Freitag, Juni 30, 2006

20. Spieltag

30.06.2006, Freitag

Leider bin ich immer noch angeschlagen, was mir allerdings die Gelegenheit zu ausgiebigem Fernsehen gibt. Die Stimmung in Deutschland kocht dem Höhepunkt entgegen, nur noch vier Stunden bis zum Anpfiff und langsam füllen sich die Fanmeilen. Sowohl die deutschen als auch die argentinischen Fans sind absolut siegessicher, jeder zweite Deutsche ist der Meinung, dass wir Weltmeister werden. Jedenfalls rechnen wir alle mit einem sehr, sehr heißen Spiel. Natürlich hoffe ich inständig auf einen Sieg unserer Mannschaft, schon allein um den fetten, blau-weiß gestreiften Gummiball namens Diego Maradonna nicht mehr wie verrückt auf der Tribüne herumhüpfen sehen zu müssen.

Nur noch eine knappe halbe Stunde bis zum Anpfiff: Die Straßen leeren sich, alle Leute suchen hektisch die Fanarenen oder Kneipen auf, um mit Gleichgesinnten das Spiel zu schauen. Die Fernbedienung unseres Verstärkers versagt, aber wenigstens funktioniert der Beamer. Es kann losgehen.

Das Spiel:

Zum ersten Mal im Verlauf dieses Turniers trifft Deutschland auf einen wirklich ebenbürtigen und absolut ernst zu nehmenden Gegner, was sich auch sehr schnell offenbart. Zum ersten Mal lassen sich unsere Gegner nicht einfach überrennen, sondern fangen unsere Pässe ab, stören den Spielverlauf, aber unsere Mannschaft kämpft. Wir hocken mit fünf Leuten vor der Leinwand und kauen auf den Fingernägeln. Bis zur Halbzeit eine torlose Begegnung, wir werfen den Grill an und machen Hamburger. Wir wundern uns, das der fette Maradonna bis jetzt noch nicht gezeigt wurde und erfahren, dass er das Stadion unter Protest verlassen hat, da er einen Kumpel nicht mitbringen durfte. Na, wenn das mal kein gutes Zeichen ist: Die Argentinier ihres Maskottchens beraubt, da können wir ja nur noch gewinnen. In der 49. Minute der Schock: Ayala bringt Argentinien in Führung! Da wir unter Berücksichtigung der hohen Temperaturen und unserer nichtrauchenden Freunde nicht in der Wohnung rauchen, muss ich erstmal auf den Balkon rennen, um mit einer Zigarette meine Nerven zu beruhigen. Mann, jetzt kann ich den mexikanischen Trainer La Volpe richtig gut verstehen. Dreißig weitere Minuten lang quälen wir uns und stöhnen bei jedem Ballbesitz der Argentinier und bei jeder Torchance der Deutschen. Ich sehe unsere Chancen auf den Titelgewinn schwinden und beginne, mich mit einem Ausscheiden aus dem Turnier anzufreunden. Trotzdem finde ich Klinsmann und unsere Mannschaft gut, schade nur, dass für uns die Party beendet zu seien scheint.

Nachmittags hatte im Radio eine Wahrsagerin prophezeit, Klose würde in der Verlängerung Deutschland zum Sieg schießen. In der 80. Minute erlöst er uns: Gleichstand! Kurz darauf wird er gegen Neuville ausgewechselt und wir fangen an, die Prophezeiung zu interpretieren: Vielleicht war er derjenige, der die entscheidende Verlängerung erzwang, die uns den Sieg bringen wird, das entscheidende Tor wird er ja wohl nicht mehr machen können? Die Argentinier bleiben weiterhin gefährlich, erzielen jedoch keinen Treffer. Also, Verlängerung. Noch mehr Zigaretten auf dem Balkon. In der ersten Hälfte der Verlängerung dominiert unser Team, in der zweiten die Argentinier, jedoch: Kein Tor. Also, Elfmeterschießen. Eigentlich ganz gut, dass mein Blutdruck vor diesem Spiel im Keller war, sonst hätte ich noch einen Herzinfarkt bekommen. Jedenfalls ist mein Adrenalinspiegel jetzt auf ungeahnten Höhen, ich bin in den vergangenen 120 Minuten bestimmt 10 Jahre gealtert. Morgen werde ich im Spiegel mal nach grauen Haaren Ausschau halten. Ruhe vor dem Sturm. Oliver Kahn geht zu Jens Lehmann und raunt ihm ein paar aufmunternde Worte ins Ohr, wir Mädels weinen fast vor Rührung. So lieben wir Fußball: Im Angesicht der Niederlage werden aus alten Feinden Freunde, alle stehen zusammen. Vielleicht sind das Urinstinkte, vielleicht haben sich damals während der Zeiten der Belagerung durch den Feind in alten Zeiten ähnliche Szenen abgespielt. Neuville tritt als erster an und verwandelt, ebenso Cruz für Argentinien. Ballack schießt das 3:2, Jubel. Alaya schießt, Lehmann hält- wir springen auf und schreien uns die Seele aus dem Leib. Podolski, Rodriguez, Borowski treffen: Jubel, Stöhnen, Jubel. Cambiasso schießt und Lehmann hält: Ganz Deutschland explodiert und wir springen wie die Bekloppten durch die Wohnung: Halbfinale!

Meine Freundin Stefanie und ich sind nach diesem Nervenzerfetzenden Spiel nicht mehr in der Lage, uns auch noch die Partie Italien gegen die Ukraine anzuschauen und widmen uns auf dem Balkon dem Beobachten der Geschehnisse auf der Straße. Und wir werden sofort belohnt, denn im Bildungszentrum gegenüber logiert offensichtlich eine chinesische Delegation, was uns die Gelegenheit zu ausgiebigen Feldstudien bietet. Eine üppig mit schwarz- rot- goldenen Blumenkränzchen behängte reifere chinesische Dame piepst den vorbeiziehenden siegestrunkenen deutschen Fans „Deutschland“ und „Berlin“ zu, was sofort mit entsprechenden Gesängen honoriert wird. Während Italien die Ukraine schließlich 3:0 besiegt, werden wir Zeugen ausgiebiger Verbrüderungsszenen und Photosessions zwischen Deutschen und Chinesen. Eine hübsche, dekorativ in eine Deutschlandfahne gehüllte Einheimische und ihr ebenso attraktiver Freund bereiten den Chinesen unvergessliche Momente und werden sicher das ein oder andere chinesische Photoalbum schmücken, da sie sich geduldig mit allen Mitgliedern der Delegation fotografieren lassen. Ich bin mir sicher, dass ich bei meinem nächsten Aufenthalt in China diese Aufnahmen zu sehen bekommen werde.

Der befürchtete italienische Autokorso fällt dann ins Wasser, vielleicht haben die jetzt schon solche Angst vor uns, dass die sich das nicht mehr trauen. Wir jedenfalls überlegen schon, bei welchem Italiener wir nach dem Spiel am Dienstag anrufen und die große Pizza „Ciao Italia“ bestellen werden.

Donnerstag, Juni 29, 2006

Spielfrei

29.06.2006, Donnerstag

Ich beschließe, wieder arbeiten zu gehen und trinke tapfer ordentlich Wasser. Meine Fußballexperten- Kollegen sehen der Begegnung mit Argentinien auch wenig optimistisch entgegen, aber wir sind der Meinung, dass wir Weltmeister werden, sollten wir die schlagen. Nach vier Stunden Arbeit tanzen auf meinem Bildschirm lustige Kreise und der ganze Raum dreht sich, weshalb Ali mich zügig abholen muss. Da war ich wohl doch etwas optimistisch. Jedenfalls gibt mir das die Gelegenheit, mal wieder die Pressekonferenz anzuschauen, in der sich Jens Lehmann und Michael Ballack äußern. Ballack ist der Meinung, unsere Chancen für einen Sieg stünden 60: 40 für uns, wenn der sich mal bloß nicht irrt.

Spielfrei

28.06.2006, Mittwoch

Da ich fast wieder umkippe, gehe ich zur Ärztin, die mir rät, mehr zu trinken und mein mittlerweile ordentlich geschwollenes Knie zu kühlen. Zusätzlich schickt sie mich noch zu einem Hals-/ Nasen-/ Ohrenarzt, um eine Störung des Gleichgewichtsorganes auszuschließen. Der wieder macht ein paar alberne Tests mit mir und drückt mir eine Überweisung an einen Neurologen in die Hand. Ich komme mir verarscht vor, trolle mich nach Hause auf das Sofa, pumpe 2 Liter Wasser in mich rein und schaue mir die tägliche DFB- Pressekonferenz an. Die Siegessicherheit unseres Teams ist schon beeindruckend, allerdings wird mir da fast mulmig bei. Oliver Kahn jammert über sein Dasein auf der Ersatzbank und kriegt von allen Fairness bescheinigt, Miroslav Klose spricht über die Stimmung in der Mannschaft. Manche Spieler sollte man einfach nicht ohne vorhergehenden Rethorikkurs vor die Kameras lassen.

19. Spieltag

27.06.2006, Dienstag

Nach dem Aufstehen kippe ich erstmal um und schlage mir auch noch das Knie auf. Also bleibe ich im Bett und penne fast den ganzen Tag, trauere mit Ghana, die Brasilien 3:0 unterliegen und ärgere mich darüber, dass die blöden Franzosen nach einem 3:1 über Spanien eine Runde weiter sind.

18. Spieltag

26.07.2006, Montag

Am heutigen Montag morgen sieht mein Gesicht aus, als hätte ich bis tief in die Nacht auf dem Johannisfest gesoffen. Komisch, daran kann ich mich gar nicht erinnern. Das Gewitter hat leider kaum die ersehnte Abkühlung gebracht und macht die Arbeit zur Qual. Die Medien melden, dass die USA angeblich an Jürgen Klinsmann als Nachfolger von Bruce Arena interessiert sind. Das könnte denen so passen, den Amis! Da mein Kreislauf verrückt spielt, beschließe ich, lieber doch nicht auf das Fest zu gehen und schaue mir an, wie die Australier von Italien buchstäblich in der letzten Sekunde nach Foulelfmeter 1:0 aus dem Turnier gekegelt werden. Das zweite Spiel dieses Tages der Schweiz gegen die Ukraine endet nach Elfmeterschießen 3:0 für die Ukraine, die Schweiz verwandelt keinen einzigen Elfmeter. Anschließend beschwert sich der Schweizer Kapitän in den Medien, das Gesinge der deutschen Fans (Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!) auf den Rängen habe ihn abgelenkt und nervös gemacht. Tja, Jungs, wenn ihr so was nicht aushaltet, habt ihr in einem solchen Turnier leider nichts verloren, trotzdem Hut ab vor eurer Leistung.

17. Spieltag

25.06.2006, Sonntag

Da wir heute im Seminar die verlorene Zeit von gestern wettmachen müssen, verpasse ich das Spiel England gegen Ecuador, dass mit einem englischen 1:0 Sieg endet. Nachmittags stehen wir bei ca. 32 Grad in der Halle, draußen ist es sogar noch heißer. Am Ende gehen wir fast alle auf dem Zahnfleisch und beschließen das Wochenende mit einem großen Eisbecher. Zuhause breche ich ermattet auf dem Sofa zusammen und kriege nur noch am Rande mit, wie in einen Regen von gelben und roten Karten die Holländer von den Portugiesen 1:0 besiegt werden. Der anschließende portugiesische Autokorso und die Hohngesänge (Ohne Holland fahr´n wir nach Berlin) wecken mich auf und ich krieche ins Bett. Endlich geht auch ein heftiges Gewitter nieder, das angenehmere Temperaturen verspricht.

16. Spieltag

24.06.2006, Samstag

Ich beschließe, an einem Seminar unseres Vereines teilzunehmen, dass eigentlich bis 18:00 gehen sollte, nachdem man mir ausdrücklich zugesichert hat, dass wir früher Schluss machen, damit keiner das Spiel verpasst. Wie sich herausstellt, sind der Seminarleiter und einige Teilnehmer ebenfalls große Fußball- Fans, so dass ich um 16:00 in der proppevollen Bahn heimwärts stehe. Schon in der vierten Minute fällt nach brillanter Vorarbeit von Klose das erste Tor für Deutschland durch Podolski, in der 12. Minute dann das nächste- unsere Jungs deklassieren die Elche! Aus der Kneipe gegenüber erschallen zu der Melodie von „Yellow Submarine“ Hohngesänge: „Ihr seid nur ein Möbellieferant, Möbellieferant, Möbellieferant!“ Vor lauter Torjubel und Gegröle hören wir das verzweifelte Klingeln unserer Freunde nicht, die seit 20 Minuten vor der Tür stehen und die Großtaten unserer Mannschaft nur erahnen können. Die fangen jetzt an, fast brasilianisch zu spielen und wir und unsere mittlerweile über ein Baugerüst in die Wohnung eingedrungene Freunde kriegen fast Angst vor dem Übermut. Ab der 34. Minute spielen die Schweden in Unterzahl und werden nur in der 54. Minute torgefährlich, als sie einen Elfmeter zugestanden kriegen, der aber weit über das Tor hinausgeht. Das Spiel endet dann auch 2:0, die Begegnung unserer potentiellen Viertelfinalgegner Argentinien und Mexiko kriegen wir nur am Rande mit, da wir lieber auf das Johannisfest feiern gehen. Argentinien setzt sich gegen Mexiko nach Verlängerung 2:1 durch und steht damit als unser nächster Gegner fest.

Samstag, Juni 24, 2006

15. Spieltag

23.06.2006, Freitag

Deutschland fiebert dem morgigen Achtelfinalspiel gegen Schweden entgegen und unsere Regierung nutzt diese Stimmung dazu, flott ein paar unliebsame Gesetze zu erlassen, wie etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Eigentlich eine ganz schlaue Taktik, denn momentan sind die Bürger dieses Landes damit beschäftigt, wilde Partys mit allen möglichen anderen Nationen zu feiern und scheren sich einen Dreck um Politik.

Die angereisten Fans saufen Deutschland trocken, die Bierbrauer reiben sich die Hände und legen Sonderschichten ein. Beschwerden über das in den Stadien ausgeschenkte miese Bier (Anhäuser- Busch) werden laut und wir schämen uns, dass wir als die (nach Tschechien) Nation mit dem meisten Bierkonsum pro Kopf nichts besseres bieten können. Eigentlich ein Armutszeugnis, aber unsere Gäste können sich ja vor und nach den Spielen außerhalb des Stadiums ein Bild von der deutschen Braukunst machen, was gerade die Engländer und die Skandinavier gerne und ausgiebig tun.

Die nicht enden wollende Debatte über den neuen deutschen Patriotismus in den Medien fängt an, mir langsam auf die Nerven zu gehen. Irgendwie kann ich nicht verstehen, dass nach dem monatelangen Tamtam um die WM alle das so verwundert zur Kenntnis nehmen, denn für mich hat sich das schon seit einigen Jahren abgezeichnet. Man sollte meinen, während der Eröffnungsfeier sei ein Schalter umgelegt worden und auf einmal trauten wir uns alle, zu unserem Land zu stehen.

Ich bin nur mal gespannt, wie diese nette Party in der KO- Runde aussehen wird, wenn nach und nach sich die Nationen aus dem Turnier verabschieden. Was passiert, wenn wir morgen gegen Schweden verlieren? Noch tanzen die Leute auf der Straße und dichten zu der Melodie von „Pippi Langstrumpf“ freche Lieder, aber was, wenn wir rausfliegen? Werden wir dann immer noch gute Gastgeber sein?

Die letzten Gruppenspiele finden statt, Spanien schlägt Saudi- Arabien 1:0 und sichert sich den Gruppensieg, auch die Ukraine ist nach einem 1:0 gegen Tunesien eine Runde weiter. Erwartungsgemäß schlägt Frankreich schwach Togo 1:0, die Schweiz lässt Koreas Träume von der Endrunde leider durch einen 2:0 Sieg platzen. Das bedauere ich wirklich, denn ich hatte Korea ein Weiterkommen herzlich gegönnt und die Franzosen gerne vorzeitig die Heimreise antreten sehen. Also nach dem Ausscheiden von Japan und Südkorea keine niedlichen Asiaten mehr im Turnier, schade. Allerdings sehe ich mir keines der Spiele an, da das Johannisfest eröffnet worden und das Wetter viel zu gut ist, um in der Bude zu hocken und sich mittelmäßige Vorrundenspiele anzuschauen. Beim Pfeilwerfen gewinnen wir einen Aschenbecher und eine mit Cannabisblättern bestickte Geldbörse (soviel zum Nichtraucherschutz). Außerdem schenkt mir Torsten, der einen Schmuckstand dort hat, eine imitierte Cartier- Sonnenbrille, die Victoria Beckham vor Neid erblassen lassen würde. Wir sitzen ewig am Rhein und genießen bei einem Glas Wein die laue Sommernacht, während wir erschütternde Beispiele der unheiligen Mischung aus Jugend und Alkohol beobachten. Das Mädel neben uns raucht nervös heimlich eine Zigarette, während ihre Verabredung auf den Klo ist, sie erzählt uns, dass das ihr erstes Date mit ihm ist. Kurz nach seiner Rückkehr knutschen beide wie wild, süß. Das Leben ist schön!

Donnerstag, Juni 22, 2006

14. Spieltag

22.06.2006, Donnerstag

Italien qualifiziert sich durch einen 2:0 Sieg über Tschechien für das Achtelfinale und Ghana schafft die Sensation: Als einzige afrikanische Mannschaft ist auch dieses Team im Achtelfinale, da sie die Amerikaner 2:1 ihre Koffer packen schicken. Natürlich macht uns Mainzer das besonders stolz, schließlich stand mit Otto Addo ein 05er in der ghanaischen Elf. Vereinzelt kann man hier sogar ghanaische Flaggen in den Fenstern sehen. Da unsere italienschen Freunde ihrer überschäumenden Freude durch kilometerlange Autokorsos Ausdruck verleihen und die Stadt wegen des bevorstehenden Festes sowieso dicht ist, habe ich massive Schwierigkeiten, ins Training zu gelangen. Als ich um 21:00 wieder in die Stadt fahre, stehen auf dem Bahnhofsvorplatz vier Ghanaer mit Trommeln und tanzen, was das Zeug hält. Im Fernsehen wird das Spiel Brasilien gegen Japan übertragen, die Japaner schießen überraschend das erste Tor gegen die mau aufspielenden Südamerikaner. Aus der Kneipe gegenüber erschallt Jubel, anscheinend mögen die Brasilien auch nicht besonders. Kurz vor der Halbzeitpause schießt der fette Ronaldo endlich sein erstes Tor. Nach der Pause ist dann bei den Brasilianern endlich der Knoten geplatzt und sie fangen an, zu zaubern. Schließlich deklassieren sie die Japaner 4:1. Mein Blick wandert immer wieder unruhig zum Live- Ticker, da ich den Australiern den Einzug in die nächste Runde von Herzen gönnen würde. Die machen es echt spannend, erreichen aber sensationell endlich durch ein 2:2 Unentschieden die nächste Runde.

13. Spieltag

21.06.2006, Mittwoch

Der Iran und Angola trennen sich 1:1 und Portugal besiegt Mexiko 2:1, somit sind diese beiden Teams im Achtelfinale. Die richtig spannende Begegnung zwischen Argentinien und den Niederlanden findet um 21:00 statt, außerdem kickt Serbien/ Montenegro gegen die Elfenbeinküste.

Der Chinesischunterricht ist dann doch nicht so blamabel wie zunächst befürchtet und ich bin rechtzeitig zur zweiten Halbzeit zu Hause. Was ich da mit ansehen muss, enttäuscht mich aber maßlos, beide Teams spielen scheinbar mit der B- Besetzung, um sich für das Achtelfinale zu schonen, die Partie endet torlos. Jürgen Klopp bringt anschließend in seinem Kommentar zu dem Spiel meine Gefühle auf den Punkt: „Das ist so wie Weihnachten, wenn man gespannt ist und dann nur doofe Socken geschenkt kriegt.“

Dienstag, Juni 20, 2006

12. Spieltag

20.06.2006, Dienstag

In meiner Inbox landet eine Mail mit dem Betreff „Autokorso“. Da ich selber kein Auto fahre und den Absender nicht kenne, bin ich milde verwundert. Es zeigt sich, dass mir jemand zu einem horrenden Preis Autoflaggen andrehen will. Dabei haben wir doch schon eine. Auffällig an der Autobeflaggung ist, dass die meisten Deutschen sich nicht mit einer Flagge zufrieden geben, sondern getrieben von deutscher Gradlinigkeit und der Liebe zur Symmetrie ihr liebstes Statussymbol mit zwei exakt ausgerichteten Wimpeln schmücken. Gelegentlich sieht man auf der Autobahn traurig einige dieser Fähnchen am Rande liegen, wahrscheinlich waren sie nicht ordentlich eingeklemmt und sind vom Fahrtwind abgerissen worden.

Der Tag beginnt schwül- warm, den Vormittag über droht sich ein Gewitter an. Wir spielen gegen Ecuador um den ersten Gruppenplatz und ich raffe endlich, wie der Name dieses Landes korrekt geschrieben wird. Um 15:30 verlasse ich als vorletzte das Büro. Die Straßenbahnen sind brechend voll, die meisten Leute sind mit irgendwelchen Fußball- Attributen versehen. Sogar eine kleine Punkerin hat sich die Fingernägel Schwarz- Rot- Gold lackiert. Zu meiner Zeit hätte ich mich lieber erschießen als mich in den Nationalfarben erwischen lassen, aber offensichtlich haben sich die Zeiten geändert. Die Vorbereitungen für das Johannisfest am Wochenende sind in vollem Gang, trotz des kurz bevorstehenden Spieles ist auf der Straße noch einiges los. Ich schaffe es gerade rechtzeitig zur Nationalhymne nach Hause, wo Ali und sein Kumpel Torsten schon vor der Leinwand auf dem Sofa lümmeln. Als ich kurz nach Anpfiff aufs Klo gehe, schießt Miroslav Klose in der 4. Minute das erste Tor. Unsere Mannschaft spielt sauguten Fußball, es ist eine richtige Freude, denen dabei zuzuschauen. Sie kontrollieren die Ecuadorianer, dass Passpiel klappt hervorragend und die Defensive steht auch gut. Und sie legen eine Leichtigkeit an den Tag, den man bei einem deutschen Team lange nicht gesehen hat. Ich denke mal, dass wir unseren potentiellen Gegnern damit ordentlich Respekt einflößen. In der 44. Minute setzt sich Klose nach einem Traumpass von Ballack geschmeidig gegen zwei ecuadorianische Spieler durch und erhöht auf 2:0. In der zweiten Halbzeit sind die Gegner etwas engagierter, aber in der 57. Minute schießt Lukas Podolski endlich sein erstes WM- Tor und macht den Gruppensieg perfekt. Wir konsultieren den Videotext und sämtliche zur Verfügung stehenden Tabellen, um den weiteren Turnierverlauf für unsere Mannschaft zu diskutieren und sehen mit Sorge, dass wir dann wahrscheinlich schon im Viertelfinale auf die sehr starken Argentinier treffen werden. Die spielen morgen in Frankfurt gegen die Niederlande, was ein sehr spannendes Spiel zu werden verspricht. Wegen dieses Spieles gab es heute die Verkehrsdurchsagen auch auf Holländisch, was die Radiohörer dermaßen entzückte, dass sie ständig beim Sender anriefen und eine Wiederholung der Durchsagen in dieser lustigen Sprache verlangten. Auf dem Weg in die Stadt überholte die Straßenbahn einen mit einem orangefarbenen Fähnchen (ein ungewohntes Bild) dekorierten Kleinbus voller orange gekleideter Holländer, vielleicht hatten die sich ja verfahren….

Das Freundschaftsspiel Costa Rica / Polen endet mit einen 2:1 Sieg für die polnische Mannschaft, heute Abend treffen noch England/ Schweden und Paraguay/ Trinidad und Tobago aufeinander, auch hier darf man gespannt sein.

Auf Bitte von Steve noch ein paar Worte zu der Bewertung von Jens Lehmanns Leistung: Zwar halten wir bei einigen Aktionen von "Mad Jens" die Luft an, aber da er bis auf das Spiel gegen Costa Rica noch nicht sehr viel zu tun hatte, ist er in der Presse und unter den Fans momentan eigentlich kein Thema. Als er Oliver Kahn vorgezogen wurde, gab es schon kontroverse Diskussionen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Forum des "Kicker" verweisen.

Nachtrag: Nach dem 2:2 der Partie England/ Schweden und dem Aussscheiden der "Soca- Warriors" durch eine 2:0 Niederlage gegen Paraguay steht mit Schweden unser Achtelfinalgegner fest. Nach dem, was ich in der zweiten Halbzeit gesehen habe, wäre mir England fast lieber gewesen, schaun mer mal....

Montag, Juni 19, 2006

11. Spieltag

19.06.2006, Montag

Die Auswertung des Bürotippspieles nach dem verlängerten Wochenende lässt meine männlichen Arbeitskollegen vor Entsetzen erstarren: Ich bin Tippkönigin. Durch die richtige Prognose des Endstandes von immerhin drei Partien habe ich mich an die Spitze katapultiert. Das ist wirklich ein Schock für die selbsternannten Fußballexperten. Sonst übertreffen sich diese Maulhelden jeden Tag gegenseitig mit Prahlereien, wie klasse sie getippt haben, heute wird das Thema totgeschwiegen. Uns plagt uns jedoch noch eine Sorge, denn Deutschland spielt morgen schon um 16:00. Wie schleichen wir uns aus den Büro, ohne dass die Chefs unruhig werden? Das Problem löst sich zügig, als der fußballbegeisterte Chef die frühe Spielzeit realisiert: „Tja, dann müssen wir morgen halt schon um 16:00 zumachen. Schade, aber nicht zu ändern.“

Die Schweiz schlägt Togo 2:0 und setzt sich damit an die Gruppenspitze, für die Franzosen sieht es jetzt echt schlecht aus. Das wird noch mal spannend in dieser Gruppe. Eine Freundin war am Wochenende mit ein paar Koreanern in der Frankfurter Sky- Arena (schon wieder ein blöder Anglizismus) und mailt mir lustige Bilder von dem Ereignis. Die Spiele des heutigen Abends schenke ich mir, denn ich muss dringend meine Chinesisch- Hausaufgaben machen. Morgen werde ich nämlich bestimmt nicht dazu kommen, wie ich mich kenne. Also quäle ich mir irgendeinen Blödsinn ab und lasse den Live- Ticker dabei laufen. Die Ukraine schickt Saudi- Arabien 4:0 nach Hause und die Spanier qualifizieren für das Achtelfinale durch einen 3:1 Sieg über Tunesien.

Sonntag, Juni 18, 2006

10. Spieltag

18.06.2006, Sonntag

Ein Spieltag ganz nach meinem Geschmack: Japan und Südkorea spielen, was mir die Chance gibt, sexy Asiaten in knappen Sportfummel zu betrachten, die einem Ball hinterher jagen. Schade, dass China die Qualifikation nicht geschafft hat. Bei der Partie Japan gegen Kroatien schlafe ich jedoch ein, denn obwohl die Japaner durchaus ansehliche Knaben auf dem Platz haben, sind hier auf beiden Seiten echt keine Top- Spieler am Start und das Spiel hat eher den Charakter einer mittelmäßigen Zweitligabegegnung. Lustig die japanische Prinzessin neben Franz Beckenbauer auf der Tribüne, die mit Fussballohringen angetan andauernd ihr Team mit einer monströsen Kamera fotografiert. So lieben wir die Asiaten.

Für das Spiel des Gruppenersten gegen den Gruppenzweiten, Australien gegen Brasilien bin ich jedoch wieder hellwach. Eigentlich hasse ich die brasilianische Mannschaft aus tiefstem Herzen für ihre Arroganz und ihr Selbstbewusstsein, obwohl die natürlich guten Fußball spielen. Die Stadt ist ausgestorben, ohne Frage haben sich mal wieder etliche fettbäuchige Mainzer in dieses hässliche geld- grüne Jersey gezwängt und stehen jetzt brasilianische Fähnchen schwenkend vor irgendeiner Großbildleinwand. Ist ja auch einfach, dem absoluten Favoriten zuzujubeln. Das ist für mich so ähnlich wie hier mit Bayern- München in der Bundesliga: Viele Bayern- Fans sind für mich rückgratslose Arschkriecher, da sie diese Mannschaft nur deswegen unterstützen, weil die halt immer gewinnen. (An dieser Stelle möchte ich mich bei allen quasi in den Fankreis dieser Mannschaft hineingeborenen Bayern entschuldigen, aber ich denke, dass es kerniger ist, die 1860er zu unterstützen, ebenso wie man als Hamburger einfach als St. Pauli Fan cooler ist als ein HSV- Anhänger. Und genau deswegen werde ich als Mainzerin auch immer Mainz 05 unterstützen und nie Kaiserslautern. So. Das musste mal gesagt werden.)

Das Spiel der Australier gegen Brasilien jedenfalls ist für mich die beste Partie, die ich bis jetzt während der Vorrunde gesehen habe, schöner offensiver Fußball, vor allem gefällt mir der Kampgeist der Australier. Schon im ConFed- Cup hat diese Mannschaft begeistert, und auch jetzt kämpfen die ohne Unterlass, ohne dabei unfair zu werden. Klar, wer mein Favorit ist. Ronaldo macht nicht ganz die miese Figur, die er beim Eröffnungsspiel abgegeben hat, aber trotzdem hat man den Eindruck, als ob die Brasilianer auch noch besser könnten. Die Australier haben etliche Torchancen, schaffen es aber nicht, zu verwandeln. Zur Halbzeit steht es immer noch 0:0 und ich drücke den Australiern fest die Daumen. In der 48. Minute schießen die Brasilianer das erste Tor, kurze Zeit später wird Ronaldo ausgewechselt und die Brasilianer legen noch eine Schippe drauf. Die Pässe kommen besser an und in der 88. Minute machen die Brasilianer den Sack durch ein weiteres Tor zu. Die Australier beeindrucken weiterhin durch unermüdlichen Kampf, unterliegen am Ende aber leider. Meine Lieblingstorchance der Australier ist ein in der Luft angenommener Ball, der in Bruce Lee Manier auf das gegnerische Tor gedroschen wird, jedoch leider verfehlt. D a s ist Kung- Fußball! (In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen der besten Fußballfilme der letzten Jahre verweisen: Shaolin Soccer von Stephen Chow.)

Da das Spiel Frankreich gegen Südkorea eigentlich gegen dieses vorhergehende Feuerwerk nur noch abstinken kann, beschließen wir, beim Nobelitaliener auf der Augustinerstraße einen Salat zu essen und werden mit dem Anblick leicht gekleideter Brasilianerinnen belohnt, die auf der Straße tanzen, außerdem unterhält uns ein mexikanischer, mit Fackeln jonglierender Gaukler. Während ich diesen Post schreibe, gleichen die Koreaner gegen die Franzosen aus und wahren damit ihre Chancen auf das Achtelfinale. Da ich auf das Ausscheiden der Franzosen noch in der Vorrunde gesetzt habe, freut mich dieses 1:1 Unentschieden natürlich diebisch. Außerdem könnte ich auch im Bürotippspiel noch mein Gesicht wahren, mal schauen, was die morgige Auswertung bringt.

Samstag, Juni 17, 2006

9. Spieltag

17.06.2006, Samstag

Deutschland hat einen neuen Anglizismus: Public Viewing. Im Klartext bedeutet das: Großbildleinwand mit Saufgelegenheit. Wegen des großen Erfolges dieses Konzeptes beschließt die Bundesregierung, mehr dieser Zonen zuzulassen.

Wir starten mit dem Verein schon um 9:00 morgens zu einer 12,5 km Kanutour auf der Lahn mit anschließendem Grillen, weswegen ich mir natürlich schon wieder die Fresse verbrannt habe und das Spiel Portugal/ Iran nur bruchstückhaft auf dem Grillplatz anschauen kann. Außerdem habe ich nach der Ruderei nicht mehr wirklich die Kontrolle über meine Arme und Hände, kann aber ein Glas Wein noch unfallfrei zu Munde führen. Die Verkehrshinweise wegen der Spiele in unserer Region interessanterweise auf Portugiesisch, Englisch und Italienisch, nicht aber auf arabisch. Konnten die für die Iraner keine Muttersprachler auftreiben? Würde mich mal interessieren, wie in Köln heute bei dem Spiel Tschechien gegen Ghana verfahren wurde, das in der lange erwarteten Sensation endete: Ghana schlägt Tschechien 2:0. Bei aller Sympathie für das tschechische Team freue ich mich doch über einen Sieg der als krasse Außenseiter gehandelten Ghanaer. Außerdem kickt der Mainzer Mittelfeldspieler Otto Addo für diese Mannschaft, weswegen man als Mainzerin einfach per se für Ghana halten muss.

Die Partie USA/ Italien ist von Anfang an unnötig hart. Führungstor für die Italiener in der 23. Minute, aber schon in der 27. Minute schenken die Italiener den USA durch ein Eigentor den Anschlusstreffer. In der 28. Minute Rote Karte für DaRossi, die Amerikaner jetzt in der Überzahl. Da könnte man was draus machen, aber in der 45. Minute Rot für Mastroeni (USA) und in der 47. Minute Gelb/ Rot für Pope. Für mich das mit Abstand hässlichste Spiel dieser WM so weit und ich beschließe, mir dieses Trauerspiel nicht mehr weiter anzuschauen.

8. Spieltag

16.06.2006, Freitag

Eine starke argentinische Mannschaft deklassiert Serbien/ Montenegro 6:0, die Niederländer retten mühsam einen 2:1 Sieg über die Elfenbeinküste, die leider jetzt auch nach Hause fahren können. Angola und Mexiko trennen sich 0:0, der kettenrauchende mexikanische Coach La Volpe erhält eine Verwarnung wegen Rauchens auf der Trainerbank und wird von den Medien liebevoll „El Fluppe“ getauft. Meiner Meinung nach ist das Rauchverbot für die Teambetreuer völlig idiotisch, da die Zuschauer auf den Tribünen rauchen und saufen dürfen, was das Zeug hält. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum alle angereisten Fans diese WM hier so geil finden und Deutschland in den höchsten Tönen loben: Hier kann man (für Skandinavier und Engländer vergleichsweise) billig saufen, die Sperrstunde ist aufgehoben , das Wetter ist super und überall sind die Leute bereit, hemmungslos zu feiern.

7. Spieltag

15.06.2006, Donnerstag


Der heutige Tag bringt endlich die ersehnte Abkühlung, die Temperaturen fallen nach einem kleinen Gewitter von tropischen 32°C auf angenehme 26°C. Da bundesweit Feiertag ist, können wir uns von der Party der letzten Nacht erholen und werfen ein interessiertes Auge auf die Spiele unserer Gruppengegner Equador und Costa Rica und unserer potentiellen Achtelfinalgegner England / Trinidad und Tobago sowie Schweden / Paraguay. Equador schlägt Costa Rica 3:0 und ist somit Gruppenerster, England spielt in einer eher enttäuschenden Partie gegen Trinidad 2:0 und Schweden beendet für Paraguay vorzeitig das Turnier durch einen 1:0 Sieg. Für und heißt das, dass wir eventuell schon im Achtelfinale auf England treffen können. Kein schöner Gedanke, aber nach der Leistung des englischen Teams nicht unbedingt ein Gegner, vor dem man große Angst haben müsste.

Donnerstag, Juni 15, 2006

6. Spieltag

14.06.2006, Mittwoch

Während in der Tagespresse immer noch verwundert über den neuen deutschen Nationalstolz diskutiert wird, steigt die Fieberkurve im Land. Im ersten Spiel des heutigen Tages besiegt Spanien wie erwartet, aber überraschend hoch die Ukraine 4:0. Als ich das Büro verlasse, werde ich auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle fast von einem völlig außer Kontrolle geratenen Spanier überfahren. Zu Hause dann ein schneller Kleidungswechsel in das Mannschaftstrikot, schließlich sollen meine beiden Mitschülerinnen und der Lehrer mal sehen, welche Opfer ich dem Erlernen der chinesischen Sprache bringe. Nebenbei läuft die Begegnung Tunesien gegen Saudi- Arabien, die aber eher langweilig ist. Zur Halbzeit führt Tunesien mit 1:0, spielt in der zweiten Halbzeit noch schlechter und rettet schließlich 2:2.

Da wir alle in der vergangenen Woche so gut wie nichts für Chinesisch getan haben, sind wir aller drei gleich schlecht. Der Unterricht beginnt mit einer auf chinesisch geführten Diskussion über die Chancen des deutschen Teams, unser Lehrer denkt sich geschmeidig etliche Beispielsätze zum aktuellen Thema aus, die er uns dann übersetzen und in diversen grammatikalischen Variationen wiederholen lässt. Mein Blick wandert unentwegt zur Uhr, selten kam mir eine Stunde derartig lange vor.

Die Bahn kommt um 21:04, auf dem Weg in die Stadt höre ich ständig kollektives Aufstöhnen, was mich vermuten lässt, dass wir wohl ständig Torchancen vergeben. Die Temperatur in Mainz ist immer noch subtropisch und ich schwitze in meinem Trikot wie ein Schwein. Wie halten unsere Jungs das bloß aus? Immerhin kann ich mir zu Hause die letzten paar Minuten der ersten Halbzeit anschauen und bin entsetzt: Die Defensive scheint ja ganz in Ordnung, aber was macht der Sturm? Sind das dieselben Jungs, die bei dem Eröffnungsspiel so schön offensiv gespielt haben? Schnelle Dusche in der Pause und dann ab an den Rhein in den Medina- Strandclub, wo Ali und ein paar Freunde das Spiel schauen. Nervenzerfetzende Augenblicke, als immer mehr Torchancen aus Standartsituationen nicht geklärt werden. Und der polnische Tormann hält alles. Klinsmann wechselt Odonkor für Friederich ein, endlich kommt Bewegung in den Sturm. Alle schauen auf die Uhr und man spekuliert über Tabellenplätze bei einem Unentschieden in der Gruppe und mögliche Achtelfinalgegner. Die Polen spielen nach Gelb- Rot in Unterzahl. Neuville kommt für Podolski. Nach einem Lattenknaller wird in Zeitlupe gezeigt, wie unsere Kanzlerin auf der VIP- Tribüne ausflippt. Ständiger Blick zur Uhr, die offizielle Spielzeit ist vorbei, vier Minuten Nachspielzeit. In der 91. Minute schießt Neuville endlich das erlösende Tor und der Biergarten und ganz Deutschland stehen Kopf.

Auch eine Stunde nach Spielende ist die Rheinallee dicht, sind wir denn schon Weltmeister? Die Leute singen „Finale, OoooHHhhooohhh!“ und „Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!“, aus den Radios dudeln fröhlich sämtliche von deutschen Interpreten für diese WM eingespielte Lieder. Ich versuche, diese nette Stimmung fotographisch festzuhalten und natürlich versagt der Blitz. Spontan wird auf der Straße Fußball gespielt..

Da morgen Feiertag ist, steht einer ausgelassnen Party nichts mehr in Weg, und selbst jetzt um 3:00 Uhr höre ich die Leute „Finale, oohooh. Finale, oohOOOhooh“ singen.

Dienstag, Juni 13, 2006

5. Spieltag

13.06.2006, Dienstag

Überraschenderweise schmücken die Deutschen ihre Autos, Häuser und Körper auch an für uns spielfreien Tagen liebevoll in den Nationalfarben. Im Supermarkt sind die Salatköpfe in Folien mit Fußballmuster gewickelt und jeden Tag gibt es mindestens eine Pressekonferenz zum Zustand von Michael Ballacks Wade. Die Mannschaft der USA wird in der Tagespresse noch zusätzlich durch den Vergleich von (amerikanischem) Budweiser mit dem tschechischen Original gedemütigt. Südkorea besiegt das von Skandalen gebeutelte Team von Togo in Frankfurt, was uns hier mal wieder englische Verkehrshinweise im Radio und in einer unverständlichen Sprache Schlachtrufe (OOOOOOOHHH Pilsung Korea) grölende Asiaten beschert. Die Schweizer trotzen den Franzosen immerhin ein Unentschieden ab, womit meine Platzierung beim Tippspiel völlig den Bach runtergeht. Gerade führt Brasilien erwartungsgemäß gegen Kroatien und ich frage mich, was die Weiber an Ronaldinho so geil finden. Für mich sieht der Kerl aus wie ein Frosch, ein Eindruck, den er beim Absingen der Nationalhymne durch ausgiebiges Lippenlecken noch unglücklich verstärkt. Der brasilianische Staatspräsident hat sich bei unserer Kanzlerin erst für das Finale angesagt, so siegessicher sind diese Knaben.

Da ich seit Freitag in meiner Freizeit fast nur Fußball geschaut habe, beschleicht mich das schlechte Gewissen und ich versuche hektisch, mir die Chinesisch- Vokabeln draufzuschaufeln. Der Kampf Vokabeln gegen Gedächtnis ist in etwa genau so tapfer wenn auch erfolglos wie der der kroatischen Mannschaft gegen die brasilianische, weswegen ich mir lieber weiter das Spiel anschaue und ein Abstinken im morgigen Unterricht in Kauf nehme. Leider teilen meine beiden Mitschülerinnen meine Leidenschaft für Fußball gar nicht, (obwohl eine heimlich in Jürgen Klopp verknallt ist) und haben trotz des Spieles gegen Polen auf den Unterricht bestanden. Immerhin konnte ich die Mädels davon überzeugen, mit dem Unterricht etwas früher zu beginnen, so dass ich noch rechtzeitig zur zweiten Halbzeit zu Hause sein kann.

Montag, Juni 12, 2006

4. Spieltag

12.06.2006, Montag

Der erste Arbeitstag nach der Eröffnung und damit die erste Auswertung des Bürotippspieles. Anscheinend hatte ich mit meinem Zweckpessimismus beim Tippen kein sehr glückliches Händchen, denn ich bin auf dem vorletzten Platz gelandet. Das Spiel Japan gegen Australien läuft für mich erstmal ganz gut, denn ich hatte auf ein Unentschieden gewettet. Und was machen die dämlichen Australier? Schießen in den letzten paar Spielminuten und in der Verlängerung noch zwei Tore! Also wieder nichts mit dem Versuch, meinen Fußball- Sachverstand unter Beweis zu stellen. Momentan sieht es jedoch so aus, als ob Dank Kopfballungeheuer Jan Koller wenigstens mein Tip für die Partie Tschechien gegen die USA nicht ganz so falsch war (Sorry, Steve!)

Nachtrag:
Von Hunger gepeinigt und von Frischluftdrang getrieben sind wir in der zweiten Halbzeit des USA/ Tschechien- Spieles in den Biergarten gerannt, wo zwar ein Ferseher lief, den wir aber von unserem Platz aus nicht sehen konnten. Aber so hatten wir zumindestens einen akustischen Eindruck dieses Matches. (Hätten die USA nicht wenigstens ein Tor schießen können? Dann hätte ich bei unserem Tippspiel wenigstens einmal richtig gelegen!) Wegen des weiterhin phantastischen Wetters ist die Stadt wie ausgestorben, die Leute hocken wohl alle vor der Glotze, in den Biergärten oder am Rheinufer. Jetzt, nach dem Sieg Italiens über die durchaus kämpferischen Ghanaer gibt es wenigstens Anzeichen von Aktivität in der Stadt, da natürlich der unvermeidliche Autokorso durch die Stadt rollt.

3. Spieltag

11.06.2006, Sonntag

Am heutigen Sonntag ist für uns vor allem die Begegnung unseres (Fussball-) Erzfeindes Niederlande gegen Serbien- Montenegro interessant. Da das Wetter einfach sensationell ist, wird im Garten gegrillt und kurzerhand der Fernseher nach draußen geschleppt. Ergebnis: Ich verbrenne mir die Fresse und Holland siegt 1:0.

Sonntag, Juni 11, 2006

2. Spieltag

10.06.2006, Samstag

Laut einer Umfrage ist Mainz deutschlandweit die Stadt mit den meisten Fussballmuffeln. Ich frage mich, welcher Idiot diese Umfrage gemacht hat bzw. wer befragt wurde. Die Begeisterung dieser Stadt für ihren Heimatverein und dessen Trainer ist eigentlich legendär und wir alle freuen uns, dass Jürgen Klopp als Experte für das ZDF die Spiele der WM kommentiert und abschließend analysiert. Naja, als Repräsentant unserer Stadt könnte er etwas mehr auf seine Erscheinung achten und sich auch gerne mal öfter rasieren, wenn er so offiziell auftritt (Kommentar von Ali: „Der sieht ja aus wie ein Löwe um die Eier“), aber in großen und ganzen macht uns das schon stolz. Was ich an ihm schätze, ist seine Fähigkeit, sich hemmungslos aufzuregen und Spielanalysen wirklich mit Herzblut zu betreiben, was Herrn Klinsmann auch schon zu ironischen Kommentaren veranlasst hat.

Um 15.00 jedenfalls versank die Stadt in erwartungsvolle Stille, schließlich spielten zwei potentielle Achtelfinalgegner. Ich selber habe nur die zweite Halbzeit der Begegnung England/ Paraguay gesehen, war aber von der englischen Mannschaft mehr als enttäuscht. Für einen selbsternannten Titelanwärter hätten die echt mehr bringen müssen. Von der Partie Schweden gegen Trinidad haben wir nicht viel mitbekommen, da wir uns in Frankfurt mit einer Freundin getroffen haben. Wir hatten zunächst starke Bedenken, überhaupt nach Frankfurt zu fahren, da diese Stadt von ca. 40.000 englischen Fans heimgesucht wurde und wir befürchteten, gar nicht erst in die Stadt reinkommen zu können. Also haben wir den ganzen Tag über die Verkehrshinweise gehört, die wegen des Spieles auch in Englisch verlesen wurden (sehr merkwürdig für uns), war dann aber doch nicht so wild. In Frankfurt wurden wir jedenfalls dann Zeugen eines trinidadischen (?) Autokorsos, bestehend aus einem Cabrio mit wild flaggenschwenkenden schokoladenfarbenen Schönheiten. Das liebe ich an solchen sportlichen Ereignissen: Kleinen Nationen wie Trinidad und Tobago reicht schon ein Unentschieden gegen einen vermeintlich starken Gegner, um in überschäumenden Jubel auszubrechen und den Rest der Welt daran teilhaben zu lassen. Nie kriegt man mit, dass Leute aus diesen Ländern überhaupt hier leben, während der WM laufen auf einmal alle in ihren jeweiligen Nationalfarben rum.

Für die Begegnung Argentinien gegen Elfenbeinküste wurde dann in der Kneipe der Fernseher angeschaltet, was auch ganz gut war, denn offensichtlich waren wir von Fans der afrikanischen Mannschaft umgeben, die ständig in völlig unverständliche Jubelchöre ausgebrochen sind. Man hätte meinen können, dass das Team der Elfenbeinküste 9:0 führt, aber leider haben die verloren.

Unsere Nähe zu Frankfurt beschert uns auch einige Touristen, die vielleicht sonst nicht unbedingt den Weg in unsere nette Stadt gefunden hätten. So konnte ich heute ein durch entsprechende T- Shirts und Rucksäcke eindeutig als mexikanisch gekennzeichnetes Pärchen dabei beobachten, wie sie sich vor dem Dom von Einheimischen fotografieren ließen.

Morgen wird es noch mal interessant, Holland spielt gegen Serbien und Montenegro, ein Match, das natürlich auch im Rahmen einer ausgiebigen Grillparty genossen werden will.

Samstag, Juni 10, 2006

Später an diesem Abend

Sieg!

Ich glaube, ich habe in meiner gesamten beruflichen Karriere noch nie einen derartig fluchtartigen Aufbruch meiner Kollegen wie heute erlebt. Um 16.00 waren innerhalb von einer Minute auf einmal fast alle verschwunden. Aber wen hält es schon an seinem Arbeitsplatz, wenn man weiss, dass in diesen Minuten das sportliche Großereignis des Jahrzehnts eröffnet wird? Ich selber habe zumindestens die letzte halbe Stunde der Feierlichkeiten im Fernsehen verfolgen können, bevor wir zu Freunden aufgebrochen sind. Sehr schön kurz und knapp die Rede unseres Bundespräsidenten, man konnte richtig spüren, wie nicht nur das gesamte Stadion, sondern die gesamte Nation auf die entscheidenden Worte wartete: " Ich erkläre die Fussballweltmeisterschaft für eröffnet." Und ab ging es in das Nationalmannschaftstrikot gehüllt in den beschaulichen Vorort Mainz- Gonsenheim, um mit einem Haufen von Leuten das Eröffnungsspiel zu schauen, während draussen auf dem Grill Köstlichkeiten brutzelten.
Erstes Tor nach sechs Minuten durch Lahm, und was für eines! Jubel! Kurze Zeit später: Ausgleich durch Costa Rica nach einem Fehler in der Defensive! Aufheulen! Im Laufe des Spieles offenbaren sich immer mehr Fehler in der Defensive, auch wenn der Sturm überraschend gut ist. Ich entdecke eine fatale Ähnlichkeit unseres Mannschaftsarztes Müller- Wohlfarth mit Severus Snape. Das 3:1 gibt Anlass zu wilden Spekulationen, Statistiken werden heruntergebetet .("Immer wenn wir in der ersten Begegnung 4:1 gewonnen haben, wurden wir auch Weltmeister") Klinsmann wechselt ein, anscheinend will er das Ergebnis halten. Tor durch Costa Rica, nur noch ein Tor Differenz! Banges Hoffen, dass nicht noch ein Gegentor fällt, aber die Erlösung in der 87. Minute durch Frings- Der Abend ist gerettet! Ich liebe Fussball!
Die Begegnung unserer nächsten Gruppengegner haben wir uns dann zu Hause angeschaut, Überraschungssieg der Equadorianer über die schwachen Polen. Da wird man wachsam seien müssen.
Jetzt laufen im deutschen Fernsehen unter dem Motto „WM- Kultnacht“ lustige Clips aus der Zeit sämtlicher vergangener Weltmeisterschaften und wir weiden uns an Perlen wie dem WM- Song Klassiker von 1974 „Fussball ist unser Leben“ . Kaum zu glauben, dass auch Franz Beckenbauer mal jung war. Zum Glück wurde diese Form der öffentlichen Demütigung unserer Nationalmannschaft nach dem frühen Ausscheiden bei der WM in den USA abgeschafft.

Freitag, Juni 09, 2006

Eröffnungsspiel

09.06.2006, Freitag

5 Stunden bis zum Anpfiff:

Die Nation peinigt heute nur ein Thema: Wird unser Kapitän Michael Ballack spielen können? Angesichts dieser schrecklichen Ungewissheit habe ich beim Büro- Tippspiel ganz unpatriotisch den Ausgang der heutigen Begegnung mit 1:1 angenommen. Wäre ja auch typisch für das deutsche Team, sich beim Eröffnungsspiel erstmal kräftig zu blamieren, um dann am Ende ganz groß rauszukommen. Statistisch gesehen müssten wir eigentlich Weltmeister werden, wenn man einschlägigen Artikeln Glauben schenken mag. Normales Arbeiten ist am heutigen Freitag eigentlich unmöglich und jeder überlegt, wie er sich möglichst früh aus den Staub machen kann, um sich im Kreise Gleichgesinnter vor den überall aufgestellten Großbildleinwänden rauschhafter Ausgelassenheit hinzugeben.

Wir haben gestern unser neues Auto bekommen, passend zum aktuellen Großereignis mit einem WM- Fanpaket, bestehend aus: Einer Sporttasche, einem Fussball, einer Fankappe, einem Fanschal und dem Mannschaftstrikot. Natürlich das ganze offizielle Adidas- Zeug, kein billiger Ramsch. Geil! Damit bin ich heute abend auf der WM- Grillparty die Königin. Allerdings hat unsere Mannschaft bis jetzt fast immer, wenn ich mich in einer Aufwallung patriotischer Gefühle in die Nationalfarben gehüllt habe, nicht sehr glücklich gespielt. Nun ja, mal sehen. Sollten wir heute abend verlieren, so gelobe ich feierlich, sofort sämtliche Fanartikel und die Flagge aus der Wohnung zu verbannen!

Mittwoch, Juni 07, 2006

Mainz im Fussballfieber

Die Ludwigsstrasse geflaggt in den Nationalfarben der Teilnehmerländer, im Büro gibt es Klopapier mit Fussballfragen, langsam tauchen an Fenstern und Balkonen immer mehr Deutschlandfahnen auf. Auch die Temperaturen ziehen deutlich an: Es kann losgehen!