Donnerstag, Oktober 30, 2008

Shanghai Blues #2

30.10.08, Donnerstag

Vormittags:

Da es nur leicht nieselt, beschließe ich, trotzdem in den Park zu fahren. Der Bus ist sogar relativ leer, sehr angenehm. Busfahren während der Hauptverkehrszeit kann manchmal etwas abenteuerlich sein, da die Türen schon mal gerne während der Fahrt geöffnet beziehungsweise erst nach dem Anfahren geschlossen werden, so geht das Ein- und Aussteigen zügiger. Wenn man dann ohne unterwegs aus dem Bus zu fallen sein Ziel erreicht hat, muss man aufpassen, nicht von Moped- und Fahrradfahrern umgenietet zu werden, die haben eine extra Spur, die neben der Busspur verläuft.
Im Park angekommen regnet es mittlerweile ziemlich heftig, natürlich ist keiner da. Meister Wu ruft an und fragt, wo ich denn wäre? Schon im Park? Er eilt herbei, da Training keinen Sinn macht, lädt er mich zum Teetrinken ein und ich erhalte eine weitere Theoriestunde. Ich übe wirklich gerne Tong Bei, deswegen will ich ja auch möglichst viel darüber wissen. Das freut den Meister, der bereitwillig über die Arten zu üben und Unterschiede zu anderen Kampfkünsten Auskunft gibt. Interessant: He Yi Tong Bei zählt nicht zu den Taiji- Stilen, dass wusste ich auch noch nicht. Zu Hause muss ich dringend recherchieren, hier ist das bei dem lahmen Internetzugang eher nervenaufreibend. Der Meister ist ein Füllhorn des Wissens. Warum kann denn niemand mal bei solchen Gesprächen eine Kamera mitlaufen lassen, damit das der Nachwelt erhalten bleibt? Unfassbar, was verloren geht, wenn Menschen wie er nach und nach verschwinden. Ich versuche, mir alles zu merken und lasse mir auch den Spruch von dem Tiger und
dem Schaf aufschreiben. Über Yürgen äußert sich der Meister sehr positiv, dass er in Wudang trainiert hat ihn wohl beeindruckt. Er hält ihn für den besten Mainzer Taijimeister. Naja, ist ja auch nicht ganz so schwer, gemessen an unserer Einwohnerzahl und der Anzahl der Übenden. (Lass dir das mal nicht zu Kopfe steigen, Oster!). Ich stopfe noch diskret den Umschlag mit dem Lohn für den vergangenen Monat in des Meisters Rucksack und fahre mit der U- Bahn heim.
Erfreulicherweise ist mein Zimmer schon aufgeräumt und ich mache es mir mit einer Tüte Chips und dem Rechner im Bett gemütlich. Regentage können durchaus etwas für sich haben.

Nachmittags/ Abends:

Letzte Trainingsstunde mit Xiao Lu, es regnet zum Glück nicht. Die Erkältungstabletten dröhnen ganz schön, vielleicht sollte ich mir mal den Beipackzettel durchlesen. Wahrscheinlich ist das Zeug bei uns auf der roten Liste.
Da unser Trainingsgelände zu matschig ist, muss ich auf dem Platz davor meine Formen vorturnen. Der Platz ist rutschig, meine Schuhe sind glatt und um mich bildet sich eine Menschentraube. Bin ja Zuschauer gewöhnt und Kampfkunst Übende sind ja hier auch nichts besonderes, trotzdem komme ich mir vor, als stünde ich Samstags vormittags auf dem Domplatz und bin entsprechend nervös. Das wird auch beim Push- Hands nicht besser, vor allem, weil ich Angst habe, auf dem glatten Boden auszurutschen. Schließlich werde ich etwas entspannter, dann geht es. Xiao Lu muss früher weg, er hat noch was vor. Als wir den Park verlassen, versuche ich tapfer, meine Tränen zu unterdrücken, ich will nicht, dass er mich weinen sieht. Natürlich scheitere ich kläglich, Xiao Lu versucht unbeholfen, mich zu trösten und sagt, nächstes Jahr würde er mir dann eine neue Form beibringen, er wolle, dass ich Deutschlands beste Tong Bei Schnalle würde und wir könnten ja auch viel chatten. Ein schwacher Trost. Letzter Ritt auf dem Roller, im Bus ist es zum Glück dunkel und ich verfluche mich dafür, dass ich so nah am Wasser gebaut habe.
Keinen Bock, was zu essen, Kerstin und Alessandra sind beide unterwegs. Habe das dringende Bedürfnis, mich sinnlos zu betrinken, im Geschäft besorge ich mir irgendeinen üblen Fusel mit ordentlich Umdrehungen, zusammen mit den Erkältungstabletten sollte das hübsch in die Birne gehen. Schaue mir die Fotos vom Training an und heule hemmungslos.

Später am Abend:

Als ic
h gerade im Begriff bin, mir den Fusel hinter die Binde zu gießen, ruft Alessandra an, ihre Verabredung ist geplatzt. Wir gehen ins Nyoro um die Ecke und knabbern Fritten und Nüsse, ich bescheide mich dann doch mit Bier. Aus den Lautsprechern plätschert Bob Marley, draußen regnet es. Und das soll morgen gerade so weitergehen. Also kein Training. Mist.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke, dass du es erwähnt hast. Mir steigt das schon nicht zu Kopf, ich bin mir meiner Begrenztheit bewusst.
Retour bewundere ich dein konsequentes Training in Shanghai und die Ernsthaftigkeit, mit der du das angehst (trotz deiner Schnodderigkeit) Grüß den Meister, ich hoffe, ihn mal wieder zu sehen.

Xiaomo hat gesagt…

Der Klugschiss muss einfach sein: wenn ein Medikament bei uns auf der "roten Liste" steht, ist das ein gutes Zeichen - das ist nämlich die gängige Bezeichnung eines fetten Machwerks, in der sämtliche in Deutschland gehandelte Medis aufgelistet sind.
Wenn ich mir den Waschzettel allerdings so anschaue, kann ich mir nicht recht vorstellen, dass das Zeug es bis dahin geschafft hat...