14.11.2010, Sonntag
Vormittag:
Rose fragt mich diskret, ob denn da neulich im Training irgendwas mit dem Mädel losgewesen wäre? Sie etwa geweint habe? Nee, sage ich, wieso? Naja, der Meister habe da so was gesagt und sich bei Rose erkundigt, ob sie wisse, was da vorgefallen sei. Da fällt es mir wieder ein, dachte die ganze Sache sei ausgestanden. Erkläre Rose die Sache und erwähne, die kleine Zappelmaid sei keineswegs heulend von dannen gezogen, sondern habe sich vielmehr recht schnippisch betragen.
Rose hört sich das in Ruhe an und meint dann, sie habe sich schon gedacht, dass es mit dieser Göre noch Ärger geben würde. Jetzt bin ich aber neugierig. Wieso das denn? Als Englischdozentin an der Uni hat Rose natürlich einen ganz guten Einblick in das Seelenleben chinesischer Jugendlicher. Dadurch, dass die meisten von denen Einzelkinder seien, seien sie gewohnt, zu bekommen, was sie wollen. Auch wenn man ihnen klipp und klar sage, dass sie etwas nicht bekämen oder dürften, würden sie es versuchen. Außerdem haben viele einfach keine Ahnung von Etikette, da sie von Kindesbeinen an verwöhnt seien. Diesen Eindruck hatte ich bis jetzt nicht, vielmehr erschienen mir chinesische junge Menschen bis jetzt eher höflicher und wohlerzogener als die deutschen zum Beispiel. Ja, sagt Rose, oberflächlich sei das auch so. Aber hinter der Fassade sieht es wohl ganz anders aus. Interessant. Und in dem Ring, in den sich die kleine Maid jetzt begeben hat, herrschen natürlich auch noch ganz andere, traditionelle Sitten. Eigentlich schuldet sie mir und ihr als „Große Lehrschwestern“ Gehorsam und Respekt, Xiao Lu natürlich erst recht. Und dem Meister sowieso.
Wie sich herausstellt, hat die Maid wohl unmittelbar, nachdem sie von uns nach Hause geschickt worden war, völlig aufgelöst Meister Wu angerufen und heftig geheult. Ich sei gemein und unhöflich zu ihr gewesen, wie gemein und unhöflich genau, konnte oder wollte sie ihm in ihrer Aufgewühltheit wohl nicht schildern. Deswegen hatte er sich ja auch besorgt bei Rose erkundigt. Dieses kleine Miststück!
Bin jetzt doch leicht beunruhigt. Immerhin steht hier die Aussage einer Einheimischen gegen die einer Ausländerin mit miesen Sprachkenntnissen. Nee, sagt Rose, ich solle mir mal keine Gedanken machen. Da vor allem Xiao Lu der Zappelmaid schon mehrere Male gesagt habe, sie könne nicht mit uns trainieren und der Meister schon wisse, dass die Maid eher schlichten Gemütes sei, ginge das schon klar. Sie führt als Beispiel genau die Sache mit dem uneingeladenen Auftauchen auf einer Party auf, die ich der Maid schon um die Ohren gehauen hatte. Bin trotzdem noch besorgt, auf keinen Fall will ich, dass Meister Wu eine schlechte Meinung von mir hat. Rose steckt mir dann auch noch ganz diskret, dass mein Nachmittagstraining mit Xiao Lu sowieso quasi unerhört sei. Eine Schülerin lernt vom Meister UND von seinem Meisterschüler, dass Meister Wu sowas zulässt, ist schon eine ganz große Sache und wird anscheinend in Shanghaier Kampfkunstkreisen heiß diskutiert. Versuche Rose zu erklären, dass unser Nachmittagstraining eher so eine gemeinsame Toberei zwischen uns beiden und kein richtiger Unterricht ist und sich das über die Jahre irgendwie mal so ergeben hat. Rose versteht das schon, aber mach das mal den anderen klar. Verstehe allmählich, was für hohe Privilegien ich hier genieße und was das andersherum für mich heißt.
Wir sind gerade mit unserem Gespräch fertig, als die Maid wie immer verspätet anzappelt. Kann nur schwer widerstehen, ihr die Augen auszukratzen. Heute gibt es einen Teil der bestellten Klamotten, die Maid hastet gleich aufs Klo, um sich umzuziehen. Man kann ihr richtig ansehen, wie glücklich sie ist, jetzt gehört sie zumindestens optisch voll dazu. Bei den Einzelbewegungen hofft sie, auch endlich ihre Ärmel flappen zu lassen. Klappt natürlich nicht, im Gegenteil. Jetzt sieht man erst mal richtig, wie schlecht sie sich bewegt.
Nachmittag:
Erzähle Xiao Lu völlig empört von der Aktion der Zappelmaid, der darüber nur den Kopf schütteln kann. Was sind Frauen kompliziert! Nee, ich doch nicht, nur die chinesischen. Meine Bedenken, der Meister könne schlecht von mir denken, zerstreut er. War schon in Ordnung, der Maid den Marsch zu blasen, auch wenn das vielleicht nicht gerade die feine chinesische Art war.
Rocky gesellt sich zu uns und versucht mit zu üben, allerdings erkläre ich ihm mit einem entwaffnenden Lächeln, dass dies Xiao Lus und meine private Trainingszeit sei. Da merkt man doch gleich den Unterschied: Er zieht sich sofort zurück und packt allerlei interessante Waffen aus seinem Rucksack. Unter anderem stählerne Armreifen, muss gleich an den Film „Gong Fu“ mit dem Heiligen Stephen denken. Aus irgendwelchen Gründen kann Xiao Lu Rocky nicht leiden. Trotzdem ist er nett zu ihm, sehr chinesisch. Ich weiß schon, dass es durchaus Unterschiede zwischen Nett und richtig ehrlichem Nett gibt, kann die aber noch nicht unterscheiden. Schwierig, mysteriöses China.
Der Meister hat Rocky auch gesagt, dass er ihn nicht unterrichten wird, liegt wohl daran, dass er schon zu sehr auf die harten Stile eingenordet ist und sich nicht entspannt bewegen kann. Mir tut er ja irgendwie leid, denn ich finde ihn freundlich und höflich, wenn auch manchmal etwas anstrengend, da er sehr leise redet.
Wir plaudern ein wenig und dann übt Rocky seinen Kram und wir unseren. Nach etwa eineinhalb Stunden verabschiedet er sich kernig und zieht von dannen. Jetzt darf ich den Säbel auspacken.
Die Säbelform habe ich zu Hause geübt, soweit das ohne Schäden am Mobiliar möglich war. (Sieder war davon auch entzückt und stelle sich mit angriffslustig erhobenen Vorderpfoten auf die Hinterbeine. Er sah dabei exakt so aus wie der Gestiefele Kater aus Shrek. Musste so lachen, dass mir fast mein Übungsgerät aus der Hand gefallen wäre).
Xiao Lu ist einigermaßen zufrieden und biegt in jeder Stellung meine Hand um Millimeter in die richtige Stellung. Und damit ich auch ja kapiere, was ich da mache, werden natürlich auch Anwendungen geübt.
Eine dicke schwarze Katze hat einen kleinen Vogel gefangen. Da muss man ja mal nach dem Rechten sehen, Xiao Lu verfolgt die Katze und kommt mit dem Vögelchen in seiner großen Pranke wieder. Das Tier wird eingehend untersucht, ob das Rote auf seiner Brust wohl Blut ist? Nee, nur Federn. Äußerlich hat der Vogel keinen größeren Schaden genommen, die Flügel sind von der Katze aber schon arg zerzaust. Der kleine Patient wird in Xiao Lu´s Jackentasche geborgen, er stellt sicher, dass das Tier auch ordentlich atmen kann. Danach wird in regelmäßigen Abständen nach dem Vogel geschaut, ich wundere mich, dass er den Nachmittag überhaupt übersteht.
Diese Aktion finde ich jedoch sehr rührend, ich sage Xiao Lu, er sei ein guter Mensch und käme bestimmt in den Himmel. Da muss er lachen.
Vormittag:
Rose fragt mich diskret, ob denn da neulich im Training irgendwas mit dem Mädel losgewesen wäre? Sie etwa geweint habe? Nee, sage ich, wieso? Naja, der Meister habe da so was gesagt und sich bei Rose erkundigt, ob sie wisse, was da vorgefallen sei. Da fällt es mir wieder ein, dachte die ganze Sache sei ausgestanden. Erkläre Rose die Sache und erwähne, die kleine Zappelmaid sei keineswegs heulend von dannen gezogen, sondern habe sich vielmehr recht schnippisch betragen.
Rose hört sich das in Ruhe an und meint dann, sie habe sich schon gedacht, dass es mit dieser Göre noch Ärger geben würde. Jetzt bin ich aber neugierig. Wieso das denn? Als Englischdozentin an der Uni hat Rose natürlich einen ganz guten Einblick in das Seelenleben chinesischer Jugendlicher. Dadurch, dass die meisten von denen Einzelkinder seien, seien sie gewohnt, zu bekommen, was sie wollen. Auch wenn man ihnen klipp und klar sage, dass sie etwas nicht bekämen oder dürften, würden sie es versuchen. Außerdem haben viele einfach keine Ahnung von Etikette, da sie von Kindesbeinen an verwöhnt seien. Diesen Eindruck hatte ich bis jetzt nicht, vielmehr erschienen mir chinesische junge Menschen bis jetzt eher höflicher und wohlerzogener als die deutschen zum Beispiel. Ja, sagt Rose, oberflächlich sei das auch so. Aber hinter der Fassade sieht es wohl ganz anders aus. Interessant. Und in dem Ring, in den sich die kleine Maid jetzt begeben hat, herrschen natürlich auch noch ganz andere, traditionelle Sitten. Eigentlich schuldet sie mir und ihr als „Große Lehrschwestern“ Gehorsam und Respekt, Xiao Lu natürlich erst recht. Und dem Meister sowieso.
Wie sich herausstellt, hat die Maid wohl unmittelbar, nachdem sie von uns nach Hause geschickt worden war, völlig aufgelöst Meister Wu angerufen und heftig geheult. Ich sei gemein und unhöflich zu ihr gewesen, wie gemein und unhöflich genau, konnte oder wollte sie ihm in ihrer Aufgewühltheit wohl nicht schildern. Deswegen hatte er sich ja auch besorgt bei Rose erkundigt. Dieses kleine Miststück!
Bin jetzt doch leicht beunruhigt. Immerhin steht hier die Aussage einer Einheimischen gegen die einer Ausländerin mit miesen Sprachkenntnissen. Nee, sagt Rose, ich solle mir mal keine Gedanken machen. Da vor allem Xiao Lu der Zappelmaid schon mehrere Male gesagt habe, sie könne nicht mit uns trainieren und der Meister schon wisse, dass die Maid eher schlichten Gemütes sei, ginge das schon klar. Sie führt als Beispiel genau die Sache mit dem uneingeladenen Auftauchen auf einer Party auf, die ich der Maid schon um die Ohren gehauen hatte. Bin trotzdem noch besorgt, auf keinen Fall will ich, dass Meister Wu eine schlechte Meinung von mir hat. Rose steckt mir dann auch noch ganz diskret, dass mein Nachmittagstraining mit Xiao Lu sowieso quasi unerhört sei. Eine Schülerin lernt vom Meister UND von seinem Meisterschüler, dass Meister Wu sowas zulässt, ist schon eine ganz große Sache und wird anscheinend in Shanghaier Kampfkunstkreisen heiß diskutiert. Versuche Rose zu erklären, dass unser Nachmittagstraining eher so eine gemeinsame Toberei zwischen uns beiden und kein richtiger Unterricht ist und sich das über die Jahre irgendwie mal so ergeben hat. Rose versteht das schon, aber mach das mal den anderen klar. Verstehe allmählich, was für hohe Privilegien ich hier genieße und was das andersherum für mich heißt.
Wir sind gerade mit unserem Gespräch fertig, als die Maid wie immer verspätet anzappelt. Kann nur schwer widerstehen, ihr die Augen auszukratzen. Heute gibt es einen Teil der bestellten Klamotten, die Maid hastet gleich aufs Klo, um sich umzuziehen. Man kann ihr richtig ansehen, wie glücklich sie ist, jetzt gehört sie zumindestens optisch voll dazu. Bei den Einzelbewegungen hofft sie, auch endlich ihre Ärmel flappen zu lassen. Klappt natürlich nicht, im Gegenteil. Jetzt sieht man erst mal richtig, wie schlecht sie sich bewegt.
Nachmittag:
Erzähle Xiao Lu völlig empört von der Aktion der Zappelmaid, der darüber nur den Kopf schütteln kann. Was sind Frauen kompliziert! Nee, ich doch nicht, nur die chinesischen. Meine Bedenken, der Meister könne schlecht von mir denken, zerstreut er. War schon in Ordnung, der Maid den Marsch zu blasen, auch wenn das vielleicht nicht gerade die feine chinesische Art war.
Rocky gesellt sich zu uns und versucht mit zu üben, allerdings erkläre ich ihm mit einem entwaffnenden Lächeln, dass dies Xiao Lus und meine private Trainingszeit sei. Da merkt man doch gleich den Unterschied: Er zieht sich sofort zurück und packt allerlei interessante Waffen aus seinem Rucksack. Unter anderem stählerne Armreifen, muss gleich an den Film „Gong Fu“ mit dem Heiligen Stephen denken. Aus irgendwelchen Gründen kann Xiao Lu Rocky nicht leiden. Trotzdem ist er nett zu ihm, sehr chinesisch. Ich weiß schon, dass es durchaus Unterschiede zwischen Nett und richtig ehrlichem Nett gibt, kann die aber noch nicht unterscheiden. Schwierig, mysteriöses China.
Der Meister hat Rocky auch gesagt, dass er ihn nicht unterrichten wird, liegt wohl daran, dass er schon zu sehr auf die harten Stile eingenordet ist und sich nicht entspannt bewegen kann. Mir tut er ja irgendwie leid, denn ich finde ihn freundlich und höflich, wenn auch manchmal etwas anstrengend, da er sehr leise redet.
Wir plaudern ein wenig und dann übt Rocky seinen Kram und wir unseren. Nach etwa eineinhalb Stunden verabschiedet er sich kernig und zieht von dannen. Jetzt darf ich den Säbel auspacken.
Die Säbelform habe ich zu Hause geübt, soweit das ohne Schäden am Mobiliar möglich war. (Sieder war davon auch entzückt und stelle sich mit angriffslustig erhobenen Vorderpfoten auf die Hinterbeine. Er sah dabei exakt so aus wie der Gestiefele Kater aus Shrek. Musste so lachen, dass mir fast mein Übungsgerät aus der Hand gefallen wäre).
Xiao Lu ist einigermaßen zufrieden und biegt in jeder Stellung meine Hand um Millimeter in die richtige Stellung. Und damit ich auch ja kapiere, was ich da mache, werden natürlich auch Anwendungen geübt.
Eine dicke schwarze Katze hat einen kleinen Vogel gefangen. Da muss man ja mal nach dem Rechten sehen, Xiao Lu verfolgt die Katze und kommt mit dem Vögelchen in seiner großen Pranke wieder. Das Tier wird eingehend untersucht, ob das Rote auf seiner Brust wohl Blut ist? Nee, nur Federn. Äußerlich hat der Vogel keinen größeren Schaden genommen, die Flügel sind von der Katze aber schon arg zerzaust. Der kleine Patient wird in Xiao Lu´s Jackentasche geborgen, er stellt sicher, dass das Tier auch ordentlich atmen kann. Danach wird in regelmäßigen Abständen nach dem Vogel geschaut, ich wundere mich, dass er den Nachmittag überhaupt übersteht.
Diese Aktion finde ich jedoch sehr rührend, ich sage Xiao Lu, er sei ein guter Mensch und käme bestimmt in den Himmel. Da muss er lachen.