Dienstag, Oktober 07, 2008

Warrior Woman

07.10.2008, Dienstag

Vormittags:

Ich laufe zum Park, eigentlich ganz gut morgens, um die Muskeln zu lockern und mit Musik am Ohr ist das auch ganz locker. Zum Training haben sich nur Herr Si und Xiao Lu eingefunden. Letzterer hat mir den gekürzten Fummel wieder mitgebracht, sogar die Ärmel sind sauber umgenäht –unfassbar. Der Meister kommt etwas später und fängt schon mal an, mich zu korrigieren, während er sich noch die Klamotten vom Leib reißt. Heute üben wir Anwendungen, was natürlich ordentlich blaue Flecken bedeutet. Da der Wu- Stil Depp schmauchend am Rand sitzt und Maulaffen feilhält, bemühe ich mich, dem mal zu zeigen, dass ich doch nicht die Tröte bin, für die er mich hält. Xiao Lu trifft mich mit einem gezielten Schlag präzise auf die Nase, ich sehe Sternchen. Na ja, so ist das halt, wenn man eine Kriegerin werden will, da muss man halt mal was wegstecken können. Dafür wird er anschließend von Meister Wu ziemlich unsanft auf den Boden geschleudert. Auch des Meisters Brille leidet wieder Schaden. Anschließend ein paar Linien, der Meister korrigiert mich, brüllt „Dont move“ rennt dann zu seinem Rucksack, zerrt die Kamera hervor und knipst mich. Das macht er ein paar Mal. Da ich auf Lus Empfehlung hin natürlich ziemlich tief stehe, spüre ich meine Oberschenkel bald schmerzhaft. Ganz stolz zeigt er mir die Fotos und verspricht, mir die zu schicken. Außerdem will er die noch an seine anderen deutschen Studenten mailen, bloß nicht! Der Meister erzählt mir, dass er Dienstags, Freitags und Sonntags eine Gruppe Ausländer im Renmim Gongyuan trainiert und fragt mich, ob ich da auch hinkommen wollte. Nee, auf Volkspark und Ausländer habe ich keinen Bock. Ich versuche höflich, mich aus der Affäre zu ziehen. Die Form laufen wir auch sehr langsam durch, danach zittern mir wirklich die Knie. Langsam merke ich, wie alle Muskeln sich zu dehnen und strecken zu beginnen, ein gutes Gefühl.
Was ich am Parktraining auch so liebe, ist das sich regelmäßig einfindende Publikum. Der Pseudo- Shaolin mit seiner feschen Armeejacke ist auch wieder da, allerdings hat er seinem Outfit durch eine riesige Sonnenbrille zusätzlichen Schliff verliehen und sieht aus wie eine Stubenfliege. Vielleicht will er nach seinem blamablen Auftritt neulich auch einfach nicht erkannt werden. Ein Typ mit weißem Satin- Taijianzug und einer sehr gewagten Perücke schaut auch vorbei und händigt dem Meister und Herrn Si wortlos Kippen aus. Mein absoluter Lieblingstyp aber ist ein Knabe im schwarzen Western- Stil Anzug, in den goldene Drachen gestickt sind. Dazu trägt er stilecht einen Cowboyhut und eine Pilotenbrille. (Wer den Film „Kung Fu Hustle“ gesehen hat, wird sich vielleicht an den Anführer der Krokodilgang erinnern, der ganz am Anfang dran glauben musste. Genau so). Mann, von dem sollte sich Jim Lauderdale mal ne Scheibe abschneiden. Leider bin ich nicht dreist genug, diese Typen zu fotografieren, aber damit könnte man sicher einen Bildband füllen. Zum Hotel zurück nehme ich den Bus, der ist jetzt nicht so voll. Wenn noch einmal jemand behauptet, Chinesen seien untereinander rücksichtslos, kriegt er es mit mir zu tun. Sobald hier alte oder gebrechliche Personen den Bus besteigen, springen mindestens drei Leute auf, um ihren ihren Platz anzubieten.
Trotz meines kläglichen Scheiterns neulich suche ich den Fladenstand in der Fressgasse auf, werde wiedererkannt (so viele große Blondinen laufen hier halt nicht rum) und zeige diesmal auf den, den ich eigentlich ursprünglich wollte. Klappt reibungslos, das Teil kostet umgerechnet 20 Cent. Wo kriegt man dafür schon bei uns einen so guten Snack. Von Gier getrieben nehme ich schon im Aufzug die ersten Bissen, das Zeug schmeckt noch genau so gut, wie ich es in Erinnerung hatte. Da aber ordentlich Knoblauch dran ist, werde ich mir vor dem Nachmittagstraining gründlich die Zähne putzen müssen.

Nachmittags:

Zum Park mit dem Bus, heute geht es weiter mit Dong Bao Fist. Die Trainingshosen werden mit einem rosa Ed Hardy T- Shirt aufgemotzt, auf dem ein Tiger prangt. Wenn schon modische Entgleisung, dann auch richtig. Beim Aufwärmen lerne ich erst mal, dass man was nicht richtig gemacht hat, wenn es nicht wehtut. Aha. Ja, ich liebe Schmerzen. Und dann ist ganz schön böse Bodenaction angesagt, unter anderem mehrere Tritte nach hinten und dann ein ganz fieser Fußfeger, bei dem man sich flach hinschmeißt, abstützt und das Bein wenige Zentimeter über dem Boden an den Fußknöchel des Feindes drischt. (Der Meister lässt dies aus verständlichen Gründen bei der Form gerne aus). Xiao Lu ist ganz begeistert, dass ich mir das tatsächlich antun will, das Publikum natürlich auch. Während ich mich stöhnend am Boden winde, werden mein Bein und mein Oberkörper unsanft in die richtige Position gezerrt, klar, muss ja wehtun, ich vergaß. Aber wie gesagt, ich liebe Schmerzen. Zur Belohnung gibt es dann auch Kekse vom grossen Bruder. Morgen lerne ich dann, wie man aus dieser Position wieder hochkommt, bin mal gespannt. Da mein großer Bruder sich zum Ziel gesetzt hat, mich in Push- Hands und den Anwendungen richtig fit zu machen, wird das jetzt natürlich auch noch geübt. Erstaunt stelle ich fest, dass ich langsam geschmeidiger werde, dachte, das lerne ich nie. Aber was Anwendungen angeht, bin ich immer noch echt mies. Außerdem tun mir von heute morgen immer noch die Arme weh. Egal, dafür hat Xiao Lu einen blauen Fleck am Hintern. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wir schubsen uns gegenseitig durch den Park, bis dieser schließt, den Fummel lege ich übertrieben ordentlich zusammen. Dann werde ich wieder zur Bushaltestelle begleitet. Tja, ihr deutschen Männer, nehmt euch daran mal ein Beispiel! Die Chinesen wissen wenigstens, wie man eine Dame behandelt. Auf dem Weg dorthin erzählt er mir, dass ihm das Buch, was ich ihm geschenkt habe, sehr gefallen hat und er es lustig fand. Freut mich, ich wusste doch, dass er ein schlauer Kerl ist.
Nachdem ich mir die mistdreckigen Hände gewaschen habe, beschließe ich, angesichts der heutigen massiven körperlichen Ertüchtigung heute mal voll über die Stränge zu schlagen und besorge ich mir im Gästehausshop ein paar Qi- Verteilungsgetränke (= Dosenbier) und eine Packung Chips, die ich natürlich erst zu mir nehme, nachdem ich das heute Erlernte sorgfältig wiederholt habe. Während ich dies hier tippe, geht mein großer Bruder online und fragt mich, ob ich mich denn jetzt ausruhen würde. Als ich ihm sage, ich hätte bis eben wiederholt, bekomme ich den Befehl, mich sofort locker zu machen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und öffne eine Dose Bier. Er selbst übt jetzt noch Langstock und Säbel. Held.

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