Samstag, Mai 15, 2010

丽露 – Lilo

08-05.2010, Samstag

Heute kommt endlich Lilo und da ich es gestern auf der Büroparty ordentlich habe krachen lassen, schlafe ich erstmal aus und verzichte aufs Training. Regnet sowieso leicht.
SMS und Anruf von Meister Wu, heute Abend bei ihm essen? Ja? Halb sechs, geht klar, freue mich.
Lilo kennt sich ja mittlerweile hier ein wenig aus, also sammele ich sie an der Flughafenbus- Haltestelle am Lu Xun Park ein. Bin sehr glücklich, wieder einen Gast aus der Heimat hier zu haben, Taxi zu meiner Wohnung und Lilo macht sich erstmal geschmeidig. Nachdem sie sich die Haare gewaschen und in ein zünftiges AC/ DC- Shirt geschmissen hat, starten wir mit dem von Stefanie zurückgelassenen Filterkaffee Wiederbelebungsmaßnahmen und quatschen.
Geschenke von den Lieben aus der Heimat hat sie auch mitgebracht: Ali schickt mir einen hammergeilen Tiger- Schlüsselanhänger mit ordentlich Blingbling und die liebe Elli Ferrero Küsschen! (DAS nenne ich eine aufmerksame Blog- Leserin! Ganz lieben Dank!)
Ramona hat extra für mich ihre Schwertform bei Eiseskälte aufgenommen, damit ich hier eine Gedächtnisstütze habe, auch das weiß ich natürlich außerordentlich zu würdigen. Freue mich unbändig über diese netten Aufmerksamkeiten.
Anschließend kaufen wir bei E- Mart ein, besorgen Kippen und Rotwein als Gastgeschenke und sorgen dafür, dass Lilos chinesische Telefonkarte aufgeladen wird. Und dann ist es auch schon Zeit, zu Meister Wu aufzubrechen.
Die Gastgeschenke und Ellis dem Meister zugedachte Gummibärchen werden übergeben, der Meister und seine Frau empfangen uns sehr herzlich. Und die ersten Speisen stehen schon auf dem Tisch. Außer uns ist noch einer der netten Knaben, mit denen ich und Stefanie mit Wujie und Meister Wu nach dem China- Camp 2007 in Shangrao saufen waren da und auch Xiao Lu. Der Ärmste sieht immer noch ganz schön krank und blass aus.
Wir werden durch des Meisters Bude geführt und Lilo fragt nach der QQ- Nummer von Meister Wu. Er könne aber kein Englisch, sagt der Meister, Lilo entgegnet tapfer, das mache nix, sie könne durchaus auf chinesisch chatten. Cool.
Rose und später auch der Teeknülch (ich glaube, er heisst Mao oder so) nebst Gemahlin kommen dann auch noch und der Meister knallt gut gelaunt eine Flasche Mao Tai Schnaps mit 78 Umdrehungen auf den Tisch. Der wird zum Rotwein aus Wassergläsern genossen. Lilo zuckt etwas, aber ich kenne dieses Programm ja schon. Und wie gewohnt wird dann wieder eine Köstlichkeit nach der anderen kredenzt, während im Hintergrund die monströse Glotze dröhnt. Hen shufu, ich fühle mich sehr wohl. Leckere Speisen auf dem Tisch, angenehme Gesellschaft, eine gute Freundin an der Seite: Was willste mehr!
Die Konversation wird dann auch noch sehr interessant. Der Meister sorgt sich um die Zappelmaid. Der hässliche junge Mann hat wohl ein Auge auf sie geworfen und auch Juds Anbaggerversuche sind nicht unbemerkt geblieben. Da Meister Wu beiden Knaben unlautere Absichten unterstellt, fragt er sich, ob er die Zappelmaid vor den bösen Männern warnen solle? Rose meint, er solle statt dessen mal mit den Jungs reden. Mir erscheint diese Sorge leicht übertrieben, schließlich war ich in diesem Alter bestimmt keine grüne Jungfrau mehr. Aber Rose versichert uns, chinesische Jugendliche seien da ganz anders gestrickt.
Auch interessant, dass der Meister wohl keine sonderlich hohe Meinung von Jud hat. Zu sich nach Hause wird er den nie einladen, obwohl Jud da wohl schon mehrmals vorsichtig vorgefühlt hatte. Nee, moralisch nicht integer. Einige Leute werden halt nur unterrichtet, aber andere als Teil der Familie betrachtet. Um diese Leute kümmert man sich, aber man erwartet natürlich auch, dass die sich anständig benehmen. Meister Wu zeigt auf mich und anschließend auf den Teeknülch und Xiao Lu und sagt, diese beiden seien meine Shixiong (Ältere Lehrbrüder) und ich halt deren kleine Lernschwester. Und so habe ich denen mit dem nötigen Respekt zu begegnen, während die beiden wiederum für mich verantwortlich seien. Ich bin sehr stolz, Teil eines solchen Systems zu sein und für würdig erachtet worden bin. In China sind Beziehungen untereinander sehr diffizil, dass man mich trotz meiner schlechten Sprachkenntnisse derartig anerkennt, ist eine große Ehre. Und da Lilo auch jemand ist, der Kampfkünste ernsthaft übt, den Meister in Deutschland bei sich zu Hause mit der gebührenden Ehre empfangen hat und deren moralische Integrität über jeden Zweifel erhaben ist, gehört die natürlich auch dazu. Stefanie sowieso, die hat den Weg hierher ja geebnet.
Liebe Erinnerungen an durchzechte Nächte in Stefanies Küche während Meister Wus Deutschlandaufenthalten werden wachgerufen und wärmstens gewürdigt, ein schöner Abend. Da Lilo langsam von der anstrengenden Anreise und der Zeitverschiebung eingeholt wird und ich morgen ganz früh beruflich nach Changsha fliegen muss, verabschieden wir uns gegen Mitternacht.

09.05.2010, Sonntag

Da ein Partnerbüro behauptet hatte, in Changsha ein Wolkenkratzerprojekt zu haben, uns um Hilfe gebeten hatte und ich als erstes „hier“ geschrieen hatte (fehlt mir noch auf meiner Liste), werde ich an die sozusagen ausgeliehen.
Erster Flieger nach Changsha, bin um 6.00 am Flughafen und kriege erstmal Visitenkarten in die Hand gedrückt, auf denen ich als „Chief Design Officer“ dieses Büros ausgewiesen werde. Zwei Stunden Abhängen im Hotel, während der Chef und seine Sekretärin das Büroportfolio pimpen, dass anschließend im Hotel ausgedruckt und billig zusammengetackert wird. Unprofessionell, hätte man doch schon ein paar Tage vorher machen und dann hübsch binden lassen können.
Schnelle Inspektion des Baugrundstückes, dann stellen wir uns bei einer für mich absolut unklaren, aber anscheinend wichtigen Stelle vor. Wie sich herausstellt, hat das Büro das Projekt keineswegs im Sack, sondern das scheint hier eine Aquiseaktion zu sein mit mir als Vorzeige- Langnase. Na toll. Spiele meine Rolle und schaue wichtig drein, nicke an den richtigen Stellen, mache mir Notizen und pieke meinen Stift kritisch in die Blaupausen des Bebauungsplans. Mein Pseudo- Chef verschwindet mit dem Obermotz, um diskret Bestechungsmaßnahmen mittels Expo- Tickets und was weiss ich noch einzuleiten.
Anschließend weitere zwei Stunden Abhängen im Hotel, schräger Abwerbeversuch des Pseudo-Chefs. Mit dem letzten Flieger zurück nach Shanghai, um halb elf bin ich endlich zu Hause. Was für eine beschissene Zeitverschwendung! Hätte ja durchaus darüber lachen können, hätte ich nicht so wichtigen Besuch gehabt. So ist das einfach ärgerlich.
Zum Glück ist Lilo noch wach und wir können uns über unseren jeweiligen Tageserlebnisse austauschen. Sie hat sich in den ihr bekannten Gefilden bewegt und zielsicher alle Kitschläden außer der „Hello Kitty“ Hölle am Times Square gefunden. Muss sagen, sie hat echt sehr praktische Haarfummel geschossen. Da muss ich selber auch mal auf die Pirsch gehen. Lange Haare und schweißtreibendes Training und dabei noch geschmeidig aussehen können schnell zum Problem werden.
Sie ist ganz glücklich, keine Normal- Touristin zu sein, sondern voll cool mit Shanghaier Wohnungsschlüssel in der Tasche und dem Wissen, hier dazu zu gehören, durch die Stadt zu flanieren. Das kenne ich doch. Warte mal ab, auf deinem Rückweg schleife ich dich durch die Taikang Lu und dann bist du bald eine richtige Shanghaierin.
Lilos Sicht der Dinge zu ihrer Anreise und Shanghai kann man hier nachlesen, was sie und der Oster in Wudang so treiben, hier.

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