... schaue denn schon mal nach Heimflügen....
Sonntag, Juni 27, 2010
梅雨 – Pflaumenregen
Vormittags:
Bin nach Hongkong und einer anstrengenden Arbeitswoche Freitag Abend derartig ermattet, dass ich mich schon früh ins Bett schleppe (auf die Party eines befreundeten Büros habe ich keinen Bock) und beim Videoschauen ganz farblos einschlafe.
Samstag früh bin ich immer noch total bematscht, mache mich aber fertig und betrachte sorgenvoll den Himmel. Es nieselt leicht, da ist Xiao Lu sowieso nicht im Park, lohnt sich also nicht, früh hinzufahren. So gegen viertel nach Acht schreibe ich eine SMS an dem Meister, ob denn Training stattfände und wenn ja, wo? Park oder Stadion? Als ich eine Stunde später noch keine Antwort habe, lege ich mich wieder hin und schlafe noch drei Stunden.
Bin zwar nicht mehr ganz so bematscht, hab aber wirres Zeug geträumt und bin leicht desorientiert, geht nach Kaffee und Dusche dann aber wieder. SMS vom Meister, er sei gerade vom Park heimgekommen, er habe sein Phon daheim vergessen und deswegen meine SMS nicht mehr rechtzeitig gesehen. Ja ja, bestimmt auch bei Regen keinen Bock gehabt und gerade erst aufgewacht. Entschuldige per SMS mein Fernbleiben, morgen käme ich ganz bestimmt. Meister hat Gesicht bewahrt, ich habe Gesicht bewahrt, alles gut. Er schreibt, wenn es morgen nicht regnen würde, käme auch Rose. Das finde ich klasse, bei der Gelegenheit frage ich mal vorsichtig, ob denn Xiao Lu was gesagt hätte ob er nachmittags käme? Ja, wenn es nicht regnet, kommt er. Bestens. Schaue mir noch mal das Video von Ying Quan an, die habe ich ja jetzt länger nicht mehr geübt.
Nachmittags:
Das Wetter scheint zu halten, warte auf einer Bank lesend auf Xiao Lu. Der pirscht sich von hinten an mich heran und schreit mir „Autsch“ ins Ohr. Kreische vor Schreck und verpasse ihm erstmal eine.
Das Trainingsgelände ist mit Blättern und Ästen bedeckt, wir schnappen uns jeder einen Besen und fegen es sauber. Kann nirgendwo frische Kippen oder die für unseren Stil typischen Fußspuren entdecken, ganz sicher war der Meister heute früh nicht im Park. Der alte Fuchs.
Wir haben uns ja jetzt länger nicht mehr gesehen und uns natürlich viel zu erzählen. Ja, Xiao Lu hat auch den Eindruck, dass die Bewohner Hong Kongs eher kommerziell orientiert sind. Ich meine, Geld wäre ziemlich egal, Hauptsache gesund. Diese Einstellung scheint ihm zu gefallen. Da wir gerade beim Thema verreisen sind, zeigt er mir Bilder, die er während seines Korea- Aufenthaltes aufgenommen hat und erklärt mir, wer und was darauf zu sehen ist. Interessant. Und weil das so interessant ist, schauen uns auch gleich noch zwei andere Typen über die Schulter.
Unter den Bäumen unseres Übungsplatzes ist es schummerig, wenig Leute sind im Park und in der Luft liegt ein süßer Duft. Erfreue mich beim Üben der Einzelbewegungen an dem üppigen Grün und bin zufrieden und entspannt. Sogar der auf dem Hügel nebenan sein Instrument quälende Saxophonspieler geht mir mal nicht auf die Nerven. Anscheinend empfindet Xiao Lu das nicht so oder erinnert sich daran, dass ich bei anderen dieser Gelegenheiten äußerst ungut abgegangen bin, deswegen brüllt er irgendwann mal zu dem Typen, er solle gefälligst mal leiser spielen. Der Typ entschuldigt sich, dreht sich um, quäkt noch ein wenig weiter und trollt sich schließlich.
Wir üben schweigend und sehr sorgfältig, ich bin sehr, sehr glücklich. Bei Tui Shou haben wir wahnsinnigen Spaß, versuche, mich an alle die Manöver zu erinnern, die Xiao Lu mir bis jetzt beigebracht hat und diese anzuwenden. Klappt natürlich nicht, er ist halt einfach zu gut. Aber er freut sich, dass ich es wenigstens versuche.
Bei Frauen gegen Männer sei Tui Shou immer etwas grenzwertig, meint er. Im Gerangel könne man Damen da schon mal unbeabsichtigt an intimen Körperteilen berühren, das sei ihm unangenehm. Mit mir ginge das, wir wären ja schließlich so was wie Geschwister. Freue mich, dass er das so sieht und mich unterrichtet. Rose hatte da durchaus schon andere Erfahrungen. Manche Typen haben der beim Tui Shou schon gezielt an die Hupen gegriffen und sich anschließend feixend entschuldigt, was sie sehr sauer gemacht hat. Kann ich verstehen, wäre ich auch. In der Tat gibt es sogar einen umgangssprachlichen Ausdruck für solche erschlichenen intimen Kontakte, nämlich 吃豆腐, Tofu essen. Kann in einer abgeschwächten Form aber auch „flirten“ oder „anbaggern“ heißen.
Da wir gerade beim Thema Umgangssprache und Kampfkünste sind: Der Stil, den der Oster so gerne kreisend übt, 八卦, Bagua bezeichnet in der Umgangssprache auch „lästern, tratschen.“ Tja, Oster, da musst du in deinem blog beim nächsten Wudang- Aufenthalt schon etwas konkreter werden, ob du jetzt gerade zirkulierst oder tratscht.
Der Park schließt und wir quatschen noch ein wenig. Wenn es morgen früh nicht regnet, kommt Xiao Lu auf jeden Fall. Dann würde es richtig voll, sagt er. Neun Leute: Meister Wu, er, ich, Rose und ihr Kumpel Wang Ming Bo, die Zappelmaid und Hackfresse und die anderen Namen kriege ich nicht mit. Wang Ming Bo kommt auch? Warum das denn, der übt doch Yang Stil? Das weiß Xiao Lu jetzt auch nicht. Aber angesichts dieser Tatsache ist nach dem Training mal wieder ein üppiges Festmahl zu erwarten, weswegen das Nachmittagstraining wahrscheinlich ausfällt.
Auch gut, Wang Ming Bo ist echt lustig und den habe ich seit April nicht mehr gesehen und lecker Essen ist immer gut. Auch wenn ich lieber trainiert hätte.
Abends:
Kaufe mir bei Carrefour vegetarische Jiaozi, bereite diese zu und lerne anschließend chinesisch. Chat mit Ali, in Mainz ist Johannisfest. Da wäre ich jetzt gerne auch, es gibt halt Dinge, die man fern der Heimat schmerzlich vermisst. Morgen kickt Deutschland gegen die Engländer, hoffentlich kommt es zum Elfmeterschießen, denn dann gewinnen wir bestimmt. Beginne, ernstlich über einen Heimaturlaub nachzudenken, sollten wir ins Finale kommen.
27.06.2010, Sonntag
Vormittags:
Es scheint nicht zu regnen, also mache ich mich fertig. Rette meine Abendbrot- Lieferung, als ich das Haus verlasse, beginnt es zu nieseln. Als ich am Park ankomme, gießt es in Strömen. Mache mir gar nicht erst die Mühe, den Park zu betreten sondern drehe gleich um zur nächsten Bushaltestelle. SMS vom Meister, es regne, heute kein Training. Ja, das habe ich mir fast gedacht.
Zu Hause schaue ich mir Ip Man 2 auf chinesisch mit grotesken englischen Untertiteln an. Eher laue Handlung, aber sehr gut choreographierte Kampfszenen.
Draußen gießt es in Strömen und es gewittert, so sieht also die berüchtigte Pflaumenregen- Saison aus. Offiziell hat diese hier in Shanghai am 17. Juni begonnen und soll etwa drei Wochen dauern. Danach sind dann Temperaturen um die 36- 40° zu erwarten. Im Süden chinas gibt es bereits schwere Überflutungen. Ying hat mir geraten, wegen der dann hohen Luftfeuchtigkeit Entfeuchter zu besorgen, die im Kleider- und Lebensmittelschrank aufgestellt werden, damit die Klamotten und Nahrungsmittel nicht vergammeln. Habe ich natürlich sofort gekauft, schließlich habe ich keine Lust auf muffige Klamotten. Momentan aber sehe ich noch nicht die Notwendigkeit, die Entfeuchter zu installieren.
Sieht so aus, als ob es sich einregnet, brühe mir einen Kaffee und mache meine Chinesisch- Hausaufgaben fertig.
Nachmittags:
Überraschenderweise klart es Mittags ein wenig auf, vielleicht geht ja was mit Training? Mache mich also in den Park auf, leider selber Effekt wie heute morgen. Warte trotzdem zehn Minuten auf Xiao Lu, vielleicht war der ja schon unterwegs? Dann könnten wir wenigstens Tee trinken gehen. Xiao Lu kommt natürlich nicht, kann ich ihm auch nicht verübeln. Macht nichts, muss sowieso noch einkaufen gehen.
Im E- Mart ist ein für China bei Regen typisches Phänomen zu beobachten: Am Eingang des Supermarkts steht ein Scherge mit länglichen Plastiktüten, in die die nassen Regenschirme der Käufer eingetütet werden. Bin immer wieder erstaunt, für was dieses Riesen- Land alles Arbeitskraft an den Start werfen kann.
Gönne mir Olivenöl und Balsamico- Essig, da kann ich mir heute zum Abendessen einen leckeren Salat machen. Basilikum oder Limetten gibt es keine, wird aber auch so gehen. Kartoffeln und Eier habe ich ja noch, also Tortilla mit Tomatensalat und dazu einen Chardonnay, da lässt sich gut gestärkt Fußball schauen.
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Donnerstag, Juni 24, 2010
香港 – Hong Kong
Peters Maschine hat dann auch Verspätung und wir stellen fest, dass es total Scheiße ist, dass unsere Mobilfone hier alle nicht funktionieren.
Bei meinem letzten Besuch hier bin ich noch auf Kai Tak gelandet, jetzt gibt es einen neuen Flughafen auf Lantau. Und der ist bombig über einen Expresszug angebunden. Bin beeindruckt, obwohl Kai Tak entschieden mehr Charme hatte.
Seit meinem letzten Besuch scheint sich nicht viel verändert zu haben. Klar, ein paar neue Wolkenkratzer und andere Baumaßnahmen, aber damals habe ich die Stadt anders wahrgenommen. Na gut, das ist jetzt auch fast 18 Jahre her.
Hong Kong vs. Shanghai #1: Noch lauter, noch schneller, noch dichter und noch schwül- wärmer als Shanghai. Stand: 0:1.
Wir beziehen unsere Herberge und mich trifft fast der Schlag, als ich die Tür zu meinem Einzelzimmer öffne. Eine Knastzelle ist bestimmt gemütlicher und komfortabler. Wenigstens gibt es eine Klimaanlage. Bin definitiv zu alt für so einen Scheiß, auch wenn ich während meiner Backpacker- Zeit schon in wesentlich schlimmeren Absteigen genächtigt habe. Aber im Laufe der Jahre wird man halt verwöhnt, nächstes Mal suche ich mir gleich ein anständiges Hotel.
Da heute unsere Nationalmannschaft endlich mal zu einer für uns günstigen Zeit spielt, müssen wir eine Kneipe suchen, die das Spiel überträgt. Angeblich kennt ein in Hong Kong lebender Kommilitone von Peter und Guy eine, allein gestaltet sich die Kommunikation ohne Mobiltelefon ziemlich schwierig. Immerhin hat Guy seinen Rechner dabei, so dass wir wenigstens per Chat einen Treffpunkt ausmachen können. Vincent, ein Franzose mit chinesisch- kambodschanischen Wurzeln ist jedoch dermaßen verpeilt, dass wir die erste Halbzeit komplett verpassen. Ich bin mittlerweile genervt und will nur noch bei einen alkoholischen Getränk unser Team spielen sehen, wir stolpern in eine Spielhölle und meine Laune steigt: Es gibt einen Automaten mit Maschinengewehren, das Ziel des Spieles scheint zu sein, möglichst viele Gegner abzuknallen. Deswegen steht auf dem Automaten auch reißerisch „Shoot like crazy!! Smash and destroy!!“. Geiles Konzept. Bräuchten wir definitiv zum Dampf ablassen im Büro. Der kleine Chinese, der sich gerade an dem Automaten austobt, schafft allerdings nur farblose 44 Kills per Minute. Das ist ganz sicher noch zu toppen.
Schließlich finden wir eine Kneipe und schauen unserem Team beim Verlieren zu. In der Beize sind fast nur Chinesen, ich weiß das Gekreische bei dem verschossenen Elfmeter nicht recht zu deuten. Sind die jetzt eher für oder gegen uns? Wahrscheinlich eher ambivalent.
Peter muss seine aus Deutschland kommende Schwester vom Flughafen abholen, derweil zerrt Vincent uns durch diverse Kneipen.
Hong Kong vs. Shanghai #2: Sauteuer! Und in den Gesprächen scheint es nur um eines zu gehen: Geld. Mann, gegen Shanghai verhält sich Hong Kong wie Mainz zu Shanghai. Fange jetzt schon an, Shanghai zu vermissen. Stand: 0:2.
Als Anne dann da ist, besorgen wir uns Getränke und suchen ein nettes Plätzchen am Ufer. Gar nicht so einfach, denn auf Hong Kong Island gibt es keine richtig gemütliche Uferpromenade. Hier ist der Baugrund wohl zu teuer, um ihn mit sinnlosen Prachtstraßen zu verschleudern. Wir finden dann doch was in der Nähe des Star Ferry Pier und unterhalten uns prächtig. Ich saufe mir meine Zelle schön und sinke in tiefen Schlummer.
19.06.2010, Samstag
Wir fahren mit der antiken Bahn auf den Peak und genießen das Panorama. Nahrhaftes Mittagessen im Burger King, wo wir über einen Sikh mit den wohl beeindruckensten Tränensäcken der Welt lästern. Außerdem über ein hässliches britisches Ehepaar, dessen dreiköpfige Brut noch rothaariger und noch hässlicher ist als ihre Erzeuger. Ich hätte diese grässlichen Blagen an der nächsten Autobahnraststätte ausgesetzt.
Hong Kong vs. Shanghai #3: Internationaler als Shanghai. Stand: 1:2.
Fahrlässigerweise beschließen wir, vom Peak in die Stadt zu laufen. Grandiose Idee mit einer gebrochenen Zehe und bei geschätzten 36° und 90% Luftfeuchte. Hatte voll vergessen, wie steil der Abstieg ist, aber man wird mit toller Natur und schönen Ausblicken beloht. Mir geht auf, dass ich dieses Programm damals auch mit Ali gefahren habe und vermisse ihn.
Die Rolltreppen vom oberen in den unteren Teil der Stadt gab es damals noch nicht und um diese Uhrzeit fahren die aufwärts. (Die Rolltreppen werden ab ca. 11.30 von abwärts zu aufwärts umgestellt). Klasse, Treppensteigen und noch mehr Klettern. Auf halber Strecke sind wir dermaßen verschwitzt und ermattet, das wir unbedingt einkehren müssen. Wir landen in einem Bio- Öko- Organischem Cafe. Der Eistee mag zwar organisch und Öko sein, die Plastik- Trinkhalme und die auf voller Dünung laufende Klimaanlage aber sind es definitiv nicht.
Hong Kong vs. Shanghai #4: : Die Temperaturdifferenz zwischen innen und außen beträgt hier grundsätzlich mindestens 20°. Nicht gut. Und Öko ist auch hier wahnsinnig angesagt. Unentschieden. Stand: 2:3.
Nach unserer kleinen Stärkung fahren wir mit der Star Ferry nach Kowloon und besuchen die „Avenue of Stars“, die dem „Walk of Fame“ in Hollywood nachempfunden ist, nur halt mit den Berühmtheiten des Hong Kong Kinos. Gab es bei meinem letzten Besuch auch noch nicht. Am Beginn dieser Promenade gleich mal wieder ganz viele Schilder mit Verboten: Nicht rauchen, nicht pinkeln, nicht fischen und so weiter. Mein Lieblingsverbot: Nicht mit Modellautos rumfahren. Überhaupt ist Hong Kong eine Stadt mit sehr vielen Ge- und Verboten, an die ständig erinnert wird. In der Metro zum Beispiel wird man ermahnt, sich auf der Rolltreppe immer am Handlauf festzuhalten und geeignetes Schuhwerk zu tragen. An neuralgischen Punkten steht auch immer ein Scherge, der die sich lemminghaft fügenden Volksmassen dirigiert. Man scheint die hiesige Bevölkerung für komplett unmündig zu halten, vielleicht ein Erbe der britischen Besatzungszeit? Oder vielleicht wurde das nach dem Abzug der Briten erst nötig? Bei uns auf dem Festland ist man der Meinung, dass Regeln grundsätzlich dazu da sind, ignoriert und gebrochen zu werden, wir brauchen keine Anleitungen, um klar zu kommen. Und wir rauchen, wo es uns passt, drängeln rücksichtslos und rotzen auf die Straße, auf der wir gerne im Pyjama flanieren.
Hong Kong vs. Shanghai #5: : Anscheinend total verpeilte Einwohner. Stand: 2:4.
Natürlich kenne ich viele der hiesigen Filmstars, lasse mich dabei fotografieren, wie ich meine Hände in die Handabdrücke von Andy Lau presse und suche unruhig nach dem Stern des Heiligen Stephen. Der befindet sich dann auch gleich neben dem Höhepunkt des Boulevards, der eher nicht beachtet und auf ihm rumgetrampelt wird. Hat mein Schutzheiliger echt nicht verdient,Bruce Lee Statue. Zwar eine recht große Ehre, aber auch eine recht schlechte Wahl, denn vor dieser Statue posieren natürlich Unmengen von Leuten, so dass der Stern aber ich dränge rüde die Poser beiseite, um den Stern angemessen fotografieren zu können. Da machen sich das halbe Jahr in Shanghai gepaart mit Kampfkunstkenntnissen deutlich bezahlt.
Da wir ja schon mal in Kowloon sind, bummeln wir in Richtung Nachtmarkt die Nathan Road entlang. Indische und pakistanische Schlepper versuchen, uns an maßgefertigten Klamotten oder Goldschmuck zu interessieren. Bei uns zu Hause auf der Nanjing Lu werden von den Schleppern entweder gefälschte Markenprodukte oder Nutten angeboten.
Hong Kong vs. Shanghai #6: Wesentlich hochklassigere Schlepper in Hong Kong. Stand: 3:4.
Der Nachtmarkt stinkt voll ab, habe selten derartig schrottige und geschmacklose Produkte gesehen. Jesus, Hitler, Mao und Che gemeinsam auf einem T- Shirt, das geht echt gar nicht. Auch der Rest der Angebote sind voll die Netzhautpeitschen, als wir mit dem Nachtmarkt durch sind, sind wir fast blind.
Hong Kong vs. Shanghai #7: Wir haben die cooleren Fakes. Stand: 3:5.
Wir haben mittlerweile Hunger und versuchen, von einer öffentlichen Telefonzelle aus ein Treffen mit Vincent dem Verpeilten auszumachen. Das wir das durch ausgerechnet Guy erledigen lassen, ist wenig klug. Wir gurken knapp eine Stunde mit der Metro hin und her und treffen Vincent den Verpeilten natürlich nicht, weil sein deutscher Gegenpart genauso dämlich ist. Dafür schauen wir uns dann von Kowloon aus die prahlerisch „Symphony of Lights“ genannte Wolkenkratzererleuchtung an. Im Klartext bedeutet dies, dass zu schlimmer sino- westlicher Musik die Hochhäuser auf Hong Kong Island grob im Takt blinken und ab und zu mal ein Laser in den Himmel schießt. Bin trotzdem beeindruckt, Hong Kong hat klar die bessere Skyline, sogar bei Tag schön anzusehen. Da stinken wir mit unserem Pudong voll ab.
Hong Kong vs. Shanghai #8: Geilere Skyline. Stand: 4:5, Hong Kong holt auf.
Vincent gabelt uns schließlich doch noch auf und wir gehen essen. Eigentlich wollten wir ja was typisch Kantonesisches, landen jedoch beim Thai. Wir begleiten Guy zwecks Fahrscheinerwerbes zum Macao- Fährenterminal, er will morgen da hin und zocken. Mittlerweile ist es schon recht spät, aber Vincent will uns noch unbedingt was Supercooles zeigen. Wir zwängen uns also in ein Taxi und landen schließlich an den Midlevel- Rolltreppen. Und zwar nicht etwa unten, sondern ganz oben. Da die Rolltreppen immer noch aufwärts fahren, bedeutet dies, dass wir die ganze Strecke wieder nach unten laufen müssen. Dabei hatten wir Vincent beim Essen in epischer Breite unser heutiges Tourismusprogramm geschildert. Anne und ich meutern, heute genug gelaufen! Wir fahren mit der Taxe in Richtung Hostel und trinken dort noch einen Absacker.
20.06.2010, Sonntag
Guy ist schon früh nach Macao aufgebrochen, Peter, Anne und ich frühstücken erstmal in Ruhe. Ich fliege heute Abend ja schon wieder und würde gerne was sehen, wo ich damals noch nicht war. Aber die beiden haben Lust auf den Buddha auf Lantau, auch gut. Wird dann halt die Damals- mit- Ali- in- Hong- Kong- Gedächtnis- Tour. Mein Gepäck kann ich schon in der Innenstadt aufgeben, sehr komfortabel. Auf dem Weg nach Lantau fällt mir mal wieder auf, wie viele Einheimische trotz unserer beschämenden Niederlage ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft tragen. Die Shanghaier sind da weniger von unserem Team überzeugt.
Hong Kong vs. Shanghai #9: Lässigere Fußballfans. Stand: 5:5.
Zu den Buddha kommt man mittlerweile mit der Metro und einer Seilbahn, Ali und ich haben damals noch eine Fähre und den öffentlichen Bus genommen. Die Seilbahn ist wirklich klasse, man hat einen phantastischen Ausblick auf den Flughafen und die startenden und landenden Flugzeuge. Wir teilen unsere Kabine mit einem älteren kantonesischen Ehepaar und einem Pärchen unklarer Beziehungsstruktur. Ein alter Knülch, dem die Hälfte seiner Zähne fehlt und ein blutjunges, billig zurechtgemachtes Ding. Der alte Lustmolch schraubt auf der Fahrt nach oben kräftig an der kleinen Schlampe rum und fotografiert sie ständig. Die beiden unterhalten sich auf Indonesisch, die Kantonesen lästern genau wie wir kräftig über dieses seltsame Gespann ab. Ich habe den Eindruck, dass sich Kantonesisch noch viel besser zum Hetzten eignet als Putong Hua.
Der Erleuchtete hüllt sich in dramatische Wolkenfetzen, was ihm etwas sehr Erhabenes und Mysteriöses verleiht. Am Fuße der Statue treffen wir den Shanghaier Büroleiter von AS & P nebst Gemahlin und Tochter, was ist die Welt doch klein! Der meint auch gleich, das vegetarische Restaurant des angrenzenden Klosters sei nicht zu empfehlen. Schade, damals war das Essen dort ziemlich lecker. Dann doch halt wieder Fastfood. Das Po Lin Kloster hatte ich auch größer und netter in Erinnerung. Man erweitert sich offensichtlich, hinter dem alten Tempel steht schon das Stahlgerüst für den Anbau, der durch die Spenden der Gläubigen finanziert wird. Damals haben fast nur die Verehrer Buddhas das Kloster aufgesucht, jetzt wird hier auf dem Berg kräftig am Tourismus verdient. An der Bergstation hat man ein kleines Dorf mit Restaurants und billigen Nippesläden errichtet. Wir rasten im Schatten und bestaunen auf einer Bank die Touristen, die sich in den albernsten Posen vor dem Tempel gegenseitig ablichten. Was können Chinesen da phantasievoll sein!
Eigentlich hatte ich ja gehofft, dem Tipp meines ebenfalls die Kampfkünste übenden Lesers Felix zu folgen und es noch in den Kowloon- Park zu schaffen. Dort treffen sich Sonntags um 14.00 die hiesigen Kampfkünstler und führen vor, ich bin zu spät dran. Nächstes Mal dann halt.
Direkt an der Talstation der Seilbahn befindet sich ein riesiges Einkaufszentrum mit Fresstempel, in dem wir18.06.2010, Freitag uns erstmal stärken. Anschließend klappern wir die Läden ab und ich erwerbe ein sehr hübsches Kapuzensweatshirt.
Da ich ja sowieso in der Nähe bin, fahre ich gar nicht erst mit Peter und Anne in die Stadt zurück sondern nehme gleich den Bus zum Flughafen. Vertriebe mir die Zeit mit Bummeln, Kaffeetrinken und Lesen, die restlichen Hong Kong Dollar werden in Kippen, Tigerbalsam und eine Wundersalbe gegen Verstauchungen investiert. Von dem Zeug kann man nie genug haben, als Kampfkünstler hat man ja ständig irgendwo blaue Flecken.
Sitze dann endlich am Gate, unser Flug hat fast zwei Stunden Verspätung. Mir gegenüber lässt sich eine Gruppe nieder, die sich auf Shanghainesisch unterhält. Obwohl ich das genau so wenig verstehe wie Kantonesisch und Shanghainesisch deutlich unsexier ist, freue ich mich: Vertraute Klänge!
Im Flieger sitzt neben mir eine Frau etwa meines Alters, wir lächeln uns an und sind uns gleich sympathisch. Der Kampf um die mittlere Armlehne wird wortlos dadurch gelöst, dass wir einfach typisch chinesisch kuscheln. Was für ein geiles Land!
Der letzte Flughafenbus ist natürlich schon weg, muss mit dem Taxi nach Hause fahren, auf dem Weg geht mir auf, wie gut ich es hier habe. Dieser Eindruck bestätigt sich, als ich nach zwei Nächten Knastzelle meine kleine Wohnung betrete und den Ausblick genieße. Na gut, meinen Gatten und meine Freunde vermisse ich natürlich. Und die Möbel könnten auch hübscher sein. Aber ich lebe in der geilsten Stadt der Welt, in Deutschland könnte ich bei einer Fußverletzung nicht jeden Tag mit der Taxe zur Arbeit fahren oder für nen Klicker und nen Knopp phantastisches Essen genießen. Und Meister vom Kaliber Wu Laoshis gibt es in Deutschland sowieso nicht.
Shanghai rockt.
Gebabbelt: Bat um 16:33 1 Kommentare
Uffbäpper china 10, nationalelf, reisen bildet, verkacken, WM 06, WM 10
Mittwoch, Juni 16, 2010
放假第三次 – Ferien #3
Vormittags:
Stürme an meinen Rechner und nehme hoch erfreut zur Kenntnis, dass unsere Jungs die Australier 4:0 geschlagen haben. Gut, dass ich mir schon am Hongkou- Stadium für 90,- RMB ein gefälschtes Deutschland- Trikot nebst Hosen gekauft habe, die Preise dürften jetzt in die Höhe schnellen. Fahre gut gelaunt in den Park, wo Xiao Lu schon fröhlich übt. Ob ich gestern Nacht Fußball geschaut hätte? Nee, aber ich teile ihm das Ergebnis mit. Wahnsinn, 4:0, wirklich? Lihai. Meister Wu ist ebenfalls gut drauf, wir üben intensiv, obwohl das Wetter sehr schwül ist. Mir läuft die Brühe aus allen Poren, wie soll das hier erst im Sommer werden? Für Xiao Lu und mich gibt es Fortgeschrittenenprogramm und viele Korrekturen, für die kleine Zappelmaid eher langweilig. Da unterhält sie sich doch lieber mit Hackfresse, der seinen albernen Strohhut wedelnd das Geschehen vom Rande aus beobachtet. Die Weiber von der Wu- Stil Gang sind auch mal wieder da, stehen aber nur rum, quatschen und verteilen Kekse. Meister Wu greift einen für mich ab, die Zappelmaid kriegt keinen. Auf dem oberen Teil unseres Geländes üben immer zwei Typen Xing Yi, Ba Gua und diverse Waffenformen, heute wollen sie das Gelände mal ein wenig verschönern und buddeln deswegen einen Felsbrocken aus, der scheinbar beim Üben stört. Typisch chinesisches Phänomen: Zwei Leute verrichten eine Arbeit, die nicht wirklich sinnvoll erscheint, während acht Leute drum herum stehen, gute Ratschläge erteilen und zuschauen. Das hatte ich heute morgen schon bei der Dauerbaustelle unseres Aufzuges beobachten können.
Auch Meister Wu nimmt erstmal auf einem Stein Platz, zündet sich eine Zigarette an und erteilt Anweisungen. Xiao Lu muss mit anpacken, schließlich rollt der Felsen in die gewünschte Position und alle sind zufrieden.
Morgen unterrichtet Meister Wu im Volkspark, da habe ich nur mäßig Lust drauf, obwohl ich die anderen Ausländer ja schon gerne mal wieder sehen würde. Die Zappelmaid wird wohl hingehen, noch ein Grund, lieber im Heping- Park mit Xiao Lu zu üben.
Auf dem Weg zum Ausgang laufen Xiao Lu und ich hinter Hackfresse, der den Meister vollsabbelt. Xiao Lu zeigt auf den bescheuerten Strohhut und tippt sich anschließend an die Stirn. Ich muss so sehr lachen, dass ich fast umfalle.
Besorge mir bei Carrefour Obst und Yoghurt, in der Fernsehabteilung läuft eine Wiederholung des Deutschlandspieles. Bleibe stehen und schaue ein wenig zu. Vuvuzelas gehen mittlerweile sogar Chinesen auf die Nerven. Ein Verkäufer zeigt auf mich und brüllt: „Deguoren“!!! Nachdem ich nickend bejahe, wirft er die Arme in die Luft und brüllt „Balake!!“ Ich weise höflich darauf hin, dass Herr Ballack leider an dieser WM verletzungsbedingt nicht teilnehmen könne, das weiß der Verkäufer natürlich, das alte Beinproblem. Aber wir haben ja noch Keluosi und Shiweiyinsitaige, die werden das Ding schon schaukeln. Der Verkäufer reckt mir den nach oben zeigenden Daumen entgegen, Deguo shi zui hao de, die Deutschen sind die Besten! Logo.
Nachmittag:
Mache es mir zu Hause auf dem Sofa bequem und schaue die Zusammenfassung des Spiels, als um eins meine Ayi kommt. So was blödes, wollte eigentlich zwischen den Trainingseinheiten ein Nickerchen halten. Aber so lernen wir uns wenigstens mal kennen.
Shen Ayi ist eine sehr resolute typische Shanghaierin in den Fünfzigern, die gleich kernig ans Werk geht. Dass sie heute auch Fenster putzen und bügeln soll, findet sie scheinbar mäßig geil, lässt sich aber die dafür nötigen Gerätschaften zeigen. Ich flüchte eingeschüchtert in Richtung Park, mittlerweile nieselt es leicht. Mist, hoffentlich kommt Xiao Lu. Setze mich in ein nettes Cafe, bestelle einen Cappucino und kann der Versuchung nicht widerstehen, auch noch einen fetten Schoko- Caramelkuchen zu ordern. Lese ein wenig, schließlich ist es Zeit zum Training. Und mit einem 3.000 Kalorien Kuchen im Pansen trainiert es sich natürlich besonders gut.
Xiao Lu möchte am liebsten gleich mit Tui Shou loslegen, aber erstmal sind Einzelbewegungen, Schrittfolgen und Formkorrektur angesagt. Da ich neue Schuhe habe (Geschenk von Xiao Lu) und der Boden leicht feucht ist, klappen die Drehungen und das Gleiten in tiefe Positionen so gar nicht. Bin richtig sauer auf mich, aber mein großer Bruder findet das nicht schlimm. Ist halt so.
Was ich an dem Einzeltraining mit ihm außer Korrekturen noch außerordentlich zu schätzen gelernt habe, ist die Chance, Chinesisch zu sprechen und von ihm einiges über die chinesische Kultur zu lernen. Heute zum Beispiel erklärt er mir seinen Namen. Chinesische Vornamen setzen sich meistens aus zwei Zeichen zusammen, wobei eines der Generationsname ist. Bei Xiao Lu ist das „Ying, 应, sollen“. Alle seine Brüder haben dieses Zeichen im Namen. Das zweite Zeichen ist dann der individuelle Name, in seinen Fall „Liang, 梁, Stützbalken“. Finde ich als Architektin natürlich interessant. Aber es geht noch weiter: Der untere Teil seines Zeichens bedeutet „Holz“. Deswegen mag Xiao Lu kein Wasser und kein Feuer. Wie ein Baum muss er mit der Erde verbunden sein. Er kann nicht schwimmen und wird schnell seekrank. Ist jetzt natürlich blöd, also keine Grillpartys am Strand mit ihm. Über Hackfresse ist er nicht glücklich, der kommt wohl jeden Abend vorbei, wenn er trainiert und textet ihn zu. Noch schlimmer, Hackfresse befummelt dann Xiao Lus Übungsgerät und versucht ihm was über die richtige Anwendung diverser Einzelbewegungen zu erzählen. Würde mir nie einfallen. Xiao Lu stöhnt und als ich Hackfresses Benehmen als sehr unhöflich bezeichne, stimmt er eifrig zu. Hackfresse ist zwar ein großer Kerl und erwachsen, aber im Geist ein ungezogenes Kind und nicht sonderlich helle. Na, warum er ihm denn nicht sagen würde, dass er sich verpissen soll? Geht nicht, Hackfresse würde dann Gesicht verlieren. Mann, China ist kompliziert. In wie viele Fettnäpfe bin ich wohl schon gelatscht?
Über chinesische Frauen wird auch noch mal gesprochen, ich klimpere mit den Augen und meine, die Deutschen wären alle sehr brav und würden auf ihre Männer hören. Xiao Lu guckt verwirrt, letzte Woche war doch da eine andere Ansage? In dem Moment, wo ich dies sage, weiss ich, dass mein Gatte sich jetzt bestimmt vor Lachen schreiend auf dem Boden wälzt.
Tui Shou wird langsam immer interessanter, vor allem, was die Lockerheit angeht. Xiao Lu macht es vor, sieht aus, als ob er vollgesoffen wäre. Aber genau diese Entspanntheit und Nachgiebigkeit muß man sich zu eigen machen, ohne die Kontrolle über den Gegner zu verlieren. Und das ist echt schwierig, locker, aber nicht schlaff zu sein. Schaffe es, seine Schwachstelle zu entdecken und ihn ein paar Mal aussteigen zu lassen, aber natürlich ziehe ich meist die Kürzere.
Abend:
Knalle kurz vor dem Schlafengehen mit meinem linken kleinen Zeh volles Rohr an die Tür. Krümme mich vor Schmerzen und flippe fast aus. Na ja, wird hoffentlich schon gehen.
15.06.2010, Dienstag
Vormittag:
Mein kleiner Zeh ist eine fette blaue Wurst und mein Kreislauf im Keller. Meine Kontaktlinsen habe ich auch noch ruiniert, indem ich sie gestern mit Chili an den Fingern aus den Augen gepult habe. Egal, zwänge meinen Fuß in den Schuh und humpele rotäugig zum Bus. Wegen meiner Behinderung bin ich superlangsam und fast zu spät im Park, wo Xiao Lu schon übt. Meister Wu kommt heute nicht, da er im Volkspark die anderen Ausländer bespielt. Mein Plan war eigentlich, da auch noch hinzufahren, kann ich mir aber wohl abschminken. Wir üben Einzelbewegungen und auf einmal zischt Xiao Lu verärgert. Denke schon, ich hätte was falsch gemacht, aber er hat von Ferne Hackfresse erspäht. Wir hatten eigentlich beide gehofft, dass der heute nicht käme, da ja die kleine Zappelmaid auch im Volkspark ist. Zu früh gefreut. Gestern ist Hackfresse Xiao Lu wohl ganz besonders auf den Zeiger gegangen, weswegen dieser maximal angenervt ist. „烦死了“ knurrt Xiao Lu, ein Ausdruck höchsten Missfallens. Hackfresse hatte wohl gehofft, heute alleine mit Xiao Lu zu sein und übt grummelnd Einzelbewegungen.
Meine Schrittfolgen und Mian Zhang klappen natürlich überhaupt nicht, ich schwitze nicht nur wegen der Hitze, sondern auch vor Schmerzen. Zeige Xiao Lu den Zeh, er ist beeindruckt. Dabei lernt er auch gleich noch das Wort „Autsch“, was ihm außerordentlich zu gefallen scheint. Hackfresse trollt sich und wir üben Tui Shou.
Ob es denn nachmittags gehen würde, fragt Xiao Lu. Klar, Tui Shou geht immer.
Nachmittag:
Wir treffen uns, werde mit „Autsch“ begrüßt und wir üben Tui Shou. Ich bin total unglücklich über meine Behinderung. Hatte so gehofft, über die Feiertage heftig trainieren zu können. Morgen Nachmittag kein Training, sagt Xiao Lu, ich soll den Fuß schonen. Aber bevor ich noch enttäuschter bin, meint er, er käme dafür bei mir zum Teetrinken vorbei. Na, das sind doch gute Aussichten!
Als ich auf meinem Rückweg aus dem Bus aussteige, entdecke ich eine ziemlich große Apotheke, die auch eine Abteilung für traditionelle chinesische Medizin hat. Schildere der stark kurzsichtigen PTA mit Hilfe des Wörterbuches und eindrucksvollen Gesten mein Problem, die daraufhin sehr sorgfältig ein Buch konsultiert. Schließlich gibt sie mir ein paar Kräuterpflaster, weist jedoch darauf hin, dass die bei einem Knochenbruch auch nicht wirklich hilfreich wären. Egal, schaden kann das ja nichts. Nachdem ich mich überzeugt habe, dass diese Pflaster keine Tigerbestandteile enthalten, kaufe ich sie.
Zu Hause kühle ich den Zeh mit einer eigentlich für die Augenpartie vorgesehenen Eismaske, während ich mir die Begegnung Neuseeland- Slowakei anschaue. Appliziere das Pflaster und schleppe mich noch vor dem neuseeländischen Ausgleichstreffer krank, erschöpft und traurig ins Bett. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
16.06.2010, Mittwoch
Vormittag:
Um 6:00 reißt mich eine SMS von Marc aus unruhigem Schlaf: Mein Tipp für Südafrika gegen Uruguay? Aber die spielen doch erst morgen? Ja, morgen um 2:30. Na gut, ich tippe 2:2. Da ich schon mal wach bin, kann ich auch gleich aufstehen. Der Zeh scheint wieder schlimmer, reiße das Pflaster ab und hinke unter die Dusche. Gemütliches Frühstück, beim Schuheanziehen merke ich, dass der Zeh doch anscheinend weniger dick ist. Ob das jetzt an der Kühlung oder der Chinesischen Medizin liegt, weiss ich nicht.
Bin sogar einige Minuten vor Xiao Lu im Park und genieße unser gemeinsames Aufwärmen. Eine Stunde später zappelt die Maid an und begrüßt uns, wird jedoch ignoriert. Daraufhin traut sie sich nicht, mit uns mitzumachen.
Meister Wu kommt wenig später und fragt Xiao Lu erstmal, welche Bewegungen wir denn schon geübt hätten? Na, wir beide so einige, die Maid soweit nichts. Wir fangen an und dann gesellt sich auch noch Andy zu uns. Da seine Frau die ganze Nacht von dem Neugeborenen wach gehalten wurde und jetzt total erschöpft ist, hat er seine ältere Tochter mitgebracht, ein süßer und sehr temperamentvoller Fratz. Die Chinesen sind außer sich vor Entzücken und Sarah steht voll im Mittelpunkt. Sie entdeckt einen Typen, der seine zahmen Tauben spazieren führt und saust auf ihren Rollschuhen zu ihm hin. Der Typ schenkt ihr eine Taubenfeder, Sarah ist beglückt. Ich weiß, dass Meister Wu Andy sehr gut leiden kann. Moralisch integer und ein freundlicher, glücklicher Mensch, der sich um seine Familie kümmert. Nicht so wie Judd.
Heute ist im Park die Hölle los. Ein Typ stellt seinen Klappstuhl auf unserem Trainingsgelände auf und fotografiert uns am laufenden Band. Hackfresse filmt uns, etliche andere Typen schießen auch Fotos wie verrückt. Ich füge mich zähneknirschend. Andy lernt gerade Mian Zhang, deswegen wird das heute vertieft. Jetzt filmt auch die Zappelmaid mit ihrem Mobilfon, schieße ihr den bösesten Blick zu, den ich auf Lager habe. Bin mit Mian Zhang schon unbehindert nicht sehr gut, deswegen stören mich heute die Fotografen ganz besonders. Aber ich denke, dass die in erster Linie Meister Wu ablichten, wenn nicht, ist auch egal.
Ying Quan läuft er mit mir noch mal durch, natürlich klappen die Drehungen auf den Zehenballen nicht besonders. Bin aber trotzdem zufrieden. Nach dem Training zeige ich ihm meinen Zeh. Wow, und mit so was habe ich durchgehalten? Tapfer. Kündige an, dass ich am Wochenende in Hongkong sei, Meister Wu wünscht mir viel Spaß. Sarah springt kreischend den Meister an und täuscht einen hohen Tritt vor, der Meister lacht schallend. Andy schüttelt entnervt den Kopf über seine temperamentvolle Tochter. In zwölf Jahren sähe er sie auf dem Rücksitz eines schnellen Motorrades, den Fahrer anfeuernd. Blödsinn, sage ich, dann würde sie bestimmt selber das Motorrad fahren. Andy lacht und verdreht die Augen. Draufgängerin.
Als wir gemeinsam den Park verlassen, schmiegt sich die Zappelmaid an Xiao Lu: Ob wir denn heute Nachmittag wieder üben würden? Nee, heute Nachmittag ist Entspannung angesagt. Dieses Luder! Wir stehen an der Ampel, da stellt mir Hackfresse die selbe Frage und kriegt die selbe Antwort.
Bin fast auf Hundertachzig: Sollte einer der beiden es wagen, dieses kostbare Nachmittagstraining zu stören, werde ich alle Höflichkeit vergessen!
Nachmittag:
Xiao Lu bringt echt guten Oolong Tee mit, den ich wahrscheinlich bei der Zubereitung ruiniere. Wir surfen gemeinsam im Netz und schauen uns Kampfkunst- Videos an. Was ich schön finde: Xiao Lu lehnt sich dabei an mich und haut mich, wenn er irgendwas besonders aufregend findet. Derartig kuschelig werden Chinesen nur mit sehr intimen Freunden. Ich betrachte Xiao Lu als meinen besten Kumpel, dass er anscheinend genauso empfindet, macht mich sehr glücklich. Wichtige Informationen über die Shanghaier Kampfkunstszene, Meister Wu, Hackfresse und über die Zappelmaid. Die hat wohl Xiao Lu beim Üben im Park gesehen, sich ein bisschen in ihn verknallt und gibt seitdem ihr Bestes. Vergebens, hehe.
Wir diskutieren über Weltpolitik und er zeigt mir seine Hauptinformationsquelle. (Nicht so schlimm, wie die URL vermuten lässt. Bin zunächst leicht entsetzt, dann aber doch etwas beruhigt, als ich diese Seite über einen Übersetzer jage, nachdem Xiao Lu weg ist). Ich weiss nicht, wie chinesische Verhältnisse im Ausland rüberkommen. Viele Leute scheinen zu denken, dies hier sei der totale Überwachungsstaat. Ist nicht. England ist viel schlimmer. Und die Net- Nanny hier kann man austricksen, wenn man will.
Wie immer bin ich sehr dankbar, Einblicke in die gegenwärtige Stimmung der Chinesen zu erhalten. Sehr interessant, einerseits ein Minderwertigkeitskomplex, andererseits ein irrer Stolz auf dieses Land und Wut und Frustration darüber, dass dies international nicht anerkannt wird. Echt seltsam, obwohl mein Chinesisch so schlecht ist, verstehen wir uns doch irgendwie. Wir quatschen über alles mögliche. An einem Punkt der Unterhaltung fragt Xiao Lu mich, ob ich denn alles verstünde, was er sage? Nee, aber ich würde es kapieren. Diesen Effekt kennt er aus seiner Zeit in Korea. Wir schauen uns an und grinsen. Beste Freunde, Yin und Yang. Wobei wir uns schon wieder darüber streiten, wer von uns beiden das Yin und das Yang ist. Freue mich fast auf die Regenzeit und weitere Diskussionen.
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Montag, Juni 14, 2010
足球世界杯赛 – WM
Im O´Malleys brennt schon die Luft, das Verhältnis von Chinesen zu Ausländern ist etwa gleich. Es sind sogar einige Mexikaner anwesend und hinter uns sitzen ein paar chinesische Mädels, die glühende Mexico- Fans zu sein scheinen. Jedenfalls kreischen sie immer mit ihren dünnen Stimmchen „jiayou Mexico, Mexico, go!“ Aus rein sentimentalen Gründen bin ich auch für Mexico, habe da mal einen meiner schönsten Urlaube verbracht. Endlich Anpfiff, endlich wieder Fußball! Mit den grässlichen südafrikanischen Tröten machen wir auch Bekanntschaft, aber zum Glück ist die Tonanlage ziemlich mies, so dass wir sowohl den dämlichen englischen Kommentar als auch das Getröte nicht so mitbekommen. Ich freue mich, dass ich mich endlich wieder öffentlich hemmungslos aufregen und rumschreien kann. Nicht, dass das hier irgendwie ungewöhnlich wäre. Zhen will von mir das Abseits erklärt haben, ist ja schon auf deutsch schwierig. Zum Glück ist Xianqi in der Lage, das auf chinesisch befriedigend zu erörtern. Die fußballerisch eher laue Partie endet unentschieden.
Am nächsten Tag sind alle ganz gespannt auf die Ergebnisse des Tippspieles, die Mark sorgfältig auf einer Tafel notiert. Noch liegen wir alle ziemlich dicht beieinander, aber das wird sich wohl bald ändern.
Meine Glotze läuft nach der Arbeit schön im Hintergrund, Fußball und chinesische Kommentare und Spielanalysen. Auch eine Art, eine Fremdsprache zu vertiefen. Am zweiten Tag unseres Tippspiels stehe ich mit 14 Punkten an erster Stelle, habe England- USA und Griechenland- Süd Korea richtig getippt. Aber da kommen ja noch einige Partien, bei denen ich einfach nur blind geraten habe, weil ich von den Teams absolut keine Ahnung habe. Sonntag ist unser letzter Arbeitstag vor den Ferien, heute kickt auch endlich Deutschland. Aber meine Liebe zum Fußball ist denn doch nicht so groß, dass ich um halb drei nachts aufstehen werde, um mir das Spiel anzusehen. Unsere Jungs werden das schon so hinkriegen, da bin ich mir ganz sicher.
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Sonntag, Juni 13, 2010
阿姨 – Ayi
Jetzt muss ich natürlich noch einen Schlüssel nachmachen lassen, denn mein anderer Wohnungsschlüssel ist in Deutschland deponiert, damit meine Gäste stressfrei in meine Wohnung können. Fahre zu diesem Zweck zum Schlüsseldienst neben der Hello- Kitty- Hölle am Times Square, wo der Bedienstete allerdings behauptet, einen derartig komplexen Schlüssel nicht nachmachen zu können. Blödmann. Mein Kollege Peter hatte mir erzählt, er habe sich neulich einen Schlüssel bei einer Bretterbude vor seiner Compound anfertigen lassen. Also wird flugs angerufen, Peter wohnt ja nicht weit weg und ist vorgewarnt.
Der Schlüsselmann ist gerade nicht da, wir warten ein wenig, schließlich kommt er angeschlappt. War Abendessen holen, natürlich. Der Schlüssel wird begutachtet, kompliziert. Das wird teuer, 50,- RMB. Egal, muss halt sein. Aus einer Kaffeedose wird ein Rohling gefischt und anschließend neben meinem Original in eine sehr, sehr altertümliche Fräse eingespannt. Der Schlüsselmann arbeitet über zwanzig Minuten sehr konzentriert, während Peter und ich ihm völlig gebannt zuschauen. Schließlich pustet er die Späne von dem fertigen Exemplar und meint, wenn der Schlüssel nicht passe, solle ich morgen noch mal vorbeikommen, er würde dann nacharbeiten. Nach dieser faszinierenden Vorstellung gönnen Peter und ich uns köstliche Nudelsuppe beim Uiguren. Zu Hause gleitet der Schlüssel in das Schloß wie in Butter.
Saue meine Bude absichtlich ordentlich ein, als ich Freitag morgen das Haus verlasse, stapelt sich in der Spüle das dreckige Geschirr. Soll Shen Ayi mal zeigen, was sie drauf hat. Die Putzutensilien habe ich vorsorglich auf dem Küchentisch deponiert.
Als ich Freitag Nacht heimkehre, blitzt meine Wohnung, einzig das Flusensieb in der Dusche ist nicht gesäubert. Bin sehr zufrieden, Shen Ayi hat es drauf. Die Frau denkt mit, das sieht man schon daran, wie sie ihre Putzlappen für diverse Aufgaben angeordnet hat. Mein Plan war, dass die Ayi einmal die Woche die Wohnung grundreinigt, am anderen nur die Böden und ein wenig Staub wischt (muss bei dem Dreck hier schon sein) und an diesem Tag kleine Sonderaufgaben übernimmt. Wie zum Beispiel Bügeln oder Fensterputzen. Also müssen ein längst überfälliges Bügeleisen und ein Bügelbrett her. Fachkundige Beratung in der Bügeleisenabteilung bei Carrefour, schaffe es endlich, mal kein Philips- Produkt zu erwerben. In der Bügelbrettecke schüttele ich ungläubig den Kopf: Ist das hier Kinderspielzeug?! Hatte im Netz schon gelesen, dass man als hoch gewachsener Laowei Bügelbretter am besten bei Ikea kauft, da diese auf europäische Maße zugeschnitten seien. Allerdings hatte ich das damals nur schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Schließlich finde ich ein Brett, dass sich auf unglaubliche 82 cm hochschrauben lässt, scheint mir auch recht solide zu sein. Sieht jedenfalls nicht ganz so nach Puppenstube aus. Schleppe meine Einkäufe keuchend nach Hause, mein hünenhafter Kumpel, der Metro- Fahrer schaut interessiert und verwickelt mich im Aufzug in ein Gespräch. Jetzt bin ich schon die deutsche Freundin, was für ein netter Mann. Danke, Siemens! Bestimmt Lehrerin an der nahen SISU? Nee, Architektin. Jedenfalls meine ich, das gesagt zu haben, der Metro- Mann aber schaut verwirrt. Entweder habe ich gerade erklärt, ich sei Auftragskillerin oder weibliche Architekten sind hier eher ungewöhnlich.
Bügeleisen und -brett werden an einem meiner Tongbei- Fummel gleich ausprobiert. Für mich ist das Brett viel zu niedrig, aber für die Ayi wird es schon gehen. Wenigstens habe ich endlich mal einen makellos gebügelten Fummel.
Brate mir einen Fladen mit Ei und kritzele anschließend chinesische Anweisungen für das Putzprogramm an Frau Shen auf einen Zettel. Die Bedienungsanleitung für das Bügeleisen lege ich vorsichtshalber daneben. Bin mal gespannt.
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Dienstag, Juni 08, 2010
练功第二 – Training #2
Verpenne prompt Lilos Abreise und bin dann zu deprimiert zum Vormittagstraining. Kaufe statt dessen ein, vielleicht kann ich ja das leckere Doufu- Gericht irgendwie nachbasteln. Gut Essen ist bei Frust immer sehr hilfreich.
Schleppe mich nachmittags in den Park, über meinem Haupt hängen dunkle Wolken. Weil ich so schlecht drauf bin, will nichts so recht klappen und meine Stände sind ziemlich wackelig. Irgendwann kullern mir doch ein paar Tränen aus den Augen, Xiao Lu denkt, das sei wegen meines Versagens. Ich erkläre ihm, dass ich gestern so einen Klasse- Abend mit Lilo und Tori hatte und es jetzt mindestens vier Monate dauern würde, bis ich meine Freunde oder meine Heimat wieder sähe. Und ich sehr traurig sei, das Lilo jetzt weg wäre. Mein großer Bruder nickt verständnisvoll. Na ja, aus diesem Grunde habe er halt keine engen Freunde. Außer mir natürlich. Dann täte es auch nicht so weh, wenn man Abschied nehmen müsse. Auch eine Art, die Dinge zu betrachten. Ob er denn nicht oft einsam wäre? Doch, schon, aber da gewöhne man sich dran. Die meisten Leute hielten ihn sowieso für nicht ganz richtig im Kopf, weil er so intensiv übe. Es folgt ein sehr langes Gespräch über Einsamkeit, Freundschaft und mal wieder den Unterschied zwischen Deutschland und China.
Danach geht es mir dann besser und mit Tuishou klappt es auch halbwegs.
Skype mit Ali, der mir von Spargelorgien berichtet. Mehrere Ausgaben des „Spiegel“ hat er mir per Post geschickt, freue mich auf ein Päckchen aus der Heimat. Schade, dass man Spargel nicht auch verschiffen kann. Aber jetzt bin ich wieder einigermassen gut drauf.
06.06.2010, Sonntag
Vormittags:
Xiao Lu ist nicht im Park, also setzte ich mich auf ein sonniges Bänkchen, schaue den Schwertdamen zu und lese ein wenig. Meister Wu schlendert gut gelaunt herbei, als wir mit den Einzelbewegungen beginnen, keucht auch atemlos die kleine Zappelmaid heran. Kaum dass wir begonnen haben, kommt ein alter Bekannter des Meisters vorbei, mit dem er dann auch ausgiebig quatscht. Wir sollten dann mal schön weitermachen, weist er uns an. Kein Problem für mich, denn ich kann ja schon die meisten Einzelbewegungen, aber die Zappelmaid ist ganz schön überfordert. Sie fingert an ihren Schuhen rum, rennt dauernd zu ihrer Tasche und schaut auf ihr Phon und macht ihrem Namen alle Ehre. Die Blöße, mir die Bewegungen einfach nachzumachen, will sie sich ja auch nicht geben. Als absehbar wird, dass Meister Wu heute in Plauderstimmung ist, fügt sie sich zähneknirschend in ihr Schicksal. Korrigieren tue ich sie natürlich nicht, fühle mich dazu nicht befugt. Aus den Augenwinkeln nehme ich den hässlichen jungen Typen wahr, der mit dem wohl albernsten Strohhut, den ich je gesehen habe, anschlurft. Hackfresse plaudert erstmal mit der Maid, die über diese willkommene Ablenkung ganz froh ist. Wir laufen eine Schrittfolge, dann tritt ein eigentlich ganz sympathischer junger Mann schüchtern an den Meister heran. Er übt Pigua und hätte gerne mal des Meisters Meinung zu diversen Übungsmethoden gewusst. Natürlich darf er mal eine Probe seines Könnens geben und jetzt ist Meister Wu in seinem Element. Die nächsten eineinhalb Stunden wird nur doziert, zwischendurch wird mein Yingquan unter den kritischen Blicken etlicher fachkundiger Zuschauer korrigiert. Und da ist der Meister natürlich jetzt besonders penibel, kann ihm nichts recht machen. Ein Übergang in einen Stand auf einen Bein ist ihm nicht schwungvoll und hoch genug, so werde ich zur Demonstration erstmal farblos von den Beinen geholt. Aua. Ist aber ganz in Ordnung so, ich lerne was und der Meister steht gut da. Damit er noch besser dasteht, übe ich weiter, während Meister Wu den jungen Mann belehrt. Hackfresse hat seinen Strohhut an einen Baum gehängt und übt für sich Einzelbewegungen. Trotzdem für mich eher langweilig und unbefriedigend, denn einen großen Teil der Geschichten kenne ich schon und wegen meines miesen Chinesisch entgehen mir wichtige Details, die ich mir aber trotzdem aufschreiben lasse. Kann mir Ying ja dann übersetzen.
Zum Vorführen der Form schickt der Meister sein zur Zeit bestes anwesendes Pferd im Stall, nämlich mich, an den Start. (Warum ist der blöde Xiao Lu auch nicht hier!) Wieder heftige Kritik, aber als der Meister, ich und die Zappelmaid anschließend einen Teil der Form gemeinsam vorturnen, stehe ich wohl nicht mehr ganz so schlecht da.
Da er noch unbedingt Anwendungen demonstrieren will, muss Hackfresse ran. Frauen werden eher ungern verdroschen, obwohl auch ich schon einige üble Tritte und Hiebe kassiert habe. Klatsch, Peng, Bums, kann gar nicht so schnell gucken, der Meister sagt „Buhaoyisi“ (Entschuldigung), die Umstehenden machen „Oooooh“ und Hackfresse blutet aus der Nase. Die Maid zirpt leise Laute des Bedauerns und zappelt zu ihrer Tasche, aus der sie Papiertaschentücher kramt, während Hackfresse cool und kerlig abwinkt. Jungs, nichts wirkt auf eine Frau abtörnender als ein Verehrer, dem blutige Papiertaschentücher aus dem Rüssel hängen, während seine Rübe von einem albernen Strohhut gekrönt wird.
Nach dem Training meint der Meister, für mich sei das ja heute eher unbefriedigend gewesen und er und der eifrige Fragesteller entschuldigen sich. Macht doch nichts, mei guanxi.
Anscheinend sind für Chinesinnen nasenblutende Verehrer doch nicht so ganz unsexy, den die Maid und Hackfresse verschwinden ziemlich schnell gemeinsam, warum, kriege ich so schnell nicht mit. Vielleicht will sie seine Wunden pflegen.
Auf dem Weg zum Ausgang meint der Meister, jetzt müsse ich aber sehr dringend an der Ausführung und der richtigen Haltung der einzelnen Positionen von Ying Quan arbeiten, das Grundgerüst stehe ja jetzt. Lilo wird noch mal lobend erwähnt, auf den Fotos von der Kranich- Aufführung habe sie eine sehr gute Haltung. (Für die Sinologen: Der Begriff ist 架子, Jiazi, ziemlich komplex). Ja, bin wild entschlossen.
Nachmittags:
Xiao Lu wird erstmal schadenfroh berichtet, dass Hackfresse sich heute morgen eine blutige Nase geholt hat. Der lacht schallend und ist ganz offensichtlich hoch erfreut. Hackfresse pflegt wohl regelmäßig in der Spielhölle von Mrs. Xiao Lu abzuhängen und ihm dummes Zeug ins Ohr zu drücken, was ihm ordentlich auf den Zeiger geht. Bestimmt käme der auch heute Abend, um ihm was vorzujammern. Xiao Lu meint, Hackfresse wäre wohl eher schlichten Gemütes und habe was an der Klatsche. Was der denn arbeiten würde? Na, nichts. Das sei aber für chinesische Jugendliche ohne Hochschulabschluss nicht ungewöhnlich. Wenigstens ist Xiao Lu´s Göre unter, die verkauft jetzt Kosmetika in einem Kaufhaus.
Nach dem Geläster bin ich gut drauf und freue mich. Diesmal vertiefen wir eine Schrittfolge namens „Lü“, die eigentlich nicht sehr kompliziert aussieht, aber ganz schnelle Gewichtswechsel und Schläge enthält. Also doch sehr kompliziert ist. Xiao Lu will natürlich, dass ich die ganz schnell und mit Fajing laufe, steht hinter mir und zählt mit, ich komme ganz schön ins Schwitzen. Er meint immer, ich soll mir das wie Walzer oder so vorstellen. Hier treffen traditionelle chinesische Trainingstechniken und deutscher Perfektionsdrang aufeinander, von keinem anderen Mann der Welt würde ich es mir gefallen lassen, mit einem Stock gehauen zu werden.
Zwischendurch kommen wir mal auf das Eheleben in unseren jeweiligen Ländern zu sprechen, wurde heute Nachmittag Zeugin eines heftigen Streites, Dinge gingen in der Wohnung über mir zu Bruch und flogen aus dem Fenster. Na ja, im Westen sei es doch üblich, dass die Typen mit ihren Kumpels söffen und anschließend ihre Weiber vertrimmten, meint Xiao Lu. Gott, was zeigen die hier denn im Fernsehen?! Im China sei das nicht so. (Halte ich für ein Gerücht. Vielleicht denkt er, ich sei wegen meines saufenden und prügelnden Ehemannes nach Shanghai geflüchtet?) Todernst sage ich, das sei keineswegs so. In Deutschland würden vielmehr die Weiber ihre Gatten verdreschen und zwar, ohne zu saufen. Das habe ich in Shanghai auch schon öfters beobachtet und sei ganz froh über diese kulturelle Gemeinsamkeit. Xiao Lu wird blass. Nein, nein, nein, stimmt so nicht! (Dazu muss man mal sagen, dass in China die Shanghaier Männer den Ruf haben, unter dem Pantoffel zu stehen). Natürlich sind die Shanghaier Männer jederzeit Herr der Lage. Ja, klar.
Nach der intensiven Korrektur durch Meister Wu heute morgen ist er denn mit Ying Quan auch recht zufrieden und meint, das sei meine beste Form, besser als Taizu. Sehe ich zwar nicht so, aber ich denke, diese Form ist auf dem Weg, meine beste zu werden.
Bald wird hier in Shanghai der Pflaumenregen einsetzen, ein Monat Hitze und ununterbrochen Regen, also kein Training. Bin deswegen etwas traurig, nicht so schlimm, meint Xiao Lu. Dann kommt er halt mal wieder vorbei und wir können Tuishou üben. Auf einmal scheint der Pflaumenregen nicht mehr so unerfreulich. Nächste Woche mal wieder Samstag und Sonntag arbeiten, dafür haben wir dann wegen des Drachenbootfestes drei Tage hintereinander frei. Hoffentlich fängt die Regenzeit nicht gerade dann an.
Zu Hause versuche ich das Jiachang Doufu zu basteln, aber statt hübsch knusprig zu werden schrumpft das Zeug nur. Esse trotzdem auf und habe anschließend Magenschmerzen. Wische meine Bude auf und habe immer noch schwarze Krümel unter den Füßen. Wegen des guten Wetters habe ich Tag und Nacht die Fenster geöffnet und meine Wohnung dreckt schneller ein, als man „Spundekäs“ sagen kann. Habe die Schnauze voll, eines ist klar: Eine Ayi muss her!
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丽露第二 – Lilo #2
Anruf von Lilo, ist glücklich in meiner Bude angekommen. Fein!
Wir treffen uns im Starbucks im Volkspark, sie zeigt mir ihre bei einem Streifzug durch die Fuzhou Lu erbeuteten Schätze. War ja klar, dass Lilo auch von dem Laden, in dem ich meine kleinen Wackeltiger gekauft habe, magisch angesogen werden würde. Sie schenkt mir ein nützliches kleines Mobilfon- Gebamsel, mit dem man das Anzeigefeld des Fons säubern kann. Das wird sogleich an der Wunderwaffe befestigt und ausprobiert, endlich habe ich auch Gebamsel mit Glöckchen an meinem Phon. Muss man in China einfach haben.
Nach einem entspannten Kaffee besuchen wir die „Hello Kitty“ Hölle im Times Square und staunen über die Masse an Kitsch. Wir bescheiden uns mit kitschigen Aufklebern, auf dem Weg zur Metro kommen wir an der Cyberworld vorbei. Lilos Augen leuchten auf, hatte ihre Affinität zu elektronischen Spielereien voll vergessen. Bin schon zu lange von zu Hause weg. Natürlich wird Cyberworld aufgerollt und Lilo findet ein Teil, auf das man chinesische Zeichen schreiben kann, die dann am Bildschirm in Schreibschrift umgesetzt werden. Nicht schlecht, nach ein wenig Ausprobieren und Gefeilsche wechseln 210,- RMB den Besitzer und unsere 1. Vorsitzende strahlt. Ich bestehe noch auf eine Quittung, man weiss ja nie.
Schleppe Lilo in die Taikang Lu, aber da es schon spät ist und wir beide hungrig, verzichten wir auf weiteres Shopping und gönnen uns gepflegt eine sehr ordentliche Pizza und leckere Getränke. Erwartungsgemäß findet Lilo die Taikang Lu prima, morgen trifft sie sich mit ihrer Freundin Tori, die ich ja auch schon kennen gelernt habe. Und der will sie das denn unbedingt zeigen. Wir fahren mit dem Taxi nach Hause und klönen noch ein wenig, muss ja morgen arbeiten. Bin total glücklich, wieder jemanden aus Mainz hier zu haben und kann vor lauter Freude kaum schlafen.
04.06.2010, Freitag
Keine Lust, schon um 6.00 aufzustehen, penne daher eine Stunde länger und gerate in die blöde Metro- Sperrzeit. Auch keine Lust, auf die Öffnung meiner Station zu warten und auf die Drängelei, also nehme ich ein Taxi ins Büro. Schlechte Idee, der Taxifahrer kennt die Adresse nicht und braucht Nachhilfe mittels des chinesischen Stadtplanes. Hauptverkehrszeit, der Verkehr kriecht dahin. Wegen der Wärme sind die Fenster des Taxis weit geöffnet, so dass die Abgase hübsch in das Fahrzeug eindringen. Als ich halb ohnmächtig im Büro ankomme, habe ich fast eine Kohlenmonoxyd- Vergiftung sowie das dringende Bedürfnis, mir die Zähne zu putzen. Nie wieder, lieber ganz früh aufstehen.
Nach der Arbeit treffe ich die Mädels in der Taikang Lu beim Inder, die beiden haben schon die Hälfte der Geschäfte abgefrühstückt und nette Sachen gekauft. Bewunderung der Einkäufe, wir stärken uns mit guten Speisen. Die Toilette beim Inder zählt wirklich zu dem abgefahrensten, was ich je gesehn habe.
Dann geht das Shopping- Programm weiter, gleich neben dem Inder stolpern wir über einen Schuhladen mit sehr geschmackvollen schlichten Modellen. Handarbeit, wie sich herausstellt. Lilo und mir fällt gleich ein Paar hübsche Ballerinas aus hellbraunem Wildleder ins Auge. Schugröße steht keine drin, aber die Verkäuferin meint, das müsse so um die 40 sein. Mir passen die Schuhe wie angegossen und für 400,- RMB nehme ich die doch gerne mit. Für eine derartige Qualität hätte ich in Deutschland aber locker das dreifache bezahlt. Außerdem haben diese Schuhe unter der Leder- noch eine dünne aber sehr griffige Gummisohle. Wichtig, denn bei Regen können sich hier die Straßen schon mal in Rutschbahnen verwandeln. Wir kaufen noch schicke Armbänder, verfremdete Propagandagemälde (meines zeigt einen Soldaten, der statt einer Knarre eine Flasche Tiger Bier in den Händen hält) und Lilo entschließt sich nach langem Ringen auch noch zu dem Erwerb eines schönen Kaschmirschales.
Befriedigt begießen wir unsere Schätze mit ein paar Getränken in einer lauschigen Bar, Tori und ich preisen laut unser Glück, in einer derartig geilen Stadt leben zu dürfen. Lilo muss ja morgen wieder fahren und ist etwas wehmütig, aber in ein paar Monaten kommt sie ja wieder. Ich freue mich, ihr auch mal ein paar andere Ecken dieser Wahnsinns- Stadt gezeigt zu haben, langsam wird aus ihr hoffentlich eine richtige Shanghaierin. Na ja, Stadtplan, Metrokarte und Wohnungsschlüssel hat sie ja jetzt schon.
Noch ein wenig klönen in der Wohnküche, der Tiger- Bier Kamerad wird standesgemäß über dem Kühlschrank angebracht. Bin mal gespannt, wo Lilo ihr Bild installieren wird. Alles in allem ein wunderschöner Abend, bin richtig traurig, dass Lilo morgen früh schon wieder weg muß.
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Sonntag, Juni 06, 2010
练功 – Training
Nachdem ich letztes Wochenende wegen Regens/ Vergesslichkeit meines großen Bruders nur Sonntag Mittag geübt habe, will ich dieses Wochenende mal wieder fleißig sein. Samstag morgen jedoch regnet es leicht, also ausschlafen. Xiao Lu hatte ich letzte Woche schon beim Meister per SMS verpetzt, heute fahre ich mittags in den Park und lasse mich überraschen.
Tatsächlich ist Xiao Lu sehr pünktlich und wir üben sehr gewissenhaft. Er hat beschlossen, sein ambitioniertes Projekt „Beste- Tongbei- Schnalle- der- Welt“ voll durchzuziehen und ist dementsprechend kritisch. Vor allem bei den Schrittfolgen. Denn die kann man nicht nur langsam, sondern auch sehr schnell mit einer kontinuierlichen Abfolge von schnellen, präzisen Schlägen laufen, wobei die Ärmel ordentlich knallen sollten. Aber dazu muss man die natürlich erstmal begriffen haben. Und da ich bei der Verteilung der Kampfkunst- Gene nicht laut genug „Hier!“ geschrieen habe, kriege ich das nicht so wirklich gut auf die Reihe. Aber was soll es, das ist wirklich hohe Schule und das sieht widerwillig sogar Xiao Lu ein. Trotzdem bin ich jetzt in meinem Ehrgeiz gepackt, das sollte doch irgendwie hinzukriegen sein.
Irgendwie kommen wir auf Schönheitsideale und versuchen zu erheben, wen wir denn so an international bekannten Stars sexy fänden. Xiao Lu versucht es zunächst mit Ronaldo oder Ronaldinho. Waas? Kröten! Tom Cruise? Troll, viel zu klein! Alain Delon? Der sei doch wirklich elegant und schön anzuschauen? Ääääh, nicht so mein Typ, und mittlerweile ja wohl auch etwas in die Jahre gekommen. Er gibt auf, wen ich denn cool fände? Jetzt bin ich ganz schön in Verlegenheit und nenne etwas lahm George Clooney. Ah, den kennt er! Na ja, zugegebenermaßen finde ich George Clooney nicht wirklich sexy, aber ich könnte mir vorstellen, dass man mit dem bestimmt gut in seiner Prunkvilla am Comer See in Gammelklamotten vor der Glotze abhängen und dummes Zeug labern kann. Außerdem finde ich seine Rollenwahl sehr respektabel und Batman war er ja schließlich auch mal.
Herr Clooney möge mir verzeihen. (Stefanie und ich hatten da mal ein Projekt, aber das zu schildern, würde jetzt zu weit führen). Jetzt ist aber Xiao Lu an der Reihe, wen er denn sexy fände? Hektisches Überlegen, schließlich leuchten seine Augen auf und er meint, die Tussi aus „Titanic“. Ah, Kate Winslet? Begeistertes Kopfnicken. Dann sollte er ja eigentlich auch Stefanie sexy finden, schließlich ist die auch so kurvig? Neeneenee, dünn findet er Kate Winslet besser. Höflichkeit der Chinesen, da ich so ein dürrer Stecken bin, will er mir halt nicht wehtun.
Ying Quan, jetzt geht es darum, die Bewegungsabläufe grob zu lernen. „Piaoliang“ kommt dann später. Und das wird jetzt echt richtig fies, Sprünge und Punktlandung in ganz tiefen Positionen mit anschließenden Tritten. Tui Shou und da ich beschlossen habe, das Ganze sportlich zu nehmen, klappt das auch einigermaßen. Xiao Lu ist erfreut und meint, ich könne schon jetzt Anfänger eintüten. Scherzhaft entgegne ich, eines Tages würde ich ihn auch packen. Ja, dann wird er mich mit „Beidina Laoshi“ anreden. Wir müssen beide lachen, dieser Tag wird so schnell nicht kommen.
Budeputzen ist angesagt, da hier die Tage auch mittlerweile geringfügig länger werden, beschließe ich voller Übermut, meine Fenster zu putzen. Wie gesagt, nicht gerade meine Spezialdisziplin. Stefanie geht online, langer Chat, mittlerweile ist es dunkel. Egal, weiterputzen. Über Shanghai hängt ein unglaublicher satter Vollmond, den will ich klar sehen können.
30.05.2010, Sonntag
Vormittags:
Strahlender Sonnenschein, natürlich sehen die Fenster aus wie Sau.
Hatte bei Abendbrot zwei Mohnbrötchen und ein Marzipanhörnchen bestellt, ist noch nicht geliefert, Mist. Auf meinem Stockwerk wird gerade eine Wohnung renoviert und der Aufzug ist sowieso Dauerbaustelle, traue zwar meinen Nachbarn, nicht aber den Handwerkern. Einer hockt im Gemeinschaftsflur und bestreicht den in voller Atemschutzmontur mit einem zahnbürstengroßen Pinselchen.
Aber ich muss unbedingt heute Vormittag ins Training. Zum einen, weil Meister Wu sonst denken könnte, dass ich lieber mit Xiao Lu als mit ihm übe. Und in diesem Fall bräuchte ich mich nicht mehr blicken lassen. Zum anderen, weil ich endlich den Umschlag mit der Knete für letzten Monat loswerden will.
Fange den Abendbrot- Lieferator unten am Aufzug ab. Ich bin glücklich, dass ich meine Lieferung gerettet habe, er ist glücklich, dass er nicht hochfahren muss. Wir beide sind glücklich, dass wir uns endlich mal kennen gelernt haben, geht doch nichts über persönliche Beziehungen.
Kein Xiao Lu heute Vormittag, schicke um Punkt 9.00 eine SMS an Meister Wu, ob er denn käme, um meinen Lernwillen zu untermauern. Logo, er ist unterwegs.
Ziehe mich um und beginne dann unter den kritischen Blicken des Stammpublikums, Einzelbewegungen zu üben. Das ist das allererste Mal, dass ich wirklich ganz alleine vor mich hin übe, eine echte Herausforderung. Und das Stammpublikum tut natürlich so, als wäre es voll mit seinem eigenen Kram beschäftigt, nimmt aber aus den Augenwinkeln sehr genau zur Kenntnis, was ich da gerade mache. Ich schwitze eine halbe Stunde lang Blut und Wasser, da mir das alles natürlich voll bewusst ist. Aber diese halbe Stunde bedeutet einen enormen Gewinn an Gesicht für Meister Wu. Schaut mal, seine ausländische Schülerin, letzte Woche und gestern warum auch immer nicht da, aber die legt sich jetzt voll ins Zeug. Wird wohl ihre Gründe gehabt haben, wenn die jetzt so fleißig ist, da will die bestimmt vor ihrem Meister gut dastehen. Also muss der Meister das wert sein. Also muss das ein echt guter Typ sein, wenn sogar Ausländer das denken. Chinesische Logik. Und Meister Wu ist natürlich das alles wert.
Stopfe diskret den Umschlag in des Meisters Rucksack, der der Form halber abzuwehren versucht. Da nur die Zappelmaid und ich anwesend sind, wird Anfängerprogramm gefahren, sorfältiges Üben der Einzelbewegungen. Meine Freundin, die Shanghaier Hausfrau schießt auf die Zappelmaid zu, nimmt sie in den Arm, zeigt auf mich und sagt der Maid, ich wäre ja soooo gut. Anschließend sagt sie das auch noch mal zu mir. Klar bin ich gegen so Tröten gut und das übertriebene Lob macht mich verlegen, aber dass der Maid das derartig unter die Nase gerieben wird, geht doch runter wie Öl.
Meine Ying Quan wird aber vom Meister ausgiebig korrigiert und der ist sehr kritisch. Grundgerüst ist da, jetzt kommt der Feinschliff. Die Maid darf nicht mitmachen, sondern muss von der Seite zugucken. Das hält sie aber nicht davon ab, die Bewegungen trotzdem irgendwie mitzuhampeln, was mich schier rasend macht. Egal, bin mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass die Maid nie richtig gut werden wird.
Nachmittags:
Stehe im Aufzug, ein Herr mustert mich unverhohlen von oben bis unten. Schließlich stellt er fest: „Deutsche. Du bist Deutsche.“ Äh, ja, wie er denn das habe erkennen können? Ja also, er sei Metro- Fahrer und da einige der Züge von Siemens seien, wisse man so was halt. Interessant. Besitze mittlerweile einige Elektrogeräte von Philips, aber ob ich deswegen Holländer eindeutig zuordnen kann? Egal, für mich hat jetzt die sonore Stimme, die morgens in der Metro immer irgendwelche Anweisungen an die Passagiere bellt, ein Gesicht.
Warte den „Spiegel“ lesend auf einer Bank in der Sonne auf Xiao Lu, der sich neckisch vor mir zu verstecken sucht. Dafür kriegt er mit der Zeitung auch erstmal eins übergebraten.
Meine Trainingsschuhe fallen fast auseinander, na gut, dann gibt es nächste Woche neue. Super Wetter, ich werde ordentlich gedrillt und schwitze wie verrückt. Zum Glück habe ich mir bei Emoi ein schickes kleines Handtuch besorgt, das wird von Xiao Lu wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Noch mehr Sprünge und Tritte bei Ying Quan und dann sind wir mit der Form durch. Wow. Aber da ist noch sehr, sehr viel Arbeit zu leisten. Egal, ich finde diese Form echt wunderschön und bin wild entschlossen, sie richtig gut zu lernen. Und an den anderen Formen kann auch noch gut gearbeitet werden, dann werde ich vielleicht irgendwann mal über Säbel nachdenken.
Tuishou klappt mittlerweile auch so einigermassen, wenigstens begreife ich die Grundprinzipien. Trolle mich befriedigt nach Hause und verspeise mein Mohnbrötchen mit lecker Tomatenrührei. Das Leben ist schön.
Gebabbelt: Bat um 17:19 0 Kommentare
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