Sonntag, August 01, 2010

事势 – Stand der Dinge

Erfolgserlebnis:

Ich schaffe es endlich, meine Türklingel gangbar zu machen.

Preis:
Kriege von Smart Shanghai je eine Flasche Weiß- und Rotwein. Und zwar richtig guten. Lecker.

Aufzug:
Nachdem die Renovierung des einen Aufzuges nach drei Monaten endlich abgeschlossen ist, ist jetzt der andere dran. Zweimal schon waren beide Aufzüge nicht in Betrieb, einmal musste ich 17 Etagen runterlaufen und hörte schon im zweiten Stock die im Erdgeschoss erregt wartende Menge. Chinesen können sich hervorragend aufregen, bleiben aber in der Regel friedlich. Echt duldsames Volk. Typisch chinesisch: Der neue Aufzug hat eine schicke Edelstahlkabine, aber niemand entfernt die Schutzfolie. Im Gegenteil, da er als Transportaufzug für Baumaterial des anderen Aufzuges benutzt wird, ist er mit Pappe und Sperrholz geschützt und sieht schon wieder aus wie Sau. Nach der Renovierung des einen Aufzuges wurde komplett gestrichen, das wird dann wiederholt werden müssen, wenn der zweite neu gemacht ist. Ineffektiv, aber was soll es: Bin immer wieder über die Masse an Arbeitskraft erstaunt.

Ausflug:
Hektische und arbeitsintensive Tage, unsere Chefs beschließen zur Stärkung des Teamgeistes einen Ausflug nach Moganshan. Dieser Berg liegt etwa 250 km von Shanghai entfernt und war in den 30er Jahren die Sommerfrische der westlichen Ausländer und der reichen Chinesen.
Ich freue mich, mal aus der heißen Stadt rauszukommen und nach Moganshan wollten Stefanie und ich auch die ganze Zeit schon, haben es aber nie geschafft, da dieser Ort schwer erreichbar ist.
Vor allem Jiajia, unsere kleine Büroassistentin, ist über diesen Ausflug ausser sich vor Entzücken: Sie kommt aus einem kleinen Kaff irgendwo in Pudong und ist in ihrem Leben noch nie verreist.
Wir quetschen uns mit elf Leuten in einen Kleinbus, der eigentlich für zehn Personen vorgesehen ist, macht nichts, China halt. Und Jiajia ist ja klein, die zählt fast nicht. Zur Einstimmung gibt es chinesische Jazzmusik der 30er Jahre und ich dusele zufrieden ein. Kurz hinter Hangzhou verlassen wir die Autobahn. Ich wache auf und bin begeistert: Üppige grüne Bambuswälder, wohin man auch blickt. Und immer wieder kleine, flauschige Dörfer und Reisfelder, hier ticken die Uhren noch anders. Ich bin richtig überwältigt von der grandiosen Natur, meine Augen sind soviel Grün auf einem Fleck gar nicht mehr gewöhnt. Was hat China doch für schöne Orte!
Auch unsere Öko- Lodge befindet sich in einem Dörfchen mit sehr freundlichen Einwohnern. Cooles Gebäude mit großen Terrassen, sehr liebevoll gestaltet. Es gewittert und wir speisen im Freien unter einem Schutzdach, anschließend hängen alle gemütlich ab und weiden ihre Augen an den sich im Regen wiegenden Bambuspflanzen. Fühle tiefen Frieden, das Leben ist schön.
Nach dem Regen wandern wir zu einem Reservoir und baden im türkisblauen Wasser. Ein Teil der Truppe wandert zur Lodge zurück, der andere fährt schon mal vor und bereitet das Grillen vor. Mann, was habe ich das vermisst! Abhängen unterm Sternenhimmel, freie Natur und angenehme Gesellschaft, während auf dem Grill fröhlich Köstlichkeiten brutzeln. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal Folienkartoffeln gegessen habe, diese jedenfalls munden hervorragend. Und auch die anderen Gemüse.
Da unser Kollege Mark Geburtstag hat, wird die Nacht eher kurz, am nächsten Tag frühstücken wir gemütlich und fahren auf den Berg, wo wir von Villa zu Villa wandern. Einige sind verfallen, andere zu Pensionen ausgebaut oder sehr liebevoll zu Lodges restauriert. Ein sehr schöner Ort, touristisch wenig erschlossen, was eigentlich nicht schlecht ist. So ist noch einiges vom ursprünglichen Charme vorhanden.
Als wir wieder in Shanghai ankommen, bin ich fast traurig. Gerade hatten sich meine Augen an üppige Natur und sattes Grün gewöhnt, jetzt wieder so viel Gebäude, auch wenn die hübsch beleuchtet sind. Und auch wenn meine Compound schön grün ist, an diese Wahnsinns- Bambuswälder kommt einfach nichts ran. Ich glaube, ich werde mein Leben lang nicht vergessen, wie sich diese Pflanzen angefühlt haben und wie sie leise rauschten und Wasser aus ihnen herabgeregnet ist, wenn man sie sanft rüttelte.

Training:
Ich lerne von Meister Wu, dass nicht die Faust, sondern die Geschicklichkeit den Menschen schlägt. Hmm. Muss ich mir hinter die Ohren schreiben.
Xiao Lu ist dann natürlich auch sehr interessiert an unserem Ausflug und erklärt mir erstmal die Symbolik von Bambus für das chinesische Volk. Neigt sich mit dem Sturm und bricht nicht, wenn er gebogen wird. Wie die Chinesen. Überhaupt gibt es vier Blumen oder Pflanzen, die sehr wichtig für die Chinesen sind, so auch die Winterpflaume. Zu jeder gibt es eine Erklärung, die ich aber nur ansatzweise verstehe. Bin für diese Lektionen zu chinesischer Kultur aber immer sehr dankbar.
(Habe jetzt rausgefunden, dass die "vier Edlen" die Plaume, der Bambus, die Orchidee und die Chrysamtheme sind).
Es hat sich eingebürgert, dass ich Samstag in der Regel auspenne und mittags dann mit Xiao Lu übe, Sonntags morgens treffen wir uns eine Stunde vor dem regulären Training und mittags dann noch mal. Dann üben wir hauptsächlich Anwendungen und Tui Shou, was großen Spaß macht. Mittags übt neuerdings auch eine Gruppe von älteren Herrschaften Yang- Stil auf unserem Gelände, denen Xiao Lu ziemlich schnell klarmachte, dass wir die älteren Rechte auf diesen Platz haben. Wir haben uns jetzt aber gut mit dieser Gruppe arrangiert, die bei ihren Übungen immer fröhlich süßliche chinesische Musik dudeln lässt. Hat was.
Heute kam ein netter Opa vorbei, wohl auch ein Meister. Der dachte, wir beide seien ein Ehepaar, was er ganz dufte fand. So viele westliche Ausländer angeln sich Chinesinnen, da ist es doch prima, wenn ein chinesischer Typ das Herz einer Deutschen erobert. Nee, leider nicht, der Opa war ganz traurig. Aber dass wir so gute Freunde sind und beide Kampfkünste lieben, fand er denn doch klasse. Interessanterweise sind viele chinesische Männer ziemlich angepisst, wenn Ausländer mit Chinesinnen zusammen sind. Als Ausländerin kann ich natürlich auch argumentieren, dass wir es Scheiße finden, wenn diese kleinen Luder uns die Kerle wegschnappen. Kann aber die männlichen Chinesen auch verstehen, denn wegen der Ein- Kind- Politik gibt es hier halt mehr Männer als Frauen. Und ohne Kohle, Wohnung und Auto braucht ein junger Chinese erst gar nicht auf Brautschau zu gehen. Während im Hintergrund die Familie immer unentspannter wird, je älter der Knabe wird. Ist schon nicht leicht.
Seit Ende der Regenzeit ist Shanghai um eine Lärmquelle reicher: Tag und Nacht zirpen Zikaden. Und diese Drecksviecher können echt einen Lärm verursachen, der unglaublich ist. Heute lerne ich neben Armhebeln auch noch was über Zikaden. Xiao Lu zeigt mir mehrere Löcher im Boden und dann anschließend auf merkwürdige Einsiedlerkrebsartige Wesen, die an einem Baumstamm hocken. Die würden dann mal Zikaden, sagt er. Anscheinend entwickelt sich das Viehzeug im Boden, poppt irgendwann mal da raus und krabbelt dann einen Baum hoch, wo es sich dann mal wieder verpuppt und später zu einem lärmenden Insekt wird. Das Endprodukt kann man dann auch essen, dazu muss man Kopf und Beine abreissen und einen Teil des Abdomens entfernen. Anhand eines verendeten Exemplares zeigt Xiao Lu mir den leckeren Abschnitt des Krabbeltieres. Ob er die denn immer noch essen würde? Nee, aber in seiner Kindheit war das ein beliebter Snack. Xiao Lu überrascht mich immer wieder.

2 Kommentare:

Xiaomo hat gesagt…

das sieht ja aus wie im "House of flying daggers" - toll!

Bat hat gesagt…

Ja, Wahnsinn, nicht war? Habe auch sehr bedauert, kein Schwert dabei gehabt zu haben oder über die Bambuswipfel fliegen zu können.