Montag, Mai 31, 2010

意想 不到的事物 – Überraschung!

Deutschland gewinnt mit einer in schauderhaftem Englisch singenden schulmüden Göre den europäischen Schlagerwettbewerb, was so fern von der Heimat ungläubiges Staunen hervorruft. Jetzt müssen wir trotz Verletzungspech einfach auch Weltmeister werden!
Und unser Bundespräsident legt sein Amt nieder. (Lache mich schlapp, denn letzte Woche waren meine beiden Bosse noch bei seinem großen Gala- Empfang. Dem einen wurde sogar mit großer Geste für dieses würdige Ereignis ein Windsor- Knoten gebunden).
Da ich nicht wirklich gut singen kann, möchte ich mich um das Amt der Bundespräsidentin bewerben. Ich glaube, ich könnte das echt gut. Würde mit meinen Staatspräsidenten- Kollegen mal entspannt reden und ordentlich einen saufen, nachdem wir die Reportermeute vor die Tür gesetzt hätten. Und wirklich wichtige Dinge dürfte ich ja sowieso nicht entscheiden.
Ideale Voraussetzungen hätte ich ja, mit bilateralen Beziehungen kenne ich mich aus. Habe ja als Hannoveranerin einen Alzeyer Bub geehelicht. Und ausser Hochdeutsch verstehe ich noch Meenzer Platt, Gau- Oderheimerisch, Englisch, Hochchinesisch und ein wenig Shanghainesisch. Ach ja, und aufgrund meiner Lateinkenntnisse weiss ich natürlich grob auch, wovon in Italien, Frankreich oder Spanien die Rede ist.
Könnte mir schon gefallen, ab und an mal eine Ansprache an die Nation im Fernsehen und dabei gut aussehen, erster Klasse mit dem Herrn Gemahl um die Welt reisen und in einem hübschen Schloss residieren...Ja, das mache ich.
P.S. War dann tatsächlich so wütend, dass ich unseren Ex- Bundesprädidenten eine kurze mail geschrieben habe. Wofür habe ich mich denn hier extra beim Auswärtigen Amt als Auslandsdeutsche registrieren lassen! Kleiner Spaß am Rande: Bei der Registrierung wird allen Ernstes gefragt, mit welchen Fähigkeiten man denn in Krisensituationen aushelfen könne. Habe angegeben, mit Stäbchen essen zu können.

有的人有什么问题。。。 - Mache Leute haben echt Probleme...

Bei der Google- Suche von „Deutschlandfahne“ und „Shanghai“ stolpere ich über folgenden Beitrag im Shanghai- Forum. Leute, ich kann euch versichern, dass meine beiden deutschen Kollegen und ich uns vor Lachen schreiend auf dem Boden rumgewälzt haben. Der heutige Arbeitstag war gerettet.

Samstag, Mai 29, 2010

家常第三 – Alltag #3

Das Wetter in Shanghai wird jeden Tag besser und ich beschließe, meine Garderobe ein wenig aufzustocken. Vor allem hätte ich dann doch ganz gerne ein paar flotte Sommerschuhe, habe keine Lust, die ganze Zeit in Turnschuhen rumzulaufen. Leichter Regen am Wochenende, kein Training. Nachmittags kein Regen, aber Xiao Lu versetzt mich. Ärger. Also Schuhe suchen. Ich schaue in einem Kaufhaus in der Nähe der Tongji- Universität, wo auch tatsächlich sehr schöne Schuhe zum Verkauf stehen. Auf meine Frage, ob es die denn auch in Größe 40 gäbe, werde ich ausgelacht. Gedemütigt und frustriert verlasse ich daraufhin den Laden. Als ich mit der neu eröffneten Metro Nummer 10 in Richtung Heimat fahren will, teilt man mir mit, dass diese am Wochenende um 16.00 den Betrieb einstellt. Was ist denn das für ein Scheiß- Land. Und es fängt schon wieder an, leicht zu regnen. Jetzt ist meine Laune erst recht auf dem Tiefpunkt.
Mein Rechner zeigt merkwürdige Ausfallerscheinungen, mal lieber eine externe Festplatte zur Datensicherung kaufen. Die Festplatte und mein Rechner vertragen sich dann leider nicht, aber bei meinem Streifzug betrete ich eher zufällig einen Laden der westlichen Kette „Zara“, die doch tatsächlich Schuhe in meiner Größe haben. OK, Daten zwar nicht gesichert, aber dafür immerhin schicke Schuhe. Was will man mehr.
Im Büro hat es sich eingebürgert, dass wir mir unseren chinesischen Kollegen jetzt immer um die Ecke in einer der kleinen Garküchen essen gehen. Das ist echt Klasse, denn wir sind die einzigen Trottel, die dann immer zur Freude aller Chinesen auf der Straße sitzen und schlemmen, während um uns herum das Verkehrschaos tobt. Für beide Parteien gibt es immer viel zu sehen und in der Kassiererin im Supermarkt habe ich einen echten Fan, weil ich auf die Frage, aus welchem Land wir denn kämen mit „Women dou shi Zhongguoren“ geantwortet habe. (Übersetzt heißt das „Wir sind alle Chinesen“ und ist auch der Titel eines sehr populären Liedes von Liu Dehua oder Andy Lau, wie er im Westen heißt. Dass ich das Lied sogar singen konnte, hat sie vom Stuhl gehauen und seitdem werde ich mit „Hey, Chinesin“! begrüßt).
Beim Essen bestellen immer die chinesischen Kollegen, weswegen ich jetzt ein breites Spektrum chinesischer Gerichte kennen gelernt habe. Mann, ist das lecker! Mein Favorit zur Zeit ist ein in höllisch scharfer Soße mit Gemüse schwimmender Doufu, der außen knusprig, innen aber schön geschmeidig ist. Wie schade, dass ich nicht weiss, wie man den zubereitet.
Diese gemeinsamen Mahlzeiten habe ich sehr zu schätzen gelernt, da es mir nicht nur die Gelegenheit gibt, die Köstlichkeiten der Sichuan- Küche zu erforschen, sondern auch viel gelacht und gescherzt wird. Hauptthema ist die bevorstehende Fußball- Weltmeisterschaft. Für uns ist die Zeitverschiebung echt ungünstig, habe schon angedroht nach Hause zu fliegen, sollte Deutschland ins Finale kommen. Macht ein Tippspiel Sinn? Wie sollen wir denn hier eine Grillparty schmeißen? Vielleicht einfach den Stand von irgendeinem Uiguren mieten, die hier abends immer auf der Straße allerlei Spieße feilbieten? Grillen tun in China halt nur die Barbaren. Und wie sollen wir einen Autokorso hinkriegen? Taxis chartern und hupend um den Volkspark brettern? Wird wahrscheinlich niemanden beeindrucken, gehupt wird sowieso ständig. Dieses Konzept, seiner Freude über den Sieg der eigenen Mannschaft Ausdruck zu verleihen, ist hier weitgehend unbekannt, die Chinesen staunen über die verrückten Ausländer. Muss mir unbedingt eine Deutschlandfahne besorgen, aber wo kriege ich die hier in China her? Könnte die dann hübsch an meinem Wäschetrocknungsausleger befestigen, bestimmt voll der Brüller in der Nachbarschaft. Ich ahne schon, dass das alles nicht ganz leicht wird und beneide meine Leute in Deutschland.
In der chronisch verstopften Guangfu Lu kann man von unserem Büro aus auch interessante Dinge beobachten. Manchmal geraten Verkehrsteilnehmer übel aneinander und es kommt zu Schlägereien. Wir pflegen dann die Streithähne lautstark anzufeuern und auf potentielle Gewinner zu wetten. Neulich gab es Nasenbluten, Drohungen, die Bullen zu rufen, was aber durch den Austausch mehrerer hundert Kuai schnell beigelegt wurde. Besser als Kino, unser Chinesisch muss unbedingt besser werden, damit wir diese Szenen auch voll schätzen können.
China kann so unendlich aufregend sein, aber auch so unendlich frustrierend. Glaubt mir, Leute, ein paar Wochen oder Monate hier zu verbringen, sei es Shanghai oder irgendein heiliger Berg ist nicht dasselbe, wie tatsächlich hier zu leben.

Mittwoch, Mai 19, 2010

异客在异乡 – Fremde in einem fremden Land

16.05.2010, Samstag

Vormittags:

Die Wettervorhersage verheißt nichts gutes, aber Samstag Morgen regnet es nicht. Dachte eigentlich, nach so viel Schlaf gut drauf zu sein, aber ich fühle wie gerädert. SMS von Meister Wu, als ich schon die Klinke in der Hand habe, heute dann um halb zehn. Na gut, aber Xiao Lu wird im Park sein, fahre also trotzdem früh los.
Zwei Damen im Aufzug, die sich natürlich über mich unterhalten.
Dame 1: „Mann, diese Ausländerinnen sind aber echt groß!“
Dame 2: „Ja, und guck mal, wie dünn die ist! Wow, die hat aber echt große Füße! Und wie lang die Arme von der sind!“
Dame 1: „Hey, sei mal lieber vorsichtig. Am Ende versteht die uns noch.“
Dame 2: „Ach was, die rafft doch nichts!“
Dame 2 an mich:„Oder verstehst du uns, häh?“
Ich: „Ja“.
Verlegenes Grinsen, die beiden versichern mir, dass sie große blonde Frauen mit großen Füßen und langen Armen hübsch fänden. Ja, ganz sicher, chinesisches Schönheitsideal.
Xiao Lu übt im Park schon vor sich hin und ich mache mit. Obwohl ich ausgeschlafen bin, ahne ich, dass heute einer meiner eher schlechteren Trainingstage sein wird. Meine linke Schulter ist hart wie ein Brett und schmerzt höllisch. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für entspanntes Zuhauen. Xiao Lu weiss nicht, dass der Meister später kommt, ich freue mich, dass ich diese halbe Stunde mit ihm alleine üben kann. Ob das Nachmittagstraining klar ginge? Ja, geht. Fein. Ich erwähne, dass ich das Abendessen beim Meister sehr interessant gefunden hätte, ja das fand Xiao Lu auch.
Der hässliche Knabe schlurft an und überschüttet Xiao Lu mit einem shanghainesischen Wortschwall. Xiao Lu schwallt zurück und der Knabe guckt auf einmal ganz schön blöd aus der Wäsche. Was da wohl gesagt wurde?
Meister Wu kommt und berichtet ganz stolz, dass er und Lilo über QQ in Kontakt stehen. Sie hat wohl das falsche Schriftzeichen für seinen Namen benutzt (nämlich 武, „kämpferisch“. Zum Glück hat sie nicht 误 geschrieben, denn das bedeutet „Irrtum, Fehler“).
Ihre Bildergalerie hat er sich natürlich auch angeschaut, unter anderem die von dem Auftritt auf der Rheinland- Pfalz Ausstellung. Er ist beeindruckt. Lilo sehe auf den Bildern ja echt gut aus, sehr gute Haltung. Ich entgegne, Lilo übe auch sehr gewissenhaft und sei sehr fleißig. Ja, das sehe man. Aber was denn mit des Osters Haaren los sei? Sehe ja wohl völlig bescheuert aus. Dazu fällt mir jetzt nichts ein und ich sage etwas lahm, vielleicht arbeite der Oster ja auf einen daoistischen Haarknoten hin? Meister Wu lacht und meint, das Dao habe man im Herzen, nicht auf dem Kopf. Dann folgt ein längerer Vortrag über lange Haare, von dem ich allerdings wenig verstehe. Kriege nur mit, das Meister Wu das bei Männern wohl eher ungeil findet.
Die Maid zappelt an, der Knabe macht keine Anstalten, sich umzuziehen und hockt am Rand. Auch Jeremy taucht mal wieder auf, Einzelbewegungen und ordentlich Anwendungen werden geübt. Meine Schulter ist ein einziger Krampf, natürlich stinke ich total ab. Ich glaube, so schlimm war ich selten. Das ist jetzt die gerechte Strafe dafür, dass ich so auf die Zappelmaid herabgeschaut habe. Geschieht mir gerade recht, Hochmut kommt vor dem Fall. Aber auch wenn mir die Maid tierisch auf den Sack geht, so habe ich doch enormen Respekt vor ihrer Hartnäckigkeit. Die macht einfach tapfer alles mit und versucht ihr Bestes, da können sich manche der Kerle echt eine Scheibe von abschneiden.
In einer Pause fragt mich Jeremy, wie es mir denn so ginge? Wäre doch bestimmt hart hier so ganz alleine, ohne meinen Mann und meine Kinder? Naja, Kinder habe ich zwar keine, aber auf einmal geht mir auf, dass es nach Lilos Besuch eine verdammt lange Zeit seien wird, bevor ich wieder einen lieben Menschen aus der Heimat sehe. Und heimfahren werde ich frühestens im Oktober, auf jeden Fall aber Weihnachten. Ich sehe, wie alle anderen miteinander scherzen und verstehe kein Wort. Mir wird auf einmal sehr schwer ums Herz und danach klappt es mit den Übungen natürlich noch weniger.
Meister Wu lädt uns zum Mittagessen ein, ich verzichte und sage, mir ginge es nicht so gut. Will die fröhliche Stimmung nicht mit meinem langen Gesicht ruinieren. Unglücklich schleppe mich in den E- Mart und werde überrascht: Eine Riesen- Palette mit italienischer Napoli- Nudelsauce. Sonderangebot. Schleudere erfreut zwei Gläser in meinen Einkaufskorb. Dass es hier ein kleines Regal mit ausländischen Spezialitäten gibt, hatte ich schon gesehen, aber die Sauce war mir irgendwie entgangen. Für ein Päckchen Tampons wird hier mehr als für eine Flasche Wein verlangt, dafür aber sind die Dinger aber aus garantiert ökologischem Anbau. Chinesinnen benutzen anscheinend lieber Binden, deswegen gibt es auch eine verwirrende Vielzahl derselben. Auch mit „Hello Kitty“. Verrückt. Auf meiner Suche nach Instant- Kaffee finde ich doch tatsächlich richtigen Bohnenkaffe chinesischer Herkunft, Marke „Mond“. Riecht nicht schlecht, muss ich unbedingt ausprobieren, wenn Stefanies Kaffeeaufgebraucht ist. Und es gibt bei E- Mart sogar Filtertüten! Der Laden ist ja voll das Einkaufsparadies! Meine Laune hebt sich etwas.

Nachmittags:

Xiao Lu fragt mich, ob ich irgendwie sauer sei? Ach Gott, nee, natürlich nicht! Für mich ist es immer noch schwer, Gefühle aus den Gesichtern der Chinesen abzulesen, andersrum ist es also genauso.
Schildere ihm meinen Kummer und natürlich versteht er mich. Hat schließlich dasselbe als Gastarbeiter in Korea mitgemacht. (Dazu muss man allerdings mal sagen, dass Chinesen im Umgang mit zumindest westlichen Ausländern im Allgemeinen sehr freundlich und höflich sind. Sollten wir Deutsche uns auch mal angewöhnen).
Ich bin froh, dass ich jemanden zum Ausheulen habe und Xiao Lu weiß ganz genau, wie er seine kleine Schwester wieder auf Kurs bringt. Erstmal wird über die Zappelmaid und den Knaben abgelästert, Xiao Lu meint, er habe die beiden beim ... beobachtet. Ja, bei was denn? Rummachen? Flirten? Händchenhalten? Verdammt, mein Chinesisch muss unbedingt besser werden! Außerdem klärt sich der Dialog von heute morgen auf: Da der Meister den jungen Mann nicht leiden kann und auf ihn sauer ist, ist er vom Unterricht ausgeschlossen. Ja, da wäre ich auch nicht begeistert gewesen.
Zur Entspannung der Schulter gibt es ganz viele Übungen mit weit ausholenden Armbewegungen und die Muskeln beginnen, sich zu lockern. Ist zwar schmerzhaft, tut aber gut. Er zeigt mir auch ganz viele Anwendungen und wir rangeln fröhlich miteinander, natürlich ziehe ich ständig den Kürzeren. Aber ich habe Spaß und lache viel. Meine Güte, Xiao Lu ist echt ungeheuer geschmeidig. Das sei auch wichtig, sagt er, sonst hätte er neulich auch Glubschauge nicht eintüten können. Ich sage ihm, davon sei ich enorm beeindruckt gewesen und für mich wäre er ein Superheld. Da muß er lachen. Was ich an ihm ebenfalls faszinierend finde ist seine Fähigkeit, sich Bewegungsabläufe durch bloßes Zuschauen einzuprägen. Morgens übt neben uns immer ein Herr Xingyi, Xiao Lu kann diese Schrittfolgen sofort reproduzieren. Ich brächte dafür Tage. Na ja, schließlich übt er ja auch seit knapp vierzig Jahren Kampfkünste.
Mian Zhang wird auch wiederholt, wenigstens weiß ich noch grob die Abfolge. Aber piaoliang ist das immer noch nicht. Nicht so schlimm, wird schon noch. Morgen Nachmittag wieder Nachhilfe, wenn es regnet, gehen wir halt Tee trinken. Dieses Angebot kommt von Xiao Lu, ich hätte nie gewagt, ihn um weiteren Unterricht zu bitten und freue mich deshalb sehr.

Nach dem Verlassen des Busses beschließe ich spontan, doch mal den kleinen Optikerladen in der Chifeng Lu zu betreten und nach meinen Kontaktlinsen zu fragen. Hatte schon in einem sehr großen Laden in der Innenstadt danach gesucht, aber da gab es die nicht. Daraufhin habe ich mir eine Jahresration von sauteuren Linsen andrehen lassen, die sich aber als totaler Fehlkauf entpuppten.
Der Optiker studiert die Packung und holt einen Schuhkarton unter dem Tresen hervor. Welche Sehstärke noch mal? Minus fünf Dioptrien? Es wird ein wenig gekramt, schließlich findet der gute Mann das Gewünschte. Die Verpackung sieht zwar etwas anders aus, aber das sind genau meine Linsen. Ich bin hoch erfreut, endlich kann ich wieder klar sehen.
Da harte körperliche Arbeit ein gutes Mittel gegen Heimweh und Kummer ist, putze ich meine Bude, bis alles blitzt und funkelt.

17.05.2010, Sonntag

Vormittags:

Würde ja am liebsten ausschlafen, aber mir fällt siedend heiß ein, dass ich den Umschlag mit der Kohle für „Abendbrot“ noch nicht an der Tür befestigt habe. Schieße aus dem Bett und klebe den Umschlag an. Punktlandung, denn nur wenige Minuten später wird meine Bestellung geliefert.
Da ich ja jetzt sowieso aus dem Bett bin, bereite ich mir ein Mohnbrötchen mit Käse zu und mache mich fertig.

Aufwärmen mit Xiao Lu, um halb zehn haben sich dann die Maid, der hässliche Knabe sowie Jeremy mit einem sehr fetten Ausländer im Schlepptau eingefunden. Warten auf den Meister, der mich dann schließlich irgendwann mal anruft. Ich sage ihm, dass wir alle im Park auf ihn warteten, ob er den käme? Am anderen Ende der Leitung heftiges Husten, gefolgt von einem knappen „Ja“. Na denn.
Mittlerweile mache ich mir doch Sorgen um Meister Wu, denke, der treibt mit seiner Gesundheit ganz schön Schindluder. Jeremy ist der Meinung, dass der Meister bei seinem Zigaretten- und Alkoholkonsum eigentlich schon längst unter der Erde wäre, würde er nicht Kampfkünste betreiben.
Xiao Lu übt mit uns Einzelbewegungen, auch der Knabe macht mit. Hat wohl beschlossen, das Trainingsverbot zu ignorieren und will vor der Zappelmaid nicht abstinken.
Als Meister Wu schließlich kommt, geht es gleich mit Schrittfolgen weiter und zwar ohne abzusetzten. Aua, meine Oberschenkel sind aus flüssigem Blei. An einer Schrittfolge namens „Die Fee zeigt den Weg“ beißt er sich besonders fest und die ist ganz schön kompliziert mit hohen und tiefen Schlägen, Tritten und Sprüngen. Mann, diese Fee muss aber ganz schön übel drauf gewesen sein, als sie den Irdischen diese Übung beschert hat.
Mian Zhang, zum Glück haben wir das gestern wiederholt. Die Maid und der Knabe dürfen nur zuschauen, während der fette Ausländer uns photographiert. Bei Ying Quan darf die Maid dann wieder mitmachen, der Knabe wird verhöhnt, weil sein Oberteil eigentlich ein Damenfummel ist. (Fünf statt sieben Knöpfe, keine Naht auf dem Rücken).
Jeremy ist sehr bemüht, dem fetten Ausländer unsere Kampfkunst nahe zu bringen und bittet den Meister, ihm ein paar Anwendungen angedeihen zu lassen. Da lässt Meister Wu sich natürlich nicht zweimal bitten, haut ein paar Mal zu und Ruhe ist. Der fette Typ ist beeindruckt. Wieviel er denn wiege? Na ja, bei 1,90 Metern Körpergröße 150 Kilo. (Halte das für eine schamlose Untertreibung). Der Fettsack soll dann versuchen, Xiao Lu umzuschubsen, der sich natürlich nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Dem fetten Typen rutschen die Hosen über den haarigen Hintern, dieser Anblick ist so widerlich, dass ich die Augen abwende. Einen Sekundenbruchteil später liegt Fettsack auf der Schnauze. Da Xiao Lu verständlicherweise keinen Bock hat, mit dem Meister Freikampf- Anwendungen zu demonstrieren, muss Jeremy selber herhalten und kriegt ordentlich was ab. Meine Lieblingsnummer: Meister Wu täuscht einen Angriff von oben an und tritt Jeremy ganz farblos die Füße weg. Das hat er jetzt davon.
Fettsack ist begeistert. Ob er dann nächstes Mal mitmachen dürfe? Ja, er darf. Ach du meine Güte, der will tatsächlich mit uns üben? Bin ja gespannt, wie lange der durchhält, auf jeden Fall verspricht das enorm spaßig zu werden.

Nachmittags:

Lecker Käsestange mit Rührei und Tomate, kurzer Schönheitsschlaf und dann geht es weiter mit Xiao Lu. Und der ist heute besonders kritisch. Er lässt mich Standards wiederholen und legt besonderen Wert auf die makellose Ausführung. Das heißt, dass Füße, Hüfte, Schultern und Faust absolut gleichzeitig ankommen müssen, gar nicht so leicht. Dachte eigentlich, dass ich das drauf hätte, werde aber schnell eines Besseren belehrt. Und die aggressive Fee wird auch geübt, bis ich diese Schrittfolge grob draufhabe.
Aber vor allem wird Tui Shou geübt. Hatte ja gehofft, mit Ying Quan weiter machen zu können, aber Xiao Lu hat anscheinend andere Pläne. Er versucht, mir die ganzen diffizilen Manöver beizubringen, mit denen man seinen Partner aus dem Gleichgewicht bringt, aber ich stelle mich blöd an. Ich mag Tui Shou einfach nicht. Xiao Lu schubst und zerrt an mir herum und redet auf mich ein, ich verstehe kein Wort. Er wird immer ungeduldiger und ich immer gestresster, schließlich breche ich in Tränen aus. Aber er kennt keine Gnade und ist irgendwann mal halbwegs zufrieden. Ying Quan wird zum Abschluss noch mal durchgelaufen, der Park schließt und ich bin unglücklich. Vielleicht ist er jetzt sauer auf mich wegen meiner Beschränktheit und meinem Geflenne? Nein, aber er wolle, dass ich die beste Tongbei- Schnalle der Welt werde. So wie er der beste männliche Übende werden wolle. Denn dazu hätte ich das Zeug. (Ist ja auch nicht weiter schwierig, wenn man sich mal die Zahl der weiblichen Praktizierenden vor Augen hält). Und er wünscht, dass ich irgendwann mal alle beim Tui Shou eintüten kann. Und um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, müsse man halt „bitter essen“. Schönen Dank, jetzt bin ich noch gestresster und noch unglücklicher.

Sonntag, Mai 16, 2010

家常第二 – Alltag #2

Treffe mich mit JBs Kumpels am Arsch der Welt in Pudong, ein lustiger Abend. Wahrscheinlich verdiene ich im Monat knapp das, was deren Firma allein für deren Miete raussschießt, von dem Fahrer und den Ayis mal abgesehen. Bin nicht neidisch, lieber spartanisch leben und irgendwie integriert zu sein als in einer Luxus- Compound zu hocken und sich über den Empfang der Deutschen Welle Sorgen zu machen. Zwei Welten halt.
Beschließe gemeinsam mit meinem Arbeitskollegen Peter und seinem Kumpel, im Juni nach Hongkong zu fliegen. Geil, war das letzte Mal dort, als Hongkong noch von den Briten besetzt war, wird bestimmt interessant. Will unbedingt zum Walk of Fame der Hongkong Filmstars, da gibt es eine Statue von Bruce Lee und der Heilige Stephen hat natürlich auch seinen Stern.
Freitags Abend gibt es eigentlich einen sehr interessanten Vortrag zu nachhaltiger Architektur im Goethe- Institut, aber ich schlafe vor der Glotze ein.

Samstag, Mai 15, 2010

丽露 – Lilo

08-05.2010, Samstag

Heute kommt endlich Lilo und da ich es gestern auf der Büroparty ordentlich habe krachen lassen, schlafe ich erstmal aus und verzichte aufs Training. Regnet sowieso leicht.
SMS und Anruf von Meister Wu, heute Abend bei ihm essen? Ja? Halb sechs, geht klar, freue mich.
Lilo kennt sich ja mittlerweile hier ein wenig aus, also sammele ich sie an der Flughafenbus- Haltestelle am Lu Xun Park ein. Bin sehr glücklich, wieder einen Gast aus der Heimat hier zu haben, Taxi zu meiner Wohnung und Lilo macht sich erstmal geschmeidig. Nachdem sie sich die Haare gewaschen und in ein zünftiges AC/ DC- Shirt geschmissen hat, starten wir mit dem von Stefanie zurückgelassenen Filterkaffee Wiederbelebungsmaßnahmen und quatschen.
Geschenke von den Lieben aus der Heimat hat sie auch mitgebracht: Ali schickt mir einen hammergeilen Tiger- Schlüsselanhänger mit ordentlich Blingbling und die liebe Elli Ferrero Küsschen! (DAS nenne ich eine aufmerksame Blog- Leserin! Ganz lieben Dank!)
Ramona hat extra für mich ihre Schwertform bei Eiseskälte aufgenommen, damit ich hier eine Gedächtnisstütze habe, auch das weiß ich natürlich außerordentlich zu würdigen. Freue mich unbändig über diese netten Aufmerksamkeiten.
Anschließend kaufen wir bei E- Mart ein, besorgen Kippen und Rotwein als Gastgeschenke und sorgen dafür, dass Lilos chinesische Telefonkarte aufgeladen wird. Und dann ist es auch schon Zeit, zu Meister Wu aufzubrechen.
Die Gastgeschenke und Ellis dem Meister zugedachte Gummibärchen werden übergeben, der Meister und seine Frau empfangen uns sehr herzlich. Und die ersten Speisen stehen schon auf dem Tisch. Außer uns ist noch einer der netten Knaben, mit denen ich und Stefanie mit Wujie und Meister Wu nach dem China- Camp 2007 in Shangrao saufen waren da und auch Xiao Lu. Der Ärmste sieht immer noch ganz schön krank und blass aus.
Wir werden durch des Meisters Bude geführt und Lilo fragt nach der QQ- Nummer von Meister Wu. Er könne aber kein Englisch, sagt der Meister, Lilo entgegnet tapfer, das mache nix, sie könne durchaus auf chinesisch chatten. Cool.
Rose und später auch der Teeknülch (ich glaube, er heisst Mao oder so) nebst Gemahlin kommen dann auch noch und der Meister knallt gut gelaunt eine Flasche Mao Tai Schnaps mit 78 Umdrehungen auf den Tisch. Der wird zum Rotwein aus Wassergläsern genossen. Lilo zuckt etwas, aber ich kenne dieses Programm ja schon. Und wie gewohnt wird dann wieder eine Köstlichkeit nach der anderen kredenzt, während im Hintergrund die monströse Glotze dröhnt. Hen shufu, ich fühle mich sehr wohl. Leckere Speisen auf dem Tisch, angenehme Gesellschaft, eine gute Freundin an der Seite: Was willste mehr!
Die Konversation wird dann auch noch sehr interessant. Der Meister sorgt sich um die Zappelmaid. Der hässliche junge Mann hat wohl ein Auge auf sie geworfen und auch Juds Anbaggerversuche sind nicht unbemerkt geblieben. Da Meister Wu beiden Knaben unlautere Absichten unterstellt, fragt er sich, ob er die Zappelmaid vor den bösen Männern warnen solle? Rose meint, er solle statt dessen mal mit den Jungs reden. Mir erscheint diese Sorge leicht übertrieben, schließlich war ich in diesem Alter bestimmt keine grüne Jungfrau mehr. Aber Rose versichert uns, chinesische Jugendliche seien da ganz anders gestrickt.
Auch interessant, dass der Meister wohl keine sonderlich hohe Meinung von Jud hat. Zu sich nach Hause wird er den nie einladen, obwohl Jud da wohl schon mehrmals vorsichtig vorgefühlt hatte. Nee, moralisch nicht integer. Einige Leute werden halt nur unterrichtet, aber andere als Teil der Familie betrachtet. Um diese Leute kümmert man sich, aber man erwartet natürlich auch, dass die sich anständig benehmen. Meister Wu zeigt auf mich und anschließend auf den Teeknülch und Xiao Lu und sagt, diese beiden seien meine Shixiong (Ältere Lehrbrüder) und ich halt deren kleine Lernschwester. Und so habe ich denen mit dem nötigen Respekt zu begegnen, während die beiden wiederum für mich verantwortlich seien. Ich bin sehr stolz, Teil eines solchen Systems zu sein und für würdig erachtet worden bin. In China sind Beziehungen untereinander sehr diffizil, dass man mich trotz meiner schlechten Sprachkenntnisse derartig anerkennt, ist eine große Ehre. Und da Lilo auch jemand ist, der Kampfkünste ernsthaft übt, den Meister in Deutschland bei sich zu Hause mit der gebührenden Ehre empfangen hat und deren moralische Integrität über jeden Zweifel erhaben ist, gehört die natürlich auch dazu. Stefanie sowieso, die hat den Weg hierher ja geebnet.
Liebe Erinnerungen an durchzechte Nächte in Stefanies Küche während Meister Wus Deutschlandaufenthalten werden wachgerufen und wärmstens gewürdigt, ein schöner Abend. Da Lilo langsam von der anstrengenden Anreise und der Zeitverschiebung eingeholt wird und ich morgen ganz früh beruflich nach Changsha fliegen muss, verabschieden wir uns gegen Mitternacht.

09.05.2010, Sonntag

Da ein Partnerbüro behauptet hatte, in Changsha ein Wolkenkratzerprojekt zu haben, uns um Hilfe gebeten hatte und ich als erstes „hier“ geschrieen hatte (fehlt mir noch auf meiner Liste), werde ich an die sozusagen ausgeliehen.
Erster Flieger nach Changsha, bin um 6.00 am Flughafen und kriege erstmal Visitenkarten in die Hand gedrückt, auf denen ich als „Chief Design Officer“ dieses Büros ausgewiesen werde. Zwei Stunden Abhängen im Hotel, während der Chef und seine Sekretärin das Büroportfolio pimpen, dass anschließend im Hotel ausgedruckt und billig zusammengetackert wird. Unprofessionell, hätte man doch schon ein paar Tage vorher machen und dann hübsch binden lassen können.
Schnelle Inspektion des Baugrundstückes, dann stellen wir uns bei einer für mich absolut unklaren, aber anscheinend wichtigen Stelle vor. Wie sich herausstellt, hat das Büro das Projekt keineswegs im Sack, sondern das scheint hier eine Aquiseaktion zu sein mit mir als Vorzeige- Langnase. Na toll. Spiele meine Rolle und schaue wichtig drein, nicke an den richtigen Stellen, mache mir Notizen und pieke meinen Stift kritisch in die Blaupausen des Bebauungsplans. Mein Pseudo- Chef verschwindet mit dem Obermotz, um diskret Bestechungsmaßnahmen mittels Expo- Tickets und was weiss ich noch einzuleiten.
Anschließend weitere zwei Stunden Abhängen im Hotel, schräger Abwerbeversuch des Pseudo-Chefs. Mit dem letzten Flieger zurück nach Shanghai, um halb elf bin ich endlich zu Hause. Was für eine beschissene Zeitverschwendung! Hätte ja durchaus darüber lachen können, hätte ich nicht so wichtigen Besuch gehabt. So ist das einfach ärgerlich.
Zum Glück ist Lilo noch wach und wir können uns über unseren jeweiligen Tageserlebnisse austauschen. Sie hat sich in den ihr bekannten Gefilden bewegt und zielsicher alle Kitschläden außer der „Hello Kitty“ Hölle am Times Square gefunden. Muss sagen, sie hat echt sehr praktische Haarfummel geschossen. Da muss ich selber auch mal auf die Pirsch gehen. Lange Haare und schweißtreibendes Training und dabei noch geschmeidig aussehen können schnell zum Problem werden.
Sie ist ganz glücklich, keine Normal- Touristin zu sein, sondern voll cool mit Shanghaier Wohnungsschlüssel in der Tasche und dem Wissen, hier dazu zu gehören, durch die Stadt zu flanieren. Das kenne ich doch. Warte mal ab, auf deinem Rückweg schleife ich dich durch die Taikang Lu und dann bist du bald eine richtige Shanghaierin.
Lilos Sicht der Dinge zu ihrer Anreise und Shanghai kann man hier nachlesen, was sie und der Oster in Wudang so treiben, hier.

Montag, Mai 03, 2010

放假第三次 – Ferien #3

30.04.2010, Freitag

Anlässlich des Tages der Arbeit haben wir Montag frei. Eigentlich hatte ja der Shanghaier Bürgermeister verkündet, dass wir Shanghaier wegen der ganzen Umstände, die die Expo uns bereitet, zusätzlich auch noch heute sowie Dienstag und Mittwoch frei haben sollten. Tatsächlich wurde da aber schnell zurückgerudert, das soll nur für staatliche Angestellte gelten. Die meisten Büros geben ihren Angestellten aber trotzdem frei, nur wir müssen natürlich arbeiten. Freitag morgen ist Hongkou wie ausgestorben, auch die Metro ziemlich leer. Natürlich arbeitet außer uns und dem schwulen Fotostudio nebenan keiner in unserem Gebäude.
Abends feierliche Eröffnung der Expo, wir gehen mit ein paar Kollegen essen und versuchen, uns die Feuerwerke am Fluß anzuschauen. Blöderweise ist der aber an der Stelle, an der wir uns befinden, total zugebaut, so dass wir nur wenig mitbekommen. Hätte man sich besser im Fernsehen angeschaut. Trotzdem sehr beeindruckend. Nach den Feuerwerken versuchen mein Kollege Marc, seine Freundin und ich eine Ewigkeit lang, ein Taxi zu ergattern. Hoffnungslos. Neben uns steht wankend ein Westler, der von einer Chinesin gestützt wird. Der Typ rülpst leise, diese Anzeichen kenne ich doch, schnell weg. Wir sind kurz davor, in Richtung Innenstadt zu laufen, eine ganz schöne Strecke. Ich schlage vor, an der nahe gelegenen Bushaltestelle doch mal nach den Buslinien zu schauen. Tatsächlich fährt einer in Marcs Richtung, ein anderer grob in die Nähe meiner Wohnung. Was für ein glücklicher Zufall. Vom Bus aus kann ich dann auch den besoffenen Ausländer beobachten, der mittlerweile in einer ordentlichen Kotzlache sitzt. Von der Chinesin keine Spur, das hat er davon. Am Bund brennt die Luft, alles voller Ausländer und chinesischer Touristen. Die Innenstadt ist für mich ab sofort bis zum Ende der Expo absolute No- Go Zone. Um Mitternacht bin ich dann endlich zu Hause.

01.05.2010, Samstag

Prachtwetter, ich bin zwar müde, schwinge aber gut gelaunt schon früh in den Park in der Hoffnung, mit Xiao Lu schon ein wenig zu üben. Der ist aber blöderweise nicht da. Mist, ob er dann nachmittags wohl kommt? Eigentlich hatten wir ausgemacht, an diesem verlängerten Wochenende jeden Nachmittag zusammen zu üben. Ein ziemlich großer und ziemlich hässlicher junger Mann sowie die Zappelmaid stellen sich ein, der Meister lässt auf sich warten. Schließlich eilt er herbei, er hatte mich angerufen, um mir zu sagen, dass er später käme. Dummerweise liegt mein Handy zu Hause. Er hat gerade einen seiner Tongbei Brüder zu Gast, mit dem gestern ordentlich lange gesoffen und ist deswegen zu spät. Locke hängt mit hochgekrempelten Hosenbeinen auf einem Stein ab und verteilt Frühstückszigaretten. Natürlich ist die Eröffnungsfeier der Expo Thema Nummer eins.
Da der junge Mann auch nicht gerade die Tongbei- Fackel ist, gibt es Anfängerprogramm, auch OK. Nach einer Arbeitswoche vor dem Rechner bin ich leider ziemlich unentspannt. Glubschauge schaut vorbei, sieht ziemlich schnell, dass heute wohl kein potentieller Kampfgegner am Start ist und verzieht sich nach kurzer Begrüßung wieder. Ich erzähle dem Meister freudestrahlend, dass Lilo nächste Woche Samstag käme und wir dann Sonntag gemeinsam trainieren kämen. Ja, ist recht, findet er gut. Xiao Dou kommt und die Gangart wird etwas schärfer, schön viele Anwendungen, wobei Xiao Dou und ich als Fortgeschrittene als Prügelknaben herhalten müssen. Meister Wu tritt mir volles Rohr ans Schienenbein und haut mich auf die Nase. Dafür boxe ich ihn in den Pansen, was er aber eher lustig findet.
Bei der Form versucht die Zappelmaid, tapfer mitzuhalten, der junge Typ versucht es gar nicht erst. Der Meister legt ein ganz schönes Tempo vor, die Maid schnallt ziemlich schnell ab. Habe meine Winterhosen an und unter dem Fummel ein langärmliges T- Shirt und mir ist ganz schön warm. Nebenan wird eine hübsch gedresste Maid von Fotographen für ihr Hochzeitsalbum in anmutige Posen geschraubt und abgelichtet, die hat noch viel mehr Klamotten an als ich und trägt außerdem noch eine Perücke. Was muss die erst schwitzen! Zahlreiche Zuschauer finden sich ein und der Meister ergötzt uns alle mit Geschichten. Beim Verlassen des Parks scharwenzelt der junge Typ um den Meister herum und quatscht auf Shanghainese auf ihn ein, Meister Wu ist mäßig interessiert.
Ich erkunde nach dem Training den Elektro- und Möbelmarkt im E- Mart, interessant. Versuche, einen Ersatz- Bürstenkopf für meine Zahnbürste zu besorgen und bekomme von der Verkäuferin was auf einen Zettel gekrakelt. Muss ich mir von Ying dann mal übersetzen lassen. Meine Nachbarn haben Besuch und kochen bei offener Tür, munteres Treiben und fröhlicher Lärm.
Warte nachmittags im Park eine halbe Stunde auf Xiao Lu, der natürlich nicht erscheint. Fahre stinksauer nach Hause und schicke ihm über MSN eine zickige Offline- Nachricht. Ist ja nicht schlimm, wenn er keine Zeit oder keinen Bock hat, nur soll er dann bitte kurz Bescheid sagen.
Will mich gerade hinlegen, als eine Freundin meiner Mutter oder vielmehr ihr Reiseleiter anruft. Sie ist gerade mit einer Reisegruppe zwecks Expo- Besuch in der Stadt, ob wir uns abends treffen könnten? Klar doch, sie hat mir auch Kippen mitgebracht, wie nett. Sammele Gabi dann abends in ihrem Hotel auf und gehe mit ihr in einem kleinen Imbiss essen. Bestelle geschmeidig auf chinesisch, Gabi findet die speisen lecker und ist beeindruckt.
Morgen wieder Training, wie herrlich!

02.05.2010, Sonntag

Der Meister hatte uns für heute vorsorglich erst um halb zehn einbestellt, bin aber in der Hoffnung auf Xiao Lu trotzdem schon um 9.00 da. Abendbrot hat geliefert und ich schaffe es, die Lieferung in Sicherheit zu bringen, bevor sie jemand klaut.
Natürlich kein Xiao Lu da, setzte mich auf eine Bank in die Sonne und erfreue mich an dem Treiben im Park.
Um zwanzig nach neun schlurft der hässliche Typ herbei, begebe mich auch zum Trainingsgelände und mache mich warm. Meister Wu kommt dann auch ziemlich bald und wir beginnen mit Einzelbewegungen. Ich erzähle ihm, dass ich gestern auf Xiao Lu gewartet hätte, der aber nicht gekommen sei. Also wisse ich nicht, was heute Nachmittag sei. Meister Wu verspricht, ihn anzurufen. Der hässliche Typ wirft ein, Xiao Lu habe Zahnschmerzen. Woher der das wohl weiss?
Nach ca. 20 Minuten zappelt dann auch die Maid herbei, keucht atemlos eine Entschuldigung und reiht sich ein. Kurze Zeit später erscheint dann auch Jud, dessen Augen aufleuchten, als er die Maid erblickt. Freiwild. Da ihre Bewegungen katastrophal sind, zeigt er ihr hilfreich, wie man Pu Zhang (ein Schlag mit der flachen Hand von oben) korrekt ausführt, als der Meister durch den Jadering- Perückenmann abgelenkt ist. Die Zappelmaid kichert und gibt ihr bestes, kriegt es aber nicht hin. Werde von Jud auf den neuesten Stand seiner Herzensleiden gebracht und höre mir sein Gejammer an.
Weil mit Jud noch ein anderer Fortgeschrittener da ist, dürfen wir beide den Meister ordentlich hauen. Auf dem Hügel neben unserem Gelände übt der andere Typ auch Tongbei, was den Meister mal wieder zu Geläster veranlasst. Neben dem Typen steht ein Knabe, der Meister Wu und mich in einer Pause mit Zigaretten bewirft. Später gesellt er sich zu uns und verwickelt den Meister in eine Konversation auf Shanghainese. Meister Wu übersetzt, der Typ hat mich beobachtet, fragt den Meister über mich und Stefanie aus und meint, ich wäre ziemlich gut. Ich wehre ab, aber Meister Wu bekräftigt dieses Lob noch mal. Der Typ meint, ich wäre die beste in unserer Gruppe, ist bei der Konkurrenz aber auch nicht schwer. Aber Jud ist ja auch ziemlich gut, besser als ich. Werde nicht so gerne übertrieben gelobt, denn ich meine, ich habe noch einen sehr weiten Weg vor mir, bevor ich richtig gut bin. Außerdem möchte ich vermeiden, übermütig und arrogant zu werden. Der Typ erkundigt sich nach Stefanie und der Meister erklärt ihm kurz die Geschichte unserer gemeinsamen Lerntätigkeit. Schon fünf Jahre Schülerin von Meister Wu? Naja, nicht wirklich. Eigentlich ernsthaft erst seit dem China Camp 2007. Stefanie sei aber nicht so gut gewesen, meint der Typ. Ja, die übe nicht genug, sagt Meister Wu, aber das werde schon noch. Ich verteidige meine Freundin und sage, Stefanie sei mittlerweile von Tongbei sehr angetan und übe zu Hause jetzt sehr fleißig. Meister Wu brummt zufrieden.
Tai Zu Quan, da Jud da ist, wird auch Ying Quan geübt. Die Zappelmaid darf mitlernen und ist ganz aufgeregt. Anschließend werden Jud und ich noch in Tui Shou unterwiesen, nicht gerade meine Lieblingsdisziplin. Aber ich scheine es einigermaßen hinzukriegen, die Zappelmaid und der hässliche Typ werden zum Zuschauen verdonnert. Große Zuschauermenge, ist halt spannend, wenn Ausländer durch den Park geschubst werden, vor allem, wenn der Meister noch dazu doziert.
Jud widmet sich der Zappelmaid und der Meister ruft Xiao Lu an. Der geht heute Mittag zum Zahnarzt, der Zahn wird wohl gezogen. Mein Gott, dem armen Kerl bleibt aber auch nichts erspart. Erst Nierensteine, jetzt Zahnentzündung. Und Xiao Lu geht bestimmt nicht in so eine schicke Dentalklinik wie ich, sondern ins Hospital zu einem chinesischen Metzger. Und dabei hat er doch für einen Chinesen seiner Generation so ein schönes Gebiss! Da wir gerade beim Thema Zähne sind, wird auch gleich die Erklärung für den fürchterlichen Zustand von des Meisters Kauleiste geliefert. Sein älterer Bruder pflegte mit den Backenzähnen Bierflaschen zu öffnen, was der Meister saucool fand und es ihm nachmachte. Dabei hat er sich sämtliche Zähne abgebrochen. Merke: Wenn kein Öffner vorhanden, Feuerzeug benutzen und so einen Quatsch bleiben lassen. Nicht alles, was ältere Brüder so machen, ist cool.
Da Jud und die Maid abgelenkt sind und der hässliche Typ in der anderen Ecke ausgiebig telefoniert, raunt mir der Meister zu, er könne diesen Typen nicht leiden. Der würde nicht gut üben und er habe keinen Bock, ihn zu unterrichten. Naja, ein Sympathieträger ist der Typ tatsächlich nicht gerade.
Nachmittags jage ich erstmal zerknirscht eine weitere Offline- Nachricht an meinen großen Bruder raus, entschuldige mich unterwürfig für meine Zickigkeit, hätte ja nicht wissen können, dass er leidet und wünsche ihm gute Besserung.
Ich beschließe, trotz des schönen Wetters etwas zu tun, was ich schon sehr lange nicht mehr gemacht habe: Ein Nachmittagsschläfchen! Danach kann ich ja hier auf der Compound noch etwas für mich üben. Lecker Mohnbrötchen mit Käse, stelle den Rechner neben mein Bett und schaue Serien. Ganz wie zu Hause in Deutschland. Penne ein und wache erst spätabends wieder auf. Verleibe mir noch die Käsestange und das Kürbiskernbrötchen ein, schaue weiter fern und schlafe bestens.

03.05.2010, Montag

Nach der Pennerei gestern fühle ich mich, als könne ich Bäume ausreißen. Fahre entspannt in den Park, Xiao Lu liegt immer noch auf der Schnauze. Der arme Kerl, bei so einem schönen Wetter Zahnweh, er tut mir echt leid.
Der hässliche Knabe macht sich schon warm, die Zappelmaid kommt auch bald. Heute trägt sie ein Shirt mit extra langen Ärmeln, wohl eine Huldigung an unsere Trainingsgewänder, deren Ärmel ja auch extra lang sind. Nutzt nix, sie bewegt sich trotzdem schlecht. Ein älteres Paar schwooft zu den Klängen eines Brüllwürfels, den der Herr am Gürtel trägt. Die beiden tanzen echt gut und haben sichtlich Spaß an der Sache. Die Hochzeitsmaid wird wieder in lieblichen Posen geknipst. China rockt.
Natürlich kommt Jud auch, hat ja gestern Beute gewidmet. Kriege in Kurzform Valerie- Geschichten, danach erzählt er uns, dass er gestern eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Vermieter hatte. Der kam wohl öfters mal unangemeldet in Juds Wohnung, was der natürlich nicht sehr klasse fand. Gestern dann Konfrontation, der Vermieter schmiss Sachen durch die Gegend und riss ein Regal um, Fäuste flogen, die Bullen wurden gerufen. Dem Vermieter wurde der Schlüssel abgenommen, die Maid findet anscheinend, dass Jud ein mächtig cooler Typ ist. Jud spricht wegen der Säbelform mit dem Meister, mal sehen, wann wir die lernen.
Übliches Programm, in den Pausen widmet sich Jud sehr intensiv der Zappelmaid. Der Meister bekundet mir gegenüber noch mal seinen Unmut wegen des hässlichen Typen. Was ihn ärgert ist, dass der Typ wohl überall rumerzählt, er sei Meister Wus Schüler. Das verneint der Meister entschieden, der Typ darf nur zuschauen. Wir beobachten beide Jud und die Maid und denken vermutlich das gleiche. Wie oft habe ich von Meister Wu zu hören bekommen, dass zum Erlernen der Kampfkünste nicht nur das pure Üben der Bewegungen gehört, sondern auch ein moralisch einwandfreier Lebenswandel. Deswegen schätzt er auch seinen Schüler Andy so sehr, denn der ist verheiratet, kümmert sich um Frau und Kinder und ist augenscheinlich zufrieden mit seinem geregelten Leben. Jud hatte Stefanie und mir mal vorgejammert, Meister Wu könne ihn anscheinend nicht so leiden. Stefanie und ich haben ihm gesteckt, dass er den Ruf eines Playboys habe, was er heftig verneinte. Das könnten Meister Wu und Xiao Lu doch gar nicht beurteilen! Uns tat Jud bei seinem Liebeskummer ja noch leid, aber Xiao Lu meinte völlig emotionslos, Jud habe ja wohl noch mehr Freundinnen am Start, sei nicht so schlimm. Bei diesem Verhalten braucht er sich allerdings über diesen schlechten Ruf auch nicht zu wundern. Will doch ganz stark hoffen, dass mein Lebenswandel hier als moralisch einwandfrei angesehen wird. Jedenfalls gebe ich mein Bestes und bin mir keiner Schuld bewusst.
Die Maid darf wieder Ying Quan mitlernen, Mian Zhang wird auch geübt. Meine mit Abstand schlechteste Form, das muss ich für mich ganz dringend nacharbeiten. Meister Wu nimmt erfreut zur Kenntnis, dass Jud und ich ordentlich schwitzen. Recht so, dann haben wir das auch richtig gemacht. Er reicht mir sein Handtuch zum Abtrocknen, große Ehre. Die Zappelmaid schwitzt trotz des dicken Shirts nicht, weswegen sie sich wohl ein wenig schämt.
Morgen kein Training sagt Meister Wu, er müsse mal ausruhen, sein Bein ist nicht so ganz geschmeidig. Pech für die im Volkspark Übenden, mir kann es egal sein, da ich ja sowieso arbeiten muss.
Bein Verlassen des Parks baggert Jud die Maid richtig heftig an, die Konversation erfolgt in Englisch, das die Maid ziemlich gut beherrscht. Meister Wu soll wohl nichts mitbekommen, aber blöd ist der natürlich nicht. Jud versucht, die Maid zum gemeinsamen Essen zu überreden, aber das ist der wohl doch etwas unheimlich. Aber Handynummern werden getauscht. So ein schlimmer Finger! Soll der mir noch mal mit seinem Liebeskummer kommen!
Meister Wu fragt nach, wann genau denn Lilo käme? Samstag Mittag? Cool, dann würde er uns abends zum Teetrinken zu sich nach Hause einladen. Oder dann halt Sonntag. Wie schön!
Eile nach Hause und kaufe hektoliterweise Getränke ein, vor allem den köstlichen Orangensaft. Bei der Hitze hier muss man einfach viel trinken.
Mittags Chinesischunterricht, Ying übersetzt mir den Zettel. Aha, in der Zhejiang Lu gibt es einen Philips- Laden, da dürfte ich die Bürstenköpfe kriegen, bestens. Auch was meine Sprachkenntnisse angeht, muss ich dringend nacharbeiten. Von nichts kommt halt nichts.
Mache mir eine Nudelsuppe und übe anschließend auf dem Spielplatz der Wohnanlage noch meine Formen. Dem OK- Man, der Pförtnerin und einigen meiner Mitbewohner fallen fast die Augen aus dem Kopf, als sie mich im Taiji- Fummel sehen.
Zwar schön viel Platz, aber bin bei manchen Bewegungen doch noch auf Videounterstützung angewiesen. Also doch wieder drinnen üben. Der verschwitzte und verdreckte Fummel wird eingeweicht und gewaschen, werde mir mal Bleiche besorgen müssen. Gestern wurde Jud wegen seines völlig eingedreckten und verknitterten Fummels getadelt und musste ihn nach dem Unterricht Meister Wu zum Waschen aushändigen. Heute gab es das Kleidungsstück blitzsauber zurück. So eine Schmach möchte ich nicht erdulden müssen.
Bewundere bei Einbruch der Dämmerung das hübsch erleuchtete Shanghai, wegen der Expo erstrahlen auch die Vororte im festlichen Glanz. Letzter Spieltag der Bundesliga, St. Pauli ist aufgestiegen und Mainz 05 gutes Mittelfeld. Cool.
Xiao Lu geht online, er hatte eine echt üble Zahnentzündung mit Fieber und allem drum und dran. Gestern wurde der Zahn gezogen, heute geht es ihm einigermaßen. Der erste Zahn, den er verliert, darüber ist er sehr unglücklich und wird von mir sehr ausgiebig getröstet.
Skype mit Ali, Stefanie hat wohl vergessen, ihm die Karte an meine Schwiegermutter auszuhändigen. Ali hat seine Vorliebe für grünen Tee entdeckt, werde ihm echt guten besorgen und Lilo mitgeben, falls sie noch Platz im Gepäck hat. Meine Schwiegermutter ist nach den Fernsehberichten über die Expo mittlerweile doch ziemlich angeschärft, herzukommen. Würde mich freuen. Ali und ich bringen uns gegenseitig auf den neuesten Stand der Dinge und lachen viel, schöner Ausklang des verlängerten Wochenendes. Und das nächste verspricht auch schön zu werden, Freitag Büroparty und Samstag kommt Lilo. Das Leben ist schön.