Donnerstag, April 29, 2010

加时 - Verlängerung

Sonntag liege ich mit einer fetten Erkältung voll auf der Schnauze. Meine Lieferung von Abendbrot wird geklaut, Sauerei! Stefanie geht trainieren und päppelt mich Sonntag und Montag erstmal mit Obstsalat und Ingwersud hoch. Den Rest der Woche treffen wir uns nach der Arbeit im Volkspark und gönnen uns Fußmassagen, Pediküren und jede Menge gutes Essen. Xiao Lu ist immer noch nicht gesund, also kein Nachmittagstraining für Stefanie. Dafür kommen wir aber in den Genuss eines Filmes, den Jud gedreht hat. Sein Vater ist in den Staaten ein ziemlich berühmter Akupunkteur und übt seit dreißig Jahren Wu- Stil. 2005 kam er dann endlich zum ersten Mal nach China, um die Hintergründe und Zusammenhänge zu erforschen, Jud hat das dokumentiert. Ein interessanter Film mit interessanten Typen. Die Akademie in Wudang, in der Lilo und Yürgen trainieren, kommt auch drin vor. Merkwürdig, in diesem Jahr waren wir ja auch mit dem Verein in China und ich habe mich in Shanghai verliebt, während für andere Vereinsmitglieder das Fundament ihrer Zuneigung zu Wudang gelegt wurde.
Freitag Abend Cotton Club, Jud hat immer noch Liebeskummer. Der arme Kerl. Da ich weiß, dass er auch gerne die Säbelform lernen will, schlage ich ihm das als zukünftiges Sonntagsprogramm vor. Sollte ihn aufmuntern und ablenken. Jud findet die Idee gut und ich bin glücklich, einen fähigen Mitschüler zu haben. Hoffentlich setzten wir das auch in die Tat um, aber ich muss ja auch erst mal als letzte der Tongbei- Faustformen Ying Quan auf die Reihe kriegen.
Stefanie hat es geschafft, doch schon für Montag früh einen Flug zu kriegen, also definitiv unser letztes gemeinsames Wochenende.
Samstag scheint die Sonne und ich freue mich aufs Training. Als wir im Park ankommen, traue ich meinen Augen fast nicht: Xiao Lu steht da und übt schon gewissenhaft. Bin außer mir vor Freude, dass mein großer Bruder wieder auf dem Damm ist. Er sieht zwar noch etwas matt aus, aber seine Augen strahlen. Xiao Lu staunt nicht schlecht, dass Stefanie noch da ist, aber das mit dem Vulkan hat er auch mitbekommen. Der Meister ist derartig gut drauf, dass er uns jede Menge Anwendungen und am Ende sogar Tui Shou (Push Hands) üben lässt. Wir haben Spaß und schubsen uns unter den Blicken zahlreicher Zuschauer über unser Übungsgelände.
Nachmittags unternehmen Stefanie und ich einen zweiten Anlauf zur Besichtigung den World Financial Centers (im Volksmund auch "Flaschenöffner" genannt) und schaffen es tatsächlich, Karten zu erweben. Alles sehr spacig, in der Wartezone abgefahrene Installationen mit
Blubbergeräuschen. Das Aufsichtspersonal trägt coole Retro- Kostüme in hellem Blau- Grau, wir kommen uns vor wie in einem 60-er Jahre Science Fiction Film, bestimmt kommen gleich Commander Alistair Mc Lane oder Captain Kirk um die Ecke. Das geilste jedoch der Aufzug, der uns 435m hoch in den 97. Stock katapultiert. Der fängt nämlich an, in einem angenehmen Licht zu pulsieren und beruhigende Geräusche von sich zu geben. Raumpatrouille. Im 100. Stock gibt es Glasböden, Schwindel erregend. Shanghai sieht aus wie eine Spielzeugstadt.
Auch sehr abgefahren das Klo: Absoluter High- Tech mit Sitzheizung und Hinternbeduschung und -beföhnung, die letzte Kabine direkt an der Glasfassade. Obwohl ich nicht unbedingt muss, lasse ich es mir natürlich nicht entgehen, dieses Klo zu benutzen. Selten mit derartig grandiosem Ausblick gepinkelt.
Kaffee an der Uferpromenade mit Blick auf den Bund, gerade gehen die Lichter an. Man muss Shanghai einfach lieben. Noch sieben Tage bis zur EXPO, auf dem Aurora- Wolkenkratzer blinkt „We are ready! Are you ready?“ Na logo! Absacker in der Bar des Captains Hostel, auch ein netter Ort mit Wahnsinns- Ausblick.

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