Mittwoch, Juni 16, 2010

放假第三次 – Ferien #3

14. 06. 2010, Montag

Vormittags:

Stürme an meinen Rechner und nehme hoch erfreut zur Kenntnis, dass unsere Jungs die Australier 4:0 geschlagen haben. Gut, dass ich mir schon am Hongkou- Stadium für 90,- RMB ein gefälschtes Deutschland- Trikot nebst Hosen gekauft habe, die Preise dürften jetzt in die Höhe schnellen. Fahre gut gelaunt in den Park, wo Xiao Lu schon fröhlich übt. Ob ich gestern Nacht Fußball geschaut hätte? Nee, aber ich teile ihm das Ergebnis mit. Wahnsinn, 4:0, wirklich? Lihai. Meister Wu ist ebenfalls gut drauf, wir üben intensiv, obwohl das Wetter sehr schwül ist. Mir läuft die Brühe aus allen Poren, wie soll das hier erst im Sommer werden? Für Xiao Lu und mich gibt es Fortgeschrittenenprogramm und viele Korrekturen, für die kleine Zappelmaid eher langweilig. Da unterhält sie sich doch lieber mit Hackfresse, der seinen albernen Strohhut wedelnd das Geschehen vom Rande aus beobachtet. Die Weiber von der Wu- Stil Gang sind auch mal wieder da, stehen aber nur rum, quatschen und verteilen Kekse. Meister Wu greift einen für mich ab, die Zappelmaid kriegt keinen. Auf dem oberen Teil unseres Geländes üben immer zwei Typen Xing Yi, Ba Gua und diverse Waffenformen, heute wollen sie das Gelände mal ein wenig verschönern und buddeln deswegen einen Felsbrocken aus, der scheinbar beim Üben stört. Typisch chinesisches Phänomen: Zwei Leute verrichten eine Arbeit, die nicht wirklich sinnvoll erscheint, während acht Leute drum herum stehen, gute Ratschläge erteilen und zuschauen. Das hatte ich heute morgen schon bei der Dauerbaustelle unseres Aufzuges beobachten können.
Auch Meister Wu nimmt erstmal auf einem Stein Platz, zündet sich eine Zigarette an und erteilt Anweisungen. Xiao Lu muss mit anpacken, schließlich rollt der Felsen in die gewünschte Position und alle sind zufrieden.
Morgen unterrichtet Meister Wu im Volkspark, da habe ich nur mäßig Lust drauf, obwohl ich die anderen Ausländer ja schon gerne mal wieder sehen würde. Die Zappelmaid wird wohl hingehen, noch ein Grund, lieber im Heping- Park mit Xiao Lu zu üben.
Auf dem Weg zum Ausgang laufen Xiao Lu und ich hinter Hackfresse, der den Meister vollsabbelt. Xiao Lu zeigt auf den bescheuerten Strohhut und tippt sich anschließend an die Stirn. Ich muss so sehr lachen, dass ich fast umfalle.
Besorge mir bei Carrefour Obst und Yoghurt, in der Fernsehabteilung läuft eine Wiederholung des Deutschlandspieles. Bleibe stehen und schaue ein wenig zu. Vuvuzelas gehen mittlerweile sogar Chinesen auf die Nerven. Ein Verkäufer zeigt auf mich und brüllt: „Deguoren“!!! Nachdem ich nickend bejahe, wirft er die Arme in die Luft und brüllt „Balake!!“ Ich weise höflich darauf hin, dass Herr Ballack leider an dieser WM verletzungsbedingt nicht teilnehmen könne, das weiß der Verkäufer natürlich, das alte Beinproblem. Aber wir haben ja noch Keluosi und Shiweiyinsitaige, die werden das Ding schon schaukeln. Der Verkäufer reckt mir den nach oben zeigenden Daumen entgegen, Deguo shi zui hao de, die Deutschen sind die Besten! Logo.

Nachmittag:

Mache es mir zu Hause auf dem Sofa bequem und schaue die Zusammenfassung des Spiels, als um eins meine Ayi kommt. So was blödes, wollte eigentlich zwischen den Trainingseinheiten ein Nickerchen halten. Aber so lernen wir uns wenigstens mal kennen.
Shen Ayi ist eine sehr resolute typische Shanghaierin in den Fünfzigern, die gleich kernig ans Werk geht. Dass sie heute auch Fenster putzen und bügeln soll, findet sie scheinbar mäßig geil, lässt sich aber die dafür nötigen Gerätschaften zeigen. Ich flüchte eingeschüchtert in Richtung Park, mittlerweile nieselt es leicht. Mist, hoffentlich kommt Xiao Lu. Setze mich in ein nettes Cafe, bestelle einen Cappucino und kann der Versuchung nicht widerstehen, auch noch einen fetten Schoko- Caramelkuchen zu ordern. Lese ein wenig, schließlich ist es Zeit zum Training. Und mit einem 3.000 Kalorien Kuchen im Pansen trainiert es sich natürlich besonders gut.
Xiao Lu möchte am liebsten gleich mit Tui Shou loslegen, aber erstmal sind Einzelbewegungen, Schrittfolgen und Formkorrektur angesagt. Da ich neue Schuhe habe (Geschenk von Xiao Lu) und der Boden leicht feucht ist, klappen die Drehungen und das Gleiten in tiefe Positionen so gar nicht. Bin richtig sauer auf mich, aber mein großer Bruder findet das nicht schlimm. Ist halt so.
Was ich an dem Einzeltraining mit ihm außer Korrekturen noch außerordentlich zu schätzen gelernt habe, ist die Chance, Chinesisch zu sprechen und von ihm einiges über die chinesische Kultur zu lernen. Heute zum Beispiel erklärt er mir seinen Namen. Chinesische Vornamen setzen sich meistens aus zwei Zeichen zusammen, wobei eines der Generationsname ist. Bei Xiao Lu ist das „Ying, 应, sollen“. Alle seine Brüder haben dieses Zeichen im Namen. Das zweite Zeichen ist dann der individuelle Name, in seinen Fall „Liang, 梁, Stützbalken“. Finde ich als Architektin natürlich interessant. Aber es geht noch weiter: Der untere Teil seines Zeichens bedeutet „Holz“. Deswegen mag Xiao Lu kein Wasser und kein Feuer. Wie ein Baum muss er mit der Erde verbunden sein. Er kann nicht schwimmen und wird schnell seekrank. Ist jetzt natürlich blöd, also keine Grillpartys am Strand mit ihm. Über Hackfresse ist er nicht glücklich, der kommt wohl jeden Abend vorbei, wenn er trainiert und textet ihn zu. Noch schlimmer, Hackfresse befummelt dann Xiao Lus Übungsgerät und versucht ihm was über die richtige Anwendung diverser Einzelbewegungen zu erzählen. Würde mir nie einfallen. Xiao Lu stöhnt und als ich Hackfresses Benehmen als sehr unhöflich bezeichne, stimmt er eifrig zu. Hackfresse ist zwar ein großer Kerl und erwachsen, aber im Geist ein ungezogenes Kind und nicht sonderlich helle. Na, warum er ihm denn nicht sagen würde, dass er sich verpissen soll? Geht nicht, Hackfresse würde dann Gesicht verlieren. Mann, China ist kompliziert. In wie viele Fettnäpfe bin ich wohl schon gelatscht?
Über chinesische Frauen wird auch noch mal gesprochen, ich klimpere mit den Augen und meine, die Deutschen wären alle sehr brav und würden auf ihre Männer hören. Xiao Lu guckt verwirrt, letzte Woche war doch da eine andere Ansage? In dem Moment, wo ich dies sage, weiss ich, dass mein Gatte sich jetzt bestimmt vor Lachen schreiend auf dem Boden wälzt.
Tui Shou wird langsam immer interessanter, vor allem, was die Lockerheit angeht. Xiao Lu macht es vor, sieht aus, als ob er vollgesoffen wäre. Aber genau diese Entspanntheit und Nachgiebigkeit muß man sich zu eigen machen, ohne die Kontrolle über den Gegner zu verlieren. Und das ist echt schwierig, locker, aber nicht schlaff zu sein. Schaffe es, seine Schwachstelle zu entdecken und ihn ein paar Mal aussteigen zu lassen, aber natürlich ziehe ich meist die Kürzere.

Abend:

Knalle kurz vor dem Schlafengehen mit meinem linken kleinen Zeh volles Rohr an die Tür. Krümme mich vor Schmerzen und flippe fast aus. Na ja, wird hoffentlich schon gehen.

15.06.2010, Dienstag

Vormittag:

Mein kleiner Zeh ist eine fette blaue Wurst und mein Kreislauf im Keller. Meine Kontaktlinsen habe ich auch noch ruiniert, indem ich sie gestern mit Chili an den Fingern aus den Augen gepult habe. Egal, zwänge meinen Fuß in den Schuh und humpele rotäugig zum Bus. Wegen meiner Behinderung bin ich superlangsam und fast zu spät im Park, wo Xiao Lu schon übt. Meister Wu kommt heute nicht, da er im Volkspark die anderen Ausländer bespielt. Mein Plan war eigentlich, da auch noch hinzufahren, kann ich mir aber wohl abschminken. Wir üben Einzelbewegungen und auf einmal zischt Xiao Lu verärgert. Denke schon, ich hätte was falsch gemacht, aber er hat von Ferne Hackfresse erspäht. Wir hatten eigentlich beide gehofft, dass der heute nicht käme, da ja die kleine Zappelmaid auch im Volkspark ist. Zu früh gefreut. Gestern ist Hackfresse Xiao Lu wohl ganz besonders auf den Zeiger gegangen, weswegen dieser maximal angenervt ist. „烦死了“ knurrt Xiao Lu, ein Ausdruck höchsten Missfallens. Hackfresse hatte wohl gehofft, heute alleine mit Xiao Lu zu sein und übt grummelnd Einzelbewegungen.
Meine Schrittfolgen und Mian Zhang klappen natürlich überhaupt nicht, ich schwitze nicht nur wegen der Hitze, sondern auch vor Schmerzen. Zeige Xiao Lu den Zeh, er ist beeindruckt. Dabei lernt er auch gleich noch das Wort „Autsch“, was ihm außerordentlich zu gefallen scheint. Hackfresse trollt sich und wir üben Tui Shou.
Ob es denn nachmittags gehen würde, fragt Xiao Lu. Klar, Tui Shou geht immer.

Nachmittag:

Wir treffen uns, werde mit „Autsch“ begrüßt und wir üben Tui Shou. Ich bin total unglücklich über meine Behinderung. Hatte so gehofft, über die Feiertage heftig trainieren zu können. Morgen Nachmittag kein Training, sagt Xiao Lu, ich soll den Fuß schonen. Aber bevor ich noch enttäuschter bin, meint er, er käme dafür bei mir zum Teetrinken vorbei. Na, das sind doch gute Aussichten!

Als ich auf meinem Rückweg aus dem Bus aussteige, entdecke ich eine ziemlich große Apotheke, die auch eine Abteilung für traditionelle chinesische Medizin hat. Schildere der stark kurzsichtigen PTA mit Hilfe des Wörterbuches und eindrucksvollen Gesten mein Problem, die daraufhin sehr sorgfältig ein Buch konsultiert. Schließlich gibt sie mir ein paar Kräuterpflaster, weist jedoch darauf hin, dass die bei einem Knochenbruch auch nicht wirklich hilfreich wären. Egal, schaden kann das ja nichts. Nachdem ich mich überzeugt habe, dass diese Pflaster keine Tigerbestandteile enthalten, kaufe ich sie.
Zu Hause kühle ich den Zeh mit einer eigentlich für die Augenpartie vorgesehenen Eismaske, während ich mir die Begegnung Neuseeland- Slowakei anschaue. Appliziere das Pflaster und schleppe mich noch vor dem neuseeländischen Ausgleichstreffer krank, erschöpft und traurig ins Bett. Morgen ist ja auch noch ein Tag.

16.06.2010, Mittwoch

Vormittag:

Um 6:00 reißt mich eine SMS von Marc aus unruhigem Schlaf: Mein Tipp für Südafrika gegen Uruguay? Aber die spielen doch erst morgen? Ja, morgen um 2:30. Na gut, ich tippe 2:2. Da ich schon mal wach bin, kann ich auch gleich aufstehen. Der Zeh scheint wieder schlimmer, reiße das Pflaster ab und hinke unter die Dusche. Gemütliches Frühstück, beim Schuheanziehen merke ich, dass der Zeh doch anscheinend weniger dick ist. Ob das jetzt an der Kühlung oder der Chinesischen Medizin liegt, weiss ich nicht.
Bin sogar einige Minuten vor Xiao Lu im Park und genieße unser gemeinsames Aufwärmen. Eine Stunde später zappelt die Maid an und begrüßt uns, wird jedoch ignoriert. Daraufhin traut sie sich nicht, mit uns mitzumachen.
Meister Wu kommt wenig später und fragt Xiao Lu erstmal, welche Bewegungen wir denn schon geübt hätten? Na, wir beide so einige, die Maid soweit nichts. Wir fangen an und dann gesellt sich auch noch Andy zu uns. Da seine Frau die ganze Nacht von dem Neugeborenen wach gehalten wurde und jetzt total erschöpft ist, hat er seine ältere Tochter mitgebracht, ein süßer und sehr temperamentvoller Fratz. Die Chinesen sind außer sich vor Entzücken und Sarah steht voll im Mittelpunkt. Sie entdeckt einen Typen, der seine zahmen Tauben spazieren führt und saust auf ihren Rollschuhen zu ihm hin. Der Typ schenkt ihr eine Taubenfeder, Sarah ist beglückt. Ich weiß, dass Meister Wu Andy sehr gut leiden kann. Moralisch integer und ein freundlicher, glücklicher Mensch, der sich um seine Familie kümmert. Nicht so wie Judd.
Heute ist im Park die Hölle los. Ein Typ stellt seinen Klappstuhl auf unserem Trainingsgelände auf und fotografiert uns am laufenden Band. Hackfresse filmt uns, etliche andere Typen schießen auch Fotos wie verrückt. Ich füge mich zähneknirschend. Andy lernt gerade Mian Zhang, deswegen wird das heute vertieft. Jetzt filmt auch die Zappelmaid mit ihrem Mobilfon, schieße ihr den bösesten Blick zu, den ich auf Lager habe. Bin mit Mian Zhang schon unbehindert nicht sehr gut, deswegen stören mich heute die Fotografen ganz besonders. Aber ich denke, dass die in erster Linie Meister Wu ablichten, wenn nicht, ist auch egal.
Ying Quan läuft er mit mir noch mal durch, natürlich klappen die Drehungen auf den Zehenballen nicht besonders. Bin aber trotzdem zufrieden. Nach dem Training zeige ich ihm meinen Zeh. Wow, und mit so was habe ich durchgehalten? Tapfer. Kündige an, dass ich am Wochenende in Hongkong sei, Meister Wu wünscht mir viel Spaß. Sarah springt kreischend den Meister an und täuscht einen hohen Tritt vor, der Meister lacht schallend. Andy schüttelt entnervt den Kopf über seine temperamentvolle Tochter. In zwölf Jahren sähe er sie auf dem Rücksitz eines schnellen Motorrades, den Fahrer anfeuernd. Blödsinn, sage ich, dann würde sie bestimmt selber das Motorrad fahren. Andy lacht und verdreht die Augen. Draufgängerin.
Als wir gemeinsam den Park verlassen, schmiegt sich die Zappelmaid an Xiao Lu: Ob wir denn heute Nachmittag wieder üben würden? Nee, heute Nachmittag ist Entspannung angesagt. Dieses Luder! Wir stehen an der Ampel, da stellt mir Hackfresse die selbe Frage und kriegt die selbe Antwort.
Bin fast auf Hundertachzig: Sollte einer der beiden es wagen, dieses kostbare Nachmittagstraining zu stören, werde ich alle Höflichkeit vergessen!

Nachmittag:

Xiao Lu bringt echt guten Oolong Tee mit, den ich wahrscheinlich bei der Zubereitung ruiniere. Wir surfen gemeinsam im Netz und schauen uns Kampfkunst- Videos an. Was ich schön finde: Xiao Lu lehnt sich dabei an mich und haut mich, wenn er irgendwas besonders aufregend findet. Derartig kuschelig werden Chinesen nur mit sehr intimen Freunden. Ich betrachte Xiao Lu als meinen besten Kumpel, dass er anscheinend genauso empfindet, macht mich sehr glücklich. Wichtige Informationen über die Shanghaier Kampfkunstszene, Meister Wu, Hackfresse und über die Zappelmaid. Die hat wohl Xiao Lu beim Üben im Park gesehen, sich ein bisschen in ihn verknallt und gibt seitdem ihr Bestes. Vergebens, hehe.
Wir diskutieren über Weltpolitik und er zeigt mir seine Hauptinformationsquelle. (Nicht so schlimm, wie die URL vermuten lässt. Bin zunächst leicht entsetzt, dann aber doch etwas beruhigt, als ich diese Seite über einen Übersetzer jage, nachdem Xiao Lu weg ist). Ich weiss nicht, wie chinesische Verhältnisse im Ausland rüberkommen. Viele Leute scheinen zu denken, dies hier sei der totale Überwachungsstaat. Ist nicht. England ist viel schlimmer. Und die Net- Nanny hier kann man austricksen, wenn man will.
Wie immer bin ich sehr dankbar, Einblicke in die gegenwärtige Stimmung der Chinesen zu erhalten. Sehr interessant, einerseits ein Minderwertigkeitskomplex, andererseits ein irrer Stolz auf dieses Land und Wut und Frustration darüber, dass dies international nicht anerkannt wird. Echt seltsam, obwohl mein Chinesisch so schlecht ist, verstehen wir uns doch irgendwie. Wir quatschen über alles mögliche. An einem Punkt der Unterhaltung fragt Xiao Lu mich, ob ich denn alles verstünde, was er sage? Nee, aber ich würde es kapieren. Diesen Effekt kennt er aus seiner Zeit in Korea. Wir schauen uns an und grinsen. Beste Freunde, Yin und Yang. Wobei wir uns schon wieder darüber streiten, wer von uns beiden das Yin und das Yang ist. Freue mich fast auf die Regenzeit und weitere Diskussionen.

2 Kommentare:

jb hat gesagt…

Dein kleiner Zeh ist gebrochen. Mein Artzt sagte damals (nachdem ich nach die weitere Vorgehensweise fragte) "Schmerzen aushalten..."
Gute Besserung

Bat hat gesagt…

Danke, Dr. House!