Obwohl ich gestern früh ins Bett gegangen bin, verpenne ich fast das Training, bin von letzter Woche noch sehr geschlaucht. Mittlerweile sind die Temperaturen stark abgefallen, aber die Sonne scheint. Meine kleinen Tiger wackeln fröhlich mit ihren Köpfen.
Der Park ist wie ausgestorben, fast alle kleineren Geschäfte sind geschlossen. So habe ich Shanghai noch nie erlebt.
Meister Wu ist schon da, Planänderung für Neujahr: Morgen lecker essen, und Wujie kommt dann auch. Spitze! Da der immer sehr beschäftigt ist, hat der Meister ihn auch schon lange nicht mehr gesehen. Auf dieses Wiedersehen freue ich mich total. Und des Meisters Sohn hat endlich eine Freundin, die werde ich dann auch kennen lernen. Das freut mich sehr für den jungen Wu, denn mittlerweile ist der auch schon 26 und nicht gerade mit Schönheit gesegnet. Meister Wu war wohl schon ziemlich besorgt, sein Sohn könne keine Frau abkriegen und Nachkommen zeugen, hier in China eine Katastrophe. Und auch Wujies Sohn hat eine Freundin gefunden, da können die Väter sich ja jetzt beruhigt zurücklehnen.
Ich wünsche dem Meister auftragsgemäß in Stefanies Namen ein Frohes Neues Jahr und kündige sie für April an, Meister Wu wirkt erfreut. Und meinen roten Umschlag mit der Unterrichtsgebühr versenke ich auch in des Meisters Rucksack. Bin heute die einzige Schülerin, klasse. Deswegen üben wir sehr komplizierte Schrittfolgen, die ich mir unmöglich merken kann. Friere mir den Arsch ab, auf den Gräsern hängt Raureif. Ich bewege ich mich wegen der Kälte auch nicht wirklich geschmeidig. Neben uns üben eine Dame und ein Herr, die Dame fragt den Meister, ob ich Chinesisch verstünde? Und wo ich herkäme? Aus Deutschland und ja, ich verstünde ein wenig Chinesisch. Daraufhin erklärt mir die Dame wortreich die Bedeutung des heutigen Tages und fragt Meister Wu leicht vorwurfsvoll, ob er mich denn eingeladen habe? Ja? Für morgen? Na dann ist gut. Mir erklärt sie dann, dass man als ordentliche Schülerin an Neujahr seinem Meister aufzuwarten habe. Dieser Tradition werde ich mich gerne fügen.
Der Perückenmann schaut vorbei und verteilt Kippen, der Meister fragt mich, ob mir kalt wäre? Na ja, an den Füßen schon. Habe ja nur die dünnen Leinenschuhe. Ausziehen, fordert der Meister und schaut nach der Schuhgröße. Das geht ja nicht, da müssen Winterschuhe her. Der gute Mann! Ying Quan wird auch vertieft. Eine sehr schöne Form,vielleicht die schönste unseres Systems. Zum Glück habe ich ja das Video, so dass ich zu Hause gut nacharbeiten kann. Jetzt habe ich ja ein wenig Zeit. Irgendwie kommen wir nach dem Training auf die Säbel- Form, die es in unserem System gibt. Ob ich die auch lernen wollte? Klar will ich! Prima, dann besorgt er mir auch einen Säbel. Geil! Also dann, morgen um 16:00 bei ihm. Erst Teetrinken, dann Essen. Freue mich.
Im Bus nach Hause kotzt der Typ vor mir erstmal hemmungslos auf den Boden. Das ist selbst den Chinesen zu krass und der Typ wird mit giftigen Blicken bedacht. Stört den allerdings wenig.
Ich ziehe mich um und eile zu dem DVD- Laden an der SISU. Der hatte meiner Erinnerung nach ein sehr gutes Angebot, zugeschnitten auf die westlichen Studenten. Auf dem Weg dahin kollidiere ich mit einer Schnalle auf einem Fahrrad, die ich auf deutsch beschimpfe. Habe mich bis jetzt als Fußgängerin darauf verlassen, dass keiner eine große Ausländerin anfährt, weil das massiven Ärger mit den Bullen geben könnte. Anscheinend war ich da im wahrsten Sinne des Wortes blauäugig.
Der Laden hat natürlich zu, aber auf dem Rückweg finde ich zufällig einen chinesischen DVD- Shop. Die fünfte Staffel von Dr. House, ein Werk des Heiligen Steven und „John Rabe“ von Florian Gallenberger werden erworben. Diesen Film wollte ich mir eigentlich im Kino ansehen, habe das aber nicht geschafft. Das Buch allerdings habe ich schon vor langer Zeit gelesen, bin sehr gespannt auf die Umsetzung. (Über die Feiertage wollte ich vielleicht auch mal nach Nanjing fahren, mal schauen).
Kaufe bei Carrefour Nahrungsmittel, denn mittlerweile habe ich Hunger. Und das gute hier ist, dass das frische Gemüse und das Obst aus biologischem Anbau kommen. Ich beschließe, den Kartoffeln noch eine Chance zu geben. Stehe ewig vor dem Schnapsregal. Geschenkpackungen gibt es hier nur mit dem grauenhaften einheimischen Rotwein, den will ich morgen nicht mitbringen. Schließlich zerre ich irgendeinen Fusel mit 52 Umdrehungen aus dem Regal. Für 128,- RMB sollte der was taugen. Und mir gönne ich den französischen Landwein. Und Croissants fürs Frühstück morgen. Vorsichtshalber kaufe ich aber noch eine Stange mit des Meisters Lieblingskippen.
Vor der Bude mit den Feuerwerksartikeln stehen die Leute Schlange, ich verzichte allerdings auf Böller.
In den Aufzug steigt im 11. Stock eine winzig kleine Omi ein. Die Omi stutzt kurz bei meinem Anblick, strahlt dann aber über das ganze Gesicht und fragt mich in astreinem Englisch „How do you do?“ Ich antworte auf englisch, mir ginge es blendend, beim Aussteigen auf meiner Etage wünsche ich der Omi auf Chinesisch ein Frohes Neues Jahr. Die Omi lacht und winkt.
Schneide die rohen Kartoffeln klein und bereite sie in der Pfanne zu. Klappt gut und schmeckt. Chinesische Kartoffeln schmecken ganz anders als die deutschen, wesentlich süßer. Und haben ein komplett anderes Garverhalten. Das wird für Ali eine Herausforderung, wenn er mich mal besucht. Gut, dann werde ich mich demnächst mal an eines meiner Lieblingsgerichte wagen: Tudou Si. Kartoffelstreifen. Ordentlich Essig und Chillies. Lecker!
Mache es mir auf dem improvisierten „Sofa“ bequem und schaue Dr. House. Die Tonqualität ist leider nicht berauschend, aber was solls. Finde die deutsche Stimme von Hugh Laurie eigentlich fast besser als das Original. Und der spricht gar kein britisches Englisch. China beeinflusst mich wohl, wenn ich jetzt schon auf Fakes stehe.
Als ich gerade wegdämmere, geht mein Ehegatte online und ermahnt mich, nicht so viel dummes Zeug zu kaufen. Nein Ali, mache ich nicht mehr, ab jetzt nur noch geschmackvolles Zeug, wenn ich zufällig was sehe. Aber die Wackeltiger sind doch sooooo süß! Gestern Nacht ist die Decke unserer Küche runtergekracht. Verrückt. Ali schickt mir Bilder. Und er gibt mir noch einen Tip, wo ich mir Filme und Serien runtersaugen kann. Der Abend ist gerettet.
Mit Einsetzen der Dunkelheit ist an Schlaf und Videoschauen nicht mehr zu denken: Das Bombardement setzt ein. Und ich habe hier den absoluten Logenplatz. Festbeleuchtung über Shanghai, und es wird stündlich farbenfroher. Wunderbar!
Mache mich schnell auf Wikipedia kundig, was hier an Neujahr so angesagt ist. Aha, Bude putzen, damit das Glück Platz findet? Kehre schnell durch. Und Lichter anmachen und Fenster aufreißen? Auch kein Problem. Kriege Mails und SMS von chinesischen Kollegen und Ex- Kollegen, bin gerührt! Mittlerweile ist es hier halb Elf nachts, in einer halben Stunde sollte hier richtig die Show abgehen. Bin mal gespannt. Mache die Glotze an und schalte auf die Neujahrsshow von CCTV 1. Das schauen heute Abend fast alle Chinesen. Muss mich ja den hiesigen Sitten und Gebräuchen anpassen.
Kurz vor Mitternacht reiße ich alle Fenster auf und schalte alle Lichter ein, damit das Glück auch seinen Weg hierher findet und begebe mich vor die Hütte. Um mich herum explodiert Shanghai. Wahnsinn. Bin jetzt genau einen Monat hier. Und auf einmal habe ich Heimweh.
3 Kommentare:
Was soll das heißen: der Meister "wirkt erfreut". Da muss er sich doch etwas mehr anstrengen...
Schönes Neues Jahr!
Danke, dir auch!
Und wenn ich schreibe, dass der Meister erfreut wirkt, dann ist das für ihn schon ein ziemlicher Gefühls- Outburst.
na dann wünsch ihm doch auch von mir ein glückliches Tiger Jahr.
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