04.10.2008, Samstag
Natürlich wache ich saufrüh völlig verspannt auf, genieße aber erst mal bei einem frugalen Frühstück (Kaffee, Kippe, Haferkeks) die grandiose Skyline. Ungeduldig warte ich bis 8.00, um mir endlich mein Netzwerkkabel zu verschaffen. Nach einigen Diskussionen kriege ich das auch endlich und ich sauge erst mal meine emails runter. Zu meinem Unmut regnet es draussen leicht, ob dann wohl auch trainiert wird? Egal, die Jungs werden schon nicht aus Zucker sein. Ich werfe mich also in meine hübschen blauen Hosen und versuche den Gesamteindruck wenigstens durch die geschickte Wahl eines einigermaßen geschmeidigen Oberteiles zu retten. Da ich nach dem langen Flug einen riesigen Bewegungsdrang habe, beschließe ich, zum Park zu laufen. Meine Hosen sind mir zwar etwas peinlich, aber wenn die hier in ihren Schlafanzügen rumlaufen, kann ich ja wohl auch blaue Pumphosen tragen. Im Park erwartet mich Xiao Lu mit einem brandneuen Paar schneeweißer Übungsschuhe, die auch wirklich ungemein bequem sind. (Die Schuhe werden nicht lange weiß bleiben.) Mein Gesamtoutfit wird mit „piaoliang“ (hübsch) kommentiert. Da unklar ist, ob der Meister bei Regen kommt, darf ich schon mal anfangen, die Form vorzuturnen. Und dann eilt auch schon der Meister herbei. Endlich werde ich meine Schnapsflasche los. Da keine weiteren Schüler mehr kommen, wiederholen wir Einzelbewegungen und Schritte, natürlich ist der Meister alles andere als zufrieden. Da ich aber noch wahnsinnig verspannt bin, hatte ich damit gerechnet und nehme das relativ gelassen. Wird schon noch werden. Natürlich haben wir auch Publikum, einer der Typen verwickelt den Meister in eine Fachdiskussion und behauptet, ein wenig Shaolin Gongfu zu können. Das hätte er mal lieber bleiben lassen, denn prompt darf er kämpfen und kriegt von Meister Wu dermaßen eine verpasst, dass er unsanft auf den Hintern fliegt. Geschieht dem Prahlhans recht. Nach zwei Stunden Training fängt es leider etwas heftiger zu regnen an, weswegen mich Meister Wu zusammen mit seinem Kumpel zum Essen einlädt. Das Restaurant ist ganz hübsch, man kann sich an einer langen Theke selbst bedienen. Die beiden Knaben wählen sehr sorgsam die Speisen aus, da der Meister weiß, dass ich Vegetarierin bin, besorgt er einige Speisen doppelt, damit sie nicht von den Esstäbchen verunreinigt werden. Wie fürsorglich! Irgendwie versuche ich mich verzweifelt gegen Bierkonsum zu wehren, scheitere aber kläglich. Leider gehört das Mittags nicht gerade zu meinen präferierten Getränken, aber da muß ich jetzt wohl durch, um nicht unhöflich zu sein. Meister Wu erkundigt sich nach sämtlichen Deutschen und zeigt sich angenehm überrascht, dass Yürgen (nach Yürgen hat er sich explizit erkundigt, Grüße) und Lilo in Wudang trainieren. Logischerweise dreht sich die Konversation dann hauptsächlich um Gongfu, der andere Knabe spricht aber maschinengewehrartiges Shanghainese, so dass ich den eher nicht verstehe. Ich erhalte eine 1a Lektion über das richtige Üben und die richtige Geisteshaltung, wichtige Begriffe tippt der Meister in seinen Übersetzungscomputer ein, damit ich sie auch ja verstehe. Besonders gut gefällt mir die Phrase, man solle beim Üben ein Tiger sein, ansonsten ein Schaf. (Auf den Tiger kam er wohl, nachdem ich Wujie mit einem solchen verglichen hatte.) Natürlich muß ich mir auch noch Sprüche über meinen steifen Nacken und meine Schultern anhören, Bildschirmarbeit ist halt scheiße. Ich prahle mit meinem iPod, auf dem ich meine Übungsvideos habe und Meister Wu beäugt die kritisch. Mit steigendem Alkoholpegel werden die beiden immer munterer und ich ahne Schlimmes. Glücklicherweise fällt von des Meisters Brille ein Bügel ab und er beschließt, die dann jetzt mal besser reparieren zu lassen. Ich bin noch in der Lage, das Lokal aufrecht zu verlassen, die beiden Jungs haben aber ordentlich Schlagseite. Ganz fürsorglich fragen sie, wie ich denn jetzt nach Hause käme, ob ich wieder laufen wolle? Dem anderen Knaben fällt ein, dass um die Ecke ein Bus zum Stadion führe. Und dann folgt mal wieder eine echt geile Aktion: Der Bus ist gerade im Begriff, abzufahren, da wirft sich der Knabe todesmutig vor den Bus. Der Fahrer öffnet die Tür, Gebrüll folgt und ich werde in den Bus geschubst. Der Fahrer schreit mich an (ist nicht böse gemeint, normaler Umgangston) und deutet auf einen Sitz, ich kriege nur soviel mit, dass er mir Bescheid sagen wird, wann ich aussteigen muß. Draußen stehen der Meister und der Knabe und winken, als ginge ich auf Weltreise. Eine hilfsbereite Dame nimmt mir meine Karte aus der Hand und zieht die für mich über das Abbuchungsding, damit ich nicht aufstehen muß. Wie nett! Mir ist es total peinlich, dass ich wahrscheinlich total nach Bier stinke. An jeder Station werde ich vom Fahrer angebrüllt, dass dies noch nicht meine Haltestelle ist. (Das hätte ich auch so gemerkt). Schließlich werde ich gestenreich aufgefordert, das Fahrzeug zu verlassen und kriege noch mit auf den Weg, dass ich ja auf den Verkehr aufpassen soll. Oh Mann, Chinesen sind ja so was von nett!
1 Kommentar:
was bin ich so froh, dass ich geruhsam auf dem gemütlichen Wudang Shan hause, keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen muss und auch nicht zum saufen genötigt werde;-) schade nur, dass sich der Meister nicht an mich erinnert...trotzdem: grüße ihn schön von mir!
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