Freitag, Januar 22, 2010

黄泉- Hades

22.01.2010, Freitag

Stressige, aber interessante Woche. Heute erhalte ich meine Visitenkarten (Senior Architect- Das muss ich erstmal sacken lassen) und den Büroschlüssel. Der ziert also als erster den mir von Ali geschenkten Wutzen- Schlüsselanhänger.
Mir wird schlagartig bewusst, dass ich normalerweise heute abend trainiert hätte und anschließend mit den Mädels und gelegentlich auch Jungs in Heiligen Aal einen saufen gegangen wäre.
Training fällt ja wohl flach, denn das gibt es morgen bei Meister Wu. Aber Saufen wäre eine Option.
Habe auf einmal wahnsinnige Lust, auf Einkaufsbummel zu gehen und schon mal Zeug für die Wohnung zu sichten. Ein Kollege hat mir erzählt, im Einkaufszentrum am Zhongshan Park gäbe es einen recht witzigen Laden, also will ich da mal hin.
Komme dann leider doch erst recht spät von der Arbeit weg und steige prompt an der falschen Metrostation um und aus. (Zhongshan Road, nicht Park). Also wieder zurück in die Metro, am Hauptbahnhof muss ich umsteigen. Nun muss man dazu mal sagen, dass man da nicht einfach eine Rolltreppe hochfährt und auf dem nächsten Gleis steht. Nein, an der Shanghai Railway Station muss man beim Umsteigen von Linie 1 auf Linie 3/4 unterirdisch durch ein Labyrinth von Gängen laufen. Da ich dieses Gewirr aber ziemlich gut kenne (bei meinem letzten Aufenthalt bin ich hier täglich umgestiegen), lasse ich mich einfach treiben. Und stehe plötzlich vor einem Gitter. Die Unterwelt wird anscheinend renoviert. Man muss zur Oberfläche hinaufsteigen, um die Züge zu wechseln. Und der Vorplatz der Shanghai Railway Station entspricht in ihren Dimensionen nicht gerade dem des Mainzer Hauptbahnhofes. Hinzu kommt noch, dass seit vorgestern die Zugfahrkarten für das Frühlingsfest im Handel sind und Millionen von Wanderarbeitern zu dieser Zeit in die Heimat zurückwollen. Der erste Schub der Fahrkarten war natürlich im Nu ausverkauft, auf dem Platz blüht der Schwarzhandel. Eine sanfte Frauenstimme gemahnt aus Lautsprechern zur Ruhe, allerdings in ohrenbetäubender Lautstärke. An der Wand des Bahnhofes flimmern großformatig Reklamevideos, wohl um die Massen einzulullen. Blade Runner. Mir wird allerdings kein Ticket angeboten. Sehe ja auch nicht aus wie eine Wanderarbeiterin. Obwohl ich das streng genommen eigentlich bin.
Irre zunächst hilflos umher, finde aber dann doch die Metrostation, schlängele mich geschmeidig hinein und schnappe einem fetten Chinesen den letzten Sitzplatz weg. Der hängt sich missmutig an die Haltegriffe, süffelt seine Sprite und schmeißt die leere Flasche bei der nächsten Station aus dem Zug, kurz bevor sich die Türen schließen. Was für ein Arschloch. Er bemerkt meinen giftigen Blick (Teil unseres Trainings) und schämt sich offensichtlich.
Als ich im Zhongshan Park das Einkaufszentrum erreiche, bin ich zu fertig, um noch entspannt zu bummeln. Und dieses Ding ist riesig. Und wenn ich das sage, meine ich: Selbst für hiesige Verhältnisse riesig. Lediglich die Super Brand Mall in Pudong ist wohl g i g a n t i s c h hiergegen. Also, Shanghai Touristen:
Als Ehegatten erzählt ihr euren Gemahlinnen besser nichts davon. (Obwohl wir Frauen sehr findig im Aufspüren dieser Dinge sind).
Als Ehefrauen plant für diese beiden Malls mal zwei Tage entspannten Shoppens mit gelegentlicher Massage, Nagelpflege und Nahrungsaufnahme ein. Die Kerle können sich ja in der Zwischenzeit die Formel- 1 Strecke oder diverse Elektroläden anschauen.
Schnelle und oberflächliche Bestandsaufnahme der angebotenen Waren, Shoppinghölle. Gebe schließlich auf und trabe in den Carrefour. Freunde, Real in Bretzenheim am Wochenende ist nichts dagegen. Dieser hier ist wie der Rest der Mall gigantisch. Und es gibt eine Abteilung mit importierten exotischen Gütern wie etwa Ritter Sport Schokolade. Raffe verwirrt einheimische Knabbereien wie kandierte Walnüsse, Chipse und Pistazien in meinen Korb und flüchte in die Alkoholika- Abteilung. Zu meinem Verdruss ist bis auf einem völlig überteuerten Riesling kein deutscher Weißwein am Start. Neben mir materalisiert sich eine zierliche Chinesin, die mich berät. Die will einem Meenzer Mädsche was über Woi erzählen?! Weil mir die Konversation Spaß macht, lasse ich mir schließlich zwei Flaschen französischen Chardonnays für ca. 8,- € die Pulle andrehen. Bei Rewe hätte ich für die Brühe nicht mal die Hälfte bezahlt, aber was soll es. Die Maid beglückwünscht mich zu meiner hervorragenden Auswahl und schleust mich zu einer Sonderkasse, ausländische Preziosen müssen anscheinend extra bezahlt werden.
An der Hauptkasse werde ich schon wieder elektrisiert. Es gibt es hübsche Tragetaschen. Recyclebar. Umweltfreundlich. Sehr groß und nur etwa 4,60 das Stück. Zwei Varianten. Ich sehe zunächst nur Variante eins: Knallrot, mit Neujahrswünschen und einem lustigen Tigerlein. Die Tasche wandert aufs Band.
Variante zwei: Sehr geschmackvoll, sehr schöne Farbgebung, eher traditionell. Mit einem hübsch kalligraphiertem Schriftzeichen, das ich allerdings nicht entziffern kann. Den Tiger sehe ich nicht sofort, er ist diskret an der rechten unteren Ecke der Tasche hingetuscht. Auch die Großkatze klassisch, auf der einen Taschenseite einer im Profil, auf der anderen Seite einer, der sich gerade abwendet. (Habe mir vor ein paar Jahren von einem deswegen sehr nervösen Chinesen sagen lassen, dass von oben nach unten herabsteigende Tiger nichts Gutes verheißen und ihm zuliebe an dem Abend alle Bilder umgedreht).
Der Typ vor mir in der Schlange sieht, wie ich beide Taschen an mich raffe und erwirbt spontan Variante eins.
Als ich im Hotel ankomme, ist es mittlerweile 21:30. Beim Entkorken der Weinflasche bricht mein eigens für diesen Zweck mitgenommenes Schweizer Offiziersmesser ab. Scheiße, und mit solchem mangelhaften Material wollen die Schweizer ihr langweiliges Land verteidigen? Das schreit ja geradezu nach Besatzung.
Und noch einem weiteren Bedürfnis wird Genüge getan: Letzte Woche haben mich meine Nachbarn hier kaum schlafen lassen. Ständig wurde gestritten, ständig lief die Glotze auf Maximallautstärke. Also habe ich heute zum Aufwärmen erstmal mit „Orpheus in der Unterwelt“ von Jaques Offenbach dagegen gehalten.
Jetzt ist nebenan Ruhe. Wahrscheinlich vor Entsetzen erstarrt, nachdem sie in den Genuss meiner Lieblingsoper, „Entführung aus dem Serail“ von W.A. Mozart aus scheppernden PC- Lautsprechern gekommen sind. Und natürlich habe ich auch mitgesungen, vor allem meine Lieblingsarien. Gar nicht so leicht, abwechselnd Tenor und Bass zu singen. Vor allem, wenn man in dieser Hinsicht völlig talentfrei ist.
Vivat Bacchus.



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

zwei enthusiastisch hochgereckte Daumen.