Sonntag, Juni 06, 2010

练功 – Training

29.05.2010, Samstag

Nachdem ich letztes Wochenende wegen Regens/ Vergesslichkeit meines großen Bruders nur Sonntag Mittag geübt habe, will ich dieses Wochenende mal wieder fleißig sein. Samstag morgen jedoch regnet es leicht, also ausschlafen. Xiao Lu hatte ich letzte Woche schon beim Meister per SMS verpetzt, heute fahre ich mittags in den Park und lasse mich überraschen.
Tatsächlich ist Xiao Lu sehr pünktlich und wir üben sehr gewissenhaft. Er hat beschlossen, sein ambitioniertes Projekt „Beste- Tongbei- Schnalle- der- Welt“ voll durchzuziehen und ist dementsprechend kritisch. Vor allem bei den Schrittfolgen. Denn die kann man nicht nur langsam, sondern auch sehr schnell mit einer kontinuierlichen Abfolge von schnellen, präzisen Schlägen laufen, wobei die Ärmel ordentlich knallen sollten. Aber dazu muss man die natürlich erstmal begriffen haben. Und da ich bei der Verteilung der Kampfkunst- Gene nicht laut genug „Hier!“ geschrieen habe, kriege ich das nicht so wirklich gut auf die Reihe. Aber was soll es, das ist wirklich hohe Schule und das sieht widerwillig sogar Xiao Lu ein. Trotzdem bin ich jetzt in meinem Ehrgeiz gepackt, das sollte doch irgendwie hinzukriegen sein.
Irgendwie kommen wir auf Schönheitsideale und versuchen zu erheben, wen wir denn so an international bekannten Stars sexy fänden. Xiao Lu versucht es zunächst mit Ronaldo oder Ronaldinho. Waas? Kröten! Tom Cruise? Troll, viel zu klein! Alain Delon? Der sei doch wirklich elegant und schön anzuschauen? Ääääh, nicht so mein Typ, und mittlerweile ja wohl auch etwas in die Jahre gekommen. Er gibt auf, wen ich denn cool fände? Jetzt bin ich ganz schön in Verlegenheit und nenne etwas lahm George Clooney. Ah, den kennt er! Na ja, zugegebenermaßen finde ich George Clooney nicht wirklich sexy, aber ich könnte mir vorstellen, dass man mit dem bestimmt gut in seiner Prunkvilla am Comer See in Gammelklamotten vor der Glotze abhängen und dummes Zeug labern kann. Außerdem finde ich seine Rollenwahl sehr respektabel und Batman war er ja schließlich auch mal.
Herr Clooney möge mir verzeihen. (Stefanie und ich hatten da mal ein Projekt, aber das zu schildern, würde jetzt zu weit führen). Jetzt ist aber Xiao Lu an der Reihe, wen er denn sexy fände? Hektisches Überlegen, schließlich leuchten seine Augen auf und er meint, die Tussi aus „Titanic“. Ah, Kate Winslet? Begeistertes Kopfnicken. Dann sollte er ja eigentlich auch Stefanie sexy finden, schließlich ist die auch so kurvig? Neeneenee, dünn findet er Kate Winslet besser. Höflichkeit der Chinesen, da ich so ein dürrer Stecken bin, will er mir halt nicht wehtun.
Ying Quan, jetzt geht es darum, die Bewegungsabläufe grob zu lernen. „Piaoliang“ kommt dann später. Und das wird jetzt echt richtig fies, Sprünge und Punktlandung in ganz tiefen Positionen mit anschließenden Tritten. Tui Shou und da ich beschlossen habe, das Ganze sportlich zu nehmen, klappt das auch einigermaßen. Xiao Lu ist erfreut und meint, ich könne schon jetzt Anfänger eintüten. Scherzhaft entgegne ich, eines Tages würde ich ihn auch packen. Ja, dann wird er mich mit „Beidina Laoshi“ anreden. Wir müssen beide lachen, dieser Tag wird so schnell nicht kommen.

Budeputzen ist angesagt, da hier die Tage auch mittlerweile geringfügig länger werden, beschließe ich voller Übermut, meine Fenster zu putzen. Wie gesagt, nicht gerade meine Spezialdisziplin. Stefanie geht online, langer Chat, mittlerweile ist es dunkel. Egal, weiterputzen. Über Shanghai hängt ein unglaublicher satter Vollmond, den will ich klar sehen können.

30.05.2010, Sonntag

Vormittags:

Strahlender Sonnenschein, natürlich sehen die Fenster aus wie Sau.
Hatte bei Abendbrot zwei Mohnbrötchen und ein Marzipanhörnchen bestellt, ist noch nicht geliefert, Mist. Auf meinem Stockwerk wird gerade eine Wohnung renoviert und der Aufzug ist sowieso Dauerbaustelle, traue zwar meinen Nachbarn, nicht aber den Handwerkern. Einer hockt im Gemeinschaftsflur und bestreicht den in voller Atemschutzmontur mit einem zahnbürstengroßen Pinselchen.
Aber ich muss unbedingt heute Vormittag ins Training. Zum einen, weil Meister Wu sonst denken könnte, dass ich lieber mit Xiao Lu als mit ihm übe. Und in diesem Fall bräuchte ich mich nicht mehr blicken lassen. Zum anderen, weil ich endlich den Umschlag mit der Knete für letzten Monat loswerden will.
Fange den Abendbrot- Lieferator unten am Aufzug ab. Ich bin glücklich, dass ich meine Lieferung gerettet habe, er ist glücklich, dass er nicht hochfahren muss. Wir beide sind glücklich, dass wir uns endlich mal kennen gelernt haben, geht doch nichts über persönliche Beziehungen.
Kein Xiao Lu heute Vormittag, schicke um Punkt 9.00 eine SMS an Meister Wu, ob er denn käme, um meinen Lernwillen zu untermauern. Logo, er ist unterwegs.
Ziehe mich um und beginne dann unter den kritischen Blicken des Stammpublikums, Einzelbewegungen zu üben. Das ist das allererste Mal, dass ich wirklich ganz alleine vor mich hin übe, eine echte Herausforderung. Und das Stammpublikum tut natürlich so, als wäre es voll mit seinem eigenen Kram beschäftigt, nimmt aber aus den Augenwinkeln sehr genau zur Kenntnis, was ich da gerade mache. Ich schwitze eine halbe Stunde lang Blut und Wasser, da mir das alles natürlich voll bewusst ist. Aber diese halbe Stunde bedeutet einen enormen Gewinn an Gesicht für Meister Wu. Schaut mal, seine ausländische Schülerin, letzte Woche und gestern warum auch immer nicht da, aber die legt sich jetzt voll ins Zeug. Wird wohl ihre Gründe gehabt haben, wenn die jetzt so fleißig ist, da will die bestimmt vor ihrem Meister gut dastehen. Also muss der Meister das wert sein. Also muss das ein echt guter Typ sein, wenn sogar Ausländer das denken. Chinesische Logik. Und Meister Wu ist natürlich das alles wert.
Stopfe diskret den Umschlag in des Meisters Rucksack, der der Form halber abzuwehren versucht. Da nur die Zappelmaid und ich anwesend sind, wird Anfängerprogramm gefahren, sorfältiges Üben der Einzelbewegungen. Meine Freundin, die Shanghaier Hausfrau schießt auf die Zappelmaid zu, nimmt sie in den Arm, zeigt auf mich und sagt der Maid, ich wäre ja soooo gut. Anschließend sagt sie das auch noch mal zu mir. Klar bin ich gegen so Tröten gut und das übertriebene Lob macht mich verlegen, aber dass der Maid das derartig unter die Nase gerieben wird, geht doch runter wie Öl.
Meine Ying Quan wird aber vom Meister ausgiebig korrigiert und der ist sehr kritisch. Grundgerüst ist da, jetzt kommt der Feinschliff. Die Maid darf nicht mitmachen, sondern muss von der Seite zugucken. Das hält sie aber nicht davon ab, die Bewegungen trotzdem irgendwie mitzuhampeln, was mich schier rasend macht. Egal, bin mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass die Maid nie richtig gut werden wird.

Nachmittags:

Stehe im Aufzug, ein Herr mustert mich unverhohlen von oben bis unten. Schließlich stellt er fest: „Deutsche. Du bist Deutsche.“ Äh, ja, wie er denn das habe erkennen können? Ja also, er sei Metro- Fahrer und da einige der Züge von Siemens seien, wisse man so was halt. Interessant. Besitze mittlerweile einige Elektrogeräte von Philips, aber ob ich deswegen Holländer eindeutig zuordnen kann? Egal, für mich hat jetzt die sonore Stimme, die morgens in der Metro immer irgendwelche Anweisungen an die Passagiere bellt, ein Gesicht.

Warte den „Spiegel“ lesend auf einer Bank in der Sonne auf Xiao Lu, der sich neckisch vor mir zu verstecken sucht. Dafür kriegt er mit der Zeitung auch erstmal eins übergebraten.
Meine Trainingsschuhe fallen fast auseinander, na gut, dann gibt es nächste Woche neue. Super Wetter, ich werde ordentlich gedrillt und schwitze wie verrückt. Zum Glück habe ich mir bei Emoi ein schickes kleines Handtuch besorgt, das wird von Xiao Lu wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Noch mehr Sprünge und Tritte bei Ying Quan und dann sind wir mit der Form durch. Wow. Aber da ist noch sehr, sehr viel Arbeit zu leisten. Egal, ich finde diese Form echt wunderschön und bin wild entschlossen, sie richtig gut zu lernen. Und an den anderen Formen kann auch noch gut gearbeitet werden, dann werde ich vielleicht irgendwann mal über Säbel nachdenken.
Tuishou klappt mittlerweile auch so einigermassen, wenigstens begreife ich die Grundprinzipien. Trolle mich befriedigt nach Hause und verspeise mein Mohnbrötchen mit lecker Tomatenrührei. Das Leben ist schön.

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