Samstag, Januar 16, 2010

Action, Baby!

16.01.2010, Samstag

Vormittags:

Mein blöder Wecker hat auf dem Flug irgendeine Macke abgekriegt und piepst eine Stunde zu früh. Drecksding!
Heute ist es eher diesig und lausig kalt, hülle mich in dicke Klamotten und begebe mich in den Park, wo Xiao Lu tatsächlich auch schon geschmeidig am Üben ist. Wiedersehensfreude, statt der erhofften tigergleichen deutschen Katze gibt es halt nur Schoklolade. Macht nichts, er hat sowieso jetzt schon die dritte Katze. Das Vieh hat ihm ganz schön die Hände zerkratzt und ich stelle mitleidslos fest, er müsse sie dann wohl geärgert haben. Ich necke ihn ein wenig und sage ihm, dass Meister Wu behauptet habe, er sei sehr selten im Training. (Des Meisters andere Aussagen verschweige ich diskret). Alles Blödsinn, sagt er, es sei der Meister, der eher selten käme. Da ich des Meisters Neigung zu wüsten Geschichten und seinen ausschweifenden Lebenswandel kenne, bin ich geneigt, Xiao Lu zu glauben.
Mein Winterfummel wird bewundert und wir fangen schonmal mit Einzelbewegungen an. Mann, Nummer 11 hat gestern echt ganze Arbeit geleistet, mein Nacken und die Schultern tun höllisch weh, wie ein schlimmer Muskelkater. Heute werde ich mir diese Behandlung ganz bestimmt nicht angedeihen lassen. Als der Meister kommt, wird der Winterfummel erneut bewundert, der Meister ist mit dem Sitz wohl sehr zufrieden. Könnte nur am Hals etwas weiter sein, aber schon ganz hübsch so. Schnapsflasche und Pralinen werden übergeben, so wird der Koffer leichter.
Während des Trainings friere ich ganz schön, ich beneide die beiden Jungs um ihre schicken Edelstahl- Thermoskannen mit heißem Tee. Der fürsorgliche Meister gibt mir eine Tasse seines Tees, tut echt gut. Ich muss mir unbedingt für morgen so eine Kanne besorgen. Angeblich soll man ja keine kalten Extremitäten kriegen, wenn man sein Qi dahin leitet, aber bei mir funktioniert das irgendwie nicht.
Der Jadering- Perückenmann schlurft im winterlichen schwarzen Samtfummel heran und verteilt Kippen.
Klappt soweit alles ganz gut, Mian Zhang stolpere ich dem Meister hinterher und werde vom kritischen Xiao Lu beobachtet. Anschließend meint der, wenigstens habe ich das nicht komplett vergessen. Stück für Stück daran arbeiten, er wird mir helfen. Völlig überraschend meint Meister Wu, ich solle jetzt Ying Quan (Eagle Fist) lernen. Wow, damit habe ich nicht gerechnet. Diese Form ist sehr lang und sehr elegant mit einigen Sprüngen und Tritten. Hätte nicht gedacht, dass er mir das schon zutraut. Zum Glück ist die Eröffnungsbewegung ganz ähnlich wie Dong Bao Quan, Xiao Lu turnt vor und ich mache nach, während der Meister uns kritisch beobachtet. Gleich am Anfang ein Sprung von einem Bein auf das andere, dann ganz tief runter auf den Boden. Das übe ich ein paar Mal, stöhne Xiao Lu nach dem zehnten Aufrappeln aus der Grätsche was vor und sage, ich sei alt geworden. (Das hatte er letztes Jahr ständig von sich behauptet). Der muss darauf tierisch lachen und zeigt mir anhand einer ganz komplizierten Kombination, wie schön er das mal konnte, als er noch jung war. Der Meister muss hastig die Toilette aufsuchen (gestern zu viel gefressen) und Xiao Lu nutzt die Zeit, mir ein paar Partnerübungen beizubringen. Habe morgen bestimmt blaue Flecken, macht aber Spaß. Ich schlage vor, dass wir sowas ja mal öfter zusammen üben könnten. Waas? Nein, er sei ein Mann und ich eine Frau, er könne mich doch nicht verdreschen! Am Ende verletzte er mich noch. Verstehe einer Xiao Lu.
Die Taizu Quan laufen wir gemeinsam langsam, fühle mich wohl und jetzt ist mir schön angenehm warm. Locke und ein Kumpel schauen sich das Ganze an und erzählen auf dem Weg zum Ausgang wüste Geschichten, leider auf Shanghainese. Morgen wieder Training, fein.

Nachmittags:

Komme im Hotel an und auf einmal geht ein ohrenbetäubender Krach los: Ein Feuerwerk wird gezündet. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Im Haus gegenüber wird geheiratet. Gott, ist das laut! Da bekomme ich schonmal einen Vorgeschmack auf das Frühlingsfest.
Die Sonne lugt zaghaft durch den Dunst und ich beschließe, in der Stadt was zu essen und das MoCA zu besuchen. Außerdem brauche ich eine Thermoskanne. Das Dilemma ist, dass ich zwar aus dem Stegreif sämtliche Klamotten-, DVD- und Kampfkunstartikelläden Shanghais nennen könnte, aber keine Ahnung habe, wo man ganz simplen Hausrat herbekommt. Ich nehme daher den Weg durch die schmalen Gässchen mit den alten Häusern, vielleicht habe ich ja Glück. Sowas kann unter Umständen auch nach hinten losgehen, weil in diesen Gässchen oft nur spezielle Waren wie etwa für Autoteile, Abflussrohre oder eben Nagellack und Kosmetik angeboten werden. Ich habe aber Glück, alte Shanghaier Nachbarschaft, hier gibt es alles. Schon im dritten Lädchen finde ich das Gesuchte, ganze 33,- Kuai (ca. 3,30 Euro) für eine schicke Edelstahl- Thermoskanne. Wollte ja keinen Hausrat kaufen, bevor ich keine Wohnung habe, aber das musste sein. Bin ganz stolz auf mich.
Komme an einer Wohnanlage vorbei, vor deren Eingang gerade Kracher in Herzform ausgelegt werden. Scheint heute ein guter Tag zum Heiraten zu sein, ich mache, dass ich wegkomme, bevor gezündet wird.
Im Volkspark bahne ich mir einen Weg durch den Heiratsmarkt und riskiere ein paar Blicke auf die ausgehängten Zettel. Ist nichts Anständiges dabei, aber um mich herum findet zwischen den Eltern und Großeltern der Heiratswilligen ein reger Informationsaustausch statt.
Barbarossa wird gerade renoviert und/ oder umgebaut. So komme ich wenigstens nicht in die Versuchung, mich Happy- Hour Exzessen hinzugeben, aber hoffentlich behält das seinen alten Charme.
Wie immer eine klasse Ausstellung im MoCA, natürlich darf man auch wieder ungeniert fotografieren. Nach dem Besuch des Museums trabe ich ins Gongdeli, das älteste vegetarische Resturant Shanghais. Nicht so gut wie das Lifestyle und auf der Karte gibt es keine Bilder, so dass man nach Gutdünken entscheiden muss. Die Beschreibung der Gerichte ist auch eher vage, die Bestellung eher Glückssache. Ich ordere drei Gerichte, der Bedienscherge meint, das sei zuviel. Waaas? Das wollen wir dochmal sehen! Tatsächlich habe ich bei der Bestellung ein glückliches Händchen bewiesen und ich schaffe es, fast alles zu verspeisen. Laufe zum Hotel zurück und chatte ein wenig.
Die Projektdateien sind mittlerweile angekommen, die werde ich mir jetzt mal reinziehen, damit ich Montag voll durchstarten kann. Mainz 05 spielt heute abend, werde die Daumen drücken.
Morgen wieder Training, soll sonnig werden und ich habe heiße Getränke - was will man mehr!


2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

eine Freude, dass du alles dokumentierst. Was bedeutet denn winter in shanghai? Kalt? sehr kalt? saukalt?

Bat hat gesagt…

Momentan sogar lauschige 18° Höchstemperatur. Soll zum Wochenende hin aber wieder auf -1° bis 5° abfallen, brrrr.