber wenn der Meister denkt, dass ich das kann, soll es mir recht sein. Bin dann also die dritte Ausländerin, die diese Form lernt, früher hat er die noch nicht mal Chinesen (außer Xiao Lu natürlich) beigebracht. Bin mal gespannt, wann ich mein neues Sportgerät erhalte.
Bemerke aus den Augenwinkeln einen Knülch, der uns in respektvollen Abstand beobachtet. Scheint vom Fach zu sein. Merkwürdig, das merkt man den Leuten gleich an, ob das einfach nur Gaffer oder Sachkundige sind. Die haben eine ganz andere Körperhaltung. Als wir fertig sind, grüßt der Knülch den Meister respektvoll und erkundigt sich nach unserem Stil. Meister Wu gibt gerne Auskunft.
Wann ich denn wieder arbeiten müsse? Was, morgen schon? Na, so was blödes! Ja, finde ich auch, aber was will man machen! Also dann, nächstes Wochenende wieder.
Nachmittags:
Würde mich am liebsten aufs Ohr legen und die Ferien gemütlich ausklingen lassen, aber das Wetter ist einfach zu gut. Habe im Netz einen Vorschlag zu einem Spaziergang durch die Altstadt gefunden, der recht interessant klang. Da ich hier keinen Drucker habe, versuche ich mir das so einzuprägen und markiere die Route im chinesischen Stadtplan. Schult das Gedächtnis. Außerdem mag ich Spaziergänge und finde es wichtig, meine neue Heimat kennen zu lernen.
Die Tour beginnt am Konfuzius- Tempel in der Wenmiao Lu. Ein beschaulicher Ort der Ruhe, sehr hübsch. Außer einigen westlichen Touristen sind hier kaum Besucher, Konfuzius ist über die Feiertage wohl nicht sehr populär. In einer Seitenhalle eine Ausstellung über Tiger in der chinesischen Kultur. Es gibt wunderschöne Rollbilder, die aber leider nicht zum Verkauf stehen. Sehr schade, denn besonders eines finde ich ausgesprochen schön.
Durch Altstadtgassen weiter zu einem Relikt der alten Stadtmauer, mit dem chinesischen Stadtplan gleicht das einer Schnitzeljagt. In allen Reiseführern wird das Altstadtleben immer so romantisch verklärt dargestellt. Aber mal ehrlich: Wer von uns würde ohne Toilette eingepfercht auf winzigstem Raum wohnen wollen? Keine Touristen bei der Stadtmauer, zahle 5,- RMB Eintritt und schaue mir das Gebäude an. Es gibt eine Halle, die daoistischen Heiligen gewidmet ist. Interessant. Rings um die Stadtmauer Hochhäuser, man kann die Wolkenkratzer in Pudong sehen. Genau neben der Stadtmauer befindet sich der Tempel der Weissen Wolke (Baiyunguan). Das ist der wichtigste daoistische Sakralbau Shanghais. Wird auch durch ein Schild der Stadtverwaltung als „Model religious site“ ausgewiesen. Gestern Buddha, heute Dao. Der Daoismus steht mir sowieso näher als der Buddhismus, kann damit einfach mehr anfangen. Außerdem sind die Mönche viel cooler und der Fummel auch hübscher.
Der Gründer dieses Tempels, Xu Zhicheng, wurde im gleichnamigen Beijinger Tempel getauft, daher der Name. Angeblich besitzen die Shanghaier die Originale wichtiger Schriften, von denen die Beijinger nur Kopien haben. Der Tempel ist sehr klein, besteht eigentlich nur aus einem Hof. Aber es ist gerade ein Ritual im Gang, das von Musik und ab und an ordentlich Gongrasseln und Trommelwirbeln begleitet wird. Beobachte interessiert den in prächtig bestickte Roben gehüllten Priester, der sehr komplizierte Armbewegungen vollführt. An einem Teil der Zeremonie kommen ein Schwert und ein kleiner Becher mit einem Zweig drin zum Einsatz, der Priester durchmisst würdig den Raum, schwenkt das Schwert über dem Becher und singt dazu. Machnchmal pustet er den Becherinhalt auch über den Altar. Sehr interessant! Was mich wundert: Er steht dabei mit dem Rücken zum Jadekaiser, nicht mit dem Gesicht. Vielleicht hat ja der Oster eine Erklärung dafür.
Vom Tempel aus spaziere ich in Richtung Yu- Garten. Kenne ich zwar schon, aber über die Feiertage ist hier alles mit bunten Laternen geschmückt, was bestimmt nett anzuschauen ist. Außerdem will ich als Neu- Shanghaierin den Stadtgöttern meine Ehrerbietung erweisen. Das sind natürlich auch daoistische Götter. Auf die grandiose Idee, sich die Laternen anzuschauen, ist natürlich halb Shanghai gekommen. Gedrängel ohne Ende, ich lasse mich zum Tempel trieben. Dort wird natürlich auch fleißig geopfert, beobachte interessiert, was so alles feilgeboten wird. Man kann Glücksbänder kaufen, sich für ein langes Leben von einem Mönch rote Urkunden bemalen lassen oder ein Stück Stoff bestempeln lassen. Je nach Wunsch sind diese Stempel unterschiedlich teuer, der teuerste Wunsch kostet 38,- RMB. Kann leider nicht lesen, was das ist, schade.
Die Laternen sind in der Tat recht hübsch, aber auch teilweise unglaublich kitschig. Klar, China halt. Ist bei Einbruch der Dunkelheit bestimmt noch hübscher, aber so lange möchte ich nicht warten.
Studiere vor dem Gebäudekomplex meinen Stadtplan und werde von Fake- Verkäufern genervt. Einer ist besonders penetrant und lässt einfach nicht locker. Schließlich brülle ich ihn an „Wo bu yao!“ und hole mit dem Stadtplan aus, als ob ich im eine verpassen wollte. Das beobachtet ein Opa, der sich schlapp lacht und mit dem Daumen nach oben zeigt. Der Fake- Verkäufer trollt sich.
Nach soviel Opferei stinke ich nach Räucherwerk ohne Ende. Zu Hause werden erstmal die Klamotten gelüftet. Bereite mir in meinem Wok Bratkartoffeln mit Spiegelei zu, klappt hervorragend und ist lecker.
Schade, dass morgen wieder gearbeitet wird, hätte gerne noch ausgeruht und trainiert. Aber egal, diese paar Tage haben schon was gebracht.
Abendessen beim Meister wird sehr spaßig. Xiao Lu wird überraschend als Abholer geschickt (bin ja zu blöd, mit dem Taxi zu fahren) und bringt mir einen monströsen Obstkorb mit geschätzten 4 Kilo Früchten mit. Um Gottes Willen, wer soll denn das alles essen? Na, ich. Weniger rauchen, weniger Kaffee, gesünder leben! Nach der Fingernagelinspektion neulich wollte er ja eigentlich auch irgendwelche Pillen der traditionellen chinesischen Medizin mitbringen, hat die aber so schnell nicht bekommen. Bin gerührt und verspreche, weniger zu rauchen und mehr Obst zu essen.
Bei den Wu`s hocken schon das lustige Männlein und ein anderer Schüler des Meisters und spielen Karten. Das Männlein freut sich, mich wieder zu sehen und sagt, ich sei seine kleine Tongbei- Schwester. Süß. Wir warten ewig auf Wujie, der ja vom ganz anderen Ende Shanghais anreist. Währenddessen wird schon mal die Festtagstafel unter viel Gekreische klargemacht, Wujie wird alle fünf Minuten angerufen, wo er denn gerade aktuell sei. Letztes Telefonat: Wujie steht vor der alten Hütte des Meisters und wundert sich, dass diese offensichtlich unbewohnt ist. Monkey Zhou (das Männlein) wird losgeschickt, um ihn einzusammeln. Schließlich trifft Wujie in Begleitung eines total kuriosen Typen ein: Der Typ hat auf dem Kopf einen schwarzen Lederhut, trägt einen Pulli mit grauenhaftem Muster und dazu eine schlecht gefälschte Louis Vuitton Krawatte. Sieht aus wie ein Gangster. Mann, genau wegen solcher schrägen Vögel muss man China einfach lieben! (Leider ergibt sich keine Gelegenheit zum Fotographieren). Es wird aufgetischt, dass sich die Balken biegen, des Meisters frisch ondulierte Gattin kümmert sich rührend um mich. (Meister Wu natürlich auch). Erstmal für alle ein Wasserglas voll Schnaps, das ich schlecht ausschlagen kann. Eigentlich hätte ich ja lieber Cola. Dann wird geschmaust, Trinksprüche herausgebracht und natürlich gibt es auch wieder lustigen Sprachunterricht. „Cheers“ kennen die auf internationalem Parkett gewandten Herren natürlich, aber was hieße denn „Gan bei“ auf englisch? Das sei im Westen nicht so verbreitet, erkläre ich. Jedenfalls nicht bei den Engländern, deswegen gäbe es da keinen Begriff für.(Tatsächlich kenne ich keinen). Die Deutschen seien da nicht so warmgeduscht, wir täten das sehr wohl. Und bei uns hieße das „Auf Ex“! („Ex oder Arschloch“ oder „Hau weg die Scheiße“ schien mir dann doch etwas zu krass). Lederhut fragt, ob in Deutschland denn viele mit einer derartigen Kopfbedeckung herumliefen? Ähem, nein, eher nicht. Leider wird der meiste Teil der Konversation in Shanghainesisch geführt, so dass ich nichts verstehe. Trotzdem ein sehr lustiger Abend.
Bin noch total aufgekratzt und chatte mit Lilo und Stefanie, kann nicht schlafen und drapiere schließlich den Rechner neben meinem Bett. Schaue ein paar Serien und schlafe schließlich ein. Hilft doch immer.
15.02.2010, Montag:
Ich schlafe erstmal bis in die Puppen, putze meine Bude und wiederhole meine Formen, vor allem Ying Quan. Der Meister legt da beim Unterricht ein Höllen- Tempo vor, jedes Mal einen neuen Teil, wiederholt wird nichts. Zum Glück habe ich das Video. Fange an, den Obstkorb abzuarbeiten. Echt leckeres und exotisches Zeug da drin, hat bestimmt einiges gekostet.
Schreibe Abends eine vorsichtige SMS an Meister Wu, wann denn wieder trainiert würde? Zu beschäftigt mit feiern die nächsten Tage, ist doch Neujahr. Beschämt entschuldige ich mich und fange an, mein Programm für die Feiertage zu planen. Chatte mit Stefan, meinem chinesischen Fußball- Kumpel und frage nach der Super Brand Mall in Pudong, ob die was wäre? Klar, lauter tolle, ausländische Marken (wie der Name ja unschwer vermuten lässt) und das Beste: Im Basement ein Supermarkt, der ebenfalls ausländische Produkte führt. Auch Haribo. Mein Interesse ist geweckt.
16.02.2010, Dienstag:
Komme wieder spät aus den Federn, vielleicht ganz gut, dass nicht trainiert wird. Ich habe mir hier aber auch seit meiner Ankunft nichts geschenkt.
In Pudong brennt natürlich die Luft. Die Mall ist ja ganz nett, aber das ganze Zeug kenne ich ja schon von zu Hause, also nicht wirklich spannend. Außerdem eher auf den chinesischen Geschmack getrimmt. Als ich mir die Preisschilder im Esprit- Laden anschaue, schnappe ich nach Luft- Teurer als bei uns! Oha, da müssen unbedingt Alternativen her! Muss doch auch Läden mit schicken einheimischen Klamotten geben.
Im Tiefgeschoss der Mall stolpere ich erstmal über einen Laden der Marke Emoi mit sehr schicken und witzigen Öko- Produkten. Letztes Jahr hatte einer meiner Kollegen mir den Katalog dieser Marke gezeigt und da war ich schon ziemlich angetan. Damals allerdings wohnte ich hier ja noch nicht und hätte für die Dinge keine Verwendung gehabt. Kaufe eine Klappbox aus Stoff für mein Bad- Geraffel, hatte so was schon länger gesucht, geschmackvolle doppelwandige Trinkgläser und ein schönes schlichtes Notizbuch.
Der Supermarkt ist das Paradies schlechthin. Vor dem Kühlregal möchte ich am liebsten auf die Knie sinken und vor Dankbarkeit laut schluchzen. Käse! Es gibt Käse! Alle möglichen Sorten! Und ungesalzene Butter! Schaufele diverse Käseschätze in meinen Korb und finde in der nächsten Abteilung italienische Nudeln und Fertigsoßen. Auch davon wandert eine Auswahl in den Korb. Kurz vor der Kasse auch die ersehnten Haribo. Bin im Himmel. An der Kasse ledere ich dann ohne mit der Wimper zu zucken für diesen Spaß knapp 50,- Euro aus meiner Geldbörse. Und ich habe noch nicht mal Wein gekauft. Scheißegal, das ist es mir wert. Lebe ja hier sonst sehr bescheiden und gehe ja auch nicht weg abends. Meine Schätze werden liebevoll ausgebreitet und mit Tränen der Rührung in den Augen begutachtet. Jetzt brauche ich natürlich noch einen Topf, einen Dosenöffner und ein Sieb, um die Nudeln abgießen zu können. Gott sei Dank gibt es Carrefour. Auf dem Weg dorthin zerre ich ein Dokument aus meinem Briefkasten, dass ich achtlos in die Tasche stopfe. Ich entscheide mich für den Kauf eines Woks, schließlich kann man in dem auch Soßen zubereiten und chinesisch kochen wollte ich ja sowieso lernen. Dosenöffner von Fackelmann, heute ist Tag des ausländischen Produktes. Auf dem Weg zur Kasse bemerke ich ein Regal mit chinesischen Fertigsoßen. Auch sehr chililastigen. Sieht alles sehr viel versprechend aus, das wird demnächst näher studiert werden müssen. Bereite mir Spaghetti Napoli mit ordentlich Parmesan zu und setzte mich vor die Glotze. Köstlich! Die Reste werden eingedost, endlich ist mein Kühlschrank mal gut gefüllt. Ein schöner Anblick. Wenn ich jetzt nur noch gutes Brot hätte! Tatsächlich finde ich im Netz eine deutsche Bäckerei mit dem sinnigen Namen „Abendbrot“. Allerdings sind die ganz weit draußen in Puxi, in der Nähe der deutschen Schule. Aber die liefern auch. Wenn es sein muss, bis an die Haustür, bis spätestens 7.00 Uhr. Nach Hongkou immer Sonntags, man kann sich im Netz anmelden. Was ich sofort tue. (Als nach dem Namen der „Compound“ gefragt wird, muss ich grinsen). Mit zitternden Fingern ordere ich zwei Mohnbrötchen, zwei normale Brötchen und ein Mehrkornbrot. Die Bestellung wird bestätigt. Hoffentlich klappt das, bin völlig außer mir bei dem Gedanken, vor der Arbeit ein anständiges Käsebrötchen frühstücken zu können.
Siedend heiß fällt mir der Brief wieder ein. Eine Rechnung von China Telecom über 33,50 RMB, Internetgebühr von Januar. Leider kein Hinweis darauf, wie und wo die zu begleichen ist. Bei einer Filiale direkt? Aber wo ist die nächste? Kann ich ja am Samstag Matthew fragen. Aber von Zahlungszielen steht leider auch nichts drauf. Ich werde nervös: Was, wenn die mir hier das Netz abschalten, weil ich nicht rechtzeitig bezahle? Das wäre eine Katastrophe! Werde nervös. Recherchiere hektisch im Netz, gibt wohl einen Dienst der Shanghaier Stadtverwaltung, über den man so was per Internet- Banking machen kann. Melde mich an. Seiten teilweise nur in Chinesisch. Log- in bei der BOC über den Dienst klappt irgendwie nicht, fliege aus dem Netz. Werde immer panischer. Noch mehr Recherchen: Ist wohl so, dass man seine Strom-/ Gas-/ Wasser-/ etc. Rechnungen grundsätzlich bei der Post, bei seiner Bank oder in Convenience Stores begleichen kann. Was aber vielen Leuten zu umständlich ist, deswegen ja dieser Dienst. Convenience Stores? Häh? Etwa diese 24- Stunden Minimärkte wie Kedi, Lawsons, Family Mart und so? Unvorstellbar! Kann vor Nervosität kaum schlafen.
17.02.2010, Mittwoch:
Spät vormittags wache ich nach unruhigem Schlaf wie gerädert auf. Meine Augen sind verquollen, sehe aus wie eine Säuferin. Und das trotz Abstinenz und Obst- und Teekonsums die letzten Tage! Meine Bude ist mir noch entschieden zu lilalastig, deswegen möchte ich bei Ikea für das Sofa Kissen in gebrochenem Weiß erweben. (Habe die Produkte gestern vor dem Rechnungschaos schon recherchiert, sollte also schnell gehen). Sieht bestimmt schick aus und Kissen brauche ich sowieso, um mein müdes Haupt vor der Glotze zu betten, außerdem eine kuschelige Decke. Decken, die was aussehen, sind hier maximal 1,70 m x 1,30 m groß. China halt. Aber egal, meine Lieblingsdecke einfliegen zu lassen, wäre leicht übertrieben. Haste zum nächsten mir bekannten Mini- Markt auf dem Weg zu Metro 3 und präsentiere der Verkäuferin die Rechnung. Könne ich das hier bezahlen? Kurzer Blick auf das Dokument: Klar. Strichcode wird eingelesen, ich zahle, rote Stempel und ein Kassenzettel wird an die Fapiao (Quittung) getackert: Das war es. Und wegen so was kann ich die halbe Nacht nicht schlafen!
Mit der Metro 3 fahre ich sehr gerne, weil diese Linie überirdisch verläuft und man ständig wechselnde Perspektiven der Stadt hat. Obwohl die Fahrt zu Ikea fast 40 Minuten dauert, vergeht die Zeit wie im Flug. Ist halt was anderes, als mit der S8 von Mainz nach Frankfurt zu fahren. Bei Ikea ist natürlich der Teufel los. Seit Neuestem müssen die meisten privaten Taschen in einer soliden roten Tasche verstaut werden, die dann anschließen versiegelt wird. Das soll Ladendiebstähle verhindern, die wohl in letzter Zeit Überhand genommen haben. Und zwar nicht von Einzelpersonen, sondern von organisierten Banden. (Ein weiterer organisierter Berufszweig: Illegale Taxifahrer, die die schwer beladenen Konsumenten zu ködern versuchen). Was mir auffällt: Als westliche Ausländerin habe ich quasi Narrenfreiheit. Keiner hält mich auf, als ich entschlossen das Taschenversiegelungsteam ignoriere und die Rolltreppe hinaufstürme. Das sollte bei uns mal ein Asiate wagen!
Zickzacke mich an den Massen vorbei und schnappe mir die Kissen, die Bezüge und eine Vliesdecke. Wähle bei der Decke das billigere als zunächst anvisierte Produkt, dafür dann ein Kissen mehr. Denke, ein pinkfarbener Bezug könne meine „Couch“ rocken.
Eine Metrostation weiter, die an der von mir und Stefanie 2006 besuchten Sprachschule liegt, soll es angeblich einen Pflanzenladen geben. Seit meinem letzen Ikea- Besuch ist das einzige andere annähernd lebende Objekt in meiner Wohnung ein Efeu namens Wilson. (Nach Tom Hanks Basketball- Kameraden in „Castaway“). Möchte Wilson gerne zu angenehmer Gesellschaft verhelfen, als ich an der Hongqiuao Lu aussteige, werden alte Erinnerungen wach und ich muss fett grinsen. Ganz altes Territorium, fand die Gegend damals hier richtig Scheiße.
Biege von der Hongqiau Lu in die Huaihai Lu ein und stehe nach 200m zwar nicht vor dem ersehnten Pflanzencenter, aber in einem klasse Skulpturengarten. Mit jeder Menge Galerien und Cafes, die jetzt natürlich alle geschlossen sind. Trabe in der Abenddämmerung durch das Gelände und versuche, möglichst gute Fotos zu machen. Mann, warum haben Stefanie und ich das damals nicht entdeckt! Wo wir doch genau um die Ecke wohnten! Wie entspannt hätte man hier abhängen und lernen können! Muss ihr das unbedingt zeigen, wenn sie mich besucht. Und wenn alles aufhat, ist das bestimmt super hier.
Erwärme den Rest der Spaghetti und dekoriere: Die lila Puff- Bettwäsche wird gegen eine farbenfrohere ausgetauscht und gewaschen. Bin beglückt. Das pinkfarbene Kissen hingegen sieht richtig Scheiße aus! Da ich mich eigentlich für ziemlich geschmackssicher halte, bin ich erschüttert. Wie konnte ich mich derartig irren! Morgen will ich eigentlich in den Longhua Tempel, aber der liegt quasi auf der Strecke. Noch mal Ikea- Hölle an den Feiertagen? Egal, mal sehen.
Als ich mich um 23:00 schlafen lege, explodiert Shanghai mal wieder, diesmal aber richtig. Muss feststellen, dass Feuerwerke genau vor meinem Fenster explodieren, wenn sie unten im Hof entzündet werden. Ist ja hübsch anzusehen, aber nicht unbedingt toll, wenn man schlafen möchte. Die trägeren meiner Nachbarn entflammen die Böller in der Wohnung und schmeißen es aus dem Fenster. Was ist jetzt wieder? Ah, der Wohlstands- oder Küchengott kehrt zur Erde zurück. Sieben Tage vor Neujahr ist er gen Himmel aufgestiegen, um dem Jadekaiser zu berichten, was in den Familien auf Erden so abgegangen ist. Deswegen wurden ihm auch Süßigkeiten geopfert, damit er milde gestimmt bzw. sein Mund verklebt ist. Heute kommt er zurück. Und er steht nicht so auf schön, Hauptsache, laut. Schönen Dank. Tue in der Nacht kein Auge zu.
18.02.2010, Donnerstag:
Schäle mich um viertel nach sechs aus dem Bett und mache mich gemütlich fertig. Über Shanghai hängt Rauch und noch immer wird geballert. So muss sich Krieg anfühlen. Der Presse entnehme ich, dass wir Shanghaier in der Neujahrsnacht 1.000 Tonnen Feuerwerk abgefackelt haben. Das sind 200 Tonnen mehr als die Beijinger. Diese Luschen!
Mit der Metro fahre einmal fast rund um die Stadt zum Longhua Tempel. Von der Metrostation aus muss man noch eine Ecke laufen, habe Mühe, den Böllern auszuweichen. Shanghai steht noch immer unter schwerem Atilleriefeuer. Mittlerweile scheint die Sonne und es ist schön warm. Im Tempel ist natürlich die Hölle los (man möge mir diesen Ausdruck verzeihen), aber ein schöner Ort, um die Bevölkerung zu beobachten. Tatsächlich stellen sich die Chinesen ordentlich an, um den Göttern zu huldigen, ordentlich Räucherwerk wird verbrannt. Aber wenigstens nicht geballert. Zu meiner Freude stelle ich fest, dass es der Stadtverwaltung immer noch nicht gelungen ist, die Schilder mit den drolligen Übersetzungen völlig zu beseitigen. Eigentlich hat man Heerscharen von Stundenten auf die Suche nach diesen Schildern geschickt, um sich vor den ausländischen Expo- Gästen nicht mit schlechtem Englisch zu blamieren, aber zum Glück haben die wohl noch nicht alle gefunden.
Ikea erreiche ich, als der Laden gerade öffnet. Angenehm leer, kaufe die Kissenhülle und fahre in die Stadt. Ds mit den Klamotten lässt mir keine Ruhe, kann ja nicht zweimal im Jahr nach Deutschland fahren und mich neu einkleiden. In einem ansonsten scheiß- teuren Laden schieße ich das T- Shirtkleid, mit dem ich schon letztes Jahr geliebäugelt hatte, zum reduzierten Preis. Vor dem Laden werden Löwentänze aufgeführt und der Wohlstandsgott verteilt rote Umschläge. Finde auch noch ein Einkaufszentrum mit viel versprechendem Klamottenangebot, auch ein japanischer Laden mit sehr schönen und schlichten Haushaltsartikeln und auch Kleidung. Leider alles aus Leinen, das knittert so unhübsch. Ein Bügeleisen wollte ich mir eigentlich nicht zulegen. Eine Emoi- Filiale gibt es auch, kaufe eine Einkaufstasche, die sich sehr klein zusammenfalten lässt. Aus sehr stabilem Material. Meine letzte habe ich auch in China gekauft, die gibt jetzt langsam den Geist auf. Hat mir aber zwei Jahre lang treu gedient.
In der Fuzhou Lu besorge ich noch neue Stadtpläne in englisch und natürlich chinesisch, man muss ja auf dem Laufenden bleiben. Bemerke auf dem Weg dorthin, dass die Stadt mit zweifarbigem Blumenkohl dekoriert ist. Sehr hübsch. Hinweise auf das berühmte Shanghaier Blumenkohl- Festival Ende März. Was immer da gefeiert wird.
Die Couch wird dekoriert und jetzt bin ich mit dem Gesamtergebnis zufrieden. Meine Bude wird langsam richtig gemütlich.
SMS von Meister Wu: Morgen Training. Freue mich und schreibe zurück, ich sei hocherfreut. Zu Hause will ich eigentlich Ying Quan wiederholen, bin aber nach der schlaflosen Nacht zu platt. Surfe noch ein wenig im Netz und falle ins Bett.
19.02.2010, Freitag:
Vormittags:
Herrlicher Sonnenschein, treffe mich mit dem Meister im Park. Der schmeißt mir erstmal eine Tüte mit Süßigkeiten und Knabbereien in die Tasche, wie nett! Schönes und entspanntes Üben, wir wiederholen Mian Zhang (unschön), machen mit Ying Quan weiter (superschöne Form!), zum Schluss Taizu Quan. Meister Wu lobt mich und sagt, diese Form würde schon ziemlich gut bei mir aussehen. Wiegele bescheiden ab, aber innerlich bin ich doch sehr stolz. Die Säbelform wird noch mal thematisiert, der Meister gibt mir mit einem Stock schon mal einen Vorgeschmack. Cool. Rose und Oskar lernen die wohl auch gerade, Meister Wu sagt, bei Rose sehe das sehr schön aus, bei Oskar fürchterlich, weil er Kraft benutze und nicht entspannt sei. Glaube ich gerne. Hatte eigentlich nicht damit gerechnet, schon eine Waffenform zu lernen, ohne die Handformen perfekt drauf zu haben. Aber wenn der Meister denkt, dass ich das kann, soll es mir recht sein. Bin dann also die dritte Ausländerin, die diese Form lernt, früher hat er die noch nicht mal Chinesen (außer Xiao Lu natürlich) beigebracht. Bin mal gespannt, wann ich mein neues Sportgerät erhalte.
Bemerke aus den Augenwinkeln einen Knülch, der uns in respektvollen Abstand beobachtet. Scheint vom Fach zu sein. Merkwürdig, das merkt man den Leuten gleich an, ob das einfach nur Gaffer oder Sachkundige sind. Die haben eine ganz andere Körperhaltung. Als wir fertig sind, grüßt der Knülch den Meister respektvoll und erkundigt sich nach unserem Stil. Meister Wu gibt gerne Auskunft.
Wann ich denn wieder arbeiten müsse? Was, morgen schon? Na, so was blödes! Ja, finde ich auch, aber was will man machen! Also dann, nächstes Wochenende wieder.
Nachmittags:
Würde mich am liebsten aufs Ohr legen und die Ferien gemütlich ausklingen lassen, aber das Wetter ist einfach zu gut. Habe im Netz einen Vorschlag zu einem Spaziergang durch die Altstadt gefunden, der recht interessant klang. Da ich hier keinen Drucker habe, versuche ich mir das so einzuprägen und markiere die Route im chinesischen Stadtplan. Schult das Gedächtnis. Außerdem mag ich Spaziergänge und finde es wichtig, meine neue Heimat kennen zu lernen.
Die Tour beginnt am Konfuzius- Tempel in der Wenmiao Lu. Ein beschaulicher Ort der Ruhe, sehr hübsch. Außer einigen westlichen Touristen sind hier kaum Besucher, Konfuzius ist über die Feiertage wohl nicht sehr populär. In einer Seitenhalle eine Ausstellung über Tiger in der chinesischen Kultur. Es gibt wunderschöne Rollbilder, die aber leider nicht zum Verkauf stehen. Sehr schade, denn besonders eines finde ich ausgesprochen schön.
Durch Altstadtgassen weiter zu einem Relikt der alten Stadtmauer, mit dem chinesischen Stadtplan gleicht das einer Schnitzeljagt. In allen Reiseführern wird das Altstadtleben immer so romantisch verklärt dargestellt. Aber mal ehrlich: Wer von uns würde ohne Toilette eingepfercht auf winzigstem Raum wohnen wollen? Keine Touristen bei der Stadtmauer, zahle 5,- RMB Eintritt und schaue mir das Gebäude an. Es gibt eine Halle, die daoistischen Heiligen gewidmet ist. Interessant. Rings um die Stadtmauer Hochhäuser, man kann die Wolkenkratzer in Pudong sehen. Genau neben der Stadtmauer befindet sich der Tempel der Weissen Wolke (Baiyunguan). Das ist der wichtigste daoistische Sakralbau Shanghais. Wird auch durch ein Schild der Stadtverwaltung als „Model religious site“ ausgewiesen. Gestern Buddha, heute Dao. Der Daoismus steht mir sowieso näher als der Buddhismus, kann damit einfach mehr anfangen. Außerdem sind die Mönche viel cooler und der Fummel auch hübscher.
Der Gründer dieses Tempels, Xu Zhicheng, wurde im gleichnamigen Beijinger Tempel getauft, daher der Name. Angeblich besitzen die Shanghaier die Originale wichtiger Schriften, von denen die Beijinger nur Kopien haben. Der Tempel ist sehr klein, besteht eigentlich nur aus einem Hof. Aber es ist gerade ein Ritual im Gang, das von Musik und ab und an ordentlich Gongrasseln und Trommelwirbeln begleitet wird. Beobachte interessiert den in prächtig bestickte Roben gehüllten Priester, der sehr komplizierte Armbewegungen vollführt. An einem Teil der Zeremonie kommen ein Schwert und ein kleiner Becher mit einem Zweig drin zum Einsatz, der Priester durchmisst würdig den Raum, schwenkt das Schwert über dem Becher und singt dazu. Machnchmal pustet er den Becherinhalt auch über den Altar. Sehr interessant! Was mich wundert: Er steht dabei mit dem Rücken zum Jadekaiser, nicht mit dem Gesicht. Vielleicht hat ja der Oster eine Erklärung dafür.
Vom Tempel aus spaziere ich in Richtung Yu- Garten. Kenne ich zwar schon, aber über die Feiertage ist hier alles mit bunten Laternen geschmückt, was bestimmt nett anzuschauen ist. Außerdem will ich als Neu- Shanghaierin den Stadtgöttern meine Ehrerbietung erweisen. Das sind natürlich auch daoistische Götter. Auf die grandiose Idee, sich die Laternen anzuschauen, ist natürlich halb Shanghai gekommen. Gedrängel ohne Ende, ich lasse mich zum Tempel trieben. Dort wird natürlich auch fleißig geopfert, beobachte interessiert, was so alles feilgeboten wird. Man kann Glücksbänder kaufen, sich für ein langes Leben von einem Mönch rote Urkunden bemalen lassen oder ein Stück Stoff bestempeln lassen. Je nach Wunsch sind diese Stempel unterschiedlich teuer, der teuerste Wunsch kostet 38,- RMB. Kann leider nicht lesen, was das ist, schade.
Die Laternen sind in der Tat recht hübsch, aber auch teilweise unglaublich kitschig. Klar, China halt. Ist bei Einbruch der Dunkelheit bestimmt noch hübscher, aber so lange möchte ich nicht warten.
Studiere vor dem Gebäudekomplex meinen Stadtplan und werde von Fake- Verkäufern genervt. Einer ist besonders penetrant und lässt einfach nicht locker. Schließlich brülle ich ihn an „Wo bu yao!“ und hole mit dem Stadtplan aus, als ob ich im eine verpassen wollte. Das beobachtet ein Opa, der sich schlapp lacht und mit dem Daumen nach oben zeigt. Der Fake- Verkäufer trollt sich.
Nach soviel Opferei stinke ich nach Räucherwerk ohne Ende. Zu Hause werden erstmal die Klamotten gelüftet. Bereite mir in meinem Wok Bratkartoffeln mit Spiegelei zu, klappt hervorragend und ist lecker.
Schade, dass morgen wieder gearbeitet wird, hätte gerne noch ausgeruht und trainiert. Aber egal, diese paar Tage haben schon was gebracht.