Mittwoch, Mai 19, 2010

异客在异乡 – Fremde in einem fremden Land

16.05.2010, Samstag

Vormittags:

Die Wettervorhersage verheißt nichts gutes, aber Samstag Morgen regnet es nicht. Dachte eigentlich, nach so viel Schlaf gut drauf zu sein, aber ich fühle wie gerädert. SMS von Meister Wu, als ich schon die Klinke in der Hand habe, heute dann um halb zehn. Na gut, aber Xiao Lu wird im Park sein, fahre also trotzdem früh los.
Zwei Damen im Aufzug, die sich natürlich über mich unterhalten.
Dame 1: „Mann, diese Ausländerinnen sind aber echt groß!“
Dame 2: „Ja, und guck mal, wie dünn die ist! Wow, die hat aber echt große Füße! Und wie lang die Arme von der sind!“
Dame 1: „Hey, sei mal lieber vorsichtig. Am Ende versteht die uns noch.“
Dame 2: „Ach was, die rafft doch nichts!“
Dame 2 an mich:„Oder verstehst du uns, häh?“
Ich: „Ja“.
Verlegenes Grinsen, die beiden versichern mir, dass sie große blonde Frauen mit großen Füßen und langen Armen hübsch fänden. Ja, ganz sicher, chinesisches Schönheitsideal.
Xiao Lu übt im Park schon vor sich hin und ich mache mit. Obwohl ich ausgeschlafen bin, ahne ich, dass heute einer meiner eher schlechteren Trainingstage sein wird. Meine linke Schulter ist hart wie ein Brett und schmerzt höllisch. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für entspanntes Zuhauen. Xiao Lu weiss nicht, dass der Meister später kommt, ich freue mich, dass ich diese halbe Stunde mit ihm alleine üben kann. Ob das Nachmittagstraining klar ginge? Ja, geht. Fein. Ich erwähne, dass ich das Abendessen beim Meister sehr interessant gefunden hätte, ja das fand Xiao Lu auch.
Der hässliche Knabe schlurft an und überschüttet Xiao Lu mit einem shanghainesischen Wortschwall. Xiao Lu schwallt zurück und der Knabe guckt auf einmal ganz schön blöd aus der Wäsche. Was da wohl gesagt wurde?
Meister Wu kommt und berichtet ganz stolz, dass er und Lilo über QQ in Kontakt stehen. Sie hat wohl das falsche Schriftzeichen für seinen Namen benutzt (nämlich 武, „kämpferisch“. Zum Glück hat sie nicht 误 geschrieben, denn das bedeutet „Irrtum, Fehler“).
Ihre Bildergalerie hat er sich natürlich auch angeschaut, unter anderem die von dem Auftritt auf der Rheinland- Pfalz Ausstellung. Er ist beeindruckt. Lilo sehe auf den Bildern ja echt gut aus, sehr gute Haltung. Ich entgegne, Lilo übe auch sehr gewissenhaft und sei sehr fleißig. Ja, das sehe man. Aber was denn mit des Osters Haaren los sei? Sehe ja wohl völlig bescheuert aus. Dazu fällt mir jetzt nichts ein und ich sage etwas lahm, vielleicht arbeite der Oster ja auf einen daoistischen Haarknoten hin? Meister Wu lacht und meint, das Dao habe man im Herzen, nicht auf dem Kopf. Dann folgt ein längerer Vortrag über lange Haare, von dem ich allerdings wenig verstehe. Kriege nur mit, das Meister Wu das bei Männern wohl eher ungeil findet.
Die Maid zappelt an, der Knabe macht keine Anstalten, sich umzuziehen und hockt am Rand. Auch Jeremy taucht mal wieder auf, Einzelbewegungen und ordentlich Anwendungen werden geübt. Meine Schulter ist ein einziger Krampf, natürlich stinke ich total ab. Ich glaube, so schlimm war ich selten. Das ist jetzt die gerechte Strafe dafür, dass ich so auf die Zappelmaid herabgeschaut habe. Geschieht mir gerade recht, Hochmut kommt vor dem Fall. Aber auch wenn mir die Maid tierisch auf den Sack geht, so habe ich doch enormen Respekt vor ihrer Hartnäckigkeit. Die macht einfach tapfer alles mit und versucht ihr Bestes, da können sich manche der Kerle echt eine Scheibe von abschneiden.
In einer Pause fragt mich Jeremy, wie es mir denn so ginge? Wäre doch bestimmt hart hier so ganz alleine, ohne meinen Mann und meine Kinder? Naja, Kinder habe ich zwar keine, aber auf einmal geht mir auf, dass es nach Lilos Besuch eine verdammt lange Zeit seien wird, bevor ich wieder einen lieben Menschen aus der Heimat sehe. Und heimfahren werde ich frühestens im Oktober, auf jeden Fall aber Weihnachten. Ich sehe, wie alle anderen miteinander scherzen und verstehe kein Wort. Mir wird auf einmal sehr schwer ums Herz und danach klappt es mit den Übungen natürlich noch weniger.
Meister Wu lädt uns zum Mittagessen ein, ich verzichte und sage, mir ginge es nicht so gut. Will die fröhliche Stimmung nicht mit meinem langen Gesicht ruinieren. Unglücklich schleppe mich in den E- Mart und werde überrascht: Eine Riesen- Palette mit italienischer Napoli- Nudelsauce. Sonderangebot. Schleudere erfreut zwei Gläser in meinen Einkaufskorb. Dass es hier ein kleines Regal mit ausländischen Spezialitäten gibt, hatte ich schon gesehen, aber die Sauce war mir irgendwie entgangen. Für ein Päckchen Tampons wird hier mehr als für eine Flasche Wein verlangt, dafür aber sind die Dinger aber aus garantiert ökologischem Anbau. Chinesinnen benutzen anscheinend lieber Binden, deswegen gibt es auch eine verwirrende Vielzahl derselben. Auch mit „Hello Kitty“. Verrückt. Auf meiner Suche nach Instant- Kaffee finde ich doch tatsächlich richtigen Bohnenkaffe chinesischer Herkunft, Marke „Mond“. Riecht nicht schlecht, muss ich unbedingt ausprobieren, wenn Stefanies Kaffeeaufgebraucht ist. Und es gibt bei E- Mart sogar Filtertüten! Der Laden ist ja voll das Einkaufsparadies! Meine Laune hebt sich etwas.

Nachmittags:

Xiao Lu fragt mich, ob ich irgendwie sauer sei? Ach Gott, nee, natürlich nicht! Für mich ist es immer noch schwer, Gefühle aus den Gesichtern der Chinesen abzulesen, andersrum ist es also genauso.
Schildere ihm meinen Kummer und natürlich versteht er mich. Hat schließlich dasselbe als Gastarbeiter in Korea mitgemacht. (Dazu muss man allerdings mal sagen, dass Chinesen im Umgang mit zumindest westlichen Ausländern im Allgemeinen sehr freundlich und höflich sind. Sollten wir Deutsche uns auch mal angewöhnen).
Ich bin froh, dass ich jemanden zum Ausheulen habe und Xiao Lu weiß ganz genau, wie er seine kleine Schwester wieder auf Kurs bringt. Erstmal wird über die Zappelmaid und den Knaben abgelästert, Xiao Lu meint, er habe die beiden beim ... beobachtet. Ja, bei was denn? Rummachen? Flirten? Händchenhalten? Verdammt, mein Chinesisch muss unbedingt besser werden! Außerdem klärt sich der Dialog von heute morgen auf: Da der Meister den jungen Mann nicht leiden kann und auf ihn sauer ist, ist er vom Unterricht ausgeschlossen. Ja, da wäre ich auch nicht begeistert gewesen.
Zur Entspannung der Schulter gibt es ganz viele Übungen mit weit ausholenden Armbewegungen und die Muskeln beginnen, sich zu lockern. Ist zwar schmerzhaft, tut aber gut. Er zeigt mir auch ganz viele Anwendungen und wir rangeln fröhlich miteinander, natürlich ziehe ich ständig den Kürzeren. Aber ich habe Spaß und lache viel. Meine Güte, Xiao Lu ist echt ungeheuer geschmeidig. Das sei auch wichtig, sagt er, sonst hätte er neulich auch Glubschauge nicht eintüten können. Ich sage ihm, davon sei ich enorm beeindruckt gewesen und für mich wäre er ein Superheld. Da muß er lachen. Was ich an ihm ebenfalls faszinierend finde ist seine Fähigkeit, sich Bewegungsabläufe durch bloßes Zuschauen einzuprägen. Morgens übt neben uns immer ein Herr Xingyi, Xiao Lu kann diese Schrittfolgen sofort reproduzieren. Ich brächte dafür Tage. Na ja, schließlich übt er ja auch seit knapp vierzig Jahren Kampfkünste.
Mian Zhang wird auch wiederholt, wenigstens weiß ich noch grob die Abfolge. Aber piaoliang ist das immer noch nicht. Nicht so schlimm, wird schon noch. Morgen Nachmittag wieder Nachhilfe, wenn es regnet, gehen wir halt Tee trinken. Dieses Angebot kommt von Xiao Lu, ich hätte nie gewagt, ihn um weiteren Unterricht zu bitten und freue mich deshalb sehr.

Nach dem Verlassen des Busses beschließe ich spontan, doch mal den kleinen Optikerladen in der Chifeng Lu zu betreten und nach meinen Kontaktlinsen zu fragen. Hatte schon in einem sehr großen Laden in der Innenstadt danach gesucht, aber da gab es die nicht. Daraufhin habe ich mir eine Jahresration von sauteuren Linsen andrehen lassen, die sich aber als totaler Fehlkauf entpuppten.
Der Optiker studiert die Packung und holt einen Schuhkarton unter dem Tresen hervor. Welche Sehstärke noch mal? Minus fünf Dioptrien? Es wird ein wenig gekramt, schließlich findet der gute Mann das Gewünschte. Die Verpackung sieht zwar etwas anders aus, aber das sind genau meine Linsen. Ich bin hoch erfreut, endlich kann ich wieder klar sehen.
Da harte körperliche Arbeit ein gutes Mittel gegen Heimweh und Kummer ist, putze ich meine Bude, bis alles blitzt und funkelt.

17.05.2010, Sonntag

Vormittags:

Würde ja am liebsten ausschlafen, aber mir fällt siedend heiß ein, dass ich den Umschlag mit der Kohle für „Abendbrot“ noch nicht an der Tür befestigt habe. Schieße aus dem Bett und klebe den Umschlag an. Punktlandung, denn nur wenige Minuten später wird meine Bestellung geliefert.
Da ich ja jetzt sowieso aus dem Bett bin, bereite ich mir ein Mohnbrötchen mit Käse zu und mache mich fertig.

Aufwärmen mit Xiao Lu, um halb zehn haben sich dann die Maid, der hässliche Knabe sowie Jeremy mit einem sehr fetten Ausländer im Schlepptau eingefunden. Warten auf den Meister, der mich dann schließlich irgendwann mal anruft. Ich sage ihm, dass wir alle im Park auf ihn warteten, ob er den käme? Am anderen Ende der Leitung heftiges Husten, gefolgt von einem knappen „Ja“. Na denn.
Mittlerweile mache ich mir doch Sorgen um Meister Wu, denke, der treibt mit seiner Gesundheit ganz schön Schindluder. Jeremy ist der Meinung, dass der Meister bei seinem Zigaretten- und Alkoholkonsum eigentlich schon längst unter der Erde wäre, würde er nicht Kampfkünste betreiben.
Xiao Lu übt mit uns Einzelbewegungen, auch der Knabe macht mit. Hat wohl beschlossen, das Trainingsverbot zu ignorieren und will vor der Zappelmaid nicht abstinken.
Als Meister Wu schließlich kommt, geht es gleich mit Schrittfolgen weiter und zwar ohne abzusetzten. Aua, meine Oberschenkel sind aus flüssigem Blei. An einer Schrittfolge namens „Die Fee zeigt den Weg“ beißt er sich besonders fest und die ist ganz schön kompliziert mit hohen und tiefen Schlägen, Tritten und Sprüngen. Mann, diese Fee muss aber ganz schön übel drauf gewesen sein, als sie den Irdischen diese Übung beschert hat.
Mian Zhang, zum Glück haben wir das gestern wiederholt. Die Maid und der Knabe dürfen nur zuschauen, während der fette Ausländer uns photographiert. Bei Ying Quan darf die Maid dann wieder mitmachen, der Knabe wird verhöhnt, weil sein Oberteil eigentlich ein Damenfummel ist. (Fünf statt sieben Knöpfe, keine Naht auf dem Rücken).
Jeremy ist sehr bemüht, dem fetten Ausländer unsere Kampfkunst nahe zu bringen und bittet den Meister, ihm ein paar Anwendungen angedeihen zu lassen. Da lässt Meister Wu sich natürlich nicht zweimal bitten, haut ein paar Mal zu und Ruhe ist. Der fette Typ ist beeindruckt. Wieviel er denn wiege? Na ja, bei 1,90 Metern Körpergröße 150 Kilo. (Halte das für eine schamlose Untertreibung). Der Fettsack soll dann versuchen, Xiao Lu umzuschubsen, der sich natürlich nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Dem fetten Typen rutschen die Hosen über den haarigen Hintern, dieser Anblick ist so widerlich, dass ich die Augen abwende. Einen Sekundenbruchteil später liegt Fettsack auf der Schnauze. Da Xiao Lu verständlicherweise keinen Bock hat, mit dem Meister Freikampf- Anwendungen zu demonstrieren, muss Jeremy selber herhalten und kriegt ordentlich was ab. Meine Lieblingsnummer: Meister Wu täuscht einen Angriff von oben an und tritt Jeremy ganz farblos die Füße weg. Das hat er jetzt davon.
Fettsack ist begeistert. Ob er dann nächstes Mal mitmachen dürfe? Ja, er darf. Ach du meine Güte, der will tatsächlich mit uns üben? Bin ja gespannt, wie lange der durchhält, auf jeden Fall verspricht das enorm spaßig zu werden.

Nachmittags:

Lecker Käsestange mit Rührei und Tomate, kurzer Schönheitsschlaf und dann geht es weiter mit Xiao Lu. Und der ist heute besonders kritisch. Er lässt mich Standards wiederholen und legt besonderen Wert auf die makellose Ausführung. Das heißt, dass Füße, Hüfte, Schultern und Faust absolut gleichzeitig ankommen müssen, gar nicht so leicht. Dachte eigentlich, dass ich das drauf hätte, werde aber schnell eines Besseren belehrt. Und die aggressive Fee wird auch geübt, bis ich diese Schrittfolge grob draufhabe.
Aber vor allem wird Tui Shou geübt. Hatte ja gehofft, mit Ying Quan weiter machen zu können, aber Xiao Lu hat anscheinend andere Pläne. Er versucht, mir die ganzen diffizilen Manöver beizubringen, mit denen man seinen Partner aus dem Gleichgewicht bringt, aber ich stelle mich blöd an. Ich mag Tui Shou einfach nicht. Xiao Lu schubst und zerrt an mir herum und redet auf mich ein, ich verstehe kein Wort. Er wird immer ungeduldiger und ich immer gestresster, schließlich breche ich in Tränen aus. Aber er kennt keine Gnade und ist irgendwann mal halbwegs zufrieden. Ying Quan wird zum Abschluss noch mal durchgelaufen, der Park schließt und ich bin unglücklich. Vielleicht ist er jetzt sauer auf mich wegen meiner Beschränktheit und meinem Geflenne? Nein, aber er wolle, dass ich die beste Tongbei- Schnalle der Welt werde. So wie er der beste männliche Übende werden wolle. Denn dazu hätte ich das Zeug. (Ist ja auch nicht weiter schwierig, wenn man sich mal die Zahl der weiblichen Praktizierenden vor Augen hält). Und er wünscht, dass ich irgendwann mal alle beim Tui Shou eintüten kann. Und um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, müsse man halt „bitter essen“. Schönen Dank, jetzt bin ich noch gestresster und noch unglücklicher.

1 Kommentar:

Xiaomo hat gesagt…

Die Szene aus dem Aufzug kommt mir doch sehr vertraut vor, hehe
Leider ist das Netz im Moment eine einzige Katastrophe, hoffe, wir können bald mal wieder chatten!
Kopf hoch!!