Donnerstag, Januar 14, 2010

Shanghai one way #2

Habe fast die Klinke in der Hand, als Torsten alias Toaster anruft und mich verabschiedet. War ja nicht im Training am Freitag, also konnten wir keinen letzten Schoppen gemeinsam leeren. Der gute Kerl.
Bevor wir zum Flughafen fahren, will ich noch schnell die Post hochbringen und schaffe es, den Wohnungsschlüssel im Schloß abzubrechen. Trottel. Na, wenigstens steht mein Zeug schon vor der Hütte.
Bei der Fahrt über die Theodor- Heuss- Brücke weide ich mich so lange es geht an der Mainzer Skyline, dann blicke ich nach vorne und die scheebedeckte Landschaft überlagert sich mit dem Stadtbild von Shanghai.
Innige Umarmung am Flughafen, Ali drückt mir noch ein Geschenk in die Hand und haut dann ab, bevor wir beide rührselig werden. Der Koffer wird auf die Waage gewuchtet, die stolze 34 Kilo zeigt. Für diese geringfügige Überschreitung des maximal zulässigen Gewichts muss ich keine Strafe zahlen, aber einen Wisch unterschreiben, dass ich China Eastern nicht verklagen werde, sollte das Gepäckstück seine strukturelle Integrität verlieren. Das Handgepäck wird zum Glück nicht gewogen, aber ich schätze mal, dass das mindestens auch nochmal 15 Kilo sind. Also schleppe ich fast mein Körpergewicht an Gepäck. Naja, muss mich halt den Sitten meines Gastlandes anpassen.
Kippen im Duty Free, auch der Anstecker mit der deutschen und der chinesischen Flagge wird nochmal gekauft. Öffne Alis Geschenke (eine sehr hübsche und geschmackvolle Halskette und ein Schlüsselanhänger mit einer strassbesetzen Wutz) und bewundere die von ihm liebevoll gebastelte Karte. Als wir abheben, fühle ich mich seltsam: Letztes Jahr noch war ich mit einem Mörder- Hass auf mein altes Büro in den Flieger gestiegen und hatte geschworen, eigentlich nicht wiederkommen zu wollen und mir auf Gedeih und Verderb in Shanghai was zu suchen. Jetzt ist das alles geregelt und ich reise zum ersten Mal nicht als Touristin, sondern als Arbeitnehmerin ein.
Der Flug verläuft ruhig, der Sitz neben mir bleibt leer, so dass ich mich hübsch ausbreiten kann.
In Shanghai ist es zwar kalt, aber es scheint die Sonne. Schön, in Deutschland hat es bei meinem Abschied geschneit.
Auf der Fahrt in die Stadt kommen wir am Expo- Gelände vorbei, beeindruckend. Erste Konfrontation mit einem Taxischergen, die Fahrerin weiss nicht so genau, wo sie hinmuss und drückt mir ihr Fon in die Hand. Ich soll mal für sie im Hotel anrufen und eine Wegbeschreibung anfordern. Klasse, solche Nummern habe ich echt vermisst.
Das Hotelzimmer ist schlicht, aber mit Breitband- Internetanschluß. Im englischsprachigen Teil der Hotelangebote wird neben dem Symbol von Messer und Gabel "Snake" offeriert. Und zwar von 19:00 bis 23:00 in der Merrylin Cafeteria. Aha. Klar, die fressen hier ja alles. Ich liebe Chinglish.
Leiere als erstes mal den Rechner hoch und probiere das kleine Programm aus, mit dem man angeblich die Brandmauer überwinden kann. Siehe da: Nicht nur ist das Netz sehr schnell, das Programm funktioniert auch noch ohne großes Gefummel!!! Blogspot, Youtube, geht alles, allerdings nur mit dem Internet Explorer. Mir doch egal, Hauptsache, die Zensur ausgetrickst. Wer weiß, wie lange, wird man sehen. (Das Ding gibt es hier).
Nach einer schnellen Dusche suche ich mein Büro auf und lerne meinen neuen besten Freund, Herrn Ma kennen. Der hat auch schon gleich ein paar Wohnungen am Start, von denen ich mir heute noch zwei anschauen kann. Die Kollegen sind auch sehr nett, Zhen hat Geburtstag und so komme ich gleich in den Genuss eines Mittagessens, dafür wünsche ich ihr aber geschmeidig auf Chinesisch alles Gute zum Geburtstag und darf das ganze auch noch singen. Was tut man nicht alles, um sich bei den Kollegen einzuschleimen und in den Genuss einer kostenlosen Mahlzeit zu kommen. Anschließend werde ich in mein Projekt eingewiesen, bin allerdings nicht sonderlich aufnahmefähig. Verspricht aber anscheinend ganz schön chaotisch zu werden. Egal, wird spannend.
Wohnung Nummer eins befindet sich fast in meinem vertrauten Jagdgebiet. Nämlich in der Quyang Lu, von Carrefour aus nochmal ein paar hundert Meter in nördlicher Richtung. Circa 10 Minuten von der Metro, also fast die Distantz Grebenstraße/ Schillerplatz. Nicht übel. Bin zunächst etwas desorientiert und frage einen Wachschergen nach der Hausnummer. Der wirft einen Blick auf den mir von Herrn Ma ausgedruckten Zettel und behauptet, das Haus Nummer 620 habe kein 17. Stockwerk, ich sei falsch. Blödmann. Also die Wunderwaffe gezückt und die Vermieterin angerufen, die angeblich des Englischen mächtig sein soll. Pustekuchen. Die Dame spricht mit mir rapides Chinesisch, holt mich am Tor ab und scheißt den Wachschergen zusammen. Ich werde mit einem Schwall von Ansagen und Fragen auf Chinesisch überschüttet, auf die ich nach bestem Wissen eingehe. Ob ich an der Tongji- Universität studiert habe? Naja, nicht wirklich, da mal nen Kurs gemacht, habe aber eigentlich in Deutschland gelernt, aber mein Lehrer kommt aus Shanghai. Nein, ist das denn zu glauben? Kein Wunder, dass ich so gut spräche! Was sind Chinesen höflich.
Die Wohnung wird gerade renoviert, die Vermieterin entschuldigt sich für die Baustelle und erörtert wortreich, welche Maßnahmen noch getroffen werden. Kein Balkon (wo soll ich Wäsche trocknen?) und die Wohnung ist sehr klein. Aber ein wirklich bemerkenswerter Ausblick, wenn auch nicht so spektakulär wie in der SISU. Immerhin kann ich den Tomorrow Square sehen, nicht ganz unwichtig für eine Alienexpertin. Frau Chen meint, da die Wohnung sehr weit oben sei, sei die Luft hier auch gut. Außerdem sei es ruhig. Da hat sie wohl recht. Außerdem ist sie sehr mütterlich, wann ich denn angekommen sei? Heute morgen? Bestimmt sehr müde? Ja, aber egal. Die Frau geht mir bis zum Kinn, aber sie schafft es, mich halb in den Arm zu nehmen und fürsorglich auf mich einzuquatschen. (Merke: Mein Chinesisch ist am Besten, wenn ich entweder völlig übermüdet oder vollgesoffen bin).
Die Sanierungs-, Reinigungs- und Einrichtungsarbeiten werden noch ca. 1 1/2 Wochen in Anspruch nehmen, das täte ihr leid. Sie begleitet mich noch nach unten, im Aufzug lerne ich potentielle Nachbarn kennen. Eine alte Dame fragt Frau Chen mit unverholener Neugier über mich aus, ob ich denn verstehen würde? Ich nicke mit dem Kopf und grinse die alte Dame an, die freundlich lächelt. Coole Hood. Und ich wollte schon immer mal eine Wohnung richtig hoch oben in einem Hochhaus haben.
Wohnung Nummer zwei ist gleich um die Ecke an der Dalian Xi Lu in einem älteren Wohnblock, das Gebäude liegt in zweiter Reihe, also nicht direkt an der Hauptverkehrsstraße. Definitiv mein Jagdgebiet, denn das ist gleich neben der SISU. Habe noch Zeit bis zum Termin und setze mich rauchend auf eine Bank in einer kleinen Grünfläche, die von den Anwohnern genutzt wird, um ihre Köter zu lüften. Um mir ein wenig Kurzweil zu bereiten, schreibe ich eine SMS an den Meister, in der ich mich für Samstag zum Training ankündige. Antwort kommt umgehend: OK. Wie gut, dass ich mir vorletztes Jahr Winterfummel habe schneidern lassen, allein der hat mein Koffergewicht ordentlich hochgetrieben, da er aus sehr dickem Tuch ist. Ich fürchte Schlimmes, denn in Deutschland habe ich wegen des ganzen Stresses so gut wie nicht geübt.
Drehe noch eine Runde durch die Freßgasse und entdecke den Luxusfladenstand, nicht aber die korpulente Crepe- Dame. Vielleicht zu kalt für sie. Überlege kurz, ob ich mir einen Fladen gönnen soll, aber mir ist vom Mittagessen und grässlichem Kaffee noch leicht blümerant.
Zu meinem Entsetzen wird der Hausmannskost- Laden gerade renoviert, hoffentlich behalten die den Koch! Diese Kaschemme war für mich eine der Hauptattraktionen dieser Hood, da wusste ich wenigstens, dass das Zeug, was ich ordere, tatsächlich vegetarisch ist und auch noch schmeckt.
Immer noch Zeit, egal, rufe die Frau des Vermieters an, die tatsächlich englisch spricht. Werde erstmal angekeift, weil ich am falschen Eingang warte. Auch diese Wohnung wird gerade renoviert und ist genauso klein, wenn auch etwas günstiger geschnitten als die erste. Sie liegt im dritten Stock eines alten viergeschossigen Gebäudes, den Balkon hat man leider zugemauert, um Wohnfläche zu gewinnen. Aber dieser Raum bringt nicht wirklich was. Mittlerweile ist es dunkel, beim Blick aus dem Fenster erahne ich einen kleinen Parkplatz und eine Wasserfläche. Die Frau des Vermieters weist prahlerisch auf den "See" hin. Doch wohl eher ein Bach oder Kanal, korrigiere ich höflich. Ja, haha, ihr Englisch sei halt nicht so gut, hahaha. Der Vermieter , Herr Zhang, baut sich hinter seiner fetten Gemahlin auf und erklärt wichtigtuerisch, da die Wohnung gleich eben der SISU läge, sei sie sehr begehrt. Es gäbe mehrere Anwärter. Und da sehr gründlich und aufwendig renoviert würde (haha), sei die Wohnung nicht vor Februar zu beziehen. Wenn überhaupt schon so schnell. Die Frau Gemahlin fragt mich, ob ich denn Hausstand habe? Nein? Wieso denn nicht? Weil ich gerade vor ein paar Stunden hier angekommen bin, du blöde Schnepfe. (Letzteren Halbsatz schenke ich mir dann doch). Naja, die Wohnung hat was und ist günstig gelegen, aber die Vermieter verheißen Ärger. Und ich fürchte, dass sich die Wasserfläche im Sommer in eine stinkende Moskitobrutstätte verwandeln wird.
Na gut, sieht also so aus, als müsse ich erstmal weiter im schicken Motel 186 wohnen bleiben. Was jetzt? Weitersuchen? Eigentlich ist die Dalian Lu fast raus, also in die Quyang Lu mit geilem Ausblick und cooler Hood und von da weitersuchen? Schwierig.
Fahre mit der Metro in Richtung Hotel, eine Haltestelle vor dem Volksplatz muss ich aussteigen. Sehe die mir so vertrauten Wolkenkratzer, deren prächtige Beleuchtung gerade anspringt und fühle mich sehr seltsam, irgendwie zwischen allen Welten. War hier jetzt keine drei Monate weg, alles ist so vertraut und doch so anders.
Trabe durch die Straßen auf der Suche nach einem Minimarkt, finde schließlich einen Kedi. Überall prangt noch Weihnachtsdeko, aber auch für das kommende Jahr des Tigers wird fleißig dekoriert. Mein Lieblingstier, kann ja nur noch aufwärts gehen. Schokomuffins für das Frühstück (gibt es hier im Motel auch, aber chinesische Frühstücke sind nicht so meines), Chipse und mein Freund, das Sherrygetränk werden erworben. Chat mit Stefan 04, der mich willkommen heißt, skypen mit Ali, der einen Termin mit dem Schlüsseldienst hat. Im Zimmer neben mir tut es unerklärliche Schläge, die Klimaanlage in meinem föhnt warme Luft, friere trotzdem und irgendwie fühle ich mich merkwürdig. Naja, Samstag treffe ich ja hoffentlich Meister Wu, wird schon.

2 Kommentare:

Xiaomo hat gesagt…

Tja, jetzt wird's richtig ernst - aber am ersten Tag gleich zwei Wohnungen zur Auswahl, von denen eine zumindest annehmbar zu sein scheint: Respekt, Respekt, das fängt doch gar nicht schlecht an! Und sobald du erst mal arbeitest, wirst du deine Kumpels in Farfaraway, die heute abend erstmal gepflegt trainieren und danach wohl in den Hl. Aal einkehren (du erinnerst dich?) auch bestimmt nicht mehr vermissen...

Bat hat gesagt…

Buhuhu, trinkt einen auf mich!