Abschied, die Zweite
Da es regnet, treffen wir uns am Hongkou- Stadium, da das für uns in der Nähe liegt und wir da im Trockenen üben können. Freudlicherweise lässt der Wu- Stil Meister uns in seiner Box mit üben. Meister Wu ist mittlerweile sichtlich geschlaucht, ausserdem hat er andere Probleme, weil seine Hütte abgerissen wird und er umziehen muss. Die anderen sind zum Training auch alle zu angeschlagen, also laufen der Meister und ich die komplette Form ein paar Mal durch, dann nehme ich das ganze auf Video auf, damit ich zu Hause schön üben kann. Dem Meister wird zum Abschied noch eine Stange Kippen ausgehändigt, anschließend gehen Stefanie und ich mit den beiden Meistern noch essen. Dabei entpuppt sich der Wu- Stil Typ als äußerst fürsorglich und ermahnt Stefanie und mich ständig, uns wärmer anzuziehen, uns ordentlich die Hände zu waschen und kräftig zu essen, da wir wohl irgendwie abgezehrt aussehen. Meine größte Sorge ist jedoch das Nachmittagstraining mit Xiao Lu und ich nerve den Meister, ob er ihn nicht anrufen könne und er auch wirklich zum Stadion käme? Der Meister macht das dann auch schließlich klar.
Nach dem Essen schüttelt uns Wu Mao Gui die Hand, sagt „Auf Wiedersehen“, dreht sich um und besteigt das nächste Taxi. Ist halt nicht so ein Mann der großen Worte, aber ganz gut so, sonst hätte ich wahrscheinlich mal wieder geheult.
Nachmittags tigere ich unruhig am Fußballstadium rum, aber kein Xiao Lu erscheint. In einem Anfall von Wagemut rufe ich dem Meister auf seinem Mobilfon an und schildere die Situation. Und natürlich wartet Xiao Lu an der U- Bahn, nicht an der Box. Na Klasse. Schließlich finden wir uns dann doch noch und legen wirklich ein intensives Training hin. Filmen darf ich ihn dann auch noch. Und als die Dunkelheit sich über Shanghai senkt, laufen wir noch ein letztes Mal gemeinsam die Form. Da Xiao Lu mich aber anscheinend nicht ohne solide Grundlagenkenntisse nach Hause fliegen lassen will, muß ich noch mit ihm Push- Hands machen und zum erstem Mal in meinem Leben kriege ich das auch gebacken. Dann zeigt er mir noch ein paar richtig fiese Hebel, die ich mir aber nicht merken kann. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, meinen Chinesischlehrer für meinen nächsten Aufenthalt unbedingt zu fragen, was „Böser Junge“ auf chinesisch heisst.
Am Stadion befindet sich ein Laden für Kampfkunstausrüstung und da will Xiao Lu mir noch was zeigen. Der Laden wird gerade geschlossen, aber nach ein paar herrischen Worten sperren die Schnallen zügig wieder auf. Also zeigt mir Xiao Lu mal einen Teil seiner Säbelform und ein paar Übungsgeräte, mit denen er zu Hause so trainiert. Ich bin außerordentlich beeindruckt. Waffenschwingende Asiaten haben auf mich schon immer eine unglaubliche Anziehungskraft gehabt. Unter den Schwertern entdecke ich eines, was Stefanie und Frank auch schon erworben haben und versuche, Xiao Lu mit meiner Schwertform zu beeindrucken. Sofort erfolgt Gemecker meines strengen Lehrers, ich sollte meinen Geist gefälligst auf die Schwertspitze beziehungsweise Schwertfinger richten, sonst sähe das nur hübsch aus. Beschämt verspreche ich, diese Ratschläge zu beherzigen und dann folgen noch ein paar Kommentare, dass Schwert bei Frauen sehr beliebt sei. Ob ich das Schwert gut fände? Klar finde ich und will schon in Verkaufsverhandlungen einsteigen, da fragt Xiao Lu die Schnallen, was das Teil denn koste und schält ohne weiteres Feilschen den verlangten Betrag aus der Brieftasche. Während die Bediensteten noch eine Tasche für mein neues Sportgerät suchen, erklärt er denen, ich käme jetzt schon seit drei Jahren zum Trainieren. Dann drückt er mir das Schwert mit den Worten „schenke ich dir“ in die Hand und ich bin so von den Klötzen, das ich kaum irgendwelche Dankesworte stammeln kann. Xiao Lu ist ab jetzt für mich der Größte.
Wir trotten an die nächste größere Kreuzung und er fragt mich, wann ich denn nächstes Jahr käme. Als ich sage, dass ich das noch nicht wisse und vielleicht Michael in Amerika besuchen würde, sieht er irgendwie geknickt aus. An der Kreuzung verabschieden wir uns mit einem beherzten Händedruck und ich verspreche noch, fleißig zu üben und besser chinesisch zu lernen. Dann drehe ich mich rum und schwebe mit meinem Schwert Richtung Hotel, während mir die Tränen die Backen runterlaufen.
Abends veranstalten wir mit English- John ein letztes Saufgelage in unserer Stammkneipe, ich bin einfach noch viel zu betäubt, um mich rauschhafter Ausgelassenheit hinzugeben.
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